Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bankrecht Kreditrecht Berufsrecht Handelsrecht Gesellschaftsrecht Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Haftung aus §§ 103, 109 AO geht der Inanspruchnahme des Haftenden aus §§ 120, 330 AO sachlich-rechtlich vor.

Erläßt das Finanzamt neben einem Haftungsbescheid nach §§ 103, 109 AO während des Rechtsstreits über den Haftungsbescheid einen Bescheid nach §§ 120, 330 AO, 419 BGB, ohne den Haftungsbescheid aufzuheben, so ist ungeachtet dieses Bescheides über den Haftungsbescheid zu befinden. Ein Fall des § 68 FGO liegt nicht vor.

 

Normenkette

AO §§ 103, 109, 120, 330; BGB § 419; FGO §§ 43, 67-68, 123; ZPO § 146

 

Tatbestand

Im Laufe des Revisionsverfahrens teilte das Finanzamt (FA) mit, daß es beabsichtige, den nach §§ 103, 109 AO erlassenen Haftungsbescheid vom 28. Juli 1959, gestützt auf die §§ 68, 123 FGO, § 419 BGB und §§ 120, 330 AO, durch Erweiterung des Klagegrundes zu ändern. Anschließend erließ es unter dem 25. Juli 1966 einen zweiten Haftungsbescheid, gestützt auf § 419 BGB, §§ 120, 330 AO. Der Bescheid ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.

Die Revisionsklägerin rügt demgegenüber Verkennung des Gesetzessinnes des § 68 FGO. Da der Steuergläubiger einen und denselben Steuerbetrag nicht gegen den gleichen Staatsbürger in zwei unabhängigen, nebeneinander herlaufenden Verfahren (Bescheiden) geltend machen könne, müsse der im Streit befindliche Haftungsbescheid vom 28. Juli 1959 als durch den neuen Bescheid vom 25. Juli 1966 gegenstandslos geworden angesehen werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des Haftungsbescheides vom 28. Juli 1959.

Die Verfahrensbeteiligten stimmen darin überein, daß das FA einmal den gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 109 AO persönlich als Haftenden neben der juristischen Person (als Steuerschuldner) in Anspruch nehmen und zum anderen eine gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuerforderung im Wege der Beitreibung (des Zwangsverfahrens) nach § 419 BGB, §§ 120, 330 AO gegen denjenigen geltend machen kann, der das Vermögen des Schuldners von diesem mit Vertrag übernommen hat.

Handelt es sich bei dem nach §§ 103, 109 AO als Haftende und nach §§ 120, 330 AO als Erfüllungs- oder Duldungspflichtige in Betracht kommenden Personen - wie im Streitfalle - um eine und dieselbe Person, so hindert dies ihre Inanspruchnahme nach §§ 120, 330 AO zwar grundsätzlich nicht. Diese Vorschriften sind jedoch sachlich-rechtlich, nicht nur formalrechtlich gegenüber den Vorschriften der §§ 103, 109 AO subsidiärer Natur. Deshalb ist für die Anwendung der Vorschriften der §§ 120, 330 AO dann kein Raum, wenn die erfüllungs- oder duldungspflichtige Person zugleich als Haftende in Anspruch genommen wird oder bereits als Haftende in Anspruch genommen worden ist (§ 330 Abs. 3 AO). Es liegt in diesem speziellen Falle sachlich-rechtlich keine Gesetzeskonkurrenz vor, die es dem FA ermöglicht, seinen Anspruch kumulativ auf mehrere mögliche Rechtsgründe zu stützen.

Die vorstehenden Ausführungen gelten unbeschadet des Umstandes, daß verfahrensrechtlich auch bei Annahme des Anspruchs aus §§ 120, 330 AO, § 419 BGB als eines Steueranspruchs der Vorrangigkeit des Anspruchs aus §§ 103, 109 AO in Abweichung vom früheren Recht (siehe Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - II 198/52 U vom 28. Januar 1953, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 57 S. 209 - BFH 57, 209 -, BStBl III 1953, 82) nach heutigem Recht (§ 33 Abs. 1 Ziff. 1 FGO) keine Bedeutung mehr zukäme.

Obwohl § 123 FGO die Möglichkeit einer Klageänderung im Revisionsverfahren grundsätzlich ausschließt, bleibt § 68 FGO unberührt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird dieser auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Stellt der Kläger diesen Antrag nicht, so muß er - bei Vermeidung der Klageabweisung - beantragen, den Rechtsstreit über den angefochtenen, in seiner alten Form nicht mehr vorhandenen Verwaltungsakt für erledigt zu erklären.

Im Streitfall hat das FA mit dem Erlaß des Bescheides vom 25. Juli 1966 seinen Bescheid vom 28. Juli 1959 indes nicht durch einen neuen Bescheid im Sinn des § 68 FGO ersetzt. Den im Streit befangenen Bescheid hat es nicht aufgehoben, sich vielmehr dahin geäußert, daß es dies für nicht zulässig erachte, sondern nur neben den Haftungsbescheid ein aus dem bürgerlichen Recht abgeleitetes Leistungsgebot gesetzt habe.

Die Frage, ob und welche sachlich-rechtlichen Wirkungen der Bescheid vom 25. Juli 1966 im Streitfall äußere, konnte - und mußte in Ansehung des Bescheides vom 28. Juli 1959 - der Senat dahingestellt lassen. Verfahrensrechtlich konnte jedenfalls der dem Begriff der objektiven Klagenhäufung (§ 43 FGO) zugrunde liegende Rechtsgedanke im Streitfall ebensowenig Anwendung finden wie eine übernahme des Begriffs der Anspruchskonkurrenz (§ 146 ZPO) oder die Annahme einer Klageänderung im Sinn von § 67 FGO möglich war. Denn stellen die Begriffe der objektiven Klagenhäufung und der Anspruchskonkurrenz (im Zivilprozeß) auf die prozessuale Stellung des Klägers ab, so erhellt, daß sie auf das FA - als Beklagten - nicht angewendet werden können. Dasselbe gilt vom Begriff der Klageänderung im Sinn des § 67 FGO, dem auf der Seite des FA - unbeschadet der auch ihm eröffneten Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen (siehe Ziemer-Birkholz, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, Textziffern 40 bis 45 zu § 100) - die prozessuale Zulässigkeit der änderung des angefochtenen Verwaltungsakts nach § 68 FGO entspricht. Ein dem § 68 FGO zuzuordnender Fall lag hier indes nicht vor.

Danach war trotz dem Ergehen des Haftungsbescheides vom 25. Juli 1966 eine Entscheidung im Rechtsstreit über den Haftungsbescheid vom 28. Juli 1959 zu treffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412344

BStBl III 1967, 129

BFHE 1967, 288

BFHE 87, 288

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