Entscheidungsstichwort (Thema)

Mißbräuchliche Vermietung einer Zahnarztpraxis unter Ehegatten

 

Leitsatz (NV)

1. Errichtet die Ehefrau eines Zahnarztes auf einem ihr gehörenden Grundstück ein Wohnhaus mit Zahnarztpraxis und vermietet sie diese Praxis ihrem Ehemann unter Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit der Vermietungsumsätze, während sie den Wohnteil zusammen mit ihrem Mann bewohnt, ist wegen Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten auch der Abzug der der Praxis zuzurechnenden Vorsteuerbeträge ausgeschlossen, wenn die Ehefrau in einem überschaubaren Zeitraum von der Vermietung an die Aufwendungen für den Kapitaldienst und die Bewirtschaftung des Grundstücks, soweit sie dem Praxisteil zuzuordnen sind, nicht aus der Miete und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß.

2. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn der Mieter-Ehegatte bei Erwerb des Grundstücks oder bei Errichtung des Gebäudes dem Vermieter-Ehegatten ausreichende finanzielle Mittel überläßt, die diesem die Lastentragung aus eigener wirtschaftlicher Kraft ermöglichen.

3. Eine vom Arzt-Ehegatten gezahlte ,,Vergütung für Tätigkeit im Haushalt" ist nicht als eigenes Einkommen des Vermieter-Ehegatten zu werten.

4. Liegen die in Leitsatz 1 dargestellten Voraussetzungen einer mißbräuchlichen Gestaltung vor, spricht eine tatsächliche Vermutung für Handeln in Mißbrauchsabsicht.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 14, § 15 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die in den Streitjahren 1982 und 1985 gegen eine monatliche Vergütung von . . . DM in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes beschäftigt war, erwarb 1982 ein unbebautes Grundstück zu einem Kaufpreis von . . . DM und bebaute es mit einem Wohnhaus mit Zahnarztpraxis zu einem Auftragspreis von . . . DM. Zur Finanzierung des Objekts dienten Darlehen über insgesamt . . . DM. Nach einer Vereinbarung vom . . . 1982 sollte die Klägerin die Finanzierungskosten von monatlich etwa ... DM wie folgt decken:

Mieteinnahmen aus der Praxis rd. ... DM

Gehalt Praxistätigkeit rd. ... DM

Vergütung für Tätigkeit im Haushalt rd. ... DM

Kostenzuschuß Privatwohnung rd. ... DM

rd. ... DM

Die Klägerin vermietete ihrem Ehemann die Praxis nebst einem Lagerraum ab . . . 1983 fest bis . . . zu einer Monatsmiete von . . . DM zuzüglich Umsatzsteuer und Betriebskosten (außer Kosten für größere Reparaturen).

Die Klägerin machte Vorsteuerbeträge für 1982 bzw. 1985 in Höhe von . . . DM bzw. . . . DM geltend. Ab 1983 erklärte sie steuerpflichtige Vermietungsumsätze, und zwar für 1985 in Höhe von . . . DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gelangte zu dem Ergebnis, daß das Mietverhältnis wegen eines Mißbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten in den Streitjahren (1982 und 1985) nicht anerkannt werden könne, und setzte die Umsatzsteuer jeweils auf 0 DM fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) war die Klägerin nicht Unternehmerin. Das Mietverhältnis sei zwar, so führte das FG aus, tatsächlich durchgeführt worden. Es liege jedoch ein Gestaltungsmißbrauch vor. Die Klägerin sei nicht einmal in der Lage gewesen, mit der Miete und ihren eigenen Einkünften die Zinsaufwendungen für den Praxisanteil, die sich nach ihren Angaben auf . . . v.H. beliefen, zu tragen. Dementsprechend habe der Ehemann der Klägerin über die vereinbarten Mietzahlungen hinaus 1983 . . . DM, 1984 . . . DM und 1985 . . . DM für die Begleichung der Aufwendungen zur Verfügung stellen müssen, ohne mit einem Ausgleich rechnen zu können. Bei dieser Sachlage wäre es den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessen gewesen, wenn der Ehemann selbst das Grundstück erworben und das Haus mit der Zahnarztpraxis errichtet hätte. Die Vertragsgestaltung sei nur gewählt worden, um den Vorsteuerabzug zu erlangen.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Ein Gestaltungsmißbrauch liegt nach ihrer Meinung nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der Klägerin steht der begehrte Vorsteuerabzug nicht zu. Sie erfüllt zwar die Voraussetzungen, von denen das Umsatzsteuergesetz (UStG) 1980 den Vorsteuerabzug abhängig macht. Der Abzug kann jedoch wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht zugelassen werden.

2. Nach § 15 Abs. 1 Nr.1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmen für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

Die Klägerin war Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980). Sie erbrachte durch die Vermietung der Praxisräume sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG 1980). Nach dem Willen der Vertragsparteien vollzog sich die Nutzungsüberlassung nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Parteien hoben vielmehr diesen Lebenssachverhalt aus den familienrechtlichen Beziehungen heraus und stellten ihn durch Abschluß eines (entgeltlichen) Mietvertrags auf eine schuldrechtliche Grundlage.

3. Dem Vorsteuerabzug steht § 42 AO 1977 entgegen.

a) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 21. November 1991 V R 20/87, BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 466; vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, je m.w.N.). Das wirtschaftliche Verhalten der Beteiligten darf nicht auf seine Angemessenheit beurteilt werden (Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

Bei der rechtlichen Gestaltung wirtschaftlicher Vorgänge ist der Steuerpflichtige im Rahmen der Gesetze frei. Auch aus steuerrechtlicher Sicht ist grundsätzlich von der gewählten (bürgerlich-)rechtlichen Gestaltung auszugehen. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; Senatsurteile in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 466; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541). Auch Angehörigen steht es frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander so zu gestalten, daß sie für sie steuerlich möglichst günstig sind (Senatsurteile in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 466; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären. Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, die vom Gesetzgeber bei seiner Regelung vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht und hierfür keine beachtlichen außersteuerrechtlichen Gründe vorliegen, ob er vielmehr auf einem ungewöhnlichen Weg einen Erfolg zu erreichen versucht, der nach den Wertungen des Gesetzgebers auf diesem Weg nicht erreichbar sein soll. Maßgebend sind die gesamten Umstände des Einzelfalls. Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine unangemessene Gestaltung für die Verwirklichung des Tatbestandes einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird (Senatsurteile in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 466; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

b) Wie der Senat im Urteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541 näher ausgeführt hat, ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen ,,vorgeschaltet", um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis aus den Leistungsbezügen zu erzielen, obwohl der Mieter- Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Eine derartige ,,Vorschaltung" liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn der Mieter-Ehegatte dem Vermieter-Ehegatten bei Erwerb des Grundstücks oder bei Errichtung des Gebäudes finanzielle Mittel in ausreichender Höhe überläßt (z.B. durch Schenkung), die diesem die Lastentragung aus eigener wirtschaftlicher Kraft ermöglichen.

c) Der Streitfall bietet das Bild einer ,,Vorschaltung" der Klägerin. Diese konnte, wie das FG dargelegt hat, aus Miete und Arbeitslohn nicht einmal die auf die Praxis entfallenden Zinsen tragen. Die ,,Vergütung für Tätigkeit im Haushalt" ist nicht als ,,eigenes Einkommen" der Klägerin zu berücksichtigen. Die Führung des Haushalts ist eine Aufgabe im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft und steht nicht im Zusammenhang mit der Finanzierung der Praxis, einem geschäftlichen Vorgang.

Eine verständige Partei hätte angesichts der zugrunde liegenden Verhältnisse vom Abschluß eines Mietvertrages über die Praxisräume und dessen formaler Durchführung abgesehen und es dem Zahnarzt-Ehegatten überlassen, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung die entstehenden Aufwendungen für Grundstück und Gebäude als solche zu tragen, anstatt entsprechende Mittel als Mietzins bzw. in Form von Zuschüssen dem Eigentümer-Ehegatten verdeckt zuzuwenden.

d) Die unangemessene Gestaltung widerspricht den Wertungen des Gesetzes, weil der Mieter-Ehegatte als Zahnarzt allenfalls teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Nr.1 i.V.m. § 4 Nr.14 Sätze 1, 4 Buchst. b UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

4. Es bedarf keiner Entscheidung der Frage, ob § 42 AO 1977 das Vorliegen einer Mißbrauchsabsicht voraussetzt. Der Senat hat hierzu die Auffassung vertreten, daß die Anwendung des § 42 AO 1977 nicht durch subjektive Umstände wie Gutgläubigkeit, Rechtsunkenntnis, Unerfahrenheit oder Ungeschicklichkeit vermieden werden kann, wenn die objektiven Umstände eine unangemessene Gestaltung ergeben (Urteil vom 1. Juni 1989 V R 74/87, BFH/NV 1990, 131; Beschluß vom 23. Februar 1989 V B 60/88, BFHE 155, 503, BStBl II 1989, 396). Damit hat der Senat im Ergebnis verneint, daß die Mißbrauchsabsicht Tatbestandsmerkmal des § 42 AO 1977 ist (ähnlich zur ,,Gesetzesumgehung" Bundesarbeitsgericht, Beschluß vom 12. Oktober 1960 GS 1/59, BAGE 10, 65, 70, und Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Januar 1990 II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 64, bzw. zur ,,Steuerumgehung" Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 12. Juli 1988, Direct Cosmetics Ltd./Commissioners of Customs and Excise, Rs.138 und 139/86, Slg. 1988, 3937 Tz.20 ff.).

Demgegenüber vertritt der I.Senat des BFH (Urteil vom 5. Februar 1992 I R 127/90, BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 533, unter II.D.5. a) die Auffassung, in jedem Einzelfall sei auch die Mißbrauchsabsicht festzustellen. Der Auslegung des § 42 AO 1977 durch den I.Senat ist nicht zu entnehmen, daß dieser die Feststellung der Mißbrauchsabsicht nicht auch aufgrund einer tatsächlichen Vermutung (zu dieser im Anwendungsbereich des § 42 AO 1977 vgl. insbesondere BFH-Urteil vom 28. Januar 1992 VIII R 7/88, BFHE 167, 273) zuließe. Dem entsprechen zahlreiche Entscheidungen des BFH aus jüngster Zeit mit der Aussage, daß bei Berücksichtigung der Gesamtumstände der jeweilige Sachverhalt die Mißbrauchsabsicht ,,indiziere" (vgl. zuletzt BFH‹Urteil vom 14. Januar 1992 IX R 33/89, BFHE 167, 55, BStBl II 1992, 549, m.w.N.).

Im Streitfall ist die Klage auch auf der Grundlage der Auffassung, § 42 AO 1977 setze eine Mißbrauchsabsicht voraus, abzuweisen, da die Mißbrauchsabsicht der Klägerin zu vermuten ist. Grundlage für die tatsächliche Vermutung ist die objektive Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann, wie sie oben unter 3. b) und c) beschrieben worden ist. Der Klägerin waren die der Gestaltung zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse bekannt. Nach den Feststellungen des FG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß statt der Absicht zur Steuerumgehung wirtschaftlich beachtliche Gründe für die gewählte Gestaltung maßgebend gewesen sein könnten. Das Bestreben, dem Mieter-Ehegatten ein gesichertes Nutzungsrecht (auch für den Fall von Trennung oder Scheidung) zu verschaffen, macht den Abschluß eines Mietvertrages nicht plausibel. Denn auch die Nutzungsüberlassung als Beitrag im Rahmen der ehelichen Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft hätte durch rechtlich bindende Vereinbarungen abgesichert werden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418713

BFH/NV 1993, 503

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