Leitsatz (amtlich)

Gibt eine inländische GmbH ihrer inländischen Schwestergesellschaft ein Darlehen, kann seitens der die beiden Gesellschaften beherrschenden amerikanischen Muttergesellschaft die Reinvestition erhaltener Dividenden in Gestalt der mittelbaren Zuführung von Geld vorliegen.

 

Normenkette

DBA USA Art. 6

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) -- eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in den USA -- war im Jahre 1972 jeweils zu mehr als 50 v. H. an zwei inländischen Kapitalgesellschaften -- der B-GmbH und der C-GmbH -- beteiligt.

Im Jahre 1972 schüttete die B-GmbH an die Klägerin eine Dividende von 424 242,40 DM aus. Davon wurden Kapitalertragsteuer mit 25. v. H. sowie Ergänzungsabgabe mit 3 v. H. der Kapitalertragsteuer (insgesamt 109 242,42 DM) einbehalten und abgeführt. Den Netto-Betrag der Ausschüttung von 315 000 DM verwandte die Klägerin noch im selben Jahr zur Kapitalerhöhung bei der B-GmbH. Für den Unterschiedsbetrag in Höhe von 109 242,42 DM beantragte die Klägerin gemäß Art. VI Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und einiger anderer Steuern vom 22. Juli 1954 i. d. F. des Protokolls vom 17. September 1965 -- DBA-USA -- (BGBl II 1966, 746, BStBl I 1966, 865) die Erstattung der abgeführten Kapitalertragsteuer in Höhe von 10 v. H. Der Beklagte und Revisionskläger (das Bundesamt für Finanzen) erstattete der Klägerin daraufhin antragsgemäß 10 924,24 DM.

Im Jahre 1972 hatte die B-GmbH von der C-GmbH ein Darlehen von 1 Mio. DM erhalten. Von diesem Sachverhalt erhielt das Bundesamt für Finanzen erst nach der Erstattung Kenntnis. Es wertete diesen Sachverhalt als Reinvestition der ausgeschütteten Dividenden durch die Klägerin in Gestalt einer mittelbaren Zuführung und forderte die erstatteten Beträge zurück. Gegen den Rückforderungsbescheid erhob die Klägerin Sprungklage mit dem Begehren, den Rückforderungsbetrag auf 3 500 DM zu ermäßigen. Die Rückforderung sei nur insoweit gerechtfertigt, als die Klägerin der B-GmbH im Jahre 1973 zusätzlich zu den bereits im Jahre 1972 zugeführten 315 000 DM weitere 35 000 DM zum Zwecke der Kapitalerhöhung gegeben habe. Von der ausgeschütteten Dividende von 424 242,40 DM seien demnach insgesamt 350 000 DM reinvestiert worden, so daß 74 242,40 DM nicht reinvestiert und damit begünstigt seien. Das Darlehen der C-GmbH an die B-GmbH erfülle nicht den Reinvestitionstatbestand.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte unter Abänderung des Rückforderungsbescheides den Nachzahlungsbetrag auf 3 500 DM fest. Das von der C-GmbH der B-GmbH im Jahre 1972 gewährte Darlehen von 1 Mio. DM sei keine Reinvestition im Sinne des Art. Vl Abs. 5 DBA-USA, so daß insoweit keine Nachzahlungspflicht gemäß Art. Vl Abs. 6 DBA-USA bestehe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich das Bundesamt für Finanzen mit der vom FG zugelassenen Revision. Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts.

Das Bundesamt für Finanzen beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Der Reinvestitionstatbestand ist entgegen der Auffassung des FG im Streitfall verwirklicht worden.

1. Nach Art. Vl Abs. 2 DBA-USA darf die Steuer der Bundesrepublik Deutschland von Dividenden, die eine Person mit Wohnsitz in den Vereinigten Staaten, eine amerikanische Körperschaft oder ein anderer amerikanischer Rechtsträger von einer deutschen Gesellschaft bezieht, grundsätzlich 15 v. H. des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen. Der Begriff Dividenden umfaßt auch Ausschüttungen auf Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Art. Vl Abs. 8 DBA-USA). Solange der deutsche Körperschaftsteuersatz für ausgeschüttete Gewinne mindestens 20 Punkte niedriger ist als der Körperschaftsteuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne, beträgt der Steuersatz für den Teil der Dividenden, der als reinvestiert gilt, 25 v. H.; Voraussetzung ist, daß der amerikanischen Körperschaft mindestens 10 v. H. der stimmberechtigten Anteile der inländischen Gesellschaft gehören (Art. Vl Abs. 3 DBA-USA). Eine Reinvestition ist gegeben, wenn die amerikanische Körperschaft der deutschen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar Geld oder andere Vermögenswerte als Darlehen oder zur Erhöhung des Gesellschaftskapitals oder in einer anderen Anlageform zuführt (Art. Vl Abs. 5 DBA-USA). Die Zuführungen eines Jahres sind relevant, wenn sie 7,5 v. H. der Dividendenbezüge eines Jahres übersteigen (Bagatellgrenze). Ist das der Fall, gelten die Zuführungen als aus den Dividenden reinvestiert, die die amerikanische Körperschaft von der deutschen Gesellschaft

a) in dem der Zuführung vorausgehenden Kalenderjahr,

b) im Kalenderjahr der Zuführung und

c) im folgenden Kalenderjahr,

und zwar in dieser Reihenfolge bezieht (Art. Vl Abs. 5 DBA-USA).

In der Entscheidung vom 15. Oktober 1975 I R 186/73 (BFHE 117, 450, BStBl II 1976, 241) hat sich der erkennende Senat mit dem vom Abkommen verwendeten Begriff der Reinvestition befaßt. Dieser ist weder im Abkommen näher umschrieben noch läßt er sich dem Zusammenhang der Abkommensvorschriften entnehmen. Da es auch sonst einen allgemein gültigen Rechtsbegriff der Investition und Reinvestition nicht gibt, hat der Senat auf den wirtschaftlichen Begriff der Investition zurückgegriffen. Danach ist nicht jede Überlassung von Geld oder anderen Vermögenswerten an die deutsche Gesellschaft eine Investition oder Reinvestition, desgleichen nicht der Verkauf oder die Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern zu einem angemessenen Entgelt, sondern nur die Überlassung von Geld oder anderen Vermögenswerten in einer "Anlageform". Als Beispiel ist im Abkommen hervorgehoben die Überlassung von Geld oder anderen Vermögenswerten als Darlehen oder zur Erhöhung des Gesellschaftskapitals. Da bei einer Investition oder Reinvestition die Anlage von Geld oder anderen Vermögenswerten nicht in dem eigenen, sondern in einem anderen Unternehmen -- hier dem der deutschen Gesellschaft -- in Rede steht, betrifft Art. Vl Abs. 5 DBA-USA nur den Fall, daß die amerikanische Körperschaft für ihr eigenes Unternehmen "Finanzanlagen" schafft oder verstärkt. Unter Finanzanlagen werden Beteiligungen, Wertpapiere des Anlagevermögens, langfristige Ausleihungen verstanden (vgl. § 151 Abs. 1 Aktivseite II B des Aktiengesetzes -- AktG --).

2. Was unter einer "unmittelbaren" oder "mittelbaren" Reinvestition zu verstehen ist, ist dem Abkommen ebenfalls nicht zu entnehmen. Der einfachste Fall ist die unmittelbare Reinvestition. Die Zuführung vollzieht sich ausschließlich zwischen der amerikanischen Körperschaft und der deutschen Tochtergesellschaft, mögen dabei die Dienste dritter Personen bei der Überweisung (Zuführung) der Mittel in Anspruch genommen werden. Eine Zuführung ist bei unbefangener Betrachtung mittelbar, wenn ein Dritter zwischengeschaltet wird, der für Rechnung der amerikanischen Gesellschaft handelt. Nach den koordinierten Erlassen der Finanzminister der Länder (BStBl II 1966, 143) soll eine mittelbare Zuführung immer dann gegeben sein, wenn die amerikanische Körperschaft den Dritten beherrscht. Ein Beherrschungsverhältnis wird nach diesen Erlassen in der Regel angenommen, wenn dem herrschenden Unternehmen mehr als 50 v. H. der stimmberechtigten Anteile an dem beherrschten Unternehmen gehören oder wenn das herrschende Unternehmen aus anderen Gründen auf die Geschäftsführung des beherrschten Unternehmens Einfluß nehmen kann. Es wird hervorgehoben, die Zuführung sei in einem solchen Fall der amerikanischen Körperschaft schon deshalb zuzurechnen, weil es durch das Beherrschungsverhältnis in ihrem Belieben stehe, ob sie selbst oder der Dritte die Zuführung bewirke.

Ob Zuführungen, die unmittelbar zwischen zwei Schwestergesellschaften stattfinden, zu einer mittelbaren Reinvestition der gemeinsamen Muttergesellschaft bei der empfangenden Tochtergesellschaft führen, läßt sich nur durch Auslegung ermitteln. Es kann nicht unbeachtet bleiben, daß Kapitaltransaktionen zwischen Schwestergesellschaften vielfach nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse der unmittelbar handelnden Gesellschaften, sondern im übergeordneten Interesse des Konzerns oder der sie beherrschenden gemeinsamen Muttergesellschaft vor sich gehen. Die Muttergesellschaft hat die Macht, den Kapitalfluß zwischen den von ihr beherrschten Tochtergesellschaften zu steuern und ggf. die Höhe ihrer Gewinne zu beeinflussen. So kann z. B. die Muttergesellschaft veranlassen, daß die eine Tochtergesellschaft auf längere Dauer ihre Erzeugnisse unter dem üblichen Marktpreis an eine andere Tochtergesellschaft abgibt. Dadurch erfährt die begünstigte Tochtergesellschaft eine Kapitalverstärkung, die wiederum zu einer Stärkung der Beteiligung der Muttergesellschaft an dieser Tochtergesellschaft, verbunden mit einer höheren Gewinnerwartung, führt. Eine mögliche kapital- oder gewinnmäßige Einengung der durch diese Transaktion belasteten Tochtergesellschaft wird von der Muttergesellschaft aus besonderen wirtschaftlichen Gründen hingenommen.

Im Falle von Darlehensgewährungen hat es die Muttergesellschaft bei Beherrschungsverhältnissen in der Hand, das Darlehen aus ihren eigenen Finanzmitteln der Tochtergesellschaft zu geben oder eine andere Tochtergesellschaft zur Darlehenshingabe an die Schwestergesellschaft anzuweisen. Zumindest wird eine konzernangehörige Tochtergesellschaft keine größere Transaktion gegen den Willen ihrer Muttergesellschaft vornehmen. Die beherrschten Tochtergesellschaften sind in den Finanzkreis des Konzerns eingebunden. Insofern bildet der Konzern eine wirtschaftliche Einheit. Gewährt eine konzernangehörige Gesellschaft ihrer Schwestergesellschaft ein Darlehen in Anlageform, werden die Finanzmittel des Konzerns (Muttergesellschaft) in Höhe des Darlehens für längere Zeit in einer bestimmten Weise gebunden. Die Muttergesellschaft kann nicht mehr in beliebiger Weise darüber verfügen. Der Senat ist daher der Auffassung, daß bei einem Beherrschungsverhältnis die Mittelzuführung der einen Tochtergesellschaft an ihre konzernangehörige Schwestergesellschaft zugleich eine Mittelzuführung durch die Muttergesellschaft darstellt (Debatin, Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1966, 413). Mit der Erfassung auch der mittelbaren Zuführung in den Reinvestitionstatbestand ist von den vertragschließenden Staaten das Ziel verfolgt worden, Steuerumgehungen durch Vorschieben Dritter, insbesondere abhängiger Gesellschaften, entgegenzuwirken. Das gebietet es, in Fällen, in denen der Leistende von der amerikanischen Körperschaft beherrscht wird, die Zuführung dieser zuzurechnen (Debatin/Walter, Handbuch zum deutsch-amerikanischen Doppelbesteuerungsabkommen, B Vl, Rdnr. 193). Der Senat sieht somit in der in den koordinierten Ländererlassen vertretenen Auffassung eine zutreffende Auslegung der hier maßgeblichen Abkommensvorschrift.

3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Entgegen seiner Auffassung ist die Dividende, die die Klägerin von der B-GmbH im Jahre 1972 in Höhe des gesamten noch offenen Betrags von 109 242,24 DM bezogen hat, als reinvestiert anzusehen. Der Steuersatz für diesen Betrag beträgt 25 v. H. Da das Bundesamt für Finanzen in Unkenntnis der Reinvestition der Klägerin 10 v. H. der Dividende erstattet hat, war es nach Art. Vl Abs. 6 DBA-USA befugt, von der Klägerin 10 v. H. von 109 242,24 DM zurückzufordern. Die Vorentscheidung ist nach alledem aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 74632

BStBl II 1983, 446

BFHE 1983, 78

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