Leitsatz (amtlich)

Von einer gemäß § 60 Abs. 3 FGO notwendigen Beiladung kann ausnahmsweise nur dann abgesehen werden, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist.

 

Normenkette

FGO § 60 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Kommanditist einer GmbH & Co. KG. Zugleich war er Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Neben ihm waren an der KG weitere Gesellschafter als Kommanditisten beteiligt. Über das Vermögen der KG wurde das Konkursverfahren eröffnet, aber mangels Masse wieder eingestellt. Die Gesellschaft wurde aufgelöst und am 15. Juli 1971 im Handelsregister gelöscht.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte den Gewinn der KG für die Jahre 1969 bis 1971, da die KG noch keine Steuererklärungen abgegeben hatte, auf null DM. Nach Einstellung des Konkursverfahrens und Löschung der KG im Handelsregister übersandte das FA die Feststellungsbescheide 1969 bis 1971 an sämtliche ehemaligen Gesellschafter der KG. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Das FA wies den Einspruch - ohne die übrigen früheren Gesellschafter zum Verfahren zugezogen zu haben - mit Einspruchsentscheidung vom 17. November 1972 als unbegründet zurück, da der Kläger weder Steuererklärungen für die KG vorgelegt noch seinen Einspruch begründet hatte. Die Einspruchsentscheidung ist "in der Gewinnfeststellungssache für die Jahre 1969 bis 1971 des ehemaligen Geschäftsführers der Komplementärin und Kommanditisten der früheren Firma ... GmbH & Co. KG. Herrn ..." ergangen.

Mit Schreiben vom 6. Dezember 1972 teilte der Kläger dem FA u. a. mit, er habe die Einspruchsentscheidung erhalten. Weiter führte er aus, er habe seinen Einspruch auf Anregung des Präsidenten des Gerichts in einer Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) zurückgenommen. Gleichzeitig bat er um Erlaß wegen Vermögensverfalls aus Billigkeitsgründen.

Am 24. Mai 1974 reichte der Kläger beim FA für die KG die Steuererklärungen für 1969 sowie eine Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung ein, in welchen er einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1 300 673 DM auswies. Nachdem das FA es abgelehnt hatte, auf der Grundlage der nachgereichten Steuererklärungen einen geänderten Feststellungsbescheid für 1969 zu erlassen, da der Feststellungsbescheid unanfechtbar geworden sei, erhob der Kläger am 24. Mai 1976 Klage beim FG.

Das FG wies die Klage, da verspätet, als unzulässig ab.

Es führte aus: Der Auffassung des Klägers, die Einspruchsentscheidung sei wirkungslos geblieben, da nicht alle am Verfahren beteiligten ehemaligen Gesellschafter gemäß § 241 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) zum Verfahren zugezogen worden seien, könne nicht gefolgt werden. Dieser Mangel habe die Einspruchsentscheidung nicht unwirksam, sondern nur anfechtbar gemacht. Die Einspruchsentscheidung sei, da der Kläger nicht rechtzeitig Klage erhoben habe, ihm gegenüber wirksam geworden. Die Unterlassung der Zuziehung im Einspruchsverfahren sei schon deshalb kein schwerwiegender, die Nichtigkeit bewirkender Fehler, weil der Verstoß gegen § 241 Abs. 3 AO bei rechtzeitiger Klageerhebung im Klageverfahren heilbar gewesen wäre. - Die Einspruchsentscheidung sei auch nicht wegen mangelhafter Adressierung oder Bekanntgabe unwirksam. Es sei ihr mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit zu entnehmen, welchen Gegenstand sie betreffe und gegen welche Person sie sich richte. - Wäre im übrigen die Einspruchsentscheidung unwirksam gewesen, so stelle sich die Frage, ob der Kläger mit Schreiben vom 6. Dezember 1972 seinen Einspruch wirksam zurückgenommen habe.

Das FG hat ausdrücklich von der Beiladung der nicht durch Klage am Verfahren beteiligten Gesellschafter abgesehen, da die Klage unzulässig sei und mithin eine Entscheidung zur Sache, durch die Dritte betroffen würden, nicht ergehen könne.

Mit der Revision rügt der Kläger als Verfahrensmangel in erster Linie, daß die klagebefugten früheren Gesellschafter der KG nicht zum Verfahren beigeladen worden sind (Verstoß gegen § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Er beantragt (sinngemäß), das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und in der einheitlichen Gewinnfeststellung der KG einen Verlust von 1 300 673 DM einheitlich und für die ehemaligen Gesellschafter gesondert festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das FG hätte die früheren Gesellschafter der KG gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Klageverfahren beiladen müssen.

1. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das FG die KG nicht mehr bestanden hat, war jeder Gesellschafter der KG klagebefugt. Die Beschränkungen des § 48 FGO, die eine Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO entbehrlich gemacht hätten, waren entfallen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Juli 1967 IV 191/63, BFHE 90, 87, BStBl III 1967, 790).

2. Die Beiladung durfte auch nicht deshalb unterbleiben, weil das FG die Klage für unzulässig gehalten hat.

a) Kommt eine Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO in Betracht, so handelt das FG nicht ermessensfehlerhaft, wenn es den Antrag auf Beiladung ablehnt, weil die Klage, zu der beigeladen werden soll, unzulässig ist (BFH-Beschluß vom 21. November 1969 III B 32/69, BFHE 97, 290, BStBl II 1970, 98). Ob auch von einer Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO bei voraussichtlicher Abweisung der Klage als unzulässig abgesehen werden kann, hat der BFH bisher noch nicht allgemein entschieden. Der IV. Senat des BFH hat im Urteil vom 20. Januar 1977 IV R 3/75 (BFHE 122, 2, BStBl II 1977, 509) lediglich für den Fall, daß eine Klage mangels Bezeichnung des Streitgegenstandes (§ 65 Abs. 1 FGO) unzulässig ist, die Beiladung nicht für erforderlich gehalten. Soweit derselbe Senat eine notwendige Beiladung dann verneint hat, wenn ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unzulässig ist (BFH-Beschluß vom 25. April 1977 IV S 3/77, BFHE 122, 18, BStBl II 1977, 612), ist seine Entscheidung durch den BFH-Beschluß vom 10. August 1978 IV B 41/77 (BFHE 125, 356, BStBl II 1978, 584) überholt. Dort hat der IV. Senat des BFH ausgeführt, daß im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Beiladung schon deshalb unterbleiben kann, weil das Verfahren nicht mit einer in materielle Rechtskraft erwachsenden Entscheidung endet. Im Schrifttum wird eine notwendige Beiladung zum Teil auch bei unzulässiger Klage für erforderlich gehalten (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 60 Anm. 18; wohl auch v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Rdnr. 6).

b) Eine Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO kann nur dann unterbleiben, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist.

Anders als bei einer Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO (einfache Beiladung) steht die Beiladung § 60 Abs. 3 FGO nicht im Ermessen des FG. Für Zweckmäßigkeitserwägungen, die einen Ermessensspielraum des FG voraussetzen, ist bei einer Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO kein Raum. Die Beiladung soll sicherstellen, daß streitige Rechtsverhältnisse einheitlich, d. h. mit Wirkung für und gegen alle Beteiligte geordnet und widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden. Dieses Ziel einer einheitlichen Sachentscheidung wird allerdings nicht erreicht, wenn die Klage unzulässig ist. Wird eine Klage durch Prozeßurteil abgewiesen, so wird über das streitige Rechtsverhältnis nicht entschieden. Beruht die Abweisung der Klage etwa darauf, daß die Klage verspätet eingelegt wurde, so wird durch Prozeßurteil lediglich festgestellt, daß die Verwaltungsentscheidung nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist dem Kläger gegenüber unanfechtbar geworden ist (BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 I R 127, 154/70, BFHE 103, 36, BStBl II 1971, 805). Diese Feststellung schneidet Dritten nicht das Recht ab, selbst Klage zu erheben, wenn dies nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften statthaft und die Klage noch zulässig ist. Würde indessen im Hinblick auf die Unzulässigkeit der Klage von einer Beiladung allgemein abgesehen, so würde den nicht beigeladenen Personen das Recht entzogen, ihrerseits mit Erfolg die Zulässigkeit der Klage geltend zu machen und ein Urteil in der Sache zu erstreiten. Dieser Gesichtspunkt fällt nur dann ausnahmsweise nicht ins Gewicht, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist. In einem solchen Fall wäre es ein überflüssiger, weil durch den Zweck der notwendigen Beiladung nicht gerechtfertigter Formalismus, Dritte zum Verfahren hinzuzuziehen, dadurch das Verfahren zu erschweren und die Beigeladenen möglicherweise zu unnötigen Aufwendungen zu veranlassen.

c) Im Streitfall ist die Klage nicht offensichtlich unzulässig.

Offensichtlich unzulässig ist eine Klage etwa dann, wenn entgegen § 65 Abs. 1 FGO der Streitgegenstand nicht bezeichnet worden ist (BFH-Urteil IV R 3/75). Die Klage wäre auch dann offensichtlich unzulässig, wenn zwischen der (ordnungsgemäßen) Zustellung der Verwaltungsentscheidung und der Klageerhebung ein so langer Zeitraum liegt, daß auch die Möglichkeit, die Klage könne durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zulässig werden, wegen Ablaufs der Frist des § 56 Abs. 3 FGO nicht mehr besteht. Im Streitfall liegen die Dinge jedoch anders. Die Zulässigkeit der Klage hängt hier möglicherweise davon ab, ob die Einspruchsentscheidung die Klagefrist in Lauf gesetzt hat, obwohl die übrigen Gesellschafter nicht zum Einspruchsverfahren zugezogen worden waren und die Einspruchsentscheidung (nach Meinung des Klägers) unrichtig bezeichnet war. Auch die Annahme, der Kläger habe in seinem Schreiben vom 6. Dezember 1972 seinen Einspruch zurückgenommen, liegt nicht so eindeutig auf der Hand, daß den übrigen Gesellschaftern der früheren KG keine Gelegenheit mehr gegeben zu werden bräuchte, hierzu Stellung zu nehmen. Anlaß zur Beiladung der übrigen (früheren) Gesellschafter der KG besteht um so mehr, als die Wirksamkeit der Einspruchsentscheidung gerade von Umständen abhängt, die mit den Rechten der Beigeladenen im Einspruchsverfahren (Anspruch auf Zuziehung) eng zusammenhängen.

3. Da die Beizuladenden bisher keine Gelegenheit hatten, sich zum Verfahren zu äußern, ist dem erkennenden Senat eine abschließende Stellungnahme zur Zulässigkeit der Klage verwehrt. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache geht - da nicht spruchreif - an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 73209

BStBl II 1979, 632

BFHE 1979, 142

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