Entscheidungsstichwort (Thema)

Beteiligtenfähigkeit einer gelöschten GmbH; Beschwer bei Festsetzung der KSt auf 0 DM; Anforderungen an eine finanzgerichtliche Schätzung

 

Leitsatz (NV)

1. Der durch die Löschung einer GmbH eintretende Verlust der Vertretungsbefugnis des Liquidators steht einer gerichtlichen Sachentscheidung nicht entgegen, wenn die GmbH durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist, dem sie Vollmacht vor ihrer Löschung erteilt hat.

2. Einer Klage gegen einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem die Körperschaftsteuer auf 0 DM festgesetzt ist, fehlt es an der Beschwer, wenn die Klägerin lediglich eine Festsetzung der Steuer in dieser Höhe oder den Ansatz eines Verlustes begehrt, sofern ihr Begehren nicht auf eine Änderung der fingierten Feststellung des Einkommens und/oder der Tarifbelastung gerichtet ist.

3. Damit das Revisionsgericht eine Schätzung überprüfen kann, muß das finanzgerichtliche Urteil erkennen lassen, welche Tatsachen Eingang in die Schätzung gefunden haben und auf welchem Wege das Schätzungsergebnis zustande kam.

 

Normenkette

KStG 1977 § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 162; FGO § 40 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 86, 246

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte mit Körperschaftsteuerbescheiden vom 23. April 1982 die Besteuerungsgrundlagen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für alle Streitjahre (1977 bis 1979), weil diese trotz mehrerer Erinnerungen keine Steuererklärungen eingereicht hatte. Das FA schätzte dabei jeweils einen Gewinn von . . . DM. Da der Klägerin Verlustvorträge aus den Jahren 1971 bis 1974 zustanden, ergab sich für die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1978 ein zu versteuerndes Einkommen von 0 DM. Das FA setzte demzufolge für diese Jahre eine Körperschaftsteuer ebenfalls von 0 DM fest. Für das Jahr 1979 verblieb ein zu versteuerndes Einkommen von . . . DM, das zu einer Steuerfestsetzung von . . . DM führte.

Der von der Klägerin gegen die Steuerfestsetzung eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Sie reichte auch im Einspruchsverfahren trotz Aufforderung keine Steuererklärungen ein.

Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage. Das Finanzgericht (FG) forderte sie mit Verfügung vom 20. Dezember 1982 auf, binnen zwei Monaten die Begründung einzureichen. Unter Hinweis auf seine Arbeitsüberlastung bat der steuerliche Vertreter der Klägerin am 14. Februar 1983 um Fristverlängerung bis zum 31. März 1983. Nach erfolglosem Ablauf dieser Frist setzte der Berichterstatter der Klägerin gemäß Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) für die Angabe der Tatsachen, die nach ihrer Auffassung bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen, eine Frist bis zum 1. Juni 1983. Nach Ablauf dieser Frist beantragte die Klägerin am 9. Juni 1983 die Gewährung einer weiteren Frist von drei Monaten. Zur Begründung wies sie darauf hin, Steuererklärungen und Bilanzen seien bislang nicht erstellt worden, weil es sich um eine in Liquidation befindliche Gesellschaft handele. Der Buchhalter sei damit beauftragt, Steuerbilanzen und Steuererklärungen zu erstellen.

Das FG beraumte schließlich Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 21. Februar 1985 an. Die Klägerin beantragte dessen Vertagung unter Hinweis darauf, daß der für die Erstellung der Abschlüsse und Steuererklärungen zuständige Buchhalter in der Zeit vom 2. Januar bis 7. Februar 1985 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Der Vorsitzende des Senats entsprach dem Antrag auf Terminverlegung nicht. Nach mündlicher Verhandlung am 21. Februar 1985 wies das FG die Klage für die Streitjahre als unbegründet ab.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des Art. 3 § 3 VGFGEntlG, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und § 162 der Abgabenordnung (AO 1977).

Am 5. August 1985 hat die Gesellschafterversammlung der Klägerin beschlossen, die Firma der Klägerin in . . . zu ändern. Am 27. Juni 1989 wurde die Löschung der Klägerin von Amts wegen gemäß § 2 des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften vom 9. Oktober 1934 wegen Vermögenslosigkeit in das Handelsregister eingetragen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet, soweit sie sich gegen das Urteil des FG in Sachen Körperschaftsteuer 1979 richtet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Im übrigen ist die Revision unbegründet und war insoweit zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

A. Trotz ihrer Löschung im Handelsregister ist die Klägerin weiterhin fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, da sie noch steuerliche Pflichten zu erfüllen hat und die gegen sie ergangenen Steuerbescheide angreift (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, vgl. z. B. Urteil vom 18. März 1986 VII R 146/81, BFHE 146, 492, BStBl II 1986, 589; Beschluß vom 23. Januar 1985 I B 36/83, BFH/NV 1986, 341). Der durch die Löschung eintretende Verlust der Vertretungsbefugnis des Liquidators steht im vorliegenden Verfahren einer Sachentscheidung nicht entgegen, da die Klägerin durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist, dem sie Vollmacht vor ihrer Löschung erteilt hat (vgl. § 155 FGO i. V. m. §§ 86 und 246 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und BFH in BFHE 146, 492, BStBl II 1986, 589, und in BFH/NV 1986, 341).

Die Revision erstreckt sich nur auf die Veranlagungszeiträume 1977 bis 1979. Die Klägerin hat sich zwar zunächst in ihrer Revisionsschrift auf die Klage wegen Körperschaftsteuer 1975 bis 1979 bezogen. Entgegen der Meinung des FA hat sie aber dennoch nicht gegen das Urteil des FG in Sachen Körperschaftsteuer 1975 bis 1979 Revision eingelegt. Der Umfang der Revision wird erst durch den Revisionantrag und die -begründung bestimmt. Darin begehrt aber die Klägerin nur die teilweise Aufhebung des FG-Urteils und die Kassation der Körperschaftsteuerbescheide 1977 bis 1979.

B. Der Revisionsantrag ist dahin auszulegen, daß die Klägerin eine Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG mit dem Ziel einer Änderung der streitigen Körperschaftsteuerbescheide entsprechend ihren Anträgen in der Vorinstanz begehrt. An eine verunglückte Fassung des Antrags ist der BFH nicht gebunden (Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 96 FGO Tz. 21).

1. Mit ihrem Revisionsantrag hat die Klägerin zwar beantragt, die streitigen Körperschaftsteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung ,,aufzuheben". Ein solcher Revisionsantrag wäre aber offensichtlich unbegründet, denn die Klägerin ist als (ehemalige) GmbH (unbeschränkt) körperschaftsteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977. Eine ersatzlose Aufhebung der Körperschaftsteuerfestsetzung könnte deshalb nicht erfolgen. Da die Klägerin im Handelsregister erst nach Ablauf der Streitjahre gelöscht wurde, verliert sie dadurch - bezogen auf die Streitjahre - nicht ihre Eigenschaft als Körperschaftsteuersubjekt. Zudem ist der Revisionsbegründung zu entnehmen, daß sich die Klägerin gegen die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen für die Streitjahre und die Behandlung ihrer dagegen erhobenen Einwendungen im finanzgerichtlichen Verfahren wendet.

In der Voristanz hatte aber die Klägerin beantragt, die streitigen Körperschafsteuerbescheide zu ändern und für 1977 einen Verlust von . . . DM, für 1978 und 1979 ein Einkommen von 0 DM (nach Berücksichtigung von Verlustabzügen) anzusetzen und deshalb in den drei Streitjahren eine Körperschaftsteuer von 0 DM festzusetzen.

2. Die danach in Sachen Körperschaftsteuer 1977 und 1978 erhobene Klage ist unzulässig. Die Entscheidung des FG, das die Klage als unbegründet abgewiesen hat, erweist sich damit im Ergebnis als richtig.

Da das FA die Körperschaftsteuer in den Bescheiden für 1977 und 1978 bereits auf 0 DM festgesetzt hat, fehlt es insoweit an einer Beschwer der Klägerin (§ 40 Abs. 2 FGO).

Dies gilt auch für das Streitjahr 1977, für das die Klägerin den Ansatz eines Verlustes bei der Steuerfestsetzung beantragt hat. Durch den Verlustansatz im Entstehungsjahr wird keine Besteuerungsgrundlage mit Bindungswirkung für die Körperschaftsteuerfestsetzung im Verlustabzugsjahr festgestellt (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 1/85, BFHE 151, 554, BStBl II 1988, 463).

Zwar hat das FG zutreffend hervorgehoben, daß einem Körperschaftsteuerbescheid Grundlagenfunktion gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 KStG 1977 für die Feststellung des verwendbaren Eigenkapitals zukommt und deswegen trotz einer Körperschaftsteuerfestsetzung auf 0 DM eine Anfechtung der Körperschaftsteuerbescheide in Betracht kommen kann. Ein auf der Grundlage des KStG 1977 erlassener Körperschaftsteuerbescheid muß - wie der erkennende Senat mehrfach entschieden hat - neben der Festsetzung der Körperschaftsteuer auch die fingierte Feststellung des Einkommens und die fingierte Feststellung der Tarifbelastung enthalten (z. B. Urteil des Senats vom 9. Dezember 1987 I R 35/86, BFHE 151, 566, BStBl II 1988, 466). Daran fehlt es im Streitfall. Die Anfechtung eines Körperschaftsteuerbescheids kann auch auf eine Änderung dieser fingierten Feststellungen gerichtet sein. Im Streitfall ist allerdings ein solches Begehren der rechtlich vertretenen Klägerin in bezug auf die Körperschaftsteuerbescheide 1977 bis 1989 weder vorgetragen noch ein dahin gerichtetes Interesse der Klägerin erkennbar.

Es kann für die Streitjahre 1977 und 1978 dahinstehen, ob das FG das Recht der Klägerin auf Gehör verletzte, weil es deren Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung wegen Arbeitsunfähigkeit des Buchhalters nicht stattgegeben hat. Da es wegen der Steuerfestsetzung auf 0 DM für diese Streitjahre auf die vom Buchhalter gefertigte Aufstellung der Gewinne und Verluste ohnehin nicht ankommt, würde die Zurückverweisung an das FG insoweit nur eine nicht vertretbare Förmelei bedeuten (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rdnr. 14 m. w. N.).

3. Hinsichtlich des Körperschaftsteuerbescheids für 1979 ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin gegen die Höhe der festgesetzten Körperschaftsteuer wendet, die das FA aufgrund einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO 1977 festgesetzt hat. Die Vorentscheidung war insoweit aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Eine Schätzung kann - von der Rüge eines Verfahrensmangels abgesehen - vom BFH nur daraufhin überprüft werden, ob die Vorinstanz die Denkgesetze, die allgemeinen Erfahrungssätze und die anerkannten Schätzmethoden beachtet hat. Damit das Revisionsgericht eine solche Prüfung vornehmen kann, muß das finanzgerichtliche Urteil erkennen lassen, welche Tatsachen Eingang in die Schätzung gefunden haben und auf welchem Wege das Schätzungsergebnis zustande kam (BFH-Urteil vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83, BFH/NV 1989, 698).

Diesen Anforderungen genügt die Entscheidung der Vorinstanz nicht. Die Begründung des FG, nach dem Inhalt der Akten sei die Schätzung jedenfalls nicht zu beanstanden, reicht dafür nicht, zumal das FG die Grundlagen der Schätzung weder in seinem Urteil wiedergegeben noch auf konkrete Stellen in seinen oder in den Akten des FA Bezug genommen hat.

Es kann deshalb dahinstehen, ob das FG den Vortrag der Klägerin über die anzusetzenden Besteuerungsgrundlagen im Schriftsatz vom 19. Februar 1985 und in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 1985 zu Recht nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG oder aufgrund der Erwägung unbeachtet gelassen hat, es handle sich bei der vorgelegten Aufstellung der voraussichtlichen Gewinne oder Verluste nicht um eine Mitteilung erheblicher Tatsachen. Das FG hätte damit allenfalls begründet, warum es die Gewinnschätzung der Klägerin für unerheblich hält, nicht aber, warum der vom FA geschätzte Gewinn der Höhe nach zutrifft. Das Urteil des FG äußert sich - ebensowenig wie die angefochtenen Steuerbescheide oder die Einspruchsentscheidung - nicht zur Methode der Schätzung und zum Zustandekommen der auch für die Vorjahre geschätzten Gewinne von jeweils . . . DM, die sich womöglich über Verlustvorträge auf die Körperschaftsteuerfestsetzung für 1979 auswirken können. Das FG wird deshalb eine überprüfbare Schätzung, die ihm kraft eigenen Rechts obliegt (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 162 AO 1977), nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417079

BFH/NV 1991, 415

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