Entscheidungsstichwort (Thema)

Anschlußprüfung bei Großbetrieben ohne Dreijahresbegrenzung

 

Leitsatz (NV)

Ermessensentscheidungen der Finanzverwaltung (so die Anordnung einer Außenprüfung) sind nach § 102 FGO von den Gerichten nur auf die Ausübung fehlerfreien Ermessens zu überprüfen. Bei dieser Überprüfung sind Verwaltungsanweisungen, die - wie die BpO(St) - eine Selbstbindung der Verwaltung bei Ausübung des Ermessens herbeiführen, zu beachten. Eine Auslegung der Verwaltungsanweisungen nach den für die Auslegung von Gesetzen maßgeblichen Kriterien ist den Gerichten allerdings verwehrt (Anschluß an BFH-Urteile vom 23. Juli 1991 VIII R 61/87, BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752 und vom 5. September 1989 VII R 39/87, BFHE 158, 182).

Bei Einordnung als Großbetrieb ist das FA nach § 4 Abs. 2 BpO(St) gehalten, eine Anschlußprüfung anzuordnen. Im Gegensatz zu Mittelbetrieben ist bei Großbetrieben der zeitliche Umfang der Außenprüfung nicht auf die letzten drei Besteuerungszeiträume beschränkt. Demgemäß bedarf die Anordnung der Außenprüfung für vier Besteuerungszeiträume keiner besonderen Begründung (vgl. BFH in BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784 m.w.N.).

 

Normenkette

FGO § 102; AO 1977 § 193 Abs. 1; BpO (St) § 4 Abs. 2; BpO (St) § 32 Abs. 4

 

Tatbestand

Der Gewerbebetrieb der Klägerin war als Großbetrieb eingestuft und wurde deshalb seit 1980 (für die Jahre ab 1975) lückenlos geprüft. Von Juli bis Oktober 1987 fand eine Außenprüfung für den Zeitraum 1982 bis 1984 statt. Die Steuererklärungen für 1985 lagen bei Erlaß der entsprechenden Prüfungsanordnung vom 3. April 1987 vor. Die vor Beginn der Außenprüfung eingereichte Bilanz zum 31. März 1986, die Erklärung zur gesonderten Festsellung des Gewinns 1986 und die Umsatzsteuererklärung 1986 blieben ebenso wie die Steuererklärungen für 1985 bei der Außenprüfung unberücksichtigt.

Am 18. Mai 1990 ordnete das Finanzamt (- FA -) gemäß § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) erneut eine Außenprüfung bei der Klägerin an, welche die gesonderte Feststellung des Gewinns 1985 bis 1988, die Einheitswerte des Betriebsvermögens zu den Stichtagen 1. Januar 1986 bis 1. Januar 1989 und die Gewerbe- sowie die Umsatzsteuer 1985 bis 1988 umfassen sollte. Die Klägerin legte dagegen Beschwerde ein. Die Prüfungsanordnung wurde mit Prüfungsanordnung vom 14. September 1990 dahin geändert, daß die Einkommensteuer, Gewerbe- und Umsatzsteuer 1985 bis 1988 und die Einheitswerte des Betriebsvermögens zu den Stichtagen 1. Januar 1986 bis 1. Januar 1989 betroffen sein sollten. Die dagegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, nach § 193 Abs. 1 AO 1977 sei eine Außenprüfung ohne weiteres zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen Betrieb unterhielten. Diese Voraussetzung erfülle die Klägerin. Der Gewerbebetrieb der Klägerin sei für den XIII.Prüfungsturnus, der am 1. Januar 1989 begonnen habe, zu Recht als Großbetrieb eingestuft worden. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - werde die Einstufung nach den Ergebnissen der letztvorausgegangenen Veranlagung vorgenommen. Diese habe bei der Klägerin für das Jahr 1986 mit Einkommensteuerbescheid vom 21. November 1988 stattgefunden und weise einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 279073 DM aus. Das FA habe sein Prüfungsrecht für die Jahre 1985 und 1986 nicht verwirkt. Die vorausgehende Außenprüfung sei ebenfalls eine Anschlußprüfung gewesen und habe sich über drei Jahre erstreckt. Das sei üblich. Das FA habe zu keiner Zeit zu erkennen gegeben, daß es die Jahre 1985 und 1986 nicht mehr einer Außenprüfung unterziehen wolle.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 193 Abs. 1 AO 1977. Sie macht im wesentlichen geltend, durch die am 1. Juli 1987 ergangene Prüfungsanordnung für die Kalenderjahre 1982 bis 1984 sei der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs gemäß § 2 Abs. 3 BpO(St) nicht beachtet worden; denn für diesen Zeitpunkt hätten die Steuererklärungen für 1985 und 1986 bereits vorgelegen. Nach Abschluß der Außenprüfungen für die Kalenderjahre 1982 bis 1984 sei eine Änderung vom Großbetrieb zum Mittelbetrieb eingetreten. Es erscheine willkürlich, drei Jahre nach Ergehen der Prüfungsanordnung für 1982 bis 1984, für die Jahre 1985 bis 1988 eine Anschlußprüfung anzuordnen, nachdem die Möglichkeit bestanden habe, die ersten beiden Jahre bereits 1987 zu prüfen. Ab 1988 sei eine grundsätzlich automatische Anschlußprüfung nach den bisherigen Gepflogenheiten nicht vorgesehen. Es handele sich hierbei um eine nicht turnusmäßige Prüfung, die nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) einer Begründung bedürfe, daß diese Prüfung aus betrieblichen Gründen erforderlich sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zu Recht hat das FG die Klage abgewiesen. Die Prüfungsanordnung vom 14. September 1990, die die Prüfungsanordnung vom 18. Mai 1990 ersetzte, ist ermessensfehlerfrei ergangen.

Nach § 193 Abs. 1 AO 1977 ist eine Außenprüfung zulässig bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen oder landwirtschaftlichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind. Die Außenprüfung kann eine oder mehrere Steuerarten, einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen oder auch auf bestimmte Sachverhalte beschränkt werden (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Den Umfang der Außenprüfung bestimmt die Finanzbehörde in einer schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung (§ 196 AO 1977). Sowohl die Bestimmung des Steuerpflichtigen wie auch des sachlichen und zeitlichen Umfangs einer Außenprüfung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde (vgl. BFH-Urteile vom 2. Oktober 1991 X R 89/89, BFHE 166, 105, BStBl II 1992, 220, und vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, jeweils m.w.N.). Für die Ausübung des Ermessens hat die Finanzverwaltung die ihr durch die BpO(St) vom 17. Dezember 1987 gesetzten Grenzen zu beachten (vgl. BFH-Urteile vom 2. September 1988 III R 280/84, BFHE 154, 425, BStBl II 1989, 4; vom 10. April 1990 VIII R 415/83, BFHE 160, 409, BStBl II 1990, 721, 723 und in BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, jeweils m.w.N.).

Nach § 3 BpO(St) werden die Steuerpflichtigen, die der Betriebsprüfung unterliegen, in die Größenklassen Großbetrieb, Mittelbetrieb, Kleinbetrieb und Kleinstbetrieb eingeordnet. Der Stichtag, der maßgebende Besteuerungszeitraum und die Merkmale für diese Einordnung werden jeweils von den obersten Finanzbehörden der Länder in Benehmen mit dem Bundesminister der Finanzen (BMF) festgelegt. Die Abgrenzungsmerkmale für den XIII.Prüfungsturnus (ab 1. Januar 1989) sind im BMF-Schreiben vom 29. August 1988 IV A 7 - S 1459 - 30/88 (BStBl I 1988, 370) niedergelegt. Über die Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe haben die Betriebsprüfungsstellen eine sog. Betriebskartei zu führen. Für die Erfassung in ihr ist jeweils die auf einen bestimmten Stichtag festgestellte Größenklasse des Betriebs - in der Regel für die Dauer von drei Jahren - maßgebend. Die Betriebe werden nach den Ergebnissen der Veranlagung, hilfsweise nach den Angaben in den Steuererklärungen in die Größenklassen eingeordnet. Fehler, die bei der Einordnung der Betriebe unterlaufen, können jederzeit berichtigt werden. Änderungen der die Größenklasse bestimmenden Betriebsmerkmale bleiben bis zur nächsten Einordnung in Größenklassen unberücksichtigt (§ 32 Abs. 1, 4 und 5 BpO(St). Nach § 4 Abs. 2 BpO(St) soll bei Großbetrieben der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen. Bei anderen Betrieben soll er nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume, für die bis zur Unterzeichnung der Prüfungsanordnung Steuererklärungen für die Ertragsteuern abgegeben wurden, zurückreichen (§ 4 Abs. 3 BpO(St). Für die Entscheidung, ob ein Unternehmen nach § 4 Abs. 2 BpO(St) oder § 4 Abs. 3 BpO(St) geprüft wird, ist grundsätzlich die Größenklasse maßgebend, in die das Unternehmen im Zeitpunkt der Prüfungsanordnung eingeordnet ist (§ 4 Abs. 4 Satz 1 BpO(St).

Ermessensentscheidungen der Finanzverwaltung - wie sie die Anordnung einer Außenprüfung enthält - sind nach § 102 FGO von den Gerichten nur auf die Ausübung fehlerfreien Ermessens zu überprüfen (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 102, Rdnr. 1f.). Bei dieser Überprüfung sind Verwaltungsanweisungen, die - wie die BpO(St) - eine Selbstbindung der Verwaltung bei Ausübung des Ermessens herbeiführen, zu beachten. Eine Auslegung der Verwaltungsanweisungen nach den für die Auslegung von Gesetzen maßgeblichen Kriterien ist den Gerichten allerdings verwehrt (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juli 1991 VIII R 61/87, BFHE 164, 422, BStBl II 1991, 752 und vom 5. September 1989 VII R 39/87, BFHE 158, 182).

Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist die angefochtene Prüfungsanordnung des FA rechtmäßig. Der Gewerbebetrieb der Klägerin wurde aufgrund der Veranlagung zur Einkommensteuer 1986 durch Bescheid vom 21. November 1988 nach den im BMF-Schreiben in BStBl I 1988, 370 niedergelegten allgemeinen Abgrenzungsmerkmalen auf den Stichtag 1. Januar 1989 als Großbetrieb in der Betriebskartei des FA erfaßt. Diese Handhabung entsprach § 32 Abs. 4 BpO(St), wonach die Angaben in Steuererklärungen nur hilfsweise heranzuziehen sind. Die Einordnung des Betriebs aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung 1986 war angesichts des hier zugrundegelegten Gewinns aus Gewerbebetrieb von 279073 DM nicht fehlerhaft; ein Fertigungsbetrieb - wie ihn die Klägerin unterhielt - mit einem Gewinn über 258000 DM war als Großbetrieb einzustufen. Diese Einordnung, die in der Regel für die Dauer von drei Jahren maßgebend war (§ 32 Abs. 4 BpO(St) und bei Änderungen der die Größenklasse bestimmenden Betriebsmerkmale nicht geändert wurde (§ 32 Abs. 5 BpO(St), bestand im Zeitpunkt der Prüfungsanordnung vom 14. September 1990 (§ 4 Abs. 4 Satz 1 BpO(St). Infolge der zutreffenden Einordnung als Großbetrieb war das FA nach § 4 Abs. 2 BpO(St) gehalten, eine Anschlußprüfung anzuordnen. Im Gegensatz zu Mittelbetrieben ist bei Großbetrieben der zeitliche Umfang der Außenprüfung nicht auf die letzten drei Besteuerungszeiträume beschränkt. Demgemäß bedurfte die Anordnung der Außenprüfung für vier Besteuerungszeiträume keiner besonderen Begründung (vgl. BFH in BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784 m.w.N.).

Die in Ausübung des nach § 193 Abs. 1, § 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 i.V.m. § 4 Abs. 1 und 2 BpO(St) eingeräumten Ermessens pflichtgemäße Anordnung der Außenprüfung bei der Klägerin stellt sich auch bei Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Willkürverbots nicht als ermessensfehlerhaft dar. Daraus, daß das FA in die Prüfung der Besteuerungszeiträume 1982 bis 1984 die Besteuerungszeiträume 1985 und 1986 trotz des Vorliegens der Steuererklärungen für diese Jahre nicht mit einbezogen hat, läßt sich kein das FA bindender Verzicht auf die Prüfung dieser Zeiträume herleiten. Das FA hat der Klägerin gegenüber in keiner Weise kundgetan, daß es die Besteuerungszeiträume 1985 und 1986 nicht mehr prüfen werde. Im übrigen kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Klägerin selbst nicht auf die Einbeziehung der Zeiträume 1985 und 1986 in die Außenprüfung im Jahre 1987 hingewirkt hat, obgleich ihr dies möglich gewesen wäre; sie hat die Prüfungsanordnung für den vorangegangenen Prüfungszeitraum nicht angefochten. Nicht sachgerechte Erwägungen für die Anordnung der Außenprüfung für die Zeiträume 1985 bis 1988 sind ebensowenig erkennbar wie ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64509

BFH/NV 1994, 500

BFH/NV 1994, 501

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