Leitsatz (amtlich)

1. Die einem Einheitswertbescheid (Wert- und Artfortschreibung) beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung entspricht den Anforderungen des § 356 Abs.1 AO 1977 auch dann, wenn sie keinen Hinweis darauf enthält, daß die Anfechtung nur einer der selbständigen Feststellungen (vgl. BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, und BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292) nicht zugleich auch die Anfechtung der weiter getroffenen Entscheidungen beinhalte.

2. Zu den Grenzen der Auslegungsfähigkeit eines Einspruchsschreibens.

 

Orientierungssatz

Ziel der Auslegung von Erklärungen im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ist --ebenso wie bei Prozeßerklärungen--, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen. Dabei können zwar außer der Erklärung weitere Umstände zu berücksichtigen sein, doch darf die Auslegung nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen (vgl. BFH-Urteil vom 1.4.1981 II R 38/79).

 

Normenkette

AO 1977 § 356 Abs. 1; BewG 1974 § 19; AO 1977 §§ 118, 180 Abs. 1 Nr. 1, § 157 Abs. 1 S. 3, § 348 Abs. 1, § 357 Abs. 3; BGB § 133

 

Tatbestand

Die Kläger haben auf dem von ihnen im Jahre 1975 erworbenen Grundstück im Jahre 1976 ein bezugsfertiges Gebäude (Wohnhaus mit Arztpraxis und zwei Garagen) errichtet. Am 29.März 1978 gab das Finanzamt (FA) einen Bescheid zur Post, der als "EINHEITSWERTBESCHEID - Wert- und Artfortschreibung auf den 1.Januar 1977" bezeichnet ist, mit dem es die Grundstücksart Einfamilienhaus und den Einheitswert (ermittelt im Ertragswertverfahren) auf 233 600 DM feststellte. Der Eingangssatz der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung lautet:

"Sie können die mit diesem Grundlagenbescheid (Einheitswertbescheid, Grundsteuermeßbescheid) bekanntgegebenen Entscheidungen mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs anfechten."

Am gleichen Tage wurde mit gesondertem Schriftstück der Grundsteuermeßbescheid --Neuveranlagung auf den 1.Januar 1977-- bekanntgegeben, dem die nämliche Rechtsbehelfsbelehrung gesondert beigefügt war.

Am 13.April 1978 ging beim FA ein Schreiben des Klägers vom gleichen Tage ein, das folgenden Inhalt hat:

"Betrifft: Einheitswertbescheid vom 29.03.1978

Sehr geehrte Herren]

Gegen den obengenannten Einheitswertbescheid lege ich hierdurch Einspruch ein.

Die vom Finanzamt angesetzte Miete ist bei der Größe der vorhandenen Wohn- und Nutzflächen nicht erzielbar. Da keine Marktmiete zum Vergleich herangezogen werden kann, bitte ich, mein Grundstück im Sachwertverfahren zu bewerten."

Diesem Begehren entsprach das FA durch Abhilfebescheid vom 28.November 1978. Es ermittelte den Einheitswert nunmehr im Sachwertverfahren und stellte ihn auf 223 300 DM fest. Der Abhilfebescheid trägt die Bemerkung: "Grundstücksart wie bisher: Einfamilienhaus". Er wurde dem Kläger entsprechend seiner Benennung als Bekanntgabebevollmächtigten mit Wirkung für und gegen alle Miteigentümer bekanntgegeben.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger erneut Einspruch ein, mit dem er die Artfeststellung angriff und die Feststellung der Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück begehrte. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA vertrat in der Einspruchsentscheidung die Auffassung, die Eigenart als Einfamilienhaus werde durch die Praxis nicht wesentlich beeinträchtigt.

Mit der gemeinschaftlichen Klage beantragen die Kläger unter Änderung des Einheitswertbescheids vom 28.November 1978 (und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2.Juli 1980) das Grundstück als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten. Vom Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13.November 1981 III R 116/78 (BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88) hingewiesen, tragen sie vor, der Einspruch vom 13.April 1978 habe sich sowohl gegen die Wert- als auch gegen die Artfeststellung gerichtet. Das ergebe sich zwar nicht wörtlich aus dem Einspruchsschreiben, wohl aber aus der Erwähnung von "Wohn- und Nutzflächen", mit der auf die gemischte Nutzung des Grundstücks hingewiesen worden sei.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei auf das BFH-Urteil in BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88 bezogen und weiter ausgeführt, die Auslegung des Einspruchsschreibens vom 13.April 1978, so wie sie nun von den Klägern begehrt werde, sei wegen dessen klaren und eindeutigen Inhalts nicht möglich. Der nunmehrige Vortrag stehe mit dem im Einspruchsschreiben zum Ausdruck kommenden Willen in Widerspruch.

Mit der Revision wird das Klagebegehren weiter verfolgt. Die Kläger tragen vor, das angefochtene Urteil beruhe auf einem fehlerhaften Verständnis der §§ 172, 351 und 357 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie auf der unzutreffenden Anwendung allgemeiner Auslegungsregeln. Der Einspruch vom 13.April 1978 sei gerade nicht erkennbar nur gegen die Wertfeststellung gerichtet gewesen. Auch das FA habe mit der Einspruchsentscheidung vom 2.Juli 1978 eine Entscheidung in der Sache selbst getroffen, wie das nach damals gängiger Rechtsauffassung auch zutreffend gewesen sei. Unberücksichtigt habe das FG den Umstand gelassen, daß der Antrag im Einspruchsschreiben vom 13.April 1978 nur dann einen Sinn gebe, wenn mit dem Einspruch auch die Artfeststellung angegriffen worden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

1. Bei seiner Entscheidung hat das FG zutreffend (stillschweigend) unterstellt, daß die Frist zur Einlegung außergerichtlicher Rechtsbehelfe deshalb zu laufen begonnen hatte, weil die dem Art- und Wertfortschreibungsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß erteilt war.

Ergeht ein Verwaltungsakt schriftlich, so beginnt nach § 356 Abs.1 AO 1977 die Frist für die Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs nur, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Mit dem Einheitswertbescheid vom 29.März 1978 hat das FA zwei selbständige Feststellungen getroffen, die gesondert angefochten und bestandskräftig werden konnten (vgl. BFH-Urteil in BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, dem sich der Senat mit Urteil vom 10.Dezember 1986 II R 88/85, BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292 angeschlossen hat), nämlich eine Art- und eine Wertfeststellung im Fortschreibungswege. Diese selbständigen Feststellungen bilden je einen Verwaltungsakt, wenngleich sie in einem Schriftstück zusammengefaßt sind. Dieser Mehrheit anfechtbarer Verwaltungsakte trägt die dem Einheitswertbescheid entsprechend § 180 Abs.1 Satz 1, § 157 Abs.1 Satz 3 AO 1977 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung Rechnung. In ihr wird nämlich ausgeführt, daß die mit diesem Grundlagenbescheid (Einheitswertbescheid) bekanntgegebenen Entscheidungen mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs (s. dazu § 348 Abs.1 Nr.2 AO 1977) angefochten werden könnten. Welche Entscheidungen in dem Einheitswertbescheid getroffen waren, ergab sich zwanglos aus der Bezeichnung "Wert- und Artfortschreibung auf den 1.Januar 1977". Ein Hinweis darauf, daß die Anfechtung nur einer der getroffenen Entscheidungen nicht zugleich die Anfechtung auch der weiter getroffenen Entscheidung oder Entscheidungen beinhaltet, sieht das Gesetz weder vor noch ist sie aus Gründen der Rechtssicherheit unabdingbar erforderlich. Der von Kutschka (Deutsche Steuer-Rundschau --DStR-- 1986, 27, und DStR 1987, 578) vertretenen Rechtsauffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

2. Ohne Rechtsverstoß ist das FG unter Beachtung der allgemeinen Auslegungsregeln davon ausgegangen, daß sich der Einspruch vom 13.April 1978 lediglich gegen die selbständige Wertfeststellung im Wege der Fortschreibung richtete. Ebenso wie Prozeßerklärungen auslegungsfähig sind (vgl. Senatsurteil vom 1.April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, 533), sind auch Erklärungen im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren der Auslegung zugänglich. Ziel der Auslegung ist auch hier, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Dabei können zwar außer der Erklärung weitere Umstände zu berücksichtigen sein, doch darf die Auslegung nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen. Aus dem Einspruchsschreiben lassen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß sich der Rechtsbehelf nicht nur gegen die Wertfeststellung, sondern auch gegen die Artfeststellung richtete. Denn auch die Nutzflächen sind neben den Wohnflächen im Zusammenhang mit der Frage der Erzielbarkeit der angesetzten Miete erwähnt.

3. Da dementsprechend mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist für die Anfechtung des Art- und Wertfortschreibungsbescheids die Artfeststellung unanfechtbar geworden war, ist das FG zutreffend davon ausgegangen, daß die Anfechtung des Abhilfebescheids vom 28.November 1978 mit dem gegen die --von ihm nicht berührte-- Artfeststellung gerichteten Begehren unzulässig war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62895

BStBl II 1989, 822

BFHE 157, 217

BFHE 1990, 217

BB 1989, 1683-1683 (L1-2)

DStR 1990, 141 (KT)

HFR 1989, 594 (LT)

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