Leitsatz (amtlich)

§ 111 Abs. 4 FGO ist auf Erstattungsansprüche, die sich aufgrund des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 26. Juli 1962 (BGBl I, 455) ergeben, entsprechend anzuwenden; solche Ansprüche sind daher vom Tage der Rechtshängigkeit an zu verzinsen.

 

Normenkette

DurchfG EWG Getr; ErstVOGetrReis; FGO § 111 Abs. 4

 

Gründe

Die Revision ist zum Teil begründet.

Der erkennende Senat vermag allerdings der Auffassung der EVSt Getr nicht zu folgen, daß die Klage auf Zahlung der Prozeßzinsen schon deshalb abzuweisen ist, weil hinsichtlich dieses Anspruchs dem finanzgerichtlichen Verfahren kein außergerichtliches Vorverfahren vorangegangen ist. Nach dem BFH-Urteil vom 29. Juni 1971 VII K 31/67 (BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740) ist wegen des Anspruchs auf Prozeßzinsen kein besonderes außergerichtliches Vorverfahren notwendig, wenn § 100 Abs. 3 FGO eingreift. Nach dieser Vorschrift ist nämlich, wenn neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden kann, in dem gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig. Die gleichen Regeln gelten, wie der BFH a. a. O. entschieden hat, auch für die Verpflichtungsklage.

Das FG ist davon ausgegangen, daß der Anspruch auf Prozeßzinsen unmittelbar dem § 111 FGO zu entnehmen ist. In dieser Vorschrift ist geregelt, in welchen Fällen bei zuviel entrichteten Abgabenbeträgen eine Verzinsung mit der Rechtshängigkeit eintritt. Entsprechendes gilt für Vergütungsansprüche, wenn insbesondere ein bisher abgelehnter Vergütungsanspruch bewilligt oder ein zu niedrig festgesetzter Vergütungsbetrag heraufgesetzt worden ist. § 111 FGO gewährt somit eine Art Prozeßzinsen nur in ganz bestimmten, dem materiellen Steuerrecht angehörenden Fällen. Die im vorliegenden Fall noch auf der Grundlage des Art. 20 Abs. 2 der VO (EWG) 19/62 bei der Ausfuhr nach Drittländern zu gewährenden Erstattungen in der Gestalt der abschöpfungsfreien Einfuhr, auch wenn sie später nach § 10 Abs. 2 ErstVOGSEGF vom 26. Juli 1967 auf Barerstattung umgestellt werden konnten, fallen aber nicht unter die in § 111 FGO aufgeführten Tatbestände, insbesondere können sie nicht zu den in Abs. 4 dieser Vorschrift genannten Vergütungsansprüchen gerechnet werden. Hierzu rechnen nur Steuervergütungsansprüche, die ihre Rechtsgrundlage in § 158 AO haben. Wenn der Kreis der Streitigkeiten, für die nach § 33 FGO und anderen Gesetzen der Finanzrechtsweg gegeben ist, nicht auf die in § 111 FGO erwähnten Abgaben- und Vergütungsfälle beschränkt ist, kann hieraus nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß die Verzinsungsvorschrift des § 111 FGO in allen Rechtsstreitigkeiten, die überhaupt vor die FG gelangen können, anzuwenden ist (vgl. das schon erwähnte BFH-Urteil VII K 31/67 und das BFH-Urteil vom 7. Dezember 1971 VII K 16/67, BFHE 104, 129).

Auf der anderen Seite gibt es Fälle, in denen es dem Rechtsempfinden entspricht, einen Zinsanspruch dann einzuräumen, wenn Leistungen des Staates, auf die der Bürger einen gesetzlich näher ausgestalteten Rechtsanspruch hat, den Gegenstand eines Rechtsstreits vor den FG bilden. Erwächst, wie im vorliegenden Fall, ein derartiger Anspruch im Rahmen eines Gewerbebetriebs, ist davon auszugehen, daß der Anspruchsberechtigte in Höhe der ihm für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens vorenthaltenen Geldmittel andere aufwenden muß, für die er Zinsen zahlen muß oder für die ihm Zinsen entgehen. Das BVerwG hat in der Entscheidung vom 7. Juni 1958 V C 272.57 (BVerwGE 7, 95) für das verwaltungsgerichtliche Verfahren die bürgerlich-rechtliche Regelung hinsichtlich der Verpflichtung zur Zahlung von Prozeßzinsen (§ 291 BGB) für entsprechend anwendbar erklärt, allerdings auch ausgesprochen, daß der Gesetzgeber nicht gehindert sei, für bestimmte Arten von Geldforderungen den Zinsanspruch besonders zu regeln oder gar auszuschließen. In einer späteren Entscheidung weist das BVerwG (Urteil vom 21. April 1971 V C 45.69, BVerwGE 38, 49) ausdrücklich darauf hin, daß § 111 FGO eine solche besondere Regelung für das Steuerrecht enthält.

Bei Berücksichtigung dieser Erwägungen erscheint eine entsprechende Anwendung des § 111 FGO auf andere Fälle, die mit den in dieser Vorschrift genannten vergleichbar sind, nicht ausgeschlossen. So hat das BVerwG in dem Urteil vom 5. Februar 1971 VII C 32.69 (BB 1971, 687) den § 111 FGO auf die Erstattung von Einfuhrgenehmigungsgebühren entsprechend angewendet. Der BFH hat in dem Urteil vom 16. März 1973 VI R 91/69 (BFHE 109, 161, BStBl II 1973, 550) unter Aufgabe seiner früheren Auffassung bei Rechtsstreitigkeiten über die Gewährung einer Wohnungsbau-Prämie im Falle des Obsiegens des Sparers eine Verzinsung des Prämienanspruchs vom Zeitpunkt der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag in entsprechender Anwendung des § 111 FGO zugelassen.

Ist die Ausfuhrerstattung in Form der Barerstattung zu gewähren, hat ein derartiger Anspruch mit den in § 111 Abs. 4 FGO genannten steuerlichen Vergütungsansprüchen gemeinsam, daß für die Dauer der Rechtshängigkeit bis zum Auszahlungstag diese Beträge dem Berechtigten entzogen sind. Bei den Ausfuhrerstattungen besteht auch eine gewisse Beziehung zum Abgabenrecht. Sie sind verknüpft mit den Abschöpfungen, für die nach § 2 des Abschöpfungserhebungsgesetzes (AbG) vom 25. Juli 1962 (BGBl I, 453) die für Zölle geltenden Vorschriften und damit die AO Anwendung finden und die zu den Eingangsabgaben zählen (§ 1 Abs. 3 ZG). Das durch die VO (EWG) 19/62 für eine Übergangszeit geschaffene Abschöpfungssystem sollte jeden einzelnen Mitgliedstaat in den Stand setzen, seine eigene Landwirtschaft gegen Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten ebenso wie aus Drittländern zu schützen. Das Gegenstück zu den Abschöpfungen bildeten die Ausfuhrerstattungen, die die Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Ländern mit niedrigerem Preisniveau ermöglichen sollten. Die Ausfuhrerstattungen sind zwar nicht das getreue Spiegelbild der Abschöpfungen, aber Bestandteil eines übergreifenden Systems zum Schutz der heimischen Landwirtschaft. Diese enge Verknüpfung der Ausfuhrerstattungen mit den Abschöpfungen kommt ferner dadurch zum Ausdruck, daß, wie schon erwähnt, damals die Erstattungen für bestimmte Ausfuhren ― die Ausfuhren nach Drittländern ― in der Form der Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr, also in Gestalt der Einräumung einer Abgabenvergünstigung, gewährt wurden. Es ist daher gerechtfertigt, die Grundsätze des § 111 FGO auch auf Prozeßzinsen anzuwenden, die in einem finanzgerichtlichen Verfahren über einen Ausfuhrerstattungsanspruch geltend gemacht werden.

Nun ist aber in der deutschen Erstattungsverordnung, wie schon erwähnt, bestimmt, daß Erstattungsforderungen unverzinslich sind. Die im vorliegenden Streitfall zur Zeit der Erstattungszusage maßgebliche ErstVOGetrReis vom 24. November 1964 ist aufgrund des § 8 des schon angeführten DurchfG EWG Getr ergangen. Hiernach war die Bundesregierung befugt, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung Bestimmungen über die Voraussetzungen, die Höhe und das Verfahren bei Erstattungen nach Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 2 der VO (EWG) 19/62 zu erlassen. Es ist schon zweifelhaft, ob durch diese Ermächtigung auch die Befugnis des Verordnungsgebers gedeckt ist, generell jede Verzinsung der Erstattungsforderungen auszuschließen. Selbst wenn aber der Verordnungsgeber aufgrund der angeführten gesetzlichen Ermächtigung für befugt gehalten wird, im Zusammenhang mit der Höhe der zu gewährenden Erstattung auch deren Verzinsung zu regeln, durfte er hierbei nicht willkürlich vorgehen. Es hätte beispielsweise im Rahmen seiner Befugnisse gelegen, anzuordnen, daß eine Verzinsung nicht schon vom Tag der Antragstellung, sondern erst von einem bestimmten späteren Zeitpunkt ab stattzufinden hat, um den zuständigen Behörden eine ordnungsmäßige Überprüfung und Bearbeitung des gestellten Antrags zu erlauben und um den Anspruchsberechtigten anzuhalten, die erforderlichen Nachweise ohne große Verzögerung einzureichen. In Anbetracht des Zweifels, ob die gesetzliche Ermächtigung so weit reicht, die Verzinsung von Erstattungsforderungen generell auszuschließen, erscheint es unbillig, und es kann dem Verordnungsgeber, falls er hieran überhaupt gedacht hat, nicht zugestanden werden, die Verzinsung auch in den Fällen zu versagen, in denen der Anspruchsberechtigte eine zu Unrecht abgelehnte Erstattung erst durch Gerichtsurteil oder erst im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens dann zugesprochen erhält, wenn die Verwaltung einem ihr ungünstigen Urteil zuvorkommen will. Wegen der schon geschilderten engen Verknüpfung der Ausfuhrerstattungen mit den Abschöpfungen verstößt der Ausschluß der Verzinsung in diesen Fällen auch gegen die Grundsätze, die in dem vor Inkrafttreten der FGO geltenden § 155 AO a. F., der mit seinem wesentlichen Inhalt in den späteren § 111 FGO eingegangen ist, für die Verzinsung ab Rechtshängigkeit einer zu hoch festgesetzten Abgabe oder einer zu niedrig festgesetzten oder zu Unrecht versagten Vergütung ihren Niederschlag gefunden haben.

Ist somit im vorliegenden Falle die Regelung des § 111 FGO entsprechend anzuwenden, können jedoch hier Prozeßzinsen nicht schon seit Rechtshängigkeit des Vorprozesses begehrt werden. Aus § 111 FGO ebenso wie aus § 291 BGB ergibt sich, daß Prozeßzinsen nur für eingeklagte Geldforderungen und nicht auch auf andersgeartete Ansprüche zu zahlen sind. Im Vorprozeß war rechtshängig geworden ein Anspruch auf Genehmigung der abschöpfungsfreien Einfuhr einer bestimmten Menge Getreides, also kein Geldanspruch, sondern ein Anspruch auf Einräumung einer Abgabenvergünstigung. Dieser Anspruch konnte später nach § 10 Abs. 2 ErstVOGSEGF vom 26. Juli 1967 auf Antrag in einen Anspruch auf Barerstattung, also auf Estattung in Geld, umgewandelt werden. Diesen Antrag hat die Klägerin aber erst in dem Einspruchsverfahren, das ihrer jetzigen Klage vorangegangen ist, gestellt. Die in entsprechender Anwendung des § 111 FGO vorzunehmende Verzinsung kann somit erst mit dem Tage der Rechtshängigkeit ihrer zweiten Klage, in der sie nunmehr beantragte, die EVSt Getr zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrags zu verurteilen, beginnen. Dieser Tag ist mitzurechnen (Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 111, Rdnr. 13; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 5. Aufl., § 111 FGO, Rdnr. 5). Der Zinslauf endet mit dem Auszahlungstag, und zwar an dem Tag, an dem der Berechtigte die Verfügungsmacht über den auszuzahlenden Betrag erlangt hat. Die Zinsen betragen nach § 5 StSäumG für jeden Monat 1/2 v. H. Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen. Für die Berechnung der Zinsen wird der zu verzinsende Betrag auf volle 100 DM nach unten abgerundet. Hiernach sind nicht, wie das FG entschieden hat, schon ab 8. Dezember 1966, sondern erst vom Tage der Erhebung der zweiten Klage ab, hier vom 5. August 1968 ab, Prozeßzinsen zu zahlen. Da das FG der Klägerin somit schon von einem früheren Zeitpunkt ab Prozeßzinsen zugesprochen hat, war dessen Entscheidung abzuändern und auszusprechen, daß die Prozeßzinsen erst vom 5. August 1968 ab bis zur Auszahlung der Hauptschuld zu zahlen sind, im übrigen aber die Klage abgewiesen wird. Soweit das Begehren der Beklagten hierüber hinausgeht, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70874

BStBl II 1974, 408

BFHE 1974, 286

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