Leitsatz (amtlich)

Der Erwerb einer Eigentumswohnung ist nach § 1 Nr. 5 GrESWG 1958 Nordrhein-Westfalen auch dann ein steuerfreier Ersterwerb, wenn ihm ein Erwerbsvorgang voraufgegangen ist, der infolge Aufhebung des Kaufvertrages vor Fertigstellung der Wohnung nicht mehr zur Übergabe der fertiggestellten Wohnung geführt hat, selbst wenn das Eigentum bereits übergegangen war.

 

Normenkette

GrESWG 1958 Nordrhein-Westfalen § 1 Nr. 5; GrESt-Änderungsgesetz 1970 Nordrhein-Westfalen Art. 3 Nr. 2 Buchst. f., Art. 7 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und seine Ehefrau erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom 12. September 1969 je zur ideellen Hälfte eine Eigentumswohnung in Nordrhein-Westfalen, die der Verkäufer am 9. August 1968 vor Baubeginn schon einmal verkauft hatte. Die damaligen Käufer waren bereits als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden; der Kaufvertrag wurde jedoch durch Vertrag vom 10. September 1969, als das Bauvorhaben im Rohbau fertig war, wieder aufgehoben, bevor die Übergabe der Wohnung erfolgt war.

Das beklagte FA lehnte es ab, Grunderwerbsteuerfreiheit nach § 1 Nr. 5 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Juni 1958 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen S. 282 - GVBl NW, 282 -, BStBl II, 105) - GrESWG 1958 - zu gewähren und setzte gegen den Kläger und seine Ehefrau durch getrennte Steuerbescheide Grunderwerbsteuer fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah den Kläger und seine Ehefrau nicht als Ersterwerber an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

Der Erwerb der Eigentumswohnung durch den Kläger und seine Ehefrau war ein erster Erwerb im Sinne des § 1 Nr. 5 GrESWG 1958. Zwar regelte diese Vorschrift die Frage der Rückgängigmachung eines Erwerbs und des daran anschließenden weiteren Erwerbs nicht ausdrücklich. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß die Steuerfreiheit für den ersten Erwerb auch dann verbraucht ist, wenn der erste Erwerb fehlschlägt. Bei Beachtung der Systematik des Grunderwerbsteuerrechts, das zwar die Verpflichtungsgeschäfte in den Mittelpunkt der Besteuerung stellt, über § 17 GrEStG 1940 aber bei Fehlschlagen des Geschäfts einen Ausgleich schafft, und unter Würdigung des Zwecks der Befreiungsvorschriften für den Wohnungsbau, durch die die Errichtung und die erste Veräußerung von Wohnraum gefördert werden soll, ist die Schlußfolgerung unausweichlich, daß nicht jeder fehlgeschlagene Ersterwerb die Steuerbefreiung für den ersten Erwerb verbraucht.

Der Senat hat bereits zum niedersächsischen Recht entschieden, daß auch dann ein steuerfreier erster Erwerb vorliegt, wenn ihm ein Erwerbsvorgang vorangegangen ist, der infolge Rücktritts vom Vertrage oder einvernehmlicher Vertragsaufhebung weder zur Übergabe der Wohnung noch zur Eigentumsübertragung geführt hat (Urteil vom 22. Mai 1974 II R 71/68, BFHE 113, 127, BStBl II 1974, 687). Darüber hinaus hat er zum bremischen Recht entschieden, daß die Steuerfreiheit auch eintritt, wenn die Rückgängigmachung des vorangegangenen Erwerbs zwar nach Übergabe des Eigenheims, aber vor dem Eigentumsübergang erfolgt ist (Urteil vom 2. Oktober 1974 II R 69/73, BFHE 113, 575, BStBl II 1975, 151). Dies muß auch für das GrESWG gelten.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich allerdings von den bisher entschiedenen Fällen dadurch, daß das Eigentum an der Eigentumswohnung, die im Zeitpunkt der Rückgängigmachung des vorangegangenen Ersterwerbes rohbaufertig war, bereits auf den damaligen Ersterwerber übergegangen war. Diesem Umstand kann jedoch deshalb keine entscheidende Bedeutung zukommen, weil der wirtschaftliche Zweck des rückgängig gemachten Erwerbsvorganges, die Übergabe einer noch zu errichtenden Eigentumswohnung, infolge Vertragsaufhebung nicht erreicht worden ist. Es entspricht dem Zweck des § 1 Nr. 5 GrESWG 1958, auch in diesem Falle einen weiteren Erwerb als Ersterwerb anzuerkennen.

Der Eigentumsübergang vor Fertigstellung und Übergabe der Wohnung bezweckt in diesen Fällen vor allem eine möglichst umfassende Sicherung des Erwerbers, die in anderen Fällen - wenn auch in geringerem Umfang - durch die Eintragung einer Auflassungsvormerkung bewirkt wird. Wesentlich für die Erfüllung des Kaufvertrags ist aber die Übergabe der fertiggestellten Eigentumswohnung. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei Anwendung des § 1 Nr. 5 GrESWG 1958 den rückgängig gemachten Ersterwerb einer Eigentumswohnung vor Fertigstellung und Übergabe der Wohnung auch dann nicht mitzuzählen, wenn bereits das Eigentum auf den Erwerber übergegangen sein sollte.

Diese Rechtslage hat sich nicht dadurch geändert, daß § 1 Nr. 5 GrESWG 1958 im Jahre 1970 "mit Wirkung vom 1. Januar 1969" um folgenden Satz ergänzt worden ist:

"Wird ein begünstigter Erwerbsvorgang rückgängig gemacht, bevor der Erwerber Eigentum an dem Eigenheim oder an der Eigentumswohnung erlangt hat, so ist die Befreiung beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch bei einem weiteren Erwerb zu gewähren" (Art. 3 Nr. 2 Buchst. f, Art. 7 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes und zur Änderung von Sondergesetzen auf dem Gebiet der Grunderwerbsteuer vom 21. Mai 1970 - GrESt-Änderungsgesetz -, GVB1.395, BStBl I, 820).

Seinem Wortlaut nach könnte zwar aus diesem Satz hergeleitet werden, daß ein steuerfreier Erwerb eines Eigenheims oder einer Wohnung trotz Rückgängigmachung eines vorangegangenen Erwerbs nicht mehr möglich ist, wenn der bisherige Erwerber vor der Rückgängigmachung bereits Eigentümer geworden war. Es muß aber als ausgeschlossen angesehen werden, daß der Gesetzgeber eine - vom Standpunkt der neueren Rechtsprechung des Senats aus - den Steuerpflichtigen belastende Rückwirkung gewollt hat. Der neue Satz 2 des § 1 Nr. 5 GrESWG 1958 ist vielmehr deshalb rückwirkend am 1. Januar 1969 in Kraft gesetzt worden, weil der Gesetzgeber Steuererleichterungen einführen wollte, deren Verabschiedung sich verzögert hatte (vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, 6. Wahlperiode, Drucksache 1145 S. 48 zu. Art. 7). Der Gesetzgeber konnte nicht voraussehen, daß die gewollten Steuererleichterungen auf Grund der Rechtsprechung des Senats zum Teil zu einer rückwirkenden Verschlechterung der Rechtsposition der Steuerpflichtigen führen würde. Dies entsprach nicht dem Gesetzeszweck. Unter diesen Umständen ist Art. 7 Nr. 1 GrESt-Änderungsgesetz dahin auszulegen, daß die für das Inkrafttreten einiger Vorschriften angeordnete Rückwirkung nur für die Fälle gilt, in denen diese Vorschriften zu Steuererleichterungen führen. Andernfalls würde das Problem rückwirkender Steuerverschärfung auftreten (vgl. BVerfGE 13, 261).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71359

BStBl II 1975, 455

BFHE 1975, 282

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