Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Revision wegen nicht mit Gründen versehenen FG-Urteils; zum Verbot der Klageänderung

 

Leitsatz (NV)

1. Der zur Zulässigkeit der Revision ohne Zulassung führende wesentliche Verfahrensmangel, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO), liegt vor, wenn das FG-Urteil zu einer von Eheleuten wegen der Berücksichtigung verschiedener Werbungskosten für eine der Ehefrau gehörende Eigentumswohnung erhobenen Klage keine Begründung für die Versagung des Werbungskostenabzugs bei der Klägerin enthält.

2. Ist eine FG-Entscheidung nicht mit Gründen versehen, so daß sie gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 6 FGO als auf der Verletzung von Bundesrecht anzusehen ist, so ändert es hieran nichts, wenn es zur Entscheidung über das Klagvorbringen noch weiterer Feststellungen durch das FG bedarf.

3. Das nach dem BFH-Urteil vom 26. 1. 1982 VII R 85/77 (BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358) im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Verbot der Erweiterung des Klagantrags nach Ablauf der Klagefrist hindert den Kläger nicht, im Rahmen des ursprünglichen Begehrens später weitere Steuerermäßigungsgründe vorzubringen.

 

Normenkette

FGO § 96 Abs. 1 S. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6, § 126 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin erwarb mit notariellem Vertrag vom 30. Juni 1983 und Grundbucheintragung vom 12. Oktober 1983 eine Eigentumswohnung, die sie Anfang September 1983 unter Trennung vom Kläger bezog, der im bisher von den Eheleuten bewohnten Einfamilienhaus verblieb. Mit notariellem Vertrag vom 16. Dezember 1983 räumte die Klägerin dem Kläger ein dingliches Nießbrauchsrecht an der Eigentumswohnung für die Dauer von 10 Jahren ab Eintragung im Grundbuch am 27. Dezember 1983 ein. Den Wert des Nießbrauchs legten die Kläger mit 50 000 DM fest. Der Kläger hatte hierfür ab 1. Dezember 1983 monatlich 450 DM zu zahlen. Anschließend vermietete der Kläger die Wohnung an die Klägerin für monatlich 500 DM. Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1983, mit dem die Kläger erklärungsgemäß zusammenveranlagt wurden, versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) dem Nießbrauch unter Berufung auf § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) die Anerkennung und ermittelte den Nutzungswert der Eigentumswohnung nach § 21 a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Von den durch die Kläger für die Eigentumswohnung geltend gemachten Werbungskosten ließ das FA das bei der Darlehensaufnahme angefallene Disagio nur in Höhe von 24,5 v. H. zum Abzug zu, den Restbetrag berücksichtigte es zusammen mit den Schuldzinsen lediglich bis zur Höhe des Grundbetrages nach § 21 a Abs. 3 EStG. Den außerdem beanspruchten Werbungskostenabzug für Instandhaltungsaufwendungen in Höhe von insgesamt 22 777 DM berücksichtigte das FA in der Einspruchsentscheidung in Höhe von 12 618 DM; den Restbetrag von 10 159 DM behandelte es als anschaffungsnahen Aufwand. Ferner kürzte das FA die für ein häusliches Arbeitszimmer geltend gemachten Aufwendungen.

Im Klageverfahren haben die Kläger zunächst folgenden Antrag angekündigt, der in der mündlichen Verhandlung verlesen wurde: Unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1983 in der Fassung der Einspruchsentscheidung bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die anteiligen Aufwendungen für Strom, Müllabfuhr, Wasser und Kanal als Werbungskosten zum Abzug zuzulassen und bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung 24 254 DM anteiliges Disagio als Werbungskosten sowie den Nießbrauch des Klägers an der Eigentumswohnung der Klägerin steuerlich anzuerkennen.

Auf die Anregung des Senatsvorsitzenden bei dem Finanzgericht (FG), den Antrag hinsichtlich des Nießbrauchs zu präzisieren, haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1985 hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wie folgt neugefaßten Klageantrag gestellt: Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung 24 254 DM anteiliges Disagio, 803 DM zusätzliche Absetzung für Abnutzung (AfA) für die Eigentumswohnung, 10 159 DM zusätzliche Instandhaltungskosten, 933 DM Zinsen im Zusammenhang mit der Anschaffung der Eigentumswohnung als Werbungskosten anzuerkennen sowie ./. 450 DM Einnahmen der Klägerin für die Überlassung des Nießbrauchs an den Kläger unter Abzug von 500 DM Mieteinnahmen des Klägers zu berücksichtigen.

Das FG gab der Klage hinsichtlich der für das Arbeitszimmer geltend gemachten Aufwendungen statt, im übrigen wies es die Klage als unbegründet ab. Das FG führte aus, dem Antrag hinsichtlich der zusätzlichen AfA von 803 DM, zusätzlicher Instandhaltungskosten von 10 159 DM, zusätzlicher Zinsen von 933 DM abzüglich 450 DM Einnahmen unter Gegenrechnung von 500 DM könne insoweit nicht stattgegeben werden, als das FG über den ursprünglich gestellten Klageantrag nach Ablauf der Klagefrist nicht hinausgehen dürfe (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Januar 1982 VII R 85/77, BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358). Das neue Begehren der Kläger sei aber zulässig, soweit es sich im Rahmen des ursprünglichen Antrags halte.

Das Disagio könne aus Rechtsgründen nicht als Werbungskosten anerkannt werden. Die Anwendung des § 21 a Abs. 3 Nr. 1 EStG entfalle nicht aufgrund des vereinbarten Nießbrauchs. Denn dieser sei erst mit der Grundbucheintragung vom 27. Dezember 1983 entstanden und habe keine Rückwirkung. Außerdem liege in der Vereinbarung des Nießbrauchs und des damit verknüpften Mietvertrags eine Steuerumgehung. Wegen der steuerlichen Nichtanerkennung des Nießbrauchs habe der Kläger keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern. Deshalb könne der von ihm getragene Aufwand auch nicht gemäß § 9 EStG abziehbar sein. Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit der von ihnen hiergegen eingelegten Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts, nämlich der § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 116 Abs. 1 Nr. 5 und § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Art. 103 des Grundgesetzes (GG) sowie § 42 AO 1977. Das FG habe sich mit dem von ihnen neugefaßten Antrag, soweit es ihn für zulässig erachtet habe, nicht beschäftigt, sondern die Klage insoweit ohne Begründung als unbegründet abgewiesen. Durch die Annahme eines Gestaltungsmißbrauchs habe das FG ferner § 42 AO 1977 verletzt, wie näher ausgeführt wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

Nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist die Revision ohne Zulassung statthaft, wenn als wesentlicher Verfahrensmangel gerügt wird, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Dieser Verfahrensmangel ist insbesondere gegeben, falls die Entscheidungsgründe insofern unvollständig sind, als sie einzelne Ansprüche oder einzelne selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergehen (BFH-Urteil vom 11. Juni 1969 I R 27/68, BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492, und BFH-Beschluß vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351). Diesen Verfahrensmangel haben die Kläger schlüssig vorgetragen, da sich aus dem FG-Urteil nicht ergibt, weshalb die Klägerin nicht zum Abzug weiterer Werbungskosten hinsichtlich der von ihr erworbenen Eigentumswohnung befugt sein soll.

Es trifft nicht zu, wenn das FA meint, daß die Kläger wegen einer Bindung an ihr ursprüngliches Klagebegehren diese Aufwendungen nicht mehr in das finanzgerichtliche Verfahren hätten einführen dürfen. Der erkennende Senat läßt offen, ob hier das Klagebegehren mit dem für die mündliche Verhandlung angekündigten Klageantrag bereits festgelegt war oder ob mit dem Urteil in BFHE 135, 154, BStBl II 1982, 358, dem sich das FG angeschlossen hat, eine Erweiterung des ursprünglichen Klagebegehrens nach Ablauf der Klagefrist als unzulässig zu werten ist oder doch gemäß § 155 FGO i. V. m. § 264 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zulässig sein könnte, wie vom VI. Senat des BFH im Urteil vom 29. November 1985 VI R 13/82 (BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187) zum Fall eines Haftungsbescheids entschieden worden ist. Denn die Kläger waren jedenfalls nicht gehindert, im Rahmen ihres ursprünglichen Klagebegehrens weitere Steuerermäßigungsgründe geltend zu machen. Dies ergibt sich schon aus dem Begriff des Streitgegenstands, der nach ständiger Rechtsprechung seit dem Beschluß des Großen Senats vom 17. Juli 1967 GrS 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) nicht durch die einzelnen Besteuerungsgrundlagen, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids gebildet wird. Wenn es hiernach dem FG obliegt, von ihm im angegriffenen Steuerbescheid festgestellte Rechtsfehler zu Lasten der Kläger mit Rechtsfehlern zu deren Gunsten zu saldieren, so muß es den Klägern erst recht gestattet sein, ihr Klagebegehren auf mehrere Steuerermäßigungsgründe zu stützen. Davon ist auch das FG zutreffend ausgegangen. Aus seinem Urteil läßt sich aber, wie die Kläger mit Recht rügen, keine Begründung für die Versagung des Werbungskostenabzugs bei der Klägerin außer dem Disagio entnehmen. Denn das FG hat insoweit nur das Klagevorbringen hinsichtlich des Klägers beschieden. Aus dem FG-Urteil ergibt sich, daß dem Kläger der Werbungskostenabzug versagt wurde, weil der Nießbrauch nicht anzuerkennen sei.

Ist das FG-Urteil nicht mit Gründen versehen, wird es gemäß § 119 Nr. 6 FGO als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend angesehen. Allerdings ist in solchen Fällen die Revision nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung doch als unbegründet abzuweisen, wenn der übergangene Anspruch unbegründet oder das Angriffsmittel zur Begründung des Angriffs ungeeignet war. Denn sonst würde die Aufhebung und Zurückweisung nur zur Wiederholung des aufgehobenen Urteils führen (Urteil in BFHE 95, 529, BStBl II 1969, 492, und Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 21. Dezember 1962 I ZB 27/62, BGHZ 39, 33). Das ist hier aber nicht der Fall. Denn es läßt sich nicht ausschließen, daß die von der Klägerin im Klageverfahren nachgeschobenen Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Die Begründung des FG für die Versagung des Abzugs des Disagios als Werbungskosten reicht nicht aus, um die von der Klägerin außerdem geltend gemachten AfA, Instandhaltungskosten und weiteren Schuldzinsen nicht als Werbungskosten anzuerkennen. Es ist im Rahmen des § 119 Nr. 6 FGO unschädlich, daß es zur Entscheidung hierüber noch weiterer Feststellungen durch das FG bedarf.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415027

BFH/NV 1988, 35

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