Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des Art. 17 DBA-Belgien auf selbständig tätige Regisseure u. Bühnenbildner

 

Leitsatz (amtlich)

Art.17 DBA-Belgien ist nicht nur auf vortragende Künstler anzuwenden, die unmittelbar in der Öffentlichkeit oder vor Publikum auftreten. Ist ein Regisseur oder Bühnenbildner selbständig tätig, so steht das Besteuerungsrecht dem Vertragsstaat zu, in dem er seine Tätigkeit ausgeübt hat.

 

Orientierungssatz

Künstler ist derjenige, der eine eigene schöpferische Leistung vollbringt, in der seine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft zum Ausdruck kommt und die, neben einer hinreichenden Beherrschung der Technik der betreffenden Kunstart, eine künstlerische Leistungshöhe erreicht. Daraus ergibt sich keine Beschränkung des Künstlerbegriffs auf die unmittelbar vor Publikum vortragenden Personen (hier: Bühnenbildner als Künstler; vgl. BFH-Urteil vom 26.5.1971 IV 280/65).

 

Normenkette

DBA BEL Art. 17, 23 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin (Entscheidung vom 17.05.1988; Aktenzeichen V 416/86)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte seinen Wohnsitz in Berlin (West). Im Streitjahr 1984 erzielte er Einkünfte als Bühnenbildner an einer inländischen Bühne. Daneben bezog er Einkünfte aus einer in Belgien ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Gastregisseur und Bühnenbildner.

Am 3.Juni 1986 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1984, mit dem er die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit in Belgien als steuerpflichtig behandelte, dafür jedoch die in Belgien gezahlte Einkommensteuer gemäß § 34c Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die deutsche Einkommensteuer anrechnete. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb in diesem Punkt erfolglos.

Auf die Klage änderte das Finanzgericht (FG) den Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Maßgabe, daß die aus der Tätigkeit in Belgien bezogenen Einkünfte des Klägers bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage außer Betracht bleiben und nur bei der Ermittlung des Steuersatzes zu berücksichtigen sind. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 460 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des Art.23 Abs.1 Nr.1 des Doppelbesteuerungsabkommens mit Belgien (DBA-Belgien) i.V.m. den Art.14 und 17 des Abkommens.

Es beantragt, die Klage unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Einkünfte des Klägers aus seiner im Streitjahr in Belgien ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Gastregisseur und Bühnenbildner fallen unter Art.17 DBA-Belgien vom 11.April 1967 (BGBl II 1969, 18). Obwohl der Kläger seinen Wohnsitz in Berlin (West) hatte und damit im Sinne des Abkommens in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ansässig war (Art.1, Art.4 und Art.29 DBA-Belgien), sind diese Einkünfte in der Bundesrepublik von der Steuer befreit (Art.23 Abs.1 Nr.1 DBA-Belgien); denn sie können nach Art.17 DBA-Belgien in Belgien besteuert werden.

2. Nach Art.17 DBA-Belgien können abweichend von Art.14 Einkünfte,die berufsmäßige Künstler, wie Bühnen-, Film-, Rundfunk- oder Fernsehkünstler und Musiker, sowie Sportler aus ihrer in dieser Eigenschaft persönlich ausgeübten selbständigen Tätigkeit beziehen, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sie diese Tätigkeit ausüben.

Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs.2 FGO gebunden ist, hat der Kläger die streitige Tätigkeit selbständig in Belgien ausgeübt. Ferner ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß diese Tätigkeit als künstlerisch anzusehen ist.

3. Entgegen der Auffassung des FA gilt Art.17 DBA-Belgien nicht nur für vortragende Künstler, die unmittelbar oder allenfalls mittelbar über die Medien in der Öffentlichkeit oder vor Publikum auftreten. Diese Auslegung ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Abkommens noch aus dem Sinn- und Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens, noch aus Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts (vgl. zur Auslegung eines DBA, Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21.August 1985 I R 63/80, BFHE 144, 428, BStBl II 1986, 4).

a) Da der Begriff des Künstlers im DBA-Belgien nicht definiert ist, kommt es auf die Begriffsbestimmung des deutschen Einkommensteuerrechts an (Art.3 Abs.2 DBA-Belgien). Danach ist Künstler derjenige, der eine eigene schöpferische Leistung vollbringt, in der seine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft zum Ausdruck kommt und die, neben einer hinreichenden Beherrschung der Technik der betreffenden Kunstart, eine künstlerische Leistungshöhe erreicht (BFH-Urteil vom 26.Mai 1971 IV 280/65, BFHE 102, 509, BStBl II 1971, 703). Daraus ergibt sich keine Beschränkung des Künstlerbegriffes auf die unmittelbar vor Publikum vortragenden Personen. Auch nach dem Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist ausübender Künstler nicht nur, wer ein Werk vorträgt oder aufführt, sondern auch, wer bei dem Vortrag oder der Aufführung eines Werkes künstlerisch mitwirkt (§ 73 UrhG).

b) Die vom FA geltend gemachte Einschränkung ergibt sich ebensowenig aus dem Sinn- und Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens (vgl. wiederum Art.3 Abs.2 DBA-Belgien). Das unmittelbare Auftreten vor Publikum ist kein gemeinsames, verbindendes Merkmal der in Art.17 DBA-Belgien beispielhaft aufgezählten Künstler, wie "Bühnen-, Film-, Rundfunk- oder Fernsehkünstler". Unter Bühnenkünstler läßt sich ebenso eine Person verstehen, die nicht unmittelbar auf der Bühne auftritt, die aber mittelbar künstlerisch an der Aufführung mitwirkt. Dies gilt in gleicher Weise für einen Regisseur wie für einen Bühnenbildner. Als Filmkünstler kann ebenso ein Filmregisseur wie ein Filmschauspieler verstanden werden, obwohl jener sich dem Publikum nicht als Person, sondern durch seine Einflußnahme künstlerisch darstellt. Insofern besteht kein Unterschied zu einem Dirigenten, der sich ebenfalls nur mittelbar über das Ensemble gegenüber dem Publikum ausdrückt.

c) Zu keiner anderen Auslegung kann der gleichermaßen verbindliche französische Text des Art.17 DBA-Belgien führen. Mit dem dort verwendeten "les professionnels du spectacle, tels les artistes ......" sind nur Künstler gemeint, die hauptberuflich unterhaltend tätig sind. Daraus ergibt sich kein Hinweis, ob ihre Wirkung mittelbar oder unmittelbar zu sein hat. Da überdies auch der deutsche Vertragstext authentisch ist, wird vermutet, daß die verwendeten Ausdrücke in allen Fassungen dieselbe Bedeutung haben (vgl. Art.33 Abs.3 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.Mai 1969, ratifiziert durch das Gesetz vom 3.August 1985, BGBl II 1985, 926).

Der englische Text des Art.17 des OECD-Musterabkommens (OECD-MustAbk) 1963, dem Art.17 DBA-Belgien insoweit nachgebildet ist, nötigt ebenfalls zu keiner anderen Auslegung. Der dort genannte Begriff des "entertainer" ("Unterhalter") verlangt nicht zwingend unmittelbares Auftreten vor Publikum. Der französische Text dieses Muster-DBA ist ohnehin --was den Streitfall anbetrifft-- mit dem französischen Text des DBA- Belgien identisch.

4. Art.17 DBA-Belgien stellt auf die "persönlich ausgeübte Tätigkeit" des Künstlers ab und ordnet das Besteuerungsrecht dem Vertragsstaat zu, in dem diese Tätigkeit ausgeübt wird. Dies kann im Streitfall ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung führen. Der Kläger hat seine Tätigkeit als Regisseur und Bühnenbildner in dem Vertragsstaat Belgien ausgeübt. Unbeschadet dessen, daß beim Regisseur oder Bühnenbildner das Werk --die Inszenierung bzw. das Bühnenbild-- und nicht die bloße Dienstleistung geschuldet werden, handelt es sich dabei nach Sinn und Zweck dieser DBA-Regelung um eine "persönlich ausgeübte Tätigkeit", weil gerade die künstlerische Werkleistung eine persönliche Leistung zum Inhalt hat. Die Erfassung der Einkünfte des Klägers unmittelbar dort, wo sie erarbeitet werden, steht in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der wirtschaftlichen Zugehörigkeit, da der Tätigkeitsstaat ihm die "Erwerbsquelle" vermittelte (vgl. Görl, Die freien Berufe im internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S.147). Die praktischen Schwierigkeiten, die aufgrund der Mobilität der Künstler entstehen und die Art.17 DBA-Belgien vermeiden will (vgl. Görl, a.a.O., S.146, und OECD-Kommentar 1963 zu Art.17 Ziffer 2), treffen ebenso auf die Tätigkeiten von Regisseuren und Bühnenbildern zu, die im Ausland tätig werden. Es entspricht daher auch Sinn und Zweck des Art.17 Abs.1 DBA-Belgien, ihre Einkünfte dort zu besteuern, wo die Werke aufgeführt werden, an denen sie künstlerisch mitwirken (vgl. Flick/Wassermeyer/Wingert, DBA-Schweiz, Kommentar, 1989, Art.17 Anm.10). Sinn- und Vorschriftenzusammenhang innerhalb des DBA- Belgien verlangen auch im übrigen keine andere Auslegung. Insbesondere sind die Einkünfte des Klägers nicht als Lizenzgebühren (Vergütungen jeder Art, die für die Benutzung oder für das Recht auf Benutzung von Urheberrechten u.a. an künstlerischen Werken gezahlt werden) i.S. des Art.12 DBA-Belgien anzusehen, der in diesem Fall das Besteuerungsrecht dem Staat der Ansässigkeit zuordnet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63486

BFH/NV 1990, 66

BFHE 160, 513

BFHE 1991, 513

BB 1990, 1697 (L)

HFR 1991, 8 (LT)

StE 1990, 300 (K)

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