Leitsatz (amtlich)

Zinsschuldner für hinterzogene Steuern i. S. des § 235 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO 1977 ist der Steuerschuldner. Das gilt auch dann, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat. Der weitere Zollschuldner bzw. Steuerschuldner (§ 57 Abs. 2 Satz 2 ZG) kann nicht als Zinsschuldner in Anspruch genommen werden.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 71, 235; ZG § 57 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde durch rechtskräftiges Urteil der III. Großen Strafkammer des Landgerichts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafurteils hat der Kläger in der Zeit von Dezember 1978 bis Mai 1979 insgesamt 39,5 kg Haschisch erworben und weiterverkauft.

Mit Bescheiden vom 26. Februar 1980 nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -) den Kläger als weiteren Abgabenschuldner wegen Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 14 220 DM in Anspruch und forderte daneben 852 DM Hinterziehungszinsen.

Nach erfolglosem Einspruch gegen beide Bescheide erhob der Kläger wegen des Steuerbescheides und wegen des Bescheides über die Hinterziehungszinsen Klage. Die letztere Klage wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 26. Februar 1981 als unbegründet ab. Es führte aus, daß hinterzogene Steuern nach § 235 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verzinsen seien. Das HZA habe im Steuerbescheid zutreffend dargelegt, daß die 39,5 kg Haschisch vor dem Erwerb durch den Kläger entgegen dem bestehenden Einfuhrverbot unter Nichtentrichtung der Einfuhrumsatzsteuer eingeführt worden seien. Dadurch habe der Einführer die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der vollendeten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO 1977 erfüllt. Für die Bejahung der Zinspflicht genüge die auf die Umstände des Streitfalls und die vom Kläger nicht widerlegte Lebenserfahrung gegründete Überzeugung, daß die vom HZA beanspruchte Einfuhrumsatzsteuer für die vom Kläger angekauften Haschischmengen zuvor bei der illegalen Einfuhr hinterzogen worden sei. Zinsschuldner sei der Kläger, weil er derjenige sei, zu dessen Vorteil die Einfuhrumsatzsteuer hinterzogen worden sei (§ 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Für die Zinsschuldnerschaft kommt es nicht darauf an, ob der Kläger an der Steuerhinterziehung beteiligt gewesen sei. Es genüge, daß er objektiv den Vorteil aus der Steuerhinterziehung gehabt habe, also der Nutznießer dieser Straftat gewesen sei (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 235 AO 1977 Tz. 4; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 235 AO 1977 Nr. 3; Koch, Abgabenordnung, AO 1977, 2. Aufl., § 235 Rz. 8; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 235 AO 1977 Anm. 14; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 235 Anm. 4). Es entspreche dem Wesen der Hinterziehungszinsen als Verzugszinsen, daß sie nicht von dem Steuerhinterzieher, sondern von demjenigen geschuldet würden, der objektiv den Vorteil aus der durch die Steuerhinterziehung bewirkten verspäteten Steuerzahlung gehabt habe (Urteil vom 7. November 1973 I R 92/72, BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125, 126). Es bedürfe keiner näheren Begründung, daß die Einfuhrumsatzsteuer objektiv zum Vorteil des Klägers, der das Haschisch zu Preisen ohne Steuer erworben habe, hinterzogen worden sei.

Auf die Beschwerde des Klägers ließ das FG mit Beschluß vom 4. Juni 1981 die Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.

Am 9. Juli 1981 legte der Kläger beim FG Revision ein. Mit am 11. August 1981 beim BFH eingegangenem Telegramm beantragte der Kläger, das Urteil des FG aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, daß das Urteil gegen europäisches Gemeinschaftsrecht nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 5. Februar 1981 Rs. 50/80 (EuGHE 1981, 385) verstoße.

Die Revision ist zulässig.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionsbegründung enthält neben dem Antrag, das Urteil des FG aufzuheben, mit dem Hinweis auf den Verstoß gegen das Urteil in EuGHE 1981, 385, auch in ausreichendem Maße die Angabe der verletzten Rechtsnorm. In diesem Urteil hat der EuGH entschieden, daß für Heroin der Tarifst. 29.42 A II des Gemeinsamen Zolltarifs bei Zugrundelegung der Verordnung (EWG) Nr. 803/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über den Zollwert der Waren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 148/6 vom 28. Juni 1968) kein Zoll zu erheben ist, wenn es eingeschmuggelt und nach seiner Entdeckung vernichtet worden ist. Mit der Heranziehung dieses Urteils durch den Kläger wird ausreichend erkennbar, daß er den § 235 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, auf den der angefochtene Zinsbescheid gestützt worden ist, als verletzt ansieht. Denn wenn eine Verzinsung nur für hinterzogene Steuern vorgesehen ist, setzt dies begrifflich voraus, daß überhaupt Steuern (im Streitfall Einfuhrumsatzsteuer) entstanden sind. Diese Frage aber hat der EuGH in dem erwähnten Urteil verneint.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Verwaltungsaktes.

Die Revision hat allerdings nicht deshalb Erfolg, weil, wie der Kläger meint, das Urteil in EuGHE 1981, 385 der Entstehung von Einfuhrumsatzsteuer bei der Einfuhr von Haschisch in das Zollgebiet und damit bei Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Begehung einer Steuerhinterziehung und der Inanspruchnahme des späteren Erwerbers als weiterer Abgabenschuldner entgegenstünde. Der Senat hat die dahingehende Auffassung des Klägers in seinem zwischen den Beteiligten ergangenen und zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 23. März 1982 VII R 68/81 mit ausführlicher Begründung zurückgewiesen und insbesondere hervorgehoben, daß es in dem vom EuGH entschiedenen Fall um die Erhebung von Zöllen für Heroin ging, während der Kläger im Verfahren VII R 68/81 für Einfuhrumsatzsteuer, also einer inneren Abgabe, in Anspruch genommen worden ist.

Zu Unrecht hat das FG aber die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 235 AO 1977 bejaht. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. In Satz 2 ist vorgeschrieben, daß Zinsschuldner derjenige ist, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Die letztgenannte Vorschrift stellt klar, daß Zinsschuldner bei einer Steuerhinterziehung, die z. B. durch einen Angestellten des Steuerschuldners begangen worden ist, nicht der Täter dieser Steuerhinterziehung, sondern der Steuerschuldner ist, zu dessen objektivem Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. Das FG hat die zur Begründung seiner unzutreffenden Rechtsauffassung herangezogenen Zitate aus der Literatur mißverstanden. Hübschmann/Hepp/Spitaler (a. a. O.) betonen ausdrücklich, daß § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nunmehr eine gesetzliche Definition gibt, nach der der Schuldner der hinterzogenen Steuern auch der Zinsschuldner ist, weil der Vorteil in der späteren Zahlung der Steuern liegt. Auch Tipke/Kruse (a. a. O.) führen in diesem Zusammenhang richtig aus, daß Schuldner der Hinterziehungszinsen nicht in jedem Falle der Täter sei, weil der Täter der Steuerhinterziehung mit dem Schuldner der hinterzogenen Steuer nicht notwendig identisch sei. Dann kommt es aber, wie die Autoren zutreffend fortfahren, auf die Beteiligung des Steuerschuldners an der Steuerhinterziehung nicht an. Schließlich lag es auch in dem vom FG herangezogenen und noch zu § 4 des Steuersäumnisgesetzes ergangenen BFH-Urteil (BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125) so, daß die Hinterziehungszinsen vom Steuerschuldner, zu dessen objektivem Vorteil einer seiner Angestellten nach Auffassung des Finanzamts eine Steuerhinterziehung begangen hatte, angefordert waren, also nicht vom Täter der Steuerhinterziehung.

Für den hier vorliegenden Fall der Steuerhinterziehung in Form der Steuerverkürzung durch das Einschmuggeln von Haschisch durch den Einführer, von dem der Kläger das Schmuggelgut erworben und weiterverkauft hat, ist deshalb im Gegensatz zur Auffassung des FG festzuhalten, daß, weil die Steuerschuld in der Person des Täters der Steuerhinterziehung und damit zu dessen objektivem Vorteil entstanden ist, dieser auch Zinsschuldner ist.

Daß es in § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nur um die unmittelbar aus der Steuerhinterziehung erwachsenen Steuervorteile geht, wird durch § 71 AO 1977 bestätigt. Danach haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, u. a. für die Zinsen nach § 235 AO 1977 (was für den Täter einer Steuerhinterziehung allerdings nur insoweit gilt, als er nicht Steuerschuldner ist). Zum Tatbestand der Steuerhehlerei durch Ankauf von Waren, hinsichtlich deren Zoll bzw. im Streitfall Einfuhrumsatzsteuer hinterzogen worden ist, gehört die Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern. Diese Bereicherungsabsicht umfaßt notwendigerweise einen Vermögensvorteil, der aber nicht identisch ist mit dem aus der Steuerhinterziehung stammenden und in § 235 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 tatbestandlich vorausgesetzten Vorteil. Wäre die Auffassung des FG richtig, daß die in der Person des Haschisch einschmuggelnden Steuerhinterziehers entstandene Einfuhrumsatzsteuer i. S. des § 235 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 zum Vorteil des Klägers (und nicht des Steuerhinterziehers) hinterzogen worden sei, so wäre die in § 71 AO 1977 getroffene Regelung, daß der in Vorteilsabsicht das Haschisch erwerbende Steuerhehler auch für die Zinsen nach § 235 AO 1977 hafte, entbehrlich.

Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für denjenigen, der nach § 57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) als weiterer Zollschuldner bzw. Einfuhrumsatzsteuerschuldner in Anspruch genommen wird, weil er Zollgut nach Entstehung, aber vor Erlöschen der Steuerschuld übernommen hat und wußte, daß es sich um Zollgut bzw. Einfuhrumsatzsteuergut handelte. (Daß diese Voraussetzungen beim Kläger vorliegen, hat der Senat in dem bereits erwähnten Urteil vom 23. März 1982 VII R 68/81 entschieden.) Wenn der mit Vorteilsabsicht handelnde Steuerhehler nicht als Zinsschuldner, sondern nur als Haftender für die Zinsschuld des Steuerschuldners in Anspruch genommen werden kann (weil die Steuern nicht zu seinem Vorteil hinterzogen worden sind), so muß das auch für den weiteren Zollschuldner bzw. Steuerschuldner gelten. Auch für ihn trifft es zu, daß die Steuern nicht zu seinem Vorteil hinterzogen worden sind. Daneben setzt § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG nicht einmal voraus, daß die Übernahme des Zollguts für den weiteren Zollschuldner einen Vorteil bedeutet.

Der Kläger könnte danach nur unter der Voraussetzung, daß er mit der Übernahme des Haschisch eine Steuerhehlerei begangen hätte, als Haftender für Zinsen nach § 235 AO 1977 in Anspruch genommen werden (§ 71 AO 1977). Derartige Feststellungen hat das FG nicht getroffen. Der Kläger ist nach dem vom FG herangezogenen Strafurteil auch nicht wegen Steuerhehlerei, sondern wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Selbst wenn aber die Voraussetzungen einer Steuerhehlerei zu bejahen wären, käme eine Umdeutung des den Kläger unmittelbar in Anspruch nehmenden Zinsbescheides in einen Haftungsbescheid nicht in Betracht (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 128 AO 1977 Rdnr. 3 am Ende und die dort zitierte Rechtsprechung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 74367

BStBl II 1982, 689

BFHE 1983, 182

NJW 1982, 2792

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