Entscheidungsstichwort (Thema)

§ 19 GewStDV bei nur geringfügigem Umfang der Bankgeschäfte nicht anwendbar

 

Leitsatz (NV)

1. Der Verordnungsgeber darf nur im wohlverstandenen Sinne der ihm erteilten Ermächtigung handeln. Die Auslegung der Verordnung hat sich am Inhalt, Zweck und Umfang der Ermächtigung zu orientieren. Sind mehrere Auslegungen möglich, so kann nur diejenige rechtens sein, die sich in diesen Grenzen bewegt.

2. Unternehmen, die nur deshalb vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen als dem Kreditwesengesetz unterliegend angesehen werden, weil sie neben ihrem Warengeschäft in minimalem Umfang auch einige Bankgeschäfte betreiben, können nicht als Kreditinstitute i. S. von § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG angesehen werden. Sie kommen deshalb nicht in den Genuß der Vergünstigung des § 19 GewStDV.

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1 S. 1; GewStG § 35c Nr. 2 Buchst. e; GewStDV § 19

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt den Handel mit Landmaschinen, einen Groß- und Einzelhandel mit Futter, Dünger, Getreide und Bedarfsartikeln für Haus und Garten. Daneben betreibt sie in geringem Umfange auch Bankgeschäfte. Ihre Erträge erzielt die Klägerin weit überwiegend aus dem Warengeschäft. Die Erträge aus dem Bankgeschäft erreichen in keinem der Streitjahre einen Anteil von 2 v. H. Das bankmäßige Passivgeschäft betrifft die Hereinnahme von Spareinlagen. Die Kreditgewährungen sind im wesentlichen aus Warenforderungen hervorgegangen und beruhen nur zu einem geringen Teil auf ,,gemischten Bank- und Warenkrediten". Reine Bankgeschäfte sind in den vorliegenden Wirtschaftsprüfungsberichten nicht ausgewiesen. Bank- und Warengeschäft werden buchmäßig nicht getrennt. Eine Trennung ließe sich nach Angabe der Klägerin wegen der Verflechtung beider Geschäfte auch kaum durchführen.

Ein an die Klägerin gerichtetes Schreiben des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 5. Februar 1963 lautet:

,,Gemäß § 1 des Gesellschaftsvertrages vom 15. Dezember 1958 ist Gegenstand Ihres Unternehmens ,der Handel mit Getreide, Futter- und Düngemitteln, Pflanzenschutzmitteln, Landmaschinen und verwandten Artikeln sowie Bankgeschäfte`. Sie betreiben neben den nicht bankmäßigen Handelsgeschäften (Warengeschäften), wie sich aus meinen Unterlagen ergibt, insbesondere das Einlagengeschäft, das Kreditgeschäft, das Diskontgeschäft, das Effektengeschäft, das Depotgeschäft und das Girogeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 und Nr. 9 des Gesetzes über das Kreditwesen - KWG - vom 10. Juli 1961, BGBl I S. 881). Der Umfang dieser Bankgeschäfte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 KWG) erfordert einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb. Sie besitzen daher die Eigenschaft als Kreditinstitut gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG.

Als Kreditinstitut unterliegen Sie den Vorschriften des KWG und den sonstigen für Kreditinstitute geltenden Bestimmungen, wie z. B. den Konditionenanordnungen, der Mindestreservepflicht und der Anordnung über die Bildung von Sammelwertberichtigungen. Dies gilt, da auch die Risiken aus den von Ihnen betriebenen bankfremden Aktivgeschäften unmittelbar die Sicherheit von Einlagen berühren können, nicht nur für den bankgeschäftlichen Teil, sondern grundsätzlich für Ihr Unternehmen in seiner Gesamtheit."

In ihren Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre (1968 bis 1972) setzte die Klägerin Dauerschulden und Dauerschuldzinsen mit dem Betrag an, der sich bei Anwendung des § 19 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) auf ihr gesamtes Unternehmen ergibt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte die begehrte Vergünstigung in vollem Umfange. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie trägt vor:

Sie - die Klägerin - erfülle die Voraussetzungen des § 19 GewStDV mit ihrem gesamten Unternehmen, weil sie ein Kreditinstitut betreibe, das den Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) unterliege. Zu Unrecht sei das Finanzgericht (FG) von dem Wortlaut dieser Vorschrift abgewichen. In dem Urteil vom 2. August 1960 I 231/59 S (BFHE 71, 375, BStBl III 1960, 390) habe sich der Bundesfinanzhof (BFH) lediglich mit einer gemischten Genossenschaft befaßt. Eine Verallgemeinerung dieser Entscheidung sei nicht zulässig. Auch die Gewerbesteuer-Richtlinien (GewStR) wendeten das Urteil in Abschn. 50 Abs. 4 unzutreffend an.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Gewerbesteuermeßbeträge herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Er vertritt - ohne einen förmlichen Antrag zu stellen - die Auffassung, § 19 GewStDV könne nur so ausgelegt werden, daß bei den dort begünstigten Unternehmen das Bankgeschäft zumindest überwiegen müsse. Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des § 19 GewStDV und der ihm zugrunde liegenden Ermächtigungsnorm des § 35 c Nr. 2 Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) erforderten eine solche Interpretation. Der Wortlaut des § 19 GewStDV stehe ihr nicht entgegen. Auch der allgemeine verfassungsrechtliche Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) lege eine derartige Auslegung nahe. Die Gewährung oder Versagung der Vergünstigung des § 19 GewStDV müsse auf sachlich einleuchtenden Differenzierungsgründen beruhen. Es sei fraglich, ob dies noch angenommen werden könnte, wenn die Vergünstigung - entsprechend der Auffassung der Klägerin - auch Unternehmen zuteil würde, bei denen das bankfremde Geschäft überwiege. Dieses Verständnis des Begriffs Kreditinstitut sei mehrfach in der Rechtsprechung zum Ausdruck gekommen (u. a. Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 28. Oktober 1941 I 187/41, RStBl 1941, 868; BFH-Urteil vom 2. August 1960 I 231/59 S, BFHE 71, 375, BStBl III 1960, 390; noch strenger für bestimmte Arten von Kreditgenossenschaften RFH-Urteil vom 5. August 1941 I 102/41, RStBl 1941, 765, und BFH-Urteile vom 12. Januar 1960 I 168/58 U, BFHE 70, 254, BStBl III 1960, 94, und vom 2. Oktober 1963 I 15/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 49, sowie schließlich Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 20. März 1980 I 354/76, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1980, 458). Dementsprechend sei seit 1943 in den GewStR (damals Nr. 4 Abs. 4 zu § 8 GewStG; später Abschn. 50) festgelegt, daß nur Unternehmen begünstigt seien, bei denen das Kreditgeschäft überwiege. Es handle sich mithin um eine mehr als 40jährige Verwaltungspraxis.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Die Klägerin ist kein Kreditinstitut i. S. von § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG.

Gemäß § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen über die Beschränkung der Hinzurechnung von Dauerschulden bei Kreditinstituten. Diese Ermächtigungsnorm verstößt bei verfassungskonformer Auslegung - siehe unten zu b) - nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12. Oktober 1976 1 BvR 197/73, BVerfGE 42, 374, 385).

Der aufgrund § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG erlassene § 19 GewStDV in der 1968 bis 1972 geltenden Fassung erfaßt nach seinem Wortlaut nicht Kreditinstitute, sondern ,,Unternehmen, für die die Vorschriften des Gesetzes über das Kreditwesen . . . gelten" sowie andere näher bestimmte Unternehmen.

Sowohl Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG als auch Art. 3 GG verbieten es, § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG i.V.m. § 19 GewStDV auf den Geschäftsbetrieb der Klägerin anzuwenden. Auch das Schreiben des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 5. Februar 1963 rechtfertigt keine andere Beurteilung.

a) Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG können durch Gesetz die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt sein (§ 80 Abs. 1 Satz 2 GG). Der Verordnungsgeber ist an die ihm durch Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gezogenen Grenzen gebunden. Er darf nur im wohlverstandenen Sinne der ihm erteilten Ermächtigung handeln (BVerfGE 42, 374, 387). Die Auslegung der Verordnung hat sich am Inhalt, Zweck und Umfang der Ermächtigung zu orientieren. Sind mehrere Auslegungen der Verordnung möglich, so kann nur diejenige rechtens sein, die sich in diesen Grenzen bewegt.

Der Begünstigung des § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG liegt der Gedanke zugrunde, daß Kreditinstitute wirtschaftlich nur Durchlaufstellen des Geld- und Kreditverkehrs sind und daß deshalb das Passiv- und Aktivgeschäft artmäßig in etwa übereinstimmen (vgl. RFH-Urteil vom 31. Mai 1938 I 153/38, RFHE 44, 133, RStBl 1938, 787, sowie Urteil in BFHE 71, 375, BStBl III 1960, 390). Der Verordnungsgeber wollte der wirtschafts-, kredit- und währungspolitischen Funktion des Bankgewerbes angemessen Rechnung tragen und den Umstand berücksichtigen, daß bei Banken der Fremdmitteleinsatz typischerweise besonders groß ist (BVerfGE 42, 374, 385). Grundvoraussetzung für die Annahme eines ,,Kreditinstituts" i. S. des § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG muß deshalb sein, daß es sich um ein im wesentlichen am Geld- und Kreditverkehr ausgerichtetes Unternehmen handelt.

Die Berücksichtigung dieser Grundsätze erfordert eine Negativabgrenzung dahingehend, daß jedenfalls Unternehmen, die nur deshalb vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen als dem KWG unterliegend angesehen werden, weil sie neben ihrem Warengeschäft in minimalem Umfange auch einige Bankgeschäfte betreiben, nicht als Kreditinstitute i. S. von § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG angesehen werden.

§ 19 GewStDV ist an dem so verstandenen Inhalt der Ermächtigungsnorm des § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG orientiert auszulegen. Dies bedeutet, daß ein Unternehmen, mag es auch - aus welchen Gründen immer - vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen als dem KWG unterliegend angesehen werden, dann nicht in den Genuß der Vergünstigung kommen kann, wenn dieses Unternehmen kein Kreditinstitut im oben genannten Sinne darstellt.

b) Die Richtigkeit der unter a) gefundenen Abgrenzung des Begriffs Kreditinstitut folgt auch aus Art. 3 GG. Der dort verankerte Gleichheitssatz verbietet es, daß wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt (vgl. u.a. BVerfG-Urteile vom 23. Oktober 1951 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14, 52, sowie vom 21. Oktober 1980 1 BvR 179, 464/78, BVerfGE 55, 114, 128).

Der Gleichheitssatz ist durch § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG nicht verletzt. Denn sachgerechte Gründe für eine Sonderbehandlung der Kreditinstitute liegen - wie unter a) dargelegt - vor. Dies gilt indessen nur bei verfassungskonformer Auslegung des Begriffs Kreditinstitut.

Wie das BVerfG mehrfach ausgesprochen hat (vgl. u.a. Beschluß vom 12. November 1958 2 BvL 4, 26, 40/56, 1, 7/57, BVerfGE 8, 274, 324, m.w.N.), besteht eine Vermutung dafür, daß der Gesetzgeber sich innerhalb der verfassungsmäßigen Schranken halten wollte (vgl. Herzog, Bayerische Verwaltungsblätter - BayVBl - 1959, 276, m.w.N.). Bei mehreren Möglichkeiten zur Auslegung einer Rechtsnorm ist diejenige zu wählen, die zu einem dem GG gerechtwerdenden Ergebnis führt.

Die Beachtung dieser Grundsätze erfordert es, dem in § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG verwendeten Begriff des Kreditinstituts jedenfalls solche Unternehmen nicht zuzurechnen, die im wesentlichen den Warenhandel betreiben und sich nur am Rande in verhältnismäßig geringfügigem Umfang mit einigen Bankgeschäften befassen. Denn die Gewährung der in § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG vorgesehenen Vergünstigung an Betriebe dieser Art würde die reinen Handelsunternehmen in einer Weise benachteiligen, für die sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden ließe.

Angesichts der fast ausschließlichen Ausrichtung des Unternehmens der Klägerin auf das Warengeschäft ist im vorliegenden Falle nicht darüber zu befinden, wie zu entscheiden wäre, wenn die Klägerin zu einem ins Gewicht fallenden Anteil ihrer Gesamttätigkeit Bankgeschäfte betreiben würde und/oder wenn die Bankgeschäfte von den Warengeschäften trennbar wären.

c) Das FA war auch nicht gemäß § 4 KWG in Richtung auf eine eingeschränkte Hinzurechnung der Dauerschulden gebunden. Nach der genannten Vorschrift entscheidet das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Zweifelsfällen darüber, ob ein Unternehmen den Vorschriften des KWG unterliegt. Seine Entscheidungen binden die Verwaltungsbehörden.

Es kann offenbleiben, ob das Schreiben des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 5. Februar 1963 eine Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift darstellt. Auch mag auf sich beruhen, ob - wie im Falle im Urteil in BFHE 71, 375, BStBl III 1960, 390 - das Schreiben nur dahin verstanden werden kann, daß nicht das Gesamtunternehmen, sondern die ,,Bankabteilung" (eine solche unterstellt) der Klägerin zu den Kreditinstituten gehört. Denn eine von den Gerichten zu respektierende Bindungswirkung für das FA könnte von diesem Schreiben nach dem Wortlaut der Vorschrift nur insoweit ausgehen, als ausgesprochen wurde, daß die Klägerin den Vorschriften des KWG unterliegt. Damit ist indes für die Entscheidung des vorliegenden Falles deshalb für die Klägerin nichts gewonnen, weil - wie unter a) dargelegt - nicht jedes Unternehmen, das den Vorschriften des KWG unterliegt, die Vergünstigung des § 19 GewStDV erfährt. Ungeschriebenes Auslegungskriterium des § 19 GewStDV ist vielmehr zusätzlich, daß es sich um ein Unternehmen handeln muß, das nach seiner Gesamtstruktur ein Kreditinstitut i. S. von § 35 c Nr. 2 Buchst. e GewStG ist. Über diese Frage, die im vorliegenden Falle - wie oben dargestellt - zu verneinen ist, entscheidet das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen nicht mit verbindlicher Wirkung für die FÄ.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414994

BFH/NV 1987, 391

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