Leitsatz (amtlich)

Das Verlagsarchiv eines Zeitschriftenverlages ist kein selbständig bewertbares immaterielles Wirtschaftsgut.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor BewG 1965 § 54; BewG 1965 § 95

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Druck- und Verlagsunternehmen. Sie verlegt größtenteils Zeitschriften. Sie besitzt in ihrem sogenannten Verlagsarchiv eine Sammlung von Bildern, Texten und Büchern. Nach den Feststellungen des (FG) ist die Sammlung räumlich aufgegliedert in einen Teil, der die farbigen Bilder (etwa 1,5 Mio Dia-Positive) umfaßt, und einen Teil, in dem zahlenmäßig noch umfangreichere Schwarz-Weiß-Bilder, Texte und Bücher aufbewahrt werden. Die Bildsammlung besteht aus Fotografien, die von der Klägerin zum Zweck der Vervielfältigung erworben wurden ("Copyright-Bilder") und zum Teil bereits veröffentlicht sind, und aus Fotografien, die von eigenen Fotoreportern der Klägerin gemacht wurden. Die Textsammlung enthält Bildunterschriften, Ausschnitte aus Eigenverlagsprodukten und aus 170 in- und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften (keine Manuskripte). Die Büchersammlung besteht im wesentlichen aus Belegexemklaren eigener Verlagsprodukte, einschließlich der gebundenen Zeitschriften. Die Bilder- und die Textsammlung sind in einer Kartei erfaßt und nach Sachgruppen aufgegliedert. Aus den Bild- und Textsammlungen wird nicht mehr benötigtes Material ständig ausgesondert. Die Klägerin beschäftigt für die Sammlung und Erfassung der Bilder, Texte und Bücher fünf Angestellte. Sie wandte in den Jahren 1962 bis 1965 für die gesamte Sammlung Kosten in Höhe von jährlich etwa 100 000 DM auf. Die Sammlung wird von Redakteuren und Reporten der Klägerin laufend benutzt. Sie ist an die Rohrpostanlage des Betriebs der Klägerin angeschlossen. Täglich sind etwa 10 bis 15 Auskunftsersuchen zu erledigen.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) setzte im Anschluß an eine Betriebsprüfung bei der berichtigten Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1962 und bei den endgültigen Einheitswertfeststellungen des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1963, 1. Januar 1964 und 1. Januar 1965 durch den zusammengefaßten Bescheid vom 20. Januar 1969 für die Sammlung jeweils das Doppelte der jährlichen Unterhaltungskosten, also jeweils 200 000 DM, an. Der Einspruch, mit dem die Klägerin sich gegen diesen Ansatz wandte, hatte keinen Erfolg. Dagegen gab das FG der Klage statt.

FA beantragt mit der Revision, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es werden ungenügende Aufklärung des Sachverhalts, Verstöße gegen §§ 10, 66 des Bewertungsgesetzes in der vor dem Bewertungsgesetz 1965 geltenden Fassung (im folgenden: BewG) sowie gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Das FG habe bei der Besichtigung des Archivs am 27. Februar 1973 griffweise zwei Hefte einer Zeitschrift überprüft. Die Überprüfung von nur zwei Heften sei nicht geeignet, ein umfassendes Bild von der Bedeutung und dem Wert des Archivs zu geben. Zudem könnten in der Zeitschrift, die überprüft worden sei, weil diese aktuell sein müsse, nur wenige Bilder aus dem Archiv sein. Das FG habe den Sachverhalt insoweit nicht aufgeklärt. Die Frage, ob das Archiv zum Anlage- oder zum Umlaufvermögen gehöre, möge zweifelhaft sein. Das FG rechne sie ohne nähere Begründung zum Anlagevermögen. Die Unterscheidung hänge von der subjektiven Bestimmung der Klägerin sowie davon ab, ob man die einzelnen Gegenstände des Archivs oder das Archiv in seiner Gesamtheit betrachte. Es könne aber aus der Zurechnung zum Anlagevermögen nicht gefolgert werden, der Wert liege "mehr auf immateriellem Sektor". Es sei auch nicht richtig, daß der Wert der einzelnen Gegenstände weitgehend auf der systematischen Eingliederung, also auf einem gedanklichen Wert beruhe. Die systematische Einordnung sei Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit des Archivs. Ein solches Ordnungsprinzip habe aber mit dem Teilwert nichts zu tun. Ein Käufer des Unternehmens würde für einen Verlag ohne Archiv weniger bezahlen als für einen Verlag mit Archiv. Man dürfe wegen der Schwierigkeiten bei der Definition des Begriffs Wirtschaftsgut und bei der Ermittlung seines Teilwerts nicht diese Begriffe überhaupt verneinen. Die Aufwendungen der Klägerin für die Erstellung und Fortführung des Archivs seien der bestmögliche Bewertungsmaßstab. Er entspreche dem Grundsatz, daß ein Kaufmann nur das aufwende, was ihm die Sache wert sei. Damit stehe er mit den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen in Einklang. Es sei auch nicht richtig, daß die sogenannten Copyright-Bilder nur einen Informationswert und die Möglichkeit des sofortigen Zugriffs enthielten. Diese Betrachtung sei zu sehr auf das einzelne Bild und nicht auf das Archiv als solches abgestellt. Im übrigen habe der Teilwert nichts mit dem "gegenwärtigen Ertragswert" zu tun. Das gleiche gelte auch für die Diapositive aus der eigenen Produktion. Das Ablagearchiv habe seine Bedeutung und seinen Wert insbesondere für die Beantwortung von Leseranfragen und diene damit in erster Linie der Erhaltung und Erweiterung des Kundenstammes. Die Ablage habe jedoch im Rahmen des Archivs einen Wert.

Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Ergebnis unbegründet.

1. Die Rüge der mangelnden Sachaufklärung ist nach Auffassung des Senats schon deswegen unbegründet, weil das FG-Urteil nicht auf diesem Mangel beruht. Denn für die Frage, ob es sich bei dem Verlagsarchiv der Klägerin um ein selbständig bewertbares Wirtschaftsgut handelt, kommt es auf den Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei der örtlichen Besichtigung nicht an. Darüber hinaus hat das FG bei dieser Besichtigung, wie sich aus der Niederschrift vom 27. Februar 1973 ergibt, auf weitere mündliche Verhandlung ausdrücklich verzichtet und auch in der Stellungnahme zu dieser Niederschrift die mangelnde Sachaufklärung nicht gerügt (vgl. § 295 ZPO).

2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß zum Betriebsvermögen nach § 54 Abs. 1 BewG alle Teile einer wirtschaftlichen Einheit gehören, die dem Betrieb eines Gewerbes als Hauptzweck dienen, und daß es sich bei diesen Teilen der wirtschaftlichen Einheit um "Wirtschaftsgüter" handelt. Es ist richtig, daß der Begriff "Wirtschaftsgut" nicht nur Gegenstände im Sinne des bürgerlichen Rechts, also Sachen und Rechte, umfaßt, sondern darüber hinaus auch immaterielle Werte, soweit diese selbständig bewertbar sind. Der Senat stimmt dem FG auch darin zu, daß das sogenannte Verlagsarchiv mit Ausnahme der sogenannten Büchersammlung in seiner Gesamtheit als immaterielles Wirtschaftsgut angesehen werden muß. Es ist nicht deshalb ein materielles Wirtschaftsgut, weil es sich aus einzelnen körperlichen Gegenständen zusammensetzt. Denn der gegenständliche Wert dieser Stücke tritt gegenüber dem Informationswert, den sie durch die systematische Einordnung in das sogenannte Verlagsarchiv gewonnen haben, ganz in den Hintergrund. Man kann auch entgegen der im Schrifttum z. B. von Merker (Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, 1968 S. 2826 ff. und 1969 S, 549 ff.) vertretenen Auffassung keinen Unterschied machen, ob die gesammelten Gegenstände (Bilder, Ausschnitte usw.) verlagseigene Erzeugnisse sind oder von anderen Unternehmen erworben wurden. Merker begründet diesen Unterschied damit, daß es sich bei der Sammlung verlagseigener Erzeugnisse um ein sogenanntes Werksarchiv handle, das nicht bewertbar sei. Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Nach Dr. Gabler, Wirtschaftslexikon, 8. Aufl. (Stichwort: "Werksarchiv") übernimmt ein Werksarchiv "die Bestände von historischer Relevanz, für die die gesetzliche Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist oder von denen von vornherein feststeht, daß sie archiviert werden sollen". Ein Werksarchiv wird also in erster Linie aus historischen Gründen eingerichtet, es ist "die systematische Sammlung von Schrifttum (Urkunden, Akten, Korrespondenz, Bücher, Bilder, Pläne) eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe, das aus firmen-, technik-, sozial- und/oder wirtschaftsgeschichtlichen Gründen für immer aufbewahrt werden soll". Deshalb wird auch von der "Provenienz" ausgegangen, d. h. "alle Bestände sollen in ihrem gewachsenen Zusammenhang bleiben und nicht nach Sachzusammenhängen (Pertinenz) umgegliedert werden". In diesem Sinne ist nur die sogenannte Büchersammlung der Klägerin ein Werksarchiv, denn bei ihr fehlt es an dieser Umgliederung. Diese Büchersammlung ist daher aus der weiteren Betrachtung auszuscheiden. Sie ist kein bewertbares Wirtschaftsgut. Die Umgliederung findet aber in den Bildund Textsammlungen der Klägerin auch bei den Eigenerzeugnissen statt. Denn nach den Feststellungen des FG sind diese Sammlungen, ohne Rücksicht auf die Herkunft der einzelnen Stücke, in einer Kartei erfäst und nach Sachgruppen eingeteilt. Der Senat ist deshalb der Meinung, daß es sich bei der Sammlung insoweit nicht um ein Werksarchiv handelt, sondern um eine Dokumentation, die den Zwecken der Information, insbesondere der Redaktionsmitglieder und der Reporter dient. Man kann nicht, wie Merker (a. a. O.) es tut, von einer Zusammenfassung von Archiv und Dokumentation sprechen und dabei auf die Herkunft der gesammelten Stücke abstellen. Das wäre nur dann möglich, wenn die verlagseigenen Stücke tatsächlich nur zu Archivzwecken in der oben dargelegten Weise gesammelt würden.

3. Das FG ist weiter zutreffend davon ausgegangen, daß immaterielle Wirtschaftsgüter nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bei der Vermögensbewertung im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens dann als selbständig bewertbare Wirtschaftsgüter erfaßt werden, wenn sie als geldwerte Realität in Erscheinung treten. Das ist der Fall, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist:

a) Die selbständige Bewertungsfähigkeit wird durch die allgemeine Verkehrsauffassung anerkannt oder

b) das immaterielle Wirtschaftsgut wird entgeltlich erworben oder

c) die selbständige Bewertungsfähigkeit wird durch Aufwendungen anerkannt, die auf das zu bewertende immaterielle Wirtschaftsgut gemacht worden sind (Urteil des BFH vom 9. November 1973 III R 12/72, BFHE 110, 541, BStBl II 1974, 81).

Für den Geschäftswert ist jedoch die Einschränkung zu beachten, daß nur ein entgeltlich erworbener, nicht dagegen ein selbst geschaffener Geschäftswert als selbständig bewertbares Wirtschaftsgut behandelt werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1970 III R 20/66, BFHE 99, 50, BStBl II 1970, 489). Deshalb ist es für die Frage der Bewertbarkeit des mit dem sogenannten Verlagsarchiv der Klägerin verbundenen immateriellen Wirtschaftsguts von entscheidender Bedeutung, ob dieses immaterielle Wirtschaftsgut, wie das FG meint, nur ein Teil des allgemeinen Geschäftswerts ist. Der Senat hat schon in dem Urteil III R 20/66 (unter 5. b) ausgeführt, daß der I. Senat des BFH den Geschäftswert dahingehend definiert habe, es handle sich dabei um den Mehrwert, der einem Unternehmen über die sonstigen aktivierten Wirtschaftsgüter (abzüglich der Schulden) hinaus innewohne und dessen Bedeutung darin liege, daß er aufgrund der in ihm enthaltenen Vorteile (Ruf des Unternehmens, Kundenkreis. Absatzorganisation usw.) die Erträge des Unternehmens höher oder zumindest gesicherter erscheinen lasse als bei einem anderen Unternehmen mit sonst gleichen Wirtschaftsgütern, bei denen diese Vorteile fehlten (vgl. BFH-Urteil vom 18. Januar 1967 I 77/64, BFHE 88, 198, BStBl III 1967, 334). Dieser Mehrwert substantiiere sich in den Beziehungen zu den Kunden. Damit werde der Geschäftswert eines Unternehmens, wenn nicht ausschließlich, so doch entscheidend durch den Kundenstamm und die Geschäftsbeziehungen zu den Kunden bestimmt. Der Senat verbleibt auch für den Streitfall bei dieser Auffassung. Aus ihr folgt, daß die mit der Dokumentationsstelle verbundenen immateriellen Vorteile zu dem allgemeinen Geschäftswert gehören. Sie finden ihren Niederschlag in den Verlagserzeugnissen und dienen somit der Erhaltung und Erweiterung des Kundenstammes. Als Teil des allgemeinen Geschäftswerts könnten sie nur dann als selbständig bewertungsfähig anerkannt werden, wenn sie entweder entgeltlich erworben wären (Fall b) oder wenn auf sie Aufwendungen gemacht worden wären, durch die ihre selbständige Bewertungsfähigkeit anerkannt worden wäre (Fall c). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Entgeltlich erworben wurden nur die körperlichen Gegenstände, nicht aber die aus der Dokumentationsstelle resultierenden immateriellen Vorteile. Auch Aufwendungen auf diese Vorteile wurden von der Klägerin nicht gemacht. Die Aufwendungen für die Personal- und Sachkosten der Dokumentationsstelle gehören zu den laufenden Betriebsausgaben. Sie sind - ähnlich wie die Zahlungen für Werbeprovisionen bei Lesezirkeln - keine eindeutig abgrenzbaren Aufwendungen, die zur Anerkennung eines selbständig bewertungsfähigen immateriellen Wirtschaftsguts führen können (vgl. BFH-Urteil III R 20/66). Das FG hat deshalb im Ergebnis zu Recht die selbständige Bewertbarkeit des Verlagsarchivs der Klägerin verneint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71179

BStBl II 1975, 104

BFHE 1975, 113

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