Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückstellung wegen einer Bürgschaftsverpflichtung

 

Leitsatz (NV)

Zur Frage, wann für eine Bürgschaftsverpflichtung wegen drohender Inanspruchnahme in der Steuerbilanz eine Rückstellung gebildet werden kann.

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 3

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 1980 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind. Der Kläger betrieb bis zum Jahre 1973 eine Dachdeckerei und Bauklempnerei. Mit Wirkung zum 1. Januar 1974 verpachtete er seinen Betrieb an die X-GmbH (GmbH); deren Gesellschaftsanteile gehörten dem Kläger, der auch ihr alleiniger Geschäftsführer war. Den Gewinn aus dem Besitzunternehmen ermittelte der Kläger nach § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Im Jahre 1978 nahm die GmbH auch den Handel mit Baustoffen auf. Dies führte zu einer erheblichen Erhöhung des Umsatzes, der für das Jahr 1979 mit 3 892 000 DM ausgewiesen wurde, und zu einer erhöhten Aufnahme von Bankkrediten. Die Kredite wurden abgesichert durch Grundschulden auf den betrieblichen Grundstücken des Klägers und durch Abtretung der Ansprüche aus einer Lebensversicherung. Außerdem verbürgte sich der Kläger durch Vertrag vom 15. Mai 1979 selbstschuldnerisch bis zum Betrag von 500 000 DM.

Die GmbH wies für die Jahre 1974 bis 1977 Gewinne aus, die sich zwischen 25 000 DM und 2 100 DM bewegten; für die Jahre 1978 bis 1980 erlitt sie Verluste, und zwar für das Jahr 1978 in Höhe von 4 751 DM, für das Jahr 1979 in Höhe von 243 599 DM und für das Jahr 1980 in Höhe von 264 179 DM. Die Bilanzverluste betrugen im Jahre 1979 196 749 DM und im Jahre 1980 264 179 DM. Wegen dieser Verluste wies der Kläger in den Bilanzen im Hinblick auf die Bürgschaft Rückstellungen aus, zum 31. Dezember 1979 in Höhe von 195 000 und zum 31. Dezember 1980 in Höhe von 460 929 DM.

Nach einer Betriebsprüfung erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Rückstellung für das Bürgschaftsrisiko nicht an, weil nach Auskunft der kreditgebenden Bank eine Inanspruchnahme des Klägers nicht gedroht habe. Dementsprechend erließ das FA geänderte Einkommensteuerbescheide und Gewerbesteuermeßbescheide. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.

Mit der Klage begehrte der Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1980 und den Gewerbesteuermeßbescheid 1980 in der Weise abzuändern, daß eine Rückstellung für das Bürgschaftsrisiko in Höhe von 300 000 DM berücksichtigt werde. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen den Gewerbesteuermeßbescheid wegen fehlender Beschwer ab. Der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 gab das FG statt. Es entschied, daß die Bürgschaftsverpflichtung betrieblicher Natur gewesen sei, daß eine Inanspruchnahme des Klägers gedroht habe und daß der Rückgriffsanspruch gegen die GmbH wertlos gewesen sei.

Ob die Rückstellung in der beantragten Höhe berechtigt sei, könne dahinstehen. Um eine Herabsetzung der Einkommensteuer auf null DM zu erreichen, genüge eine Rückstellung in Höhe von rund 60 000 DM; in dieser Höhe sei eine Rückstellung ohne Zweifel begründet gewesen.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und mangelnde Sachaufklärung. Es beantragt, das FG-Urteil, soweit es die Einkommensteuer 1980 betrifft, aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

1. Gewerbetreibende, die Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, haben nach § 5 Abs. 1 EStG und § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG in ihrer Bilanz betrieblich veranlaßte Verbindlichkeiten als Passivposten auszuweisen. Dies gilt jedoch nicht bei der Übernahme einer Bürgschaftsverpflichtung, weil dem Bürgen ein Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner zusteht. Es ist allgemein anerkannt, daß der Bürge seine Verpflichtung erst zu passivieren hat, wenn eine Inanspruchnahme durch den Gläubiger droht (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Januar 1967 IV 117/65, BFHE 88, 204, BStBl III 1967, 336; vom 19. März 1975 I R 173/73, BFHE 115, 359, BStBl II 1975, 614; Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuergesetz, § 4 Anm. 62 Stichwort Bürgschaft); dies führt jedoch nur insoweit zu einer Gewinnminderung, als der zu aktivierende Regreßanspruch wegen Wertminderung abzuschreiben ist (§ 6 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 EStG). Die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft droht dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Bürgern ernstlich zu erwarten ist.

2. Im Streitfall kann nicht angenommen werden, daß die Inanspruchnahme des Klägers durch die kreditgebende Bank schon im Streitjahr 1980 drohte. Das FG hat die drohende Inanspruchnahme aus folgenden Umständen gefolgert: Die GmbH habe - wie die Betriebsprüfung festgestellt habe - im Streitjahr einen Bilanzverlust von rund 335 000 DM erlitten; erhebliche stille Reserven seien nicht vorhanden und beachtliche künftige Gewinne nicht ernsthaft zu erwarten gewesen. Daß die kreditgebende Bank den Kläger aus der Bürgschaft im Streitjahr nicht in Anspruch genommen und im Jahre 1981 erklärt habe, dies nicht beabsichtigt zu haben, sei für die steuerliche Beurteilung nicht entscheidend. Der Rückgriffsanspruch gegen die GmbH sei wegen der hohen Verluste nicht realisierbar gewesen.

Die Feststellungen des FG, daß die GmbH in hohem Maße überschuldet gewesen sei und ferner keine stillen Reserven vorhanden sowie mit künftigen Gewinnen nicht zu rechnen gewesen seien, tragen seine Entscheidung im Streitfall nicht. Die kreditgebende Bank hat im Jahre 1981 erklärt, daß sie im Streitjahr nicht geplant habe, gegen den Kläger aus der Bürgschaftsverpflichtung vorzugehen. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Inanspruchnahme des Bürgen droht, kommt es wesentlich auch auf die Bewertung der Sachlage durch den Gläubiger an; denn es muß davon ausgegangen werden, daß der Gläubiger das Kreditrisiko und die Gefährdung seines Anspruchs ständig überprüft. Insbesondere im Streitfall muß angenommen werden, daß die Bank ihren Anspruch zum 31. Dezember 1980 nicht als gefährdet angesehen hat, weil sie ihre Erklärung zur Nichtinanspruchnahme des Klägers nach diesem Zeitpunkt im Laufe des Jahres 1981 abgegeben und auch zu diesem Zeitpunkt noch keinen Anlaß gesehen hat, ihre Auffassung zu ändern. Die Bank konnte im Streitfall um so eher zu ihren Auffassung gelangen, als ihr noch andere Sicherheiten (z. B. Grundschulden) zur Verfügung standen und - wie unstreitig ist - die GmbH ihren übrigen Verpflichtungen noch nachgekommen ist.

3. Da nach den Ausführungen unter Ziffer 2 eine Inanspruchnahme nicht drohte, hatte der Senat auch nicht die Frage zu prüfen, ob bei Inanspruchnahme nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung des Klägers an der GmbH vorgelegen hätten (vgl. hierzu z. B. Urteil vom 2. Oktober 1984 VIII R 36/83, BFHE 143, 228, BStBl II 1985, 320) und ob ggf. auf die erhöhten Anschaffungskosten eine Teilwertabschreibung möglich gewesen wäre.

4. Aus diesem Grunde mußte die Vorentscheidung aufgehoben werden. Die Sache ist spruchreif. Nach den Feststellungen des FG liegen - wie die Ausführungen unter Ziff. 2 ergeben - die Voraussetzungen für eine gewinnmindernde Passivierung der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers nicht vor. Die Klage war daher abzuweisen, ohne daß auf die übrigen Revisionsrügen des FA noch einzugehen war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61665

BFH/NV 1988, 22

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