Leitsatz (amtlich)

Bevollmächtigte, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, haben keinen Anspruch darauf, daß das FA ihnen allgemein gestattet, die Steuererklärungen ihrer Mandanten an deren Stelle zu unterzeichnen.

 

Normenkette

AO § 107 Abs. 1, 4, § 166 Abs. 1 S. 1; BRAO § 3; StBerG §§ 1-2

 

Tatbestand

Bei den Veranlagungen für 1963 stellte das FA fest, daß die Kläger, die eine Anwaltssocietät bilden, allgemein die Jahressteuererklärungen ihrer Mandanten unterzeichneten. Das FA teilte den Klägern mit, daß grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen erforderlich sei und nur in Einzelfällen auf besonderen Antrag auf die eigenhändige Unterschrift verzichtet werden könne. Die Kläger stellten daraufhin mit Schreiben vom 7. Dezember 1964 den Antrag, ihnen allgemein zu gestatten, wie bisher die Steuererklärungen ihrer Mandanten unterzeichnen zu dürfen, hilfsweise, sie gemäß § 107 Abs. 4 Satz 1 AO zur Unterzeichnung von Steuererklärungen ihrer Mandanten zuzulassen. Das FA lehnte den Antrag durch förmlichen Bescheid vom 24. Februar 1965, der mit Gründen und Rechtsmittelbelehrung versehen war, ab. Die gegen den Bescheid eingelegte Beschwerde wies die OFD mit Beschwerdeentscheidung vom 18. August 1965 als unbegründet zurück. Das FG wies die dagegen erhobene Klage, mit der hilfsweise auch beantragt worden war, festzustellen, daß der Bescheid des FA vom 24. Februar 1965 nichtig sei, ab.

Mit der Revision machen die Kläger vor allem geltend: Ihnen gehe es um die Feststellung, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, die Unterzeichnung der Steuererklärungen der Mandanten der Kläger von den Steuerpflichtigen selbst zu verlangen. Die Beklagte solle ihre rechtswidrige Auffassung hinsichtlich der Zulässigkeit der Unterschriftsleistung der Kläger unter diesen Steuererklärungen fallen lassen und damit die Unterzeichnung durch die Kläger gestatten. Der ablehnende Bescheid des FA werde wegen Rechtswidrigkeit angegriffen. Das geltende Recht, insbesondere die §§ 107 Abs. 1, 166 Abs. 1, 168 Abs. 1 AO, die einschlägigen Durchführungsverordnungen und -bestimmungen der Einzelsteuergesetze, die nicht verfassungsgemäß seien, und die Vorschriften der Berufsgesetze wie der § 3 BRAO und die §§ 1 ff. des StBerG, deckten "die Verwehrung der Unterzeichnung" der Steuererklärungen der Mandanten der Kläger durch diese nicht. Das habe das FG verkannt. Bei der Erfüllung seiner steuerrechtlichen Pflichten, auch derjenigen zur Versicherung der in den Steuererklärungen gemachten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen und der Pflicht zur Unterzeichnung der Steuererklärung, könne sich der Steuerpflichtige nach Maßgabe der Gesetze vertreten lassen, und zwar nicht nur im Fall der "Verhinderung" der Steuerpflichtigen; die Berufsgesetze wie die BRAO, das StBerG und die Wirtschaftsprüferordnung (WPO) gingen als leges speciales der AO vor. Auffällig sei auch, daß weder § 107 Abs. 1 noch § 166 Abs. 1 AO eine ausdrückliche Regelung für die Form der Abgabe von Steuererklärungen enthalte. Es liege im eigenen pflichtgemäßen Ermessen des steuerrechtlichen Beraters, "ob er von dem ihm gesetzlich zustehenden Recht, Steuererklärungen seiner Mandanten zu unterschreiben, im Einzelfall Gebrauch machen will oder nicht". Etwas anderes erfordere auch nicht die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei der Besteuerung, welche die Offenlegung der tatsächlichen Verhältnisse zum Zwecke der Besteuerung betreffe; die Unterschrift unter dem Steuererklärungsformular diene lediglich dem Zweck, die Identität des Erklärenden festzustellen. Mit dem Verlangen, daß der Steuerpflichtige die Steuererklärungen eigenhändig unterschreibe, werde auch nicht eine Überwachungspflicht der Finanzbehörde erfüllt; ihr komme keine selbständige Bedeutung zu. § 107 Abs. 1 AO gestatte dem Bevollmächtigten, echte steuerrechtliche Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen selbst zu erfüllen. Der Entwurf einer neuen AO erweitere das Recht aus § 107 Abs. 1 AO der geltenden Fassung noch. Nicht zutreffend sei die Feststellung des FG, das FA habe "zeitweilig" nicht beanstandet, daß die Kläger die Steuererklärungen ihrer Mandanten unterzelchneten; das FA habe dies vielmehr jahrelang hingenommen. Vorsorglich werde die Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO gerügt.

Die Kläger regen unter Hinweis auf § 122 FGO an, daß der BFH eine Reihe von Berufsorganisationen, u. a. die Bundesrechtsanwaltskammer, sowie den BdF zum Verfahren hinzuziehen möge.

Sie beantragen,

1. das Urteil des FG vom 10. Juli 1968 sowie die vorangegangene Beschwerdeentscheidung der OFD vom 18. August 1965 und der Bescheid des Vorstehers des FA vom 24. Februar 1965 werden aufgehoben.

2. Das FA wird verpflichtet zu erklären, daß die Kläger berechtigt sind, allgemein die Steuererklärungen ihrer Mandanten zu unterzeichnen.

Hilfsweise beantragen sie zu erkennen: Es wird festgestellt, daß der Bescheid des FA vom 24. Februar 1965 in der Form der Beschwerdeentscheidung vom 18. August 1965 nichtig ist.

Die Beklagte beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie bezweifelt, daß überhaupt ein Verwaltungsakt des FA vorliege; es handle sich nur um eine Rechtsbelehrung, gegen die eine Klage nicht zulässig sei.

Sie hält es für zutreffend, daß den Klägern nach der bestehenden Rechtsordnung ein Recht auf Erlaß des beantragten Verwaltungsakts nicht zustehe; § 107 Abs. 1 AO beziehe sich nur auf die Fälle der "Verhinderung" des Steuerpflichtigen und damit nur auf einzelne Fälle. Heranzuziehen sei auch § 166 Abs. 1 AO. Die Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen könne je nach der Steuerart und den Umständen des Einzelfalles verschieden sein. Nach den Berufsgesetzen könne das Vertretungsrecht der berufsmäßigen Vertreter nur im Rahmen der bestehenden Gesetze ausgeübt werden. Die Entscheidung nach § 107 Abs. 4 AO sei eine Ermessensentscheidung im einzelnen Falle. Auf die Frage, ob die Vorschriften der Durchführungsverordnungen und -bestimmungen durch eine gesetzliche Ermächtigung gedeckt seien, komme es im Streitfall nicht an, da § 166 Abs. 1 AO eingreife und insoweit § 107 Abs. 1 AO einschränkend auszulegen sei. Die Durchführungsverordnungen und -bestimmungen seien aber auch verfassungsgemäß.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt nicht zum Erfolg.

1. Da die Kläger schon im Verfahren vor dem FG beantragt haben, unter Aufhebung der Vorentscheidung und der vorangegangenen Verwaltungsentscheidungen das FA zu verpflichten, zu erklären, daß die Kläger berechtigt seien, allgemein die Steuererklärungen ihrer Mandanten zu unterzeichnen, und den Hilfsantrag gestellt haben, festzustellen, daß der angegriffene Bescheid das FA in der Form der Beschwerdeentscheidung nichtig sei, liegt eine zugleich die Anfechtung des ablehnenden Bescheides enthaltende Verpflichtungsklage vor und hilfsweise eine Feststellungsklage. In der Sache geht es den Klägern um die Frage, ob sie nach dem geltenden Recht berechtigt sind, generell anstelle ihrer Mandanten deren Steuererklärungen zu unterzeichnen, mit der Wirkung, daß das FA nicht noch die eigenhändige Unterzeichnung durch die Mandanten fordern dürfe.

Die Klage war nicht unzulässig. Die Kläger machen geltend, sie seien durch die Ablehnung eines von ihnen beantragten Verwaltungsaktes in ihren Rechten verletzt, insbesondere deshalb, weil sie einen Anspruch auf Erlaß des begehrten Verwaltungsaktes hätten. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Bescheid des FA vom 24. Februar 1965 alle Merkmale eines Verwaltungsaktes aufweist; er stellt jedenfalls nicht nur eine "Rechtsbelehrung" dar, sondern eine Maßnahme, die in die Form eines Verwaltungsaktes gekleidet ist, die mit Gründen und Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist und daher auch mit Rechtsbehelfen angreifbar war.

2. Die von den Klägern im Revisionsverfahren angeregte Beteiligung verschiedener Berufsorganisationen ist weder nach § 122 noch nach § 123 FGO zulässig. Für eine Aufforderung des BdF, dem Verfahren beizutreten (§ 122 Abs. 2 Satz 3 FGO), bestand keine Veranlassung.

3. a) Soweit die Kläger die Berechtigung ihres Begehrens auf die Berufsgesetze stützen, irren sie mit ihrer Meinung, diese seien leges speciales gegenüber den Vorschriften der AO über die berufsmäßige Vertretung von Steuerpflichtigen. Das Gegenteil ist richtig. BRAO, StBerG und WPO regeln berufsrechtliche Fragen; aber § 3 Abs. 3 BRAO bestimmt auch, daß jedermann "im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften" das Recht hat, sich in Rechtsangelegenheiten aller Art durch Rechtsanwälte seiner Wahl beraten und vor Gerichten ... oder Behörden vertreten zu lassen. Die gesetzlichen Vorschriften über die Beratung und Vertretung in Steuersachen, über die steuerrechtliche Seite der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen finden sich insbesondere in den §§ 107, 107a AO. Sie sind die einschlägigen leges speciales, auch im Sinne des § 3 Abs. 3 BRAO. Diese Regelung ist infolge der Bedeutung der Besteuerung und des Steuerrechts für die Allgemeinheit und unter Abwägung der Belange der Gesamtheit und der einzelnen Staatsbürger auch gerechtfertigt. Nach § 107 Abs. 1 AO kann, wer durch Abwesenheit oder sonst verhindert ist, Pflichten zu erfüllen, die ihm im Interesse der Besteuerung obliegen, oder Rechte wahrzunehmen, die ihm nach den Steuergesetzen zustehen, dies durch Bevollmächtigte tun. Nach § 107 Abs. 4 Satz 1 AO können die FÄ auch sonst Bevollmächtigte zulassen. Es bleibt ihnen nach § 107 Abs. 4 Satz 2 AO aber unbenommen, sich neben dem Bevollmächtigten an den Steuerpflichtigen zu wenden. Im Gegensatz zu § 107 Abs. 1 AO ist § 107 Abs. 4 Satz 1 AO nur eine "Ermessens"-Vorschrift; innerhalb der gesetzlich dem Ermessen gezogenen Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach § 2 Abs. 2 StAnpG nach Recht und Billigkeit zu treffen. Die Vorschrift des § 107 Abs. 1 AO wird nicht selten in bezug auf die Bevollmächtigung zur Abgabe von Steuererklärungen eng ausgelegt (vgl. z. B. Paulick in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Anm. 2 zu § 107 AO, S. 6, Abs. 4). Das mag zunächst auch zugetroffen haben. Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) ist den Klägern jedoch zuzugeben, daß der Begriff der "Verhinderung" in § 107 Abs. 1 AO nicht eng, sondern weit auszulegen ist (vgl. auch Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, 1965, Tz. 654; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. bis 4. Aufl., 1965/9, Anm. 5 zu § 107 AO). Die "Verhinderung" kann auch auf mangelnder geschäftlicher oder rechtlicher Erfahrung oder Kenntnis beruhen; dies wird bei der Kompliziertheit des Steuerrechts oft der Fall sein. § 107 Abs. 1 AO umfaßt nicht nur die Fälle der Verhinderung bei der Abgabe von Willenserklärungen, sondern auch diejenigen bei der Abgabe von "Wissens"-Erklärungen, zu denen auch die Steuererklärungen nach § 166 Abs. 1 AO zählen (vgl. u. a. insoweit das Urteil des BFH I 216 und 217/61 U vom 16. August 1962, BFH 75, 620, BStBl III 1962, 493). Der Bevollmächtigte ist somit im Fall der "Verhinderung" der Steuerpflichtigen (seiner Mandanten) berechtigt, deren Steuererklärungen, z. B. auch ihre Einkommensteuererklärungen, für sie und statt ihrer zu unterzeichnen.

b) Kann demnach aus den im Vorstehenden erwähnten Vorschriften keine unbeschränkte Befugnis zur Vertretung bei der Unterzeichnung von Steuererklärungen entnommen werden, verlangt sogar § 60 (früher § 42 Abs. 1) EStDV seit der EStDV 1953 vom 31. März 1954 (BGBl I, 67) auf Grund der Bekanntmachung der Neufassung des EStG vom 15. September 1953 (BGBl I, 1355), daß die Steuererklärungen - wenn sie schriftlich abgegeben werden - vom Steuerpflichtigen eigenhändig unterschrieben werden; dies weicht von § 42 Abs. 1 EStDV in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Januar 1952 (BGBl I, 54) in der Fassung der Verordnung vom 23. August 1952 (BGBl I, 598) ab, wo es hieß, daß die Steuererklärungen eigenhändig oder durch einen Bevollmächtigten unterschrieben sein müssen. Im Gegensatz zu der Meinung der Kläger sind die Vorschriften der EStDV über die eigenhändige Unterzeichnung der Einkommensteuererklärungen durch die Steuerpflichtigen im Einklang mit den Vorschriften des GG ergangen, insbesondere mit Art. 80 Abs. 1, der eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsvorschriften verlangt und an diese bestimmte Anforderungen stellt. Diese Meinung entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des BFH. Wenn § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) EStG die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt, soweit dies zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung ... oder zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens erforderlich ist, und zwar über die Veranlagung, so reicht diese Ermächtigung aus. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, daß § 166 Abs. 1 Satz 2 AO sagt: "Die Erklärungen sind nach Form und Inhalt so abzugeben, wie es das FA nach den Gesetzen und Ausführungsbestimmungen vorschreibt." Die eigenhändige Unterschrift unter der Steuererklärung dient auch nicht, wie die Kläger ausführen, "lediglich" dem Zweck, die "Identität des Erklärenden" festzustellen; sie hat vielmehr schon "einen Zusammenhang mit der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen". Die Kläger selbst geben zu, daß für die Richtigkeit der tatsächlichen Angaben in der Steuererklärung "der Steuerpflichtige einzustehen" hat, schon "weil er allein seine persönlichen Einkommensverhältnisse kennt". Der Steuerpflichtige (Mandant) wird, wenn nicht er, sondern sein Bevollmächtigter die Steuererklärung unterschreibt, von dieser Verantwortung für die tatsächlichen Angaben nicht entlastet. Das Gesetz geht aber davon aus, daß es praktisch erheblich sein kann, wenn der Steuerpflichtige selbst (bei gewissen Steuerarten wie bei der Einkommensteuer) die Steuererklärung unterzeichnet. Es gibt dadurch, daß es in § 166 Abs. 1 Satz 1 AO vorschreibt, der Steuerpflichtige habe zu versichern, er habe die Angaben in der Steuererklärung "nach bestem Wissen und Gewissen" gemacht, zu erkennen, daß es im Interesse gerechter, gleichmäßiger Besteuerung, im Interesse möglichst vollständiger steuerrechtlicher Erfassung auf möglichst einfache Weise und im Interesse der Steuermoral bestrebt ist, dem Steuerpflichtigen, der die Einkommensteuererklärung selbst unterzeichnen soll, vor Augen zu führen, daß es sich um etwas für die Allgemeinheit wie für ihn sehr Wesentliches handelt, daß er mit der Unterschrift sich dessen bewußt werden soll, daß er damit eine besondere Verantwortung übernimmt. Nicht bei allen Steuerarten fordern aber die Gesetze, daß der Steuerpflichtige selbst diese Verantwortung für die tatsächlichen Angaben übernimmt, weil das praktisch auch nicht immer möglich sein wird. Deshalb schreiben auch weder § 107 Abs. 1 AO noch § 166 Abs. 1 AO ausdrücklich vor, daß die Steuerpflichtigen stets die (schriftlich abgegebenen) Steuererklärungen eigenhändig zu unterschreiben haben. Die Rechtslage kann bei verschiedenen Steuerarten eine verschiedene sein. Grundsätzlich liegt dem Staat aber daran, daß der Steuerpflichtige die Steuererklärung (insbesondere die Einkommensteuer erklärung als Grundlage für die Einkommensteuerveranlagung) eigenhändig unterzeichnet und damit auch äußerlich ersichtlich die Verantwortung für die tatsächlichen Angaben in der Steuererklärung übernimmt (vgl. dazu auch die Urteile des RFH IV A 12/28 vom 15. Februar 1928, RStBl 1928, 112 Nr. 201, und des BFH I 216 und 217/61 U vom 16. August 1962, a. a. O., S. 622 bzw. S. 494).

Daher ist dadurch, daß § 107 Abs. 1 AO in Fällen der "Verhinderung" der Steuerpflichtigen eine Vertretung auch bei der Unterzeichnung von Steuererklärungen in dem unter a) dargelegten Umfange zuläßt, nicht ausgeschlossen, daß in Fällen, in denen ein besonderes, berechtigtes Interesse der Finanzverwaltung daran besteht, daß außer dem Bevollmächtigten auch der Steuerpflichtige die Steuererklärung eigenhändig unterschreibt, die Verwaltung eine derartige Mitwirkung des Steuerpflichtigen verlangen kann. Sie ist vielmehr als berechtigt anzusehen, bei Steuerpflichtigen, die wegen mangelnder geschäftlicher oder rechtlicher Erfahrung oder Kenntnisse im Sinne des § 107 Abs. 1 AO "verhindert" sind, auf der eigenhändigen Unterschrift dieser Steuerpflichtigen zu bestehen oder bei solchen Steuerpflichtigen, die z. B. auf längerer Urlaubsreise waren, die eigenhändige Unterschrift nach Rückkehr des Steuerpflichtigen im Fall besonderen, berechtigten Interesses nachzufordern. Ein solches Verlangen könnte aus der Vorschrift des § 107 Abs. 4 Satz 2 AO gerechtfertigt werden. Wenn diese ihrer Stellung nach als Satz 2 des Abs. 4 auch einen nicht glücklichen Platz erhalten hat und besser als besonderer Absatz hinter § 107 Abs. 4 AO hätte gestellt werden sollen, so kann die Vorschrift nach Sinnzusammenhang und Zweck doch nicht so auszulegen sein, daß das FA sich nur in den Fällen des § 107 Abs. 4 Satz 1 AO "neben" dem Bevollmächtigten (also nicht unter dessen Übergehung) an den Steuerpflichtigen selbst zu wenden berechtigt sei, auch wenn ein besonderer Grund gegeben ist, die Unterschrift unter die Steuererklärung auch vom Steuerpflichtigen selbst zu fordern (vgl. hierzu insoweit auch das Urteil des Niedersächsischen FG V 44/61 vom 15. August 1961, EFG 1962, 172/3 Nr. 186; Mattern-Meßmer, a. a. O., Tz.655,663; Kühn, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., 1968; auch Kühn-Kutter, Reichsabgabenordnung, 10. Aufl., 1970, 2b zu § 107, letzter Satz; vgl. für die Einkommensteuer auch Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 9. Aufl., 1969, Rdnr. 20 zu § 25 EStG; für die Umsatzsteuer Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz [Mehrwertsteuer], Kommentar, 10. Aufl., II 2, 17. Lieferung, November 1969, Rdnr. 82 zu § 18 UStG; das erwähnte Urteil des Niedersächsischen FG zitiertzustimmend auch Paulick in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung. Anm. 2 zu § 107 AO, S. 6, Abs. 2; a. M. Tipke-Kruse, a. a. O., Anm. 6 zu § 107 AO). Diese Auslegung des § 107 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 AO rechtfertigt sich um so mehr, wenn die dargelegte weite Auslegung des § 107 Abs. 1 AO infolge der Entwicklung der Verhältnisse (§ 1 Abs. 2 StAnpG) berücksichtigt wird.

c) Bei den verschiedenen Steuerarten sind die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen auch hinsichtlich der Pflicht zur eigenhändigen Unterzeichnung der Steuererklärungen nicht einheitlich geregelt. Außerdem kommt es in der Frage der Verpflichtung des Steuerpflichtigen zu eigenhändiger Unterzeichnung der schriftlich abgegebenen Steuererklärungen auch dann, wenn sein Bevollmächtigter sie unterzeichnet hat, auf den einzelnen Fall an. Die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen in dieser Hinsicht sind, wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, auch nicht gleich in den Fällen des § 107 Abs. 1 AO ("Verhinderung" der Steuerpflichtigen) und in den Fällen des § 107 Abs. 4 Satz 1 AO, in denen die FÄ, wenn es nach Lage des einzelnen Falles angebracht ist, "auch sonst" Bevollmächtigte mit der Maßgabe "zulassen" können, daß Steuererklärungen ihrer Mandanten von diesen selbst eigenhändig unterschrieben werden. Die FÄ begnügen sich in der Praxis oft auch über die Fälle des § 107 Abs. 1 AO hinaus damit, daß allein der Bevollmächtigte des Steuerpflichtigen die Steuererklärung (auch die Einkommensteuererklärung) unterzeichnet. Die Bevollmächtigen können jedoch nicht fordern, daß das FA ihnen von vornherein allgemein - ohne daß dabei die etwa gegebenen besonderen Umstände einzelner Fälle berücksichtigt werden können - für alle Steuerarten gestattet, die Steuererklärungen ihrer Mandanten für sie und statt ihrer zu unterschreiben mit der Wirkung, daß die Finanzverwaltung eine Unterzeichnung durch die Steuerpflichtigen selbst in keinem dieser Fälle mehr verlangen könnte. Das FA muß besonderen Einzelfällen Rechnung tragen können. Nicht ist die Frage der Unterzeichnung in die Hand des Bevollmächtigten gegeben, wie die Kläger meinen.

Es kommt im Streitfall auch nicht darauf an, ob das FA "zeitweilig" oder eine Reihe von Jahren hindurch eine ausschließliche Unterzeichnung der Steuererklärungen der Mandanten der Kläger durch letztere gestattet hat. Es würde dies das FA für die Zukunft nicht binden, in allen Fällen, in denen es sich um Steuererklärungen der Mandanten der Kläger handelt, ohne Rücksicht auf besondere Umstände einzelner Fälle weiter so zu verfahren. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht des FG liegt mithin nicht vor.

Das FG hat daher zu Recht eine Aufhebung der Entscheidungen der Verwaltung und eine Verpflichtung der Verwaltung in dem begehrten Sinne abgelehnt.

4. Für eine "Nichtigkeit" des Bescheids des FA vom 24. Februar 1965 in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD sind stichhaltige Gründe nicht vorgetragen worden; es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit vor.

Die Revision war somit als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69562

BStBl II 1971, 726

BFHE 1972, 18

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