Entscheidungsstichwort (Thema)

Verjährung von Ansprüchen auf ESt und LSt nach Reichsabgabenordnung

 

Leitsatz (NV)

1. Bei Steuern, die bis zum 31. Dezember 1976 entstanden waren, richtete sich die Verjährung nach den Vorschriften der zum 31. Dezember 1976 außer Kraft getretenen AO.

2. Für die Verjährung von ESt war auch bzgl. der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO maßgebend.

3. LSt verjährte nach Maßgabe des § 145 Abs. 1 AO, wenn eine ESt-Veranlagung nach § 46 Abs. 1 oder Abs. 2 EStG nicht durchzuführen war.

 

Normenkette

AO §§ 144-145; StAnpG § 3 Abs. 5; EGAO 1977 Art. 97 § 10; EStG 1974 § 36 Abs. 2, § 38 Abs. 1, § 46

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog im Streitjahr 1974 als Prokurist einer KG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit Vertrag vom 8. August 1974 veräußerte die KG an den Kläger ein Grundstück von . . . qm zum Preis von . . . DM. Mit Schreiben vom 16. Januar 1980 teilte die Großbetriebsprüfungsstelle, die eine Betriebsprüfung bei der KG durchgeführt hatte, dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) mit, daß die KG das Grundstück im Jahre 1973 zu einem Quadratmeterpreis von . . . DM erworben habe. Da die KG das Grundstück im Jahre 1974 an den Kläger zu einem Preis von nur . . . DM / qm veräußert habe, habe ihm die KG, seine Arbeitgeberin, einen geldwerten Vorteil von . . . DM zugewandt. Das FA änderte deshalb den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheid 1974 vom 23. November 1979 durch Berichtigungsbescheid vom 15. April 1980 und erhöhte die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um . . . DM. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin als unzulässig ab und gab der Klage des Klägers statt. Zur Klage des Klägers war es der Ansicht, das FA habe den Einkommensteuerbescheid 1974 nicht nach § 173 der Abgabenordnung (AO 1977) ändern dürfen, da bei Erlaß des Änderungsbescheids am 15. April 1980 die streitigen Steueransprüche verjährt gewesen seien.

Hier führte das FG aus:

Der vom FA angenommene geldwerte Vorteil sei Arbeitslohn und der Lohnsteuer nach § 38 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu unterwerfen. Ansprüche des Fiskus aus Steuergesetzen unterlägen der Verjährung. Nach § 145 Abs. 1 der im Streitfall noch maßgebenden Reichsabgabenordnung (AO) beginne die Verjährungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden sei. Die im Abzugsverfahren zu erhebende Einkommensteuer, hier die Lohnsteuer, entstehe nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG 1974 in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließe. Im Streitfall habe daher die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 1974 aus den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit mit Ablauf des Kalenderjahres 1974 begonnen. Da nach § 144 Abs. 1 AO die Verjährungsfrist fünf Jahre betrage, sei mit Ablauf des Kalenderjahres 1979 für die im Abzugsweg zu erhebende Lohnsteuer die Verjährung eingetreten.

Nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO trete zwar in Fällen, in denen - wie im Streitfall - eine Steuererklärung aufgrund gesetzlicher Vorschriften abzugeben sei, abweichend von Abs. 1 eine Ablaufhemmung ein. Dies gelte aber nicht für Abzugsteuern, die auf Einkünften beruhten, die in einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung anzugeben seien. Vielmehr beginne auch dort der Lauf der Festsetzungsfrist für die Abzugsteuern nach § 145 Abs. 1 AO, während sich diese Frist für die übrigen Steueransprüche aus der Steuererklärung nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO richte. Die Möglichkeit einer solchen Teilverjährung folge aus dem Wortlaut des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO, da durch den Klammerzusatz die im Abzugsverfahren erhobenen Steuern ausdrücklich von der dortigen Regelung ausgenommen worden seien.

Die beim Arbeitgeber des Klägers durchgeführte Betriebsprüfung habe ebenfalls nicht zu einer Ablaufhemmung nach § 146 a Abs. 3 AO geführt. Die Ablaufhemmung könne sich nur auf Steuerschulden des in der Prüfungsanordnung genannten Adressaten erstrecken. Im Streitfall habe sich die Prüfung beim Arbeitgeber nicht auf die Lohnsteuer erstreckt.

Das FA legte gegen das Urteil Revision ein.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt bezüglich des Klägers zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung seiner Klage. Denn das FG hat den durch Berichtigungsbescheid vom 15. April 1980 geltend gemachten Steueranspruch zu Unrecht als verjährt angesehen.

1. Der Senat tritt dem FG darin bei, daß nach Art. 97 § 10 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) die Vorschriften der AO 1977 über die Festsetzungsverjährung erstmals für die Festsetzung sowie für die Aufhebung und Änderung der Festsetzung von Steuern gelten, die nach dem 31. Dezember 1976 entstanden sind. Im Streitfall entstand der Anspruch auf veranlagte Einkommensteuer 1974 nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c des Steueranpassungsgesetzes in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung (StAnpG) mit dem Ablauf des Zeitraums, für den die Veranlagung vorgenommen wird, hier also mit dem Ablauf des Jahres 1974. Im Streitfall waren daher bezüglich der Verjährung die Vorschriften der AO maßgebend.

2. Nach § 145 Abs. 1 AO begann die Verjährung grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Abweichend von dieser Norm lief die Verjährungsfrist nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO bei den Steuern vom Einkommen ,,(mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden)", ab dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum abgegeben wurde.

Die Einkommensteuer 1974 ist eine ,,Steuer vom Einkommen" im Sinne dieser Vorschrift. Da der Kläger seine Einkommensteuererklärung 1974 laut Vermerk des FA auf dieser Erklärung am 25. November 1975 beim FA einreichte, begann die Verjährungsfrist bezüglich der Einkommensteuer 1974 mit dem Ablauf des Jahres 1975. Im Hinblick darauf, daß nach § 144 Abs. 1 Satz 1 AO die Verjährungsfrist grundsätzlich fünf Jahre beträgt, trat die Verjährung dieses Steueranspruchs mit Ablauf des Jahres 1980 ein. Der Anspruch aus dem am 15. April 1980 ergangenen Einkommensteuerberichtigungsbescheid 1974 war daher beim Erlaß dieses Bescheids noch nicht verjährt.

3. Entgegen der Ansicht des FG begann die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer des Klägers bezüglich seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht schon mit dem Ablauf des Kalenderjahres 1974. Das FG beruft sich insoweit zu Unrecht auf die vorerwähnten, in Klammern gesetzten Worte des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach die Verjährungsfrist dieser Vorschrift nicht maßgebend ist für die Steuern, ,,die im Abzugsverfahren erhoben werden".

Zu den Abzugssteuern gehört zwar die Lohnsteuer, da nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG die Einkommensteuer bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit ,,durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben" wird. Die Lohnsteuer verjährte demnach grundsätzlich nach § 145 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch auf Lohnsteuer entstanden ist. Entstanden war der Anspruch auf die Lohnsteuer nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 a StAnpG in dem Zeitpunkt des Zufließens der steuerpflichtigen Einkünfte. Stellt man daher nur auf die spätestens mit Ablauf des Jahres 1974 enstandene Lohnsteuer des Jahres 1974 ab, so ist dem FG darin zuzustimmen, daß die Lohnsteuer als solche nach § 144 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf von fünf Jahren zum 31. Dezember 1979 verjährt sein könnte.

Im Streitfall kommt es jedoch nicht auf die Verjährung der Lohnsteuer für das Kalenderjahr 1974 an, da der Kläger auf seinen Antrag hin nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b EStG zwecks Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung zur Einkommensteuer zu veranlagen war. Erst durch die Einkommensteuerveranlagung wurde auch bezüglich der der Lohnsteuer unterliegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit endgültig über den gesamten Einkommensteueranspruch entschieden (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207, 212, li. Sp. zu Abschn. C III 2 b Abs. 2 der Entscheidungsgründe). Auf die durch einen Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommensteuerschuld waren nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG die durch den Steuerabzug einbehaltenen Lohnsteuerbeträge anzurechnen, soweit sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen.

Entsprechend diesem Verhältnis des Lohnsteuerabzugsverfahrens einerseits und der Einkommensteuerveranlagung andererseits sind die Verjährungsvorschriften des § 145 Abs. 1 und 2 Nr. 1 AO dahingehend zu verstehen, daß sich die in Abs. 2 Nr. 1 in Klammern gesetzten Worte ,,mit Ausnahme der Steuern, die im Abzugsverfahren erhoben werden" nur auf die Fälle erstrecken, in denen eine Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 1 und 2 EStG nicht vorzunehmen ist, bei denen deshalb nach § 46 Abs. 4 EStG die Einkommensteuer, die auf die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit entfiel, für den Arbeitnehmer als abgegolten galt, wenn seine Haftung erloschen war (so im Ergebnis auch Haarmann, Deutsches Steuerrecht 1966, 79, 81; v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, 1.-6 Aufl., § 145 AO Anm. 4; a. A. Tipke / Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 145 Tz. 3 letzter Absatz).

Für die Ansicht des Senats sprechen auch die Vorschriften des § 46 Abs. 1 und 2 EStG, die eine Einkommensteuerveranlagung von Amts wegen oder auf Antrag des Steuerpflichtigen vorsehen, wenn dieser Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat, von denen ein Steuerabzug vorgenommen wurde. Eine Anwendung dieser Norm zwecks Durchführung von Einkommensteuerveranlagungen wäre sinnlos und würde ins Leere gehen, wenn hiervon Arbeitnehmereinkünfte betroffen würden, bei denen bereits eine Verjährung eingetreten ist. Solche Steueransprüche könnten nämlich bei der Einkommensteuerveranlagung und somit bei Anwendung des § 46 Abs. 1 und 2 EStG nicht berücksichtigt werden, da sie aufgrund der Verjährung erloschen sind. Eine solche Rechtsfolge würde auch in den Fällen eintreten, in denen der Arbeitnehmer - wie im Streitfall der Kläger - eine Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchstb. b EStG zu seinen Gunsten zwecks Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung beantragt hat.

4. Da mithin bei Erlaß des angefochtenen Einkommensteuerberichtigungsbescheids vom 15. April 1980 eine Verjährung noch nicht eingetreten war, kommt es auf die vom FG erörterte Frage einer Ablaufhemmung der Verjährung nach § 146 a Abs. 3 AO nicht mehr an.

5. Die Vorentscheidung ist bezüglich des Klägers aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist entscheidungsreif. Da das FA zu Recht den Eintritt der Verjährung bezüglich der Einkommensteuer 1974 erst mit dem Ablauf des Jahres 1980 angenommen hat, ist die Klage des Klägers als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415878

BFH/NV 1989, 11

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