Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Feststellung der Abbruchabsicht bei Grundstückserwerb - widersprüchliche Wahrunterstellung und unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung

 

Leitsatz (NV)

1. Wird ein Gebäude ein Jahr nach dem Grundstückskauf abgerissen, so kann der Erwerber die Vermutung der Abbruchabsicht durch den Beweis widerlegen, daß ihm die mangelnde Eignung des Gebäudes für seine Zwecke bei Kaufabschluß nicht bekannt gewesen sei. Das gilt selbst dann, wenn er das Grundstück erst nach dem Kauf besichtigt hat, weil er dessen Beschaffenheit aufgrund früherer Nutzung als Mieter hinreichend zu kennen glaubte.

2. Das FG darf auf eine beantragte Zeugenvernehmung nur verzichten, wenn es die Richtigkeit der durch den Zeugen zu bekundenden Tatsache vollständig zugunsten der betroffenen Partei unterstellt, der Zeuge nicht erreichbar oder die Tatsache rechtsunerheblich ist. Die Wahrunterstellung ist unvereinbar mit der Feststellung, daß das FG das Gegenteil als erwiesen ansieht.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 126 Abs. 3 Nr. 2; EStG § 7 Abs. 1 S. 4, Abs. 4 S. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 7

 

Tatbestand

Die Kläger waren im Streitjahr 1971 an einem Lebensmittelunternehmen, der X-KG beteiligt. Im Mai 1970 kauften die Kläger ein Nachbargrundstück zur Erweiterung des Betriebs der KG. Dort hatte sich schon früher eine Produktionsstätte der KG in vom früheren Eigentümer gemieteten, aber für Zwecke der KG ausgebauten und eingerichteten Betriebsräumen befunden. Zum Zeitpunkt des Kaufs standen auf dem Grundstück u. a. ein Wohnhaus (Altbau) sowie ein Lagergebäude, in dem Gummiwaren aufbewahrt wurden.

Die Auflassung des Grundstücks erfolgte im September 1970. Im Sommer 1971 wurde das Lagerhaus abgebrochen. 1975 ließen die Kläger ein weiteres Wohnhaus errichten. Der geplante Neubau des Betriebs- und Lagergebäudes ist unterblieben.

Im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte für das Streitjahr 1971 stellte sich das FA auf den Standpunkt, daß der Gebäuderestwert, die Abbruchkosten und die Planungsaufwendungen Herstellungskosten des geplanten Neubaus bildeten. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage mit dem Begehren, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung niedriger festzustellen. Sie brachten u. a. vor, beim Kauf des Grundstücks habe die Absicht bestanden, die alten Betriebsräume der KG zur teilweisen Rückverlagerung der Produktion und zur Lagerung von Rohstoffen und Fertigerzeugnissen zur Verfügung zu stellen. Eine Besichtigung des Kaufobjekts vor Abschluß des Kaufvertrages sei zunächst unterblieben, da die Räumlichkeiten den Klägern von der früheren Nutzung her bekannt gewesen seien. Erst im September 1970 habe eine Besichtigung und Bestandsaufnahme der Gebäude stattgefunden. Dabei habe sich herausgestellt, daß die jahrelange Lagerung der Gummiwaren in diesen Räumen einen derartig starken Gummigeruch erzeugt habe, daß eine Lagerung der Erzeugnisse der KG dort nicht mehr habe riskiert werden können. Daraufhin sei der Entschluß gefaßt worden, das für Zwecke der KG nicht mehr verwendbare Betriebsgebäude abzureißen und durch ein neues Gebäude mit Kühl-, Tiefkühl-, Lager- und Produktionsräumen zu ersetzen. Zum Beweis hierfür werde auf das Zeugnis des damaligen Prokuristen der KG verwiesen.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab.

Eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des damaligen Prokuristen der KG als Zeuge habe sich erübrigt, weil das Gericht den behaupteten Geschehensablauf als wahr unterstelle. Dieser sei nicht geeignet, den Beweis des ersten Anscheins für einen Erwerb in Abbruchabsicht zu entkräften. Denn die Feststellung von Gummigeruch im Lagergebäude bei Gelegenheit der Besichtigung im September 1970 sei nicht ungewöhnlich oder atypisch im Sinne der Rechtsprechung des BFH zum Anscheinsbeweis bei Gebäudeerwerb. Den Klägern sei bereits bei Abschluß des Kaufvertrages im Mai 1970 bekannt gewesen, daß das Lagergebäude während der vergangenen 15 Jahre zur Lagerung von Gummiwaren gedient hatte. Daraus habe sich aber auch ohne eine Besichtigung der Räume ergeben, daß in den Räumen ein der Produktion von Lebensmitteln abträglicher Gummigeruch vorhanden war.

Der Verzicht der Kläger auf eine Besichtigung im Zeitpunkt des Kaufabschlusses könne nur dahin verstanden werden, daß die Kläger in diesem Augenblick die behauptete Nutzungsabsicht jedenfalls aufgegeben gehabt hätten. Denn kein Kaufmann würde ein so bedeutendes und für die Produktion entscheidendes Wirtschaftsgut wie eine Fabrikationsstätte unbesehen kaufen.

Der Einwand der Kläger, eine Besichtigung des Gebäudes habe sich deshalb erübrigt, weil sie das Gebäude vor 15 Jahren genutzt und deshalb gekannt hätten, ändere nichts an dieser Beurteilung. Denn die Kläger hätten nicht davon ausgehen können, daß sich das Gebäude nach der zwischenzeitlich völlig andersartigen Nutzung in einem unveränderten Zustand befand.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Revision ist zulässig.

Zwar haben die Kläger mit der am 26. November 1980 eingelegten Revision die gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO einmonatige Frist zur Einlegung der Revision, die unstreitig am 24. November 1980 abgelaufen ist, versäumt. Jedoch ist vom Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 bis 2, § 121 FGO) zu gewähren, weil die Kläger ohne Verschulden gehindert waren, die Revisionsfrist einzuhalten. Denn es steht schon nach dem Akteninhalt fest, daß die Revisionsschrift am 20. November 1980 in Frankfurt/Main zur Post gegeben wurde. Die Verzögerung der Übermittlung an das Hessische FG über den 24. November 1980 hinaus ist offensichtlich nicht den Klägern zuzurechnen. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung rechtzeitig gestellt wurde.

Die Revision hat aus verfahrensrechtlichen Gründen Erfolg, weil das FG seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt hat.

Der Senat geht mit dem FG und den Beteiligten davon aus, daß die Kläger die Abbruchkosten und die AfaA für ein beim Erwerb technisch oder wirtschaftlich noch nicht verbrauchtes Gebäude geltend machen. Folglich kommt es nach der vom erkennenden Senat übernommenen ständigen BFH-Rechtsprechung seit dem Beschluß des Großen Senats in BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620 entscheidend darauf an, ob es sich um einen Erwerb in Abbruchabsicht handelt. Die Abbruchabsicht wird bei einem Abbruch innerhalb von drei Jahren seit dem Erwerb, wie es hier der Fall ist, vermutet. Den Beweis des ersten Anscheins für den Erwerb in Abbruchabsicht kann der Steuerpflichtige aber dadurch entkräften, daß er die ernstliche Möglichkeit darlegt, es habe im konkreten Einzelfall keine Abbruchabsicht bestanden (Urteil in BFHE 129, 53, BStBl II 1980, 69). Das FG hat von dieser Rechtsprechung ausgehend rechtsirrig die Darlegung der ernstlichen Möglichkeit für einen Erwerb ohne Abbruchabsicht durch die Kläger verneint.

Die Begründung der Vorentscheidung, schon aus der zunächst unterlassenen Besichtigung des erworbenen Grundstücks durch die Kläger ergebe sich zwingend deren Abbruchabsicht, hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die Kläger haben ihr an sich ungewöhnliches Verhalten damit erläutert, daß sie geglaubt hätten, die Gebäudebeschaffenheit aufgrund ihrer ursprünglichen Nutzung des Grundstücks als Mieter genügend zu kennen. Die Kläger haben dadurch einen atypischen Geschehensablauf hinreichend dargelegt.

Soweit das FG ferner aus der fünfzehnjährigen Zwischennutzung der Lagerhalle zur Aufbewahrung von Gummiwaren folgert, daß den Klägern beim Abschluß des Kaufvertrags die mangelnde Eignung des Gebäudes für ihre Zwecke bekannt gewesen sein müsse, ist es hierzu verfahrensfehlerhaft gelangt. Denn diese Folgerung widerspricht der vom FG als ,,wahr" unterstellten Behauptung der Kläger, sie hätten die Mängel des Gebäudes erst im September 1970 bemerkt. Damit hat das FG die behauptete Tatsache nicht, wie geboten, wirklich als wahr behandelt, sondern im Grunde das Gegenteil bereits als erwiesen angesehen. Hierin liegt zugleich eine unzulässige Vorwegnahme des von den Klägern angebotenen Beweises für ihre Sachverhaltsdarstellung. Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es ist dabei zwar an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden, darf aber auf die Vernehmung eines von einem Beteiligten benannten Zeugen nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig nur verzichten, wenn es die Richtigkeit der durch den Zeugen zu bekundenden Tatsache - vollständig - zugunsten der betroffenen Partei unterstellt, der Zeuge nicht erreichbar oder die Tatsache rechtsunerheblich ist (vgl. BFH-Urteile vom 29. Mai 1974 I R 167/71, BFHE 112, 455, BStBl II 1974, 612, und vom 11.Januar 1977 VII R 4/74, BFHE 121, 152, BStBl II 1977, 310 m.w.N.). Auch letzteres ist hier nicht der Fall, weil sich nicht ausschließen läßt, daß das FG nach der Anhörung des Zeugen zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der Bundesgerichtshof hat es im Urteil vom 17. Februar 1970 III ZR 139/67 (BGHZ 53, 245, 260) unter anderem als gefestigte Rechtsprechung bezeichnet: ,,Verboten ist es . . ., einen Beweisantrag deshalb abzulehnen, weil das Gericht das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits als erwiesen ansieht; denn die Erfahrung lehrt, daß oft ein einziger Zeuge oder ein einziges sonstiges Beweismittel eine gewonnene Überzeugung völlig erschüttern kann; eine Ablehnung mit dieser Begründung wäre eine verbotene vorweggenommene Würdigung eines nicht erhobenen Beweises. Eine Wahrunterstellung befreit aber nur dann von einer Beweiserhebung, wenn das Gericht wirklich die behauptete Tatsache als wahr behandelt und sich damit nicht in Widerspruch setzt." Im vorliegenden Fall kommt noch folgendes Bedenken hinzu. Selbst wenn es, wie das FG meint, einen Erfahrungssatz des Inhalts gäbe, daß Räume, in denen 15 Jahre Gummiwaren aufbewahrt wurden, für ein Lebensmittelunternehmen völlig unbrauchbar sind, wäre ein solcher Erfahrungssatz jedenfalls nicht allgemeinkundig. Die im Urteil in BGHZ 53, 245, 260 enthaltene Einschränkung des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung für den Beweis von Hilfstatsachen kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil es hier um den Beweis der Kernfrage des atypischen Geschehensablaufs geht.

Ob in der Unterlassung der Beweisaufnahme und Vorwegnahme der Beweiswürdigung auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt, bedarf keiner Entscheidung.

Der Senat vermag nicht durchzuerkennen, da ihm als Revisionsgericht grundsätzlich eigene Tatsachenfeststellungen verwehrt sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Sache geht daher an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414032

BFH/NV 1986, 217

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