Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Auslegung und Abgrenzung der Begriffe "verarbeitendes Gewerbe" und "Baugewerbe" ist die Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise mit zu berücksichtigen. Diese ergibt sich im allgemeinen aus dem Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts.

2. Es gehört demnach eine Bau- und Möbeltischlerei (Klasse 26 100) zum verarbeitenden Gewerbe und nicht zum Baugewerbe.

 

Normenkette

BerlinFG § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt in Berlin (West) einen Tischlereibetrieb und den Modellbau. Er stellt insbesondere Möbel und Möbeleinzelteile sowie Fenster und Türen für Bauten in Sonderanfertigung her. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) gewährte dem Kläger für in den Jahren 1968 bis 1970 angeschaffte Wirtschaftsgüter (hauptsächlich Maschinen) zunächst die erhöhte Investitionszulage von 25 % der Anschaffungskosten nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG/BerlinFG.

Bei Prüfungen am 24. März 1971 und 7. März 1972 wurde festgestellt, daß in den Jahren 1968 und 1971 die Umsätze in der Bautischlerei höher waren als die in der Möbelschreinerei. Das FA rechnete deshalb den Betrieb des Klägers für diese Jahre dem Baugewerbe zu und forderte die Investitionszulage, soweit sie 10 % überstieg, zurück. Aus den gleichen Gründen versagte es für 1971 die erhöhte Zulage. Auch für 1969 und 1970 forderte es 15 % der Anschaffungskosten mit der Begründung zurück, daß die in diesen Wirtschaftsjahren angeschafften Wirtschaftsgüter nicht insgesamt drei Jahre dem erhöht zulagebegünstigten Zweck gedient hätten. Der Einspruch war erfolglos.

Die Klage, mit der der Kläger begehrte, die Rückforderungsbescheide aufzuheben und ihm auch für das Jahr 1971 die erhöhte Zulage zu gewähren, hatte Erfolg. Das FG hat ausgeführt: Eine am Wortlaut, der Verkehrsauffassung und dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers anknüpfende Auslegung müsse dazu führen, daß die in der Abteilung 3 (Baugewerbe) der Systematik der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes (auszugsweise abgedruckt in Steuer- und Zollblatt für Berlin 1968 S. 1493 ff. - StuZBl. Bln 1968, 1493 ff. -) aufgeführten Betriebe von der erhöhten Investitionszulage ausgeschlossen seien, während sie sämtlichen in der Abteilung 2 (verarbeitendes Gewerbe) des vorgenannten Verzeichnisses aufgeführten Betrieben zuzuerkennen sei. Der Gesetzgeber habe auf diese Weise sinnvoll eine klare Abgrenzung geschaffen und erkennbar eine große Zahl von Streitfällen und die damit verbundene Verwaltungsmehrarbeit vermeiden wollen.

Der Betrieb des Klägers sei unstreitig in Abteilung 2 (Nr. 26 100) des Systematischen Verzeichnisses des Statistischen Bundesamts eingeordnet. Daraus ergebe sich, daß er zum erhöht zulagebegünstigten verarbeitenden Gewerbe gehöre.

Aber auch dann, wenn die Eingruppierung nach dem Systematischen Verzeichnis des Statistischen Bundesamtes nicht entscheidend sein sollte, könne der Betrieb des Klägers nicht dem Baugewerbe zugerechnet werden. Nach der Verkehrsauffassung zähle die fabrikmäßige Herstellung von Baumaterialien (etwa Mauersteinen) oder Bauelementen (wie Fenster und Türen) nicht zum Baugewerbe. Man könne nun nicht darauf abstellen, ob dieser Unternehmer seine Bauelemente an Dritte verkaufe oder sie selbst an der Baustelle einsetze. Im letzteren Fall liege eine gemischte Tätigkeit vor. Man müsse in einem solchen Fall die Abgrenzung zwischen dem Baugewerbe und dem sonstigen verarbeitenden Gewerbe nach dem Verhältnis der Tätigkeit an der Baustelle (baustellenbezogene Fertigung) und der standortgebundenen fabrikmäßigen Fertigung vornehmen.

Das FA rügt mit der Revision Verletzung materiellen Rechts. Es trägt im einzelnen vor:

Das Systematische Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts, auf das in der Begründung zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes - später Berlinförderungsgesetz - zur Festlegung des Begriffs des verarbeitenden Gewerbes hingewiesen sei (Bundestags-Drucksache V/3019 S. 9), könne nur als ein Hilfsmittel gelten. Für die Frage der Abgrenzung des Baugewerbes vom sonstigen verarbeitenden Gewerbe komme es nach dem Erlaß des Senators für Finanzen vom 24. November 1969 (StuZBl. Bln 1970, 448) im Zweifelsfalle allein auf die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit an, die der Steuerpflichtige in seinem Betrieb ausübe. Bestehe diese Tätigkeit überwiegend darin, Hochbauten im Rohbau zu errichten, Tiefbauarbeiten auszuführen, Spezialbauarbeiten und entsprechende Reparatur- und Unterhaltungsarbeiten vorzunehmen oder bestimmte Hilfsarbeiten im Zusammenhang mit Bau- und Ausbauarbeiten auszuüben, so handele es sich um einen Betrieb des Baugewerbes. Da der Kläger in den Jahren 1968 und 1971 überwiegend eine Bautischlerei betrieben habe, sei sein Betrieb somit dem Baugewerbe zuzurechnen. Auf die weitere Unterscheidung des FG, ob in dem Betrieb des Klägers die baustellenbezogene oder die standortgebundene fabrikmäßige Fertigung überwiege, könne es dann nicht mehr ankommen.

Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt noch vor:

Sein Betrieb gehöre nach der Handwerksordnung - HandwO - (Anlage A) zur Gruppe III (Gruppe der Holzgewerbe) und nicht zur Gruppe I (Gruppe der Bau- und Ausbaugewerbe). Nach dem Systematischen Verzeichnis gehörten auch Bautischlereien mit der Nr. 26 100 zur Unterabteilung 26 (Holz-, Papier- und Druckgewerbe). Die Tätigkeit seines Handwerks falle auch nicht unter den Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe. Für Bautischlereien existiere auch keine Schlechtwettergeldregelung und keine Winterbauförderung. Im übrigen finde der weit überwiegende Teil der Wertschöpfung in seiner Werkstätte statt und nicht auf der Baustelle wie sonst bei nahezu allen "echten" Betrieben des Baugewerbes.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanz, daß der Betrieb des Klägers nicht dem Baugewerbe zuzurechnen ist, so daß dem Kläger für die von ihm angeschafften Wirtschaftsgüter die erhöhte Investitionszulage nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BHG/BerlinFG zusteht.

Diese Regelung wurde durch das Gesetz vom 19. Juli 1968 (BGBl I 1968, 833, BStBl I 1968, 1006) in das Berlinhilfegesetz - später Berlinförderungsgesetz - aufgenommen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. Bundestags-Drucksache V/3019 S. 9) hatte sich die einheitlich für alle Betriebe seit 1962 geltende Investitionszulage von 10 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten zwar als eine sehr wirksame Maßnahme zur Förderung der Investitionstätigkeit der Berliner Wirtschaft erwiesen. Es wurde jedoch festgestellt, daß sie die Investitionstätigkeit im industriellen Bereich, an dessen Ausweitung in Berlin ein besonderes Interesse bestand, nur unzureichend gefördert hatte. Zum überwiegenden Teil war die Investitionszulage anderen Bereichen der Berliner Wirtschaft zugute gekommen. Da man im Interesse der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung von Berlin gerade auf dem industriellen Sektor eine Steigerung der Investitionstätigkeit für wünschenswert hielt, sollte deshalb die Zulage für Betriebe des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - unter bestimmten Voraussetzungen auf 25 % erhöht werden. Die Abgrenzung des verarbeitenden Gewerbes sollte sich dabei aus dem Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts ergeben. Von der Erhöhung der Zulage wurde das Baugewerbe ausgenommen, weil es in seiner Auftragslage u. a. durch die den Bauherren in Berlin eingeräumten weitgehenden Abschreibungsmöglichkeiten bereits ausreichend gefördert erschien, so daß es keiner weiteren Förderung bedurfte.

2. Der VIII. Senat des BFH, der bisher für die Investitionszulage zuständig war, ist in dem Urteil vom 17. Oktober 1973 VIII R 149/71 (BFHE 111, 392, BStBl II 1974, 321) bei der Auslegung des Begriffs "Baugewerbe" vom Wortsinn dieses Begriffs sowie von dem mit der Regelung über die erhöhte Investitionszulage verfolgten Ziel und Zweck der Vorschrift ausgegangen. Dem Systematischen Verzeichnis hat er im Rahmen der Auslegung nur die Bedeutung eines Hilfsmittels zuerkannt. Als zum Baugewerbe gehörend wurden alle an der Errichtung eines Bauwerks unmittelbar beteiligten Betriebe gerechnet. Der VIII. Senat kam in dem von ihm entschiedenen Fall zu dem Ergebnis, daß einem Unternehmen, das Fertigfenster serienmäßig herstellt und diese an der Baustelle auch selbst einsetzt, die erhöhte Zulage zu versagen sei, obwohl der Betrieb in Abteilung 2 des Systematischen Verzeichnisses in Klasse 26 102 eingetragen war.

In dem Urteil vom 14. Januar 1975 VIII R 148/71 (BFHE 115, 86, BStBl II 1975, 392) hat der VIII. Senat diese Rechtsprechung jedoch wieder aufgegeben. Er hat zwar an seiner Auffassung festgehalten, daß eine feste Bindung der FÄ und FG an das Systematische Verzeichnis nicht bestehe, er hat jedoch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, daß im Interesse der Rechtssicherheit die Entscheidung, ob ein Betrieb dem Baugewerbe oder dem sonstigen verarbeitenden Gewerbe zuzurechnen sei, in engster Anlehnung an das Systematische Verzeichnis getroffen werden solle. Die Auslegung wurde also mehr unter Heranziehung der Vorstellung des Gesetzgebers, wie sie sich aus der Bundestags-Drucksache V/3019 ergab sowie unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung vorgenommen. Letztere findet gerade im Systematischen Verzeichnis ihren besonderen Ausdruck, weil die einzelnen Wirtschaftskreise an ihm beteiligt waren. Der VIII. Senat kam dann zum Ergebnis, daß einem Betrieb, der Aufzüge, Förderbänder und Müllschlucker herstellt und diese in bereits bestehende oder in der Errichtung befindliche Gebäude montiert und der in Abteilung 2 unter Nr. 2428 geführt wird, die erhöhte Zulage zusteht.

Außerdem hat der VIII. Senat in dem Urteil vom 14. Januar 1975 VIII R 11/73 (BFHE 115, 167, BStBl II 1975, 406) entschieden, daß ein Unternehmen, das Bauelemente aus Beton herstellt und diese zu 85 % auch selbst auf Baustellen zu Fertigbauten montiert (Klasse 22 087) nicht dem Baugewerbe zuzurechnen ist.

3. Der erkennende Senat tritt dieser Rechtsprechung bei. Bei der Auslegung und Abgrenzung der Begriffe "verarbeitendes Gewerbe" und "Baugewerbe" ist mangels einer gesetzlichen Begriffsbestimmung die Verkehrsauffassung mit zu berücksichtigen (§ 1 Abs. 2 StAnpG). Da es sich um Begriffe der Wirtschaft handelt, ist die Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise maßgebend (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichasbgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 1 StAnpG Anm. 4 und Heinlein in Die Information 1964 S. 1). Diese hat ihren Niederschlag in dem Systematischen Verzeichnis der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamts gefunden. Das Systematische Verzeichnis dient zwar hauptsächlich statistischen Zwecken, es stellt aber gleichzeitig, wie sich aus seinem Vorwort und seinen allgemeinen Bemerkungen ergibt, eine Grundsystematik aller Wirtschaftszweige dar, bei der die Erkenntnisse über die Gruppierungen wirtschaftlicher Institutionen verwertet worden sind. An der Erarbeitung des Verzeichnisses waren zahlreiche Wirtschaftsverbände beteiligt. Auch im Gesetzgebungsverfahren ist man davon ausgegangen, daß das verarbeitende Gewerbe grundsätzlich nach dem Systematischen Verzeichnis abzugrenzen sei. Es ist deshalb zutreffend, wenn die Vorinstanz das Verzeichnis ihrer Beurteilung zugrunde gelegt und den Betrieb des Klägers, der unstreitig zur Klasse 26 100 des Verzeichnisses gehört, dem verarbeitenden Gewerbe und nicht dem Baugewerbe zugeordnet hat.

4. Die von der Vorinstanz vorgenommene Eingruppierung in das verarbeitende Gewerbe ist, worauf der Kläger besonders hingewiesen hat, auch deshalb gerechtfertigt, weil die Wertschöpfung seiner Tätigkeit überwiegend in der Werkstatt und nicht an der Baustelle erfolgt. Die Situation ist die gleiche wie beispielsweise bei dem Bauschlosser (Nr. 2 390) und dem Rolladenhersteller (26 102), die ebenfalls nach dem Systematischen Verzeichnis nicht dem Baugewerbe angehören. Alle übrigen Bauhandwerker sind demgegenüber in Abteilung 3 des Systematischen Verzeichnisses ausgewiesen. Sie arbeiten auch ausschließlich oder zumindest vorwiegend direkt auf der Baustelle und unterhalten zu Hause keine Werkstatt, sondern lediglich ein Materiallager. Daß der Kläger im vorliegenden Fall die Fenster und Türen nicht serienmäßig herstellt, sondern sie für das jeweilig in Betracht kommende Gebäude nach Maß fertigt, sieht der Senat als nicht entscheidend an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71834

BStBl II 1976, 410

BFHE 1976, 516

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