Leitsatz (amtlich)

Eine Betriebsprüfung, die aufgrund einer unwirksamen Prüfungsanordnung erfolgt, kann keine Ablaufhemmung für die Verjährung herbeiführen.

 

Orientierungssatz

Ein an ein nicht existierendes Steuersubjekt (eine vermeindlich existente GbR) gerichteter und bekanntgegebener Verwaltungsakt erlangt keine Wirkung. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich in die Hände der betroffenen Steuerpflichtigen (Einzelpersonen) gelangt ist (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO §§ 144-145, 146a Abs. 3; AO 1977 §§ 169-170; AO § 91 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 171 Abs. 4

 

Tatbestand

Der verstorbene Ehemann der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), dessen alleinige Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, war seit 1963 Inhaber eines Gewerbebetriebes, der bestimmte Stoffe in Lohnarbeit herstellte. Am 1.Juni 1964 eröffnete die Klägerin in denselben Räumen ebenfalls eine Weberei, deren Produkte jedoch über den Markt abgesetzt wurden. Bei einer Betriebsprüfung für die Jahre 1963 bis 1965 im Jahre 1967 vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, daß es sich bei den Gewerbebetrieben der Klägerin und ihres Ehemanns nicht um voneinander unabhängige Einzelbetriebe handele, sondern von Juni 1964 an eine aus den Eheleuten bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) vorliege.

Am 2.April 1973 erließ das damals zuständige Finanzamt (FA) eine Prüfungsanordnung für eine Anschlußprüfung, die sich u.a. auf die Gewerbesteuer für die Streitjahre 1966 bis 1968 erstreckte. Die Prüfungsanordnung war adressiert an die "Firma B GbR". Die Betriebsprüfung, die im April 1973 beginnen sollte, wurde allerdings auf Antrag der Klägerin und ihres Ehemanns hinausgeschoben. Die Anschlußprüfung wurde dann im November 1975 durchgeführt.

Am 11.September 1973 hatte das FA Gewerbesteuermeßbescheide, gerichtet an die Fa. B GbR, für die Streitjahre erlassen. Gegen diese Bescheide legten die Klägerin und ihr Ehemann Einspruch ein.

Am 31.Juli 1974 gaben die Klägerin und ihr Ehemann für die Streitjahre 1966 bis 1968 auf den amtlichen Vordrucken Erklärungen über den Gewerbeertrag und das Gewerbekapital in den betreffenden Jahren ab, die das Finanzgericht (FG) als Gewerbesteuererklärungen gewertet hat, die die Klägerin aber nur als Tatsachenvortrag zur Einspruchsbegründung verstanden wissen will. Aufgrund dieser Erklärungen berichtigte das FA am 8.August 1974 die Bescheide. Auch gegen diese Berichtigungsbescheide legten die Klägerin und ihr Ehemann ebenso wie gegen die anderen Bescheide Rechtsbehelfe mit der Begründung ein, es lägen zwei voneinander unabhängige Betriebe vor.

Mit Urteil vom 30.Juni 1975 hob das FG Düsseldorf diese Bescheide auf. Die dagegen eingelegte Revision nahm der im Zuge einer Neugliederung der FA-Bezirke zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) am 21.Juli 1978 zurück, nachdem die Klägerin im Verfahren wegen Umsatzsteuer obsiegt und der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 5.Mai 1977 V R 90/73 das Bestehen einer GbR verneint hatte.

Am 18.September 1978 erließ dann das FA erstmalige Gewerbesteuermeßbescheide (Sammelbescheid) für den Betrieb der Klägerin u.a. für die Streitjahre. Der Einspruch blieb erfolglos.

Dagegen wendete sich die Klägerin mit der Klage. Sie machte Festsetzungsverjährung für die Streitjahre geltend. Außerdem beanstandete sie die Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen auf ihren Ehemann und auf sie. Im übrigen berief sie sich auf ein Verwertungsverbot für die Betriebsprüfung.

Das FG gab der Klage teilweise statt. Es verneinte zwar die Verjährung, ging aber von einem Verwertungsverbot der durch die Betriebsprüfung 1975 gewonnenen Ergebnisse aus, weil die Prüfungsanordnung wegen der falschen Adressierung an die B GbR unwirksam und daher nichtig gewesen sei. Zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zog das FG die von ihm als Gewerbesteuererklärungen gewerteten Erklärungen vom 31.Juli 1974 heran und setzte die Gewerbesteuermeßbeträge niedriger als in den angefochtenen Bescheiden fest.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der Verjährungsvorschriften der Reichsabgabenordnung (AO).

Die Klägerin beantragt, die Gewerbesteuermeßbescheide 1966 bis 1968 (als Teile des Sammelbescheides für 1964 bis 1968) sowie die Einspruchsentscheidung und das Urteil des FG aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Gewerbesteuer für die Jahre 1966 bis 1968 war bei Erlaß der angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide bereits verjährt.

1. Das FG hat über den Beginn der Fristen für die Verjährung zutreffend entschieden. Nach § 145 Abs.2 Nr.1 der ab 1.Januar 1966 geltenden Fassung der AO begann die Verjährungsfrist für die Jahre 1966 bis 1968 mit Ablauf des dritten Jahres, das auf die Entstehung des jeweiligen Steueranspruchs für das betreffende Jahr folgt; denn die Klägerin hat vor dem 31.Juli 1974 keine Steuererklärungen abgegeben. Dabei kann offenbleiben, ob die Erklärungen vom 31.Juli 1974 als Steuererklärungen zu werten sind; denn Steuererklärungen zu diesem Zeitpunkt waren auf den Beginn der Verjährungsfristen ohnehin ohne Einfluß. Die Verjährung für 1966 begann also mit Ablauf des Jahres 1969, für 1967 mit Ablauf des Jahres 1970 und für 1968 mit Ablauf des Jahres 1971 (vgl. § 3 Abs.4 AO i.V.m. § 3 Abs.5 Nr.3 b des Steueranpassungsgesetzes --StAnpG--).

2. Die Verjährungsfrist betrug nach § 144 AO in der ab 1.Januar 1966 geltenden Fassung fünf Jahre. Die Verjährung war folglich für 1966 mit Ablauf des Jahres 1974, für 1967 mit Ablauf der Jahres 1975 und für 1968 mit Ablauf des Jahres 1976 abgelaufen.

3. Entgegen der Auffassung des FG konnte die Betriebsprüfung vom November 1975 den Ablauf dieser Fristen nicht hemmen.

a) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die zu dieser Betriebsprüfung ergangene Prüfungsanordnung nicht nur rechtswidrig, sondern unwirksam war, weil sie sich gegen die nicht existente "Firma B GbR" richtete. Es handelte sich nicht nur um eine unrichtige Adressierung der Prüfungsanordnung, sondern die Prüfungsanordnung war für ein Steuersubjekt bestimmt, das es nicht gab.

Nach dem bei Erlaß der Prüfungsanordnung im Jahre 1973 geltenden § 91 Abs.1 Satz 1 AO werden Verfügungen der Behörden für einzelne Personen dadurch wirksam, daß sie demjenigen zugehen, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Ein an ein nicht existierendes Steuersubjekt gerichteter und bekanntgegebener Verwaltungsakt kann danach keine Wirkung erlangen. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich in die Hände der betroffenen Steuerpflichtigen (hier der Klägerin und ihres Ehemannes) gelangt ist. Dies hat der BFH wiederholt für Fälle entschieden, in denen ein an einen nicht mehr existierenden Steuerschuldner gerichteter Bescheid von dem Rechtsnachfolger zur Kenntnis und auf sich bezogen worden ist (zum Bescheid an verstorbenen Steuerschuldner s. Urteil vom 27.November 1981 II R 18/80, BFHE 134, 519, BStBl II 1982, 276; zum Bescheid an wegen Umwandlung erloschene GmbH, Beschluß vom 21.Oktober 1985 GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230). Für die GbR hat der BFH entschieden, daß ein Bescheid an die Gesellschaft nicht mehr wirksam zugestellt werden kann, wenn die Gesellschaft durch Übernahme des Gesellschaftsvermögens auf einen der Gesellschafter erloschen ist, und zwar auch dann nicht, wenn der Bescheid an die Gesellschaft zu Händen des nunmehrigen Alleininhabers gerichtet ist (Urteil vom 18.September 1980 V R 175/74, BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293). Nichts anderes kann im Grundsatz gelten, wenn die Gesellschaft, wie im Streitfall, von vornherein nicht existiert hat und der Verwaltungsakt den vermeintlichen Gesellschaftern zugegangen ist.

b) Da der an die GbR gerichteten Prüfungsanordnung keinerlei Wirkung zukam, konnte die aufgrund dieser Prüfungsanordnung durchgeführte Betriebsprüfung auch die Verjährung nicht hemmen. Zwar stellt der Wortlaut des § 146a Abs.3 AO ebenso wie der Wortlaut des jetzigen § 171 Abs.4 der Abgabenordnung (AO 1977) für die Ablaufhemmung nicht auf die Rechtmäßigkeit der Betriebsprüfung, sondern allein auf den tatsächlichen Beginn ab.

Das kann jedoch allenfalls bedeuten, daß auch Prüfungshandlungen, die durch rechtswidrige, aber wirksame Prüfungsanordnungen gedeckt sind, zur Ablaufhemmung führen. Der BFH hat nämlich in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ein Steuerpflichtiger in der Regel die Verwertung der durch eine rechtswidrige Betriebsprüfung erlangten Kenntnisse nur verhindern kann, wenn die Rechtswidrigkeit der Prüfung gesondert festgestellt wird (u.a. Urteil vom 30.Oktober 1974 I R 40/72, BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232; Beschluß vom 24.Juni 1982 IV B 3/82, BFHE 136, 192, BStBl II 1982, 659; Urteile vom 27.Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285; vom 14.August 1985 I R 188/82, BFHE 144, 339, BStBl II 1986, 2). Es kann offenbleiben, ob diese Grundsätze auch für die Verhinderung der Hemmung der Verjährung durch eine Betriebsprüfung gelten (so Schwarz/Frotscher, Kommentar zur Abgabenordnung, § 171 AO 1977 Tz.8; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Tz.12) oder ob es auch Fälle geben kann, in denen eine Ablaufhemmung verhindert wird, obwohl kein Verwertungsverbot erreicht worden ist.

Jedenfalls muß sich ein erreichtes Verwertungsverbot auch auf die Hemmung der Verjährung erstrecken. Wenn ein Verwertungsverbot besteht, darf das FA die Betriebsprüfung auch nicht in der Weise verwerten, daß damit die Hemmung der Verjährung begründet wird.

c) Nichts anderes kann gelten, wenn die Prüfungsanordnung wie hier von vornherein unwirksam war und daher nicht erst in einem besonderen Verfahren angefochten werden mußte. Das FG hat zutreffend angenommen, daß aufgrund der unwirksamen Prüfungsanordnung von vornherein ein Verwertungsverbot bestand, ohne daß dies in einem besonderen Verfahren festgestellt werden mußte (vgl. Urteil in BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285). Aus dem Verwertungsverbot ergibt sich dann aber auch, daß die Verjährung durch die Betriebsprüfung nicht wirksam unterbrochen werden konnte. Nichtige Prüfungsanordnungen können keine Ablaufhemmung herbeiführen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 AO 1977 Tz.12).

d) Die andere Auffassung des FG läßt sich nicht auf das Urteil des BFH vom 10.Dezember 1971 III R 35/71 (BFHE 104, 282, BStBl II 1972, 331) stützen. In dieser Entscheidung hat der BFH die Ablaufhemmung trotz rechtswidriger Betriebsprüfung gerade damit begründet, daß der im Urteilsfall angenommene Verstoß gegen die Ordnungsvorschriften der Betriebsprüfungsordnung nicht zu einem Verwertungsverbot führe. Der BFH hat im übrigen in späteren Entscheidungen z.B. den Eintritt der Ablaufhemmung verneint, wenn die Prüfungsanordnung von der verbandsmäßig unzuständigen Finanzbehörde erlassen worden war (Urteil vom 12.Juli 1978 II R 166/75, BFHE 125, 442, BStBl II 1978, 666), wenn die Ermittlungen des Betriebsprüfers nicht durch den Prüfungsauftrag gedeckt waren (Urteile vom 12.Dezember 1972 VIII R 65/68, BFHE 109, 100, BStBl II 1973, 570, und vom 22.November 1977 VII R 63/74, BFHE 124, 10, BStBl II 1978, 277) oder wenn sich die Betriebsprüfung gegen eine dritte Person (GmbH) statt gegen den Steuerpflichtigen richtete (Urteil vom 18.Mai 1977 I R 36/75, BFHE 122, 248, BStBl II 1977, 652). Tragender Gesichtspunkt all dieser Entscheidungen ist, daß Prüfungshandlungen, für die keine wirksame Prüfungsanordnung vorliegt oder die von einer Prüfungsanordnung nicht gedeckt sind, keine Hemmung der Verjährung herbeiführen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61828

BStBl II 1988, 165

BFHE 150, 1

BFHE 1987, 1

BB 1987, 1729

BB 1987, 1729-1729 (ST)

DB 1987, 1923-1924 (ST)

DStR 1987, 591-591 (ST)

HFR 1987, 559-560 (ST)

WPg 1988, 264-264

Information StW 1987, 428-428 (ST)

DStZ/E 1987, 333-333 (S)

BRAK-Mitt 1987, 197-197 (S)

StBp 1987, 190-191 (ST)

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