Leitsatz (amtlich)

Der in § 16 Abs. 5 EStG vorgesehene Antrag auf Ermäßigung oder Erlaß der Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn wegen entrichteter Erbschaftsteuer kann nur im einkommensteuerlichen Veranlagungsverfahren gestellt werden.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 5

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Entscheidung über die Ermäßigung oder den Erlaß der Einkommensteuern 1957 bis 1959 aufgrund des § 16 Abs. 5 EStG nur im Einkommensteuerveranlagungsverfahren oder auch nach rechtskräftigem Abschluß dieser Verfahren in einem besonderen Verfahren getroffen werden darf.

Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) war Miterbin ihres im Jahre 1956 verstorbenen Ehemannes, der an mehreren Partenreedereien beteiligt war. In den rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagungen der Steuerpflichtigen von 1957 bis 1959 wurden Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an diesen Partenreedereien aus dem Nachlaß des verstorbenen Ehemannes erfaßt und einem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG unterworfen. Längere Zeit nach Rechtskraft dieser Veranlagungen beantragte die Steuerpflichtige in ihrem Schreiben vom 10. September 1964 die Berichtigung dieser Veranlagungen, die Gewährung von Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfristen und die Herabsetzung der Einkommensteuern durch Anrechnung von Erbschaftsteuer nach § 16 Abs. 5 EStG. Nachdem das FA diesen Antrag mit dem ohne Rechtsmittelbelehrung versehenen Schreiben vom 1. Dezember 1964 mit der Begründung abgelehnt hatte, daß die Veranlagungen wegen Rechtskraft nicht mehr geändert werden könnten, wiederholte die Steuerpflichtige in ihrem Schreiben vom 4. Februar 1965 ihren Antrag und vertrat nunmehr die Auffassung, daß ihrem Antrag außerhalb der Veranlagungsverfahren durch Ermäßigung oder Erlaß der rechtskräftig festgesetzten Einkommensteuern nunmehr entsprochen werden müsse. Auch diesen Antrag lehnte das FA ab, weil § 16 Abs. 5 EStG nur im Rahmen des Einkommensteuerveranlagungsverfahrens angewendet werden könnte.

Den von der Steuerpflichtigen eingelegten Einspruch verwarf das FA als unzulässig. Denn die Steuerpflichtige habe die Rechtsmittelfrist versäumt. Nachsicht könne ihr schon deshalb nicht gewährt werden, weil sie spätestens mit dem Zugang des endgültigen Erbschaftsteuerbescheides vom 23. Oktober 1962 die Belastung durch diese Steuer gekannt und trotzdem nicht einmal innerhalb eines Jahres Nachsichtgewährung beantragt habe (§ 87 Abs. 5 AO a. F.).

Die Klage der Steuerpflichtigen hatte keinen Erfolg. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt. Nach § 16 Abs. 5 in der damals geltenden Fassung des § 16 Abs. 5 EStG werde die Einkommensteuer vom Gewinn aus der Veräußerung des Anteils eines Mitunternehmers auf Antrag ermäßigt oder erlassen, wenn der Steuerpflichtige den veräußerten Anteil innerhalb der letzten drei Jahre vor der Veräußerung erworben und infolge des Erwerbs Erbschaftsteuer entrichtet habe. Die sachlichen Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift seien hinsichtlich der für die Streitjahre festgesetzten Einkommensteuern dem Grunde nach erfüllt. Die Steuerpflichtige hätte jedoch den in § 16 Abs. 5 EStG vorgesehenen Antrag vor Rechtskraft der Einkommensteuerveranlagungen stellen müssen, was sie nicht getan habe. Die Vorschrift des § 16 Abs. 5 EStG gehe auf § 31 EStG 1925 zurück. Diese habe auf Antrag die Anrechnung eines näher bestimmten Teils der Erbschaftsteuer auf die sich nach dem Veräußerungsgewinn berechnende Einkommensteuer vorgesehen und sei anerkanntermaßen eine Vorschrift gewesen, die in den Bereich der Steuerveranlagung und nicht der Steuererhebung gehört habe. Dieser Charakter der Norm sei durch die Neufassung des § 16 Abs. 5 EStG 1934 nicht verändert worden, wie sich auch aus der Begründung zu § 16 EStG 1934 (vgl. RStBl 1935, 33 und 42) ergebe. Sie sei eine Vorschrift des sachlichen Steuerrechts geblieben. Da die Steuerpflichtige, wenn die Voraussetzungen des § 16 Abs. 5 EStG vorlägen, einen Rechtsanspruch auf die Vergünstigung habe, ändere die Tatsache, daß das Gesetz von "ermäßigen" und "erlassen" spreche, nichts daran, daß es sich um einen Teil des sachlichen Steuerrechts handle. Das habe der BFH im Urteil II 14/58 U vom 7. Mai 1958, BFH 67, 172, BStBl III 1958, 337, für den ähnlich liegenden Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG entschieden, wonach Schwerbeschädigten unter bestimmten Voraussetzungen die Steuer "erlassen" werden könne. Der in § 16 Abs. 5 EStG vorgesehene Antrag stehe deshalb verfahrensmäßig anderen Anträgen des sachlichen Steuerrechts, wie z. B. in §§ 7b, 10a, 33, 34 und 54 EStG, gleich. Der Steuerpflichtige müsse deshalb die Anwendung des § 16 Abs. 5 EStG im Veranlagungsverfahren beantragen, und zwar auch dann, wenn die Erbschaftsteuerveranlagung im Zeitpunkt der Einkommensteuerveranlagung noch nicht durchgeführt sei. Dann müsse das FA eine vorläufige Veranlagung durchführen.

Die Steuerpflichtige vertritt in ihrer Revision nach wie vor die Auffassung, daß der Antrag des § 16 Abs. 5 EStG zumindest auch außerhalb des Veranlagungsverfahrens gestellt werden dürfe. Das komme schon darin zum Ausdruck, daß § 16 Abs. 5 EStG anders als § 31 EStG 1925 nicht mehr ein Anrechnungsverfahren, sondern eine Ermäßigung oder einen Erlaß der Einkommensteuer vorsehe. Gerade der Hinweis auf die Erlaßmöglichkeit bringe zum Ausdruck, daß auch nach Abschluß des Veranlagungsverfahrens eine Minderung der Steuer möglich sein müsse. Dafür spreche auch der Wortlaut des Gesetzes und es bestehe keine Veranlassung, zum Nachteil des Steuerpflichtigen eine Auslegung gegen diesen Wortlaut vorzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Der Senat schließt sich der Auffassung des FG an. Auch die Steuerpflichtige erkennt an, daß die in Abschn. IV "Tarif" in den §§ 32 ff. EStG an mehreren Stellen vorgesehene "Ermäßigung" (z. B. in § 33 und § 33a EStG) oder "Anrechnung" anderer gezahlter Beträge (z. B. § 34c EStG der auf ausländische Einkünfte gezahlten Einkommensteuer) nur im Einkommensteuerveranlagungsverfahren geltend gemacht werden kann. Das hat der BFH für § 34c EStG im Urteil VI 83/61 S vom 7. Dezember 1962, BFH 76, 338, BStBl III 1963, 123, u. a. damit begründet, daß die Anrechnung nicht in den die Entrichtung der Einkommensteuer (§§ 35 ff. EStG), sondern die Tarifgestaltung (§§ 32 ff. EStG) betreffenden Vorschriften geregelt ist und damit zum sachlichen Steuerrecht gehört. Der Steuerpflichtigen ist zuzugeben, daß § 16 Abs. 5 EStG nicht von einer Anrechnung eines bestimmten Teils der Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer spricht. Sachlich hat sich aber gegenüber dem Inhalt des § 31 EStG 1925 hinsichtlich der Auswirkung eines bestimmten Sachverhaltes, nämlich der Bezahlung von Erbschaftsteuer, in dieser Hinsicht nichts geändert. Denn wie der BFH im Urteil I 197/65 vom 15. Mai 1968, BFH 92, 482, BStBl II 1968, 606, das sich mit einigen der zahlreichen und schwierigen Auslegungsfragen dieser in ihrem Inhalt sehr unbestimmten Vorschrift des § 16 Abs. 5 EStG befaßt, ausführt, muß die auf den Veräußerungsgewinn entfallende Einkommensteuer um die Erbschaftsteuer ermäßigt werden, die für stille Reserven gezahlt ist, die durch den Veräußerungsvorgang aufgelöst und der Einkommensteuer unterworfen werden.

Daraus wird ersichtlich, daß es sich sachlich um nichts anderes als um eine Anrechnung eines bestimmten Teils der Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer handelt.

Daß § 16 Abs. 5 EStG nun nicht unter die Vorschriften des Tarifs aufgenommen ist, sondern sich in einer Vorschrift befindet, die sich mit der Bestimmung und Abgrenzung eines zu gewerblichen Einkünften führenden Sachverhalts befaßt, kann jedenfalls nicht dafür angeführt werden, daß die Vorschrift nicht im Veranlagungsverfahren zu berücksichtigen sei. Denn die Vorschrift über die Bestimmung und Abgrenzung steuerpflichtiger Einkünfte gehört erst recht zum Veranlagungsverfahren. Jedenfalls befindet sich die Vorschrift des § 16 Abs. 5 EStG nicht bei den Vorschriften über die Entrichtung der Steuer. Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß der Hinweis in § 16 Abs. 5 EStG auf einen "Erlaß" der Einkommensteuer bei dieser Sachlage nichts anderes bedeuten kann, als daß die Berücksichtigung der gezahlten Erbschaftsteuer auch zu einem völligen Wegfall der Einkommensteuer für den Veräußerungsgewinn führen kann. Schon die Tatsache, daß § 16 Abs. 5 EStG dem Steuerpflichtigen einen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Ermäßigung gewährt, verbietet es, aus dem Wort "erlassen" zu folgern, daß es sich um einen ähnlichen Vorgang wie in § 131 AO handele.

Auch die Erwägung, daß die oft schwierige Ermittlung des Ermäßigungs- oder Erlaßbetrages eng mit den sonstigen im Veranlagungsverfahren zu entscheidenden und zu beurteilenden Vorgängen im Zusammenhang steht, läßt es zweckmäßig und gerechtfertigt erscheinen, diese Ermittlung ins Veranlagungsverfahren zu verlegen. Wie sich aus dem bezeichneten BFH-Urteil I 197/65 ergibt, hängt die Ermittlung des Ermäßigungsbetrages u. a. in der Regel davon ab, welche stillen Reserven zum Zeitpunkt der Veräußerung vorhanden waren und steuerlich erfaßt werden, welche stillen Reserven der Erbschaftsteuer unterlegen haben, welche Erbschaftsteuer darauf gezahlt ist und wieweit eine Identität dieser stillen Reserven bejaht werden kann. Diese meist schwierigen Prüfungen hängen so eng mit der Ermittlung des der Einkommensteuer und der Erbschaftsteuer unterliegenden Sachverhalts in den dafür vorgesehenen Veranlagungsverfahren zusammen, daß sie nur in einem dieser Verfahren zweckmäßig und zutreffend durchgeführt werden können. Da es sich nun um eine Ermäßigung der Einkommensteuer handelt und die Erbschaftsteuer unberührt bleibt, kann die Prüfung nur ins Veranlagungsverfahren der Einkommensteuer verlagert werden.

Der Auffassung der Steuerpflichtigen, daß das FG § 16 Abs. 5 EStG zu ihren Ungunsten gegen den Wortlaut des Gesetzes ausgelegt habe, kann nicht zugestimmt werden. Ob die Prüfung der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 5 EStG auch nach Rechtskraft der Einkommensteuerveranlagung oder sonst außerhalb des Veranlagungsverfahrens möglich oder gar allein zulässig ist, kann aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden. Die Stellung der Vorschrift im Gesetz und der Vergleich mit ähnlichen Vorschriften im Abschnitt "Tarif" schließen, da der Wortlaut des Gesetzes in dieser Hinsicht keine klare Antwort gibt, die Annahme nicht aus, daß ein solcher Antrag nur im Veranlagungsverfahren gestellt werden kann. Diese Auffassung wird, soweit ersichtlich, auch überwiegend im Schrifttum vertreten, worauf das FG zutreffend hingewiesen hat (vgl. z. B. Leffler, Die Steuerwarte 1967 S. 117). Soweit den Ausführungen von Hoffmann, Finanz-Rundschau 1968 S. 538, entnommen werden könnte, daß er in § 16 Abs. 5 EStG eine Ermessensvorschrift sieht und daraus andere verfahrensrechtliche Folgerungen ziehen würde, könnte sich der Senat ihm nicht anschließen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69267

BStBl II 1971, 16

BFHE 1971, 305

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