Leitsatz (amtlich)

Ein Kind befindet sich auch dann noch in der Berufsausbildung im Sinn des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1967, wenn es zwar die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung eines Berufs - z. B. durch Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung - erfüllt, das gesteckte Berufsziel aber noch nicht erreicht hat.

 

Normenkette

EStG 1967 § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte ist Bankdirektor und Leiter eines Finanzierungsunternehmens. Sein 1947 geborener Sohn hat am 31. März 1967 mit Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung die Banklehre beendet. Vom 1. April bis 30. Juni 1967 war er Bankangestellter mit einem Monatsgehalt von 570 DM. Vom 1. Juli 1967 bis 31. Dezember 1968 leistete er seinen Grundwehrdienst ab; daneben nahm er seit dem 23. September 1968 an Abendkursen der A-Schule in Spanisch teil. Vom 1. Januar bis 30. Juni 1969 besuchte er Sprachschulen in Madrid und Barcelona. Danach war er vom 1. Juli 1969 bis 30. Juni 1970 Volontär an einer spanischen Bank. Er erhielt dort ein Taschengeld von monatlich 270 DM; von seinem Vater erhielt er monatlich 560 DM zum Lebensunterhalt. Nach der Planung des Klägers sollte sein Sohn von August bis Ende September 1970 die Internationale Sprachschule in London besuchen und dann bei einer Londoner Bank und anschließend bei einer Bankenprüfungsgesellschaft in New York volontieren.

Der Kläger hat für das Streitjahr 1967 die Gewährung eines Kinderfreibetrags beantragt, da die Berufsausbildung seines Sohnes durch den Wehrdienst unterbrochen worden sei. Er habe sich sowohl vor wie nach dem Wehrdienst in der Berufsausbildung befunden. Berufsziel seines Sohnes sei nicht irgendeine Tätigkeit als Bankangestellter, sondern die Ausübung einer leitenden Funktion in einem größeren Bankinstitut.

Das FA lehnte den Antrag ab. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG gab der Klage statt. Zur Begründung führte es u. a. aus, der Sohn des Klägers habe seine Ausbildung mit der die Banklehre abschließenden Gehilfenprüfung noch nicht beendet. Wer eine Banklehre erfolgreich abgeschlossen habe, erfülle zwar die Voraussetzungen für die Berufsausübung im Bankgewerbe. Das schließe jedoch nicht aus, daß sich jemand über die Mindestvoraussetzungen hinaus einer erweiterten Ausbildung unterziehe, um seine Ausgangsposition in der einzuschlagenden Berufslaufbahn zu verbessern.

Dabei sei unter Ausbildung alles das zu verstehen, was das Kind vor Aufnahme einer entgeltlichen Tätigkeit unternehme, um das angestrebte Berufsziel zu erreichen. Lege es dabei mehrere Etappen zurück, von denen bereits eine zur Aufnahme der Berufstätigkeit genügen würde, so bleibe es doch weiter in der Ausbildung, solange es das ihm vorschwebende höhere Berufsziel noch nicht erreicht habe und, ohne eine entgeltliche Tätigkeit auszuüben, zielstrebig darauf hinarbeite (Urteil des BFH IV 329/64 vom 4. Dezember 1969, BFH 98, 244, BStBl II 1970, 450). Eine andere Beurteilung wäre nur dann geboten, wenn eine eindeutig abgeschlossene Berufsausbildung - z. B. Lehre, Fachschule, Volontärzeit - aus steuerlichen Gründen beliebig ausgedehnt würde, wie in dem Fall des BFH-Urteils VI R 207/66 vom 2. August 1968 (BFH 93, 301, BStBl II 1968, 777). Davon könne im Streitfall jedoch keine Rede sein.

Mit der Revision rügt der Revisionskläger FA Verletzung des § 32 EStG und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Einkommensteuerbescheid zu bestätigen. Zur Begründung führt das FA aus, Kosten, die im Interesse des Berufes aufgewendet würden, könnten nicht von vornherein als Ausbildungskosten angesehen werden, wenn sie von den Eltern getragen würden, weil das Kind nicht selbst verdiene. Ausbildungskosten könnten es nur dann sein, wenn die Berufsausbildung noch nicht als beendet angesehen werden könne. Ob eine Berufsausbildung als beendet anzusehen sei, könne nicht allein im Ermessen des Steuerpflichtigen liegen. Dies würde eine Erweiterung des Begriffs Ausbildung zur Folge haben, die steuerlich nicht zu vertreten sei. Finanziell gutgestellte Eltern könnten sonst ihren Kindern nach Abschluß einer Lehre vielerlei Ausbildung angedeihen lassen mit dem Motiv, daß ihren Kindern ein höheres Berufsziel vorschwebe, das angestrebt werden solle. Für die Abgrenzung des Begriffs Ausbildung würden sich die für alle anerkannten Lehrberufe aufgestellten Berufsbilder anbieten. Diese Berufsbilder zeigten einen fest umrissenen Bildungsgang, der im Berufsbildungsgesetz geregelt sei. Anhand dieser objektiv prüfbaren Abgrenzungsmerkmale sei eine steuerliche Einordnung der Kosten ohne besondere Schwierigkeiten möglich. Das Berufsbild der einzelnen kaufmännischen Berufe sehe als Abschluß die Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung vor. Eine weitere Ausbildung mit dem Ziel einer leitenden Funktion (im Streitfall in einem größeren Bankinstitut) könne nur als Fortbildung angesehen werden.

Der Revisionsbeklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1967 werden dem Steuerpflichtigen auf Antrag Kinderfreibeträge gewährt für Kinder, die im Veranlagungszeitraum mindestens vier Monate das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet und während dieser Zeit Wehrdienst geleistet haben, wenn die Berufsausbildung durch die Einberufung zum Wehrdienst unterbrochen worden ist und der Steuerpflichtige vor der Einberufung die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung überwiegend getragen hat. In der Berufsausbildung befindet sich nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber noch ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Senats VI R 230/67 vom 11. Juli 1969, BFH 96, 306, BStBl II 1969, 708, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung). Wann das Erreichen des Berufsziels anzunehmen ist, kann im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein. Jedenfalls kommt es auf die zu § 9 EStG von der Rechtsprechung entwickelte Unterscheidung zwischen Ausbildungskosten und Fortbildungskosten nicht an, wie der BFH im Urteil IV 329/64 (a. a. O.) betont hat. So kann nach dem BFH-Urteil VI 118/61 U vom 13. Oktober 1961 (BFH 74, 124, BStBl III 1962, 48) z. B. die Ausbildung eines Gesellen zum Meister noch unter die Berufsausbildung im Sinne des § 32 EStG fallen, wenn sie überwiegend auf Kosten der Eltern druchgeführt wird, während die Aufwendungen entsprechender Kosten durch den Gesellen selbst für ihn nach § 9 EStG abzugsfähige Fortbildungskosten sein können. An dieser Auffassung hält der Senat fest.

Der Senat kann der Auffassung des FA nicht folgen, für die Abgrenzung des Begriffs Ausbildung komme es auf die für alle anerkannten Lehrberufe aufgestellten Berufsbilder an; nur der im Berufsbildungsgesetz geregelte, fest umrissene Bildungsgang sei auch steuerlich als Berufsausbildung anzusehen. Diese Auffassung ist zu eng. Die Erreichung des gesteckten Berufsziels wird sich vielfach in der Ablegung einer Prüfung zeigen, die die Qualifikation für die Ausübung eines bestimmten Berufs vermittelt. Das braucht aber nicht immer zuzutreffen. Das gesteckte Berufsziel braucht auch nicht in jedem Fall mit der Erreichung der Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des in Aussicht genommenen Berufs übereinzustimmen. Den Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) in dem zu § 1267 RVO (Waisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung) ergangenen Urteil 4 RJ 495/65 vom 12. November 1969 (HFR 1970, 455), daß die technische und wirtschaftliche Entwicklung in praktisch allen Berufszweigen es als notwendig erscheinen läßt, Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die über das vorgeschriebene Maß hinausgehen, ist auch für die Auslegung des § 32 EStG beizupflichten. Das trifft insbesondere dann zu, wenn die Mindestvoraussetzungen verhältnismäßig gering sind, so wenn für einen Beruf mit vielfältigen und vielfältig abgestuften Stellungen nur ein Bildungsgang, nicht aber mehrere Bildungsgänge ("Laufbahnen") vorgesehen sind. Das gilt z. B. für den Beruf des Kaufmanns in den verschiedensten Sparten. Hier gibt die Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung die Qualifikation für die Erreichung von Stellungen der verschiedensten Grade und Verdienstmöglichkeiten. Für gehobene kaufmännische Stellungen ist allerdings noch die Erlangung des Diploms eines graduierten Betriebswirts oder eines Diplom-Kaufmanns vorgesehen. Wer sich aber vorgenommen hat, ohne eine solche akademische Ausbildung eine Spitzenstellung im Kaufmannsberuf zu erreichen, ist auf seine persönliche Tüchtigkeit angewiesen. Es ist der Ansicht des FG Düsseldorf, Senate in Köln, im Urteil VIII 290/67 E vom 10. Januar 1968 (EFG 1968, 302) beizupflichten, daß die Ablegung einer die Lehrzeit abschließenden Prüfung nur ein Indiz dafür ist, daß die nachfolgende Tätigkeit Berufsausübung ist. Das wird aber immer dann nicht zutreffen, wenn eine Tätigkeit gegen entsprechendes Entgelt, die als echte Berufsausübung angesehen werden kann, nicht vorliegt. So ist es insbesondere weithin üblich, daß junge Kaufleute, die die Kaufmannsgehilfenprüfung abgelegt haben, vor Annahme einer voll bezahlten Stellung eine gegen geringe Entlohnung bzw. Taschengeld zu absolvierende "Volontärzeit" durchmachen. Der Senat hat im Urteil VI 207/66 vom 2. August 1968 (a. a. O.) von einer Prüfung abgesehen, ob eine Volontärzeit als Ausbildungs- oder Fortbildungszeit anzusehen ist; der gesamten Begründung des Urteils ist aber zu entnehmen, daß er dazu neigt, sie zur Ausbildung zu rechnen. Das Urteil IV 329/64 (a. a. O.) spricht demgegenüber ausdrücklich davon, daß "eine eindeutig abgeschlossene Berufsausbildung - Lehre, Fachschule, Volontärzeit -" nicht aus steuerlichen Gründen beliebig ausgedehnt werden könne. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Der Bankenverband B hebt in seiner vom FG angeforderten Stellungnahme hervor, zusätzliche Ausbildungen außerhalb der einzelnen Institute seien nicht Voraussetzung für die Erreichung leitender oder gar Spitzenpositionen. Diese Ausbildungen könnten nur dazu dienen, die Erfahrungen und Fähigkeiten des Angestellten zu erweitern und ihm somit eine bessere Ausgangsposition zu gewähren, ohne daß ein Anspruch auf Erreichung einer solchen Position bestehe. Das genügt aber, um solche "zusätzlichen Ausbildungen" zur Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 2 EStG zu rechnen. Daß sie nicht ohne weiteres eine Qualifikation zur Erreichung gehobener Stellungen geben, ist unerheblich.

Hiernach steht im Streitfall nach den Feststellungen des FG fest, daß der Kläger vorgesehen hatte, seinem Sohn nach Beendigung des Wehrdienstes die Aneignung weiterer Kenntnisse für die Ausübung des in Aussicht genommenen Berufs eines Bankkaufmanns in leitender Stellung in einer Form zu ermöglichen, die als weitere Berufsausbildung anzusehen ist. Die Gesamtumstände lassen also erkennen, daß die Berufsausbildung nach Ableistung des Wehrdienstes fortgesetzt werden sollte.

Das genügt für die Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG im Streitjahr. Damit wird die steuerliche Beurteilung der späteren Ausbildungsmaßnahmen nicht vorweggenommen. Ob und inwieweit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Kinderfreibetrags wegen Berufsausbildung in den künftigen Veranlagungszeiträumen gegeben sind, bleibt der Prüfung im Rahmen der Veranlagungen dieser Veranlagungszeiträume vorbehalten. Das gilt auch für die Entscheidung der Frage, wann das Berufsziel als erreicht anzusehen und eine Berufsausbildung nicht mehr anzunehmen ist. Nach dem Urteil des Senats VI R 198/68 vom 26. Februar 1971 (BFH 101, 533, BStBl II 1971, 422) dauert die Berufsausbildung sogar auch dann noch an, wenn bei Einberufung zum Wehrdienst zwar nur ungenaue Vorstellungen über Art und Umfang der weiteren Ausbildung bestehen, die Gesamtumstände jedoch erkennen lassen, daß die Ausbildung fortgesetzt werden soll. Dann muß erst recht im Streitfall, in dem feststeht, daß eine planmäßige weitere Ausbildung vorgesehen und teilweise auch durchgeführt worden ist, eine Unterbrechung der Berufsausbildung angenommen werden.

Die Tätigkeit als Bankangestellter in der Zeit zwischen der Ablegung der Kaufmannsgehilfenprüfung und dem Antritt des Wehrdienstes, die nur drei Monate gedauert hat, steht der Anwendung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG 1967 nicht entgegen (vgl. Urteil des Senats VI 231/61 U vom 11. Mai 1962, BFH 75, 199, BStBl III 1962, 340).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70272

BStBl II 1973, 139

BFHE 1973, 450

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