Leitsatz (amtlich)

Fahren Ehegatten morgens zusammen zur Arbeitsstätte des Ehemannes und benutzt die Ehefrau den PKW anschließend, um zu ihrer Arbeitsstätte zu fahren, so ist die abendliche Fahrt der Ehefrau zur Arbeitsstätte des Ehemannes, um ihn dort abzuholen, durch die Berufstätigkeit des Ehemannes veranlaßt. Aufwendungen anläßlich eines auf der Abholfahrt eingetretenen Unfalls können dann grundsätzlich als Werbungskosten anerkannt werden.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten. Sie sind an jeweils vom Wohnort A in entgegengesetzter Richtung liegenden Arbeitsstätten tätig. Für die Fahrten zwischen der Wohnung und den Arbeitsstätten benutzen sie nur einen eigenen PKW. Morgens fahren sie gemeinsam zur Arbeitsstätte des Ehemannes (Kläger) nach B. Von dort fährt die Ehefrau (Klägerin) allein zu ihrem Beschäftigungsort in C. Nach Beendigung ihrer Arbeit holt die Klägerin ihren Ehemann von dessen Arbeitsstätte ab. Beide fahren dann gemeinsam zu ihrer Wohnung zurück.

Auf einer solchen Abholfahrt verursachte die Klägerin am 21. Mai 1975 einen Verkehrsunfall in B. Die zur Beseitigung des Schadens aufgewandten Reparaturkosten in Höhe von rd. 7 000 DM und eine Wertminderung des PKW in Höhe von 1 000 DM machten die Kläger in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung 1975 als Werbungskosten geltend.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Es führte im wesentlichen aus: Die Unfallkosten seien Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Unfallfahrt (Abholfahrt) habe als Teil der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ausschließlich beruflichen Zwecken gedient. Die Abwesenheit des Klägers von seiner Wohnung und die Anwesenheit an seiner Arbeitsstätte sei beruflich veranlaßt gewesen. Damit seien alle Aufwendungen für die Rückkehr zur Wohnung Werbungskosten. Hierunter fielen auch die Kosten der Abholfahrt. Sie sei beruflich veranlaßt, weil bei berufstätigen Ehegatten, denen nur ein PKW für Fahrten zwischen Wohnung und räumlich getrennten Arbeitsstätten zur Verfügung stehe, Abholfahrten erforderlich seien. Das FA stütze seine gegenteilige Auffassung zu Unrecht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Oktober 1973 VI R 211/70 (BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318). Der Sachverhalt sei mit dem des Streitfalls nicht vergleichbar, da dort der abholende Ehemann selbst nicht berufstätig gewesen sei. Der BFH habe nur die private Nutzungsmöglichkeit des PKW durch den Ehemann nicht für ausgeschlossen gehalten und daher die Abholfahrt, ähnlich wie Mittagsheimfahrten, als persönliche Annehmlichkeit angesehen. Es könne offenbleiben, welchem Arbeitsverhältnis der Ehegatten die Unfallfahrt zuzuordnen sei, weil der Werbungskostenpauschbetrag von beiden Klägern auch ohne Berücksichtigung der Unfallkosten überschritten werde. Da der Unfall selbst nicht in einem unbedeutendem Maße auf einer privaten, der Lebensführung der Klägerin zuzurechnenden Veranlassung beruht habe, gehörten nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH im Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105) die Reparaturkosten und die Wertminderung zu den außergewöhnlichen Aufwendungen anläßlich einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Sie seien nicht durch die Pauschbeträge in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG abgegolten.

Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Unfallkosten sind nach § 9 Abs. 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar, weil sich der Unfall während einer Fahrt ereignet hat, die durch sein Arbeitsverhältnis veranlaßt gewesen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kann ein Arbeitnehmer die Kosten für die Beseitigung von Unfallschäden an seinem Kraftfahrzeug (Kfz) ebenso wie eine hierdurch eingetretene Wertminderung als Werbungskosten abziehen, wenn sie auf einer beruflich veranlaßten Fahrt entstanden sind. Der Werbungskostenabzug ist selbst dann möglich, wenn der Unfall auf einem bewußten und leichtfertigen Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften beruht (Beschluß des Großen Senats des BFH in BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105, und BFH-Urteil vom 24. Februar 1978 VI R 177/73, BFHE 124, 524, BStBl II 1978, 380; vgl. auch zur Wertminderung Urteil des Senats vom 9. November 1979 VI R 156/77, BFHE 129, 143, BStBl II 1980, 71).

Entscheidend für die Abziehbarkeit ist, daß der Unfall auf einer durch das Arbeitsverhältnis des Steuerpflichtigen veranlaßten Fahrt geschehen ist. Denn Unfallkosten teilen das rechtliche Schicksal der Fahrkosten. Ist die Fahrt selbst privat veranlaßt, sind die Unfallkosten dem privaten Lebensführungsbereich zuzuordnen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318). Der Große Senat hat in seinem Beschluß in BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Kfz-Unfallkosten im einzelnen die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Abgrenzungsmerkmale gegenüber den nach § 12 Nr. 1 EStG nichtabziehbaren Lebenshaltungskosten zusammenfassend dargelegt. Ob eine Unfallfahrt durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt ist, hängt danach weitgehend von den Umständen des Einzelfalles ab. Wegen des für die steuerliche Beurteilung von Fahrkosten geltenden Veranlassungsprinzips muß ein objektiver Zusammenhang der Fahrt mit dem Beruf des Steuerpflichtigen bestehen. Dies ist der Fall, wenn eine Fahrt im Rahmen der beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen liegt und der Unfall nicht auf eine private, der Lebensführung des Steuerpflichtigen zuzurechnende Veranlassung zurückzuführen ist. Beruht eine Fahrt ausschließlich auf der Zielvorstellung, dem anderen Ehegatten die Rückfahrt zur Wohnung nach Beendigung der Arbeit mit dem PKW zu ermöglichen und wird sie nicht ganz oder zeitweilig von privaten, den Zusammenhang zum Beruf aufhebenden Vorgängen oder Vorstellungen des die Fahrt unternehmenden Angehörigen überlagert oder aufgegeben, ist sie durch den Beruf des abzuholenden Arbeitnehmers veranlaßt. Der Gesetzgeber geht in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG selbst davon aus, daß die Rückfahrt eines Arbeitnehmers von der Arbeitsstätte zur Wohnung nach Dienstschluß durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt ist. Nichts anders gilt auch für eine Abholfahrt, deren alleiniger Zweck es ist, den Ort aufzusuchen, der den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers bildet, damit dieser nach Dienstschluß die Rückfahrt mit dem eigenen Kfz zur Wohnung antreten kann, nachdem der abholende Ehegatte den PKW zuvor zu eigenen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benötigt hatte. Denn bei einer solchen Abholfahrt sind in der Regel keine Umstände für eine private Veranlassung ersichtlich.

Die vorliegende Entscheidung berührt nicht die rechtliche Beurteilung von - zweiten - Fahrten zur Arbeitsstätte, die dadurch angefallen sind, daß der berufstätige Ehegatte den nur halbtags beschäftigten anderen Ehegatten mittags nach Hause gebracht hat. Der Senat hat solche Fahrten der privaten Lebensführung zugeordnet, weil sie eine zweite arbeitstägliche Fahrt zur Arbeitsstätte darstellen (Urteil vom 26. Juli 1978 VI R 16/76, BFHE 125, 561, BStBl II 1978, 661). Jedenfalls liegt im Streitfall eine solche Fallgestaltung nicht vor. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die normalen (gewöhnlichen) Kosten von beruflich veranlaßten An- und Abfahrten anläßlich von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte durch die Pauschbetragsregelung in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG abgegolten sind. Denn im Streitfall sind nur die durch den Unfall entstandenen Aufwendungen als Werbungskosten geltend gemacht.

Das FG-Urteil steht im Einklang mit diesen Grundsätzen. Die Unfallfahrt war nach den unangefochtenen tatsächlichen Feststellungen des FG eine Fahrt, die ausschließlich dem Ziele diente, den Kläger nach Dienstschluß von der Arbeitsstätte zur Rückfahrt zur Wohnung abzuholen. Sie lag damit im Rahmen der Vorstellung des Klägers, nach Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit die Rückfahrt zur Wohnung mit dem eigenen Kfz anzutreten. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß die Klägerin einen anderen Zweck mit der Fahrt verbunden hätte. Dies folgt insbesondere aus dem Umstand, daß sie morgens direkt von der Arbeitsstätte des Ehemannes zu ihrer Arbeitsstätte und abends unmittelbar nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit ohne Umwege zu der Arbeitsstätte ihres Ehemannes zu einer Zeit zurückgefahren ist, zu der er Dienstschluß hatte. Das FG hat auch in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Großen Senats in BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105 zutreffend festgestellt, daß private Gründe bei der Klägerin nicht maßgeblich für den Unfall waren. Die Feststellungen über die Höhe des infolge des Unfalls eingetretenen Schadens sind von den Beteiligten nicht bestritten worden. Das FG hat daher zu Recht den Abzug der geltend gemachten Werbungskosten zugelassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73617

BStBl II 1980, 655

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