Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen wegen Überschuldung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist bei einem beantragten Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Gründen die Überschuldung zu prüfen, kann nicht auf das voraussichtliche Ergebnis der Verwertung von bereits in der Zwangsversteigerung befindlichen Grundstücken abgestellt werden; vielmehr ist vom Verkehrswert der Grundstücke auszugehen, der nach § 74a Abs.5 ZVG zu ermitteln ist.

2. Ist der Steuerschuldner in der Lage, die Liquiditätsunterdeckung über einen gewissen Zeitraum durch laufende Aufnahme von Bankkrediten zu finanzieren, mit denen er seine betrieblichen und privaten Aufwendungen und Schulden bezahlt, ist noch ein Zustand gegeben, seitens des FA auf die Tilgung auch der Steuerschulden durch Erhebung von Säumniszuschlägen hinzuwirken.

 

Orientierungssatz

1. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung mit Rücksicht auf ihre Funktion als Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern ihren Sinn deshalb verliert, weil dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern infolge Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war (vgl. BFH-Rechtsprechung). Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist auch dann geboten, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Hauptschuld ein Zustand eingetreten ist, der den Erlaß dieser Hauptschuld aus sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen rechtfertigt (vgl. BFH-Urteil vom 2.2.1989 V R 171/83).

2. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus persönlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung die wirtschaftliche Existenz des Klägers vernichten oder ernsthaft gefährden würde, also ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden könnte.

3. Für die gerichtliche Nachprüfung einer Ermessensentscheidung über den Steuererlaß aus Billigkeitsgründen sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letztinstanzlichen Verwaltungsentscheidung maßgebend (vgl. Literatur).

 

Normenkette

AO 1977 § 227 Abs. 1, § 240; FGO § 102

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein selbständig tätiger Architekt. Er ist verheiratet; seine Ehefrau hatte keine eigenen Einkünfte. Der Kläger erzielte in den Jahren 1978 bis 1983 folgende Betriebsergebnisse:

Jahr Umsatz Gewinn

1978 81 902 DM 49 465 DM

1979 44 038 DM 15 557 DM

1980 114 568 DM 31 446 DM

1981 123 150 DM 60 639 DM

1982 36 565 DM - 4 436 DM

1983 20 126 DM - 3 230 DM.

Der Kläger und seine Ehefrau waren im Zeitpunkt der den beantragten Billigkeitserlaß ablehnenden Entscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 26.November 1984 noch Eigentümer eines gemischtgenutzten Grundstücks in B (Einheitswert: 63 400 DM). Wegen der auf dem Haus lastenden Grundpfandrechte, mit denen Bankverbindlichkeiten von 370 000 DM dinglich gesichert waren, betrieb eine der beiden Gläubigerbanken im Juli 1985 die Zwangsversteigerung und erwarb das Grundstück zu einem Zuschlag von 290 000 DM. In ein weiteres unbebautes Grundstück in A (Einheitswert: 2 300 DM) betrieb der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Zwangsversteigerung. Das Amtsgericht B setzte durch Beschluß vom 9.August 1984 den Verkehrswert auf 7 970 DM fest. Nach Angaben des Klägers im Klageverfahren ist dieses Grundstück im Jahre 1985 für 15 000 DM verkauft worden.

Aufgrund einer Betriebsprüfung wurden am 5.Februar und 10.April 1982 Nachforderungen an Umsatzsteuer 1977 bis 1979 sowie Einkommensteuer 1978 von insgesamt 5 447,30 DM fällig. Bezüglich der Einkommensteuernachforderung von 3 788 DM beantragte der Kläger mit Schreiben vom 24.Februar 1982 Stundung unter Angebot einer Ratenzahlung, die zwar bewilligt, aber nicht eingehalten wurde. Die Stundung wurde deshalb am 15.März 1982 aufgehoben. Ab 1982 leistete der Kläger die aufgrund monatlicher Umsatzsteuervoranmeldungen fällig werdenden Steuern nicht mehr vollständig. Die aufgrund verspäteter Abgabe von Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen 1981 erst am 17.Oktober 1983 durchgeführte Veranlagung 1981 führte zu Steuernachforderungen von 5 602 DM Einkommensteuer und 1 385 DM Umsatzsteuer, auf die nur Teilbeträge entrichtet worden sind. Im Zeitpunkt des ersten Erlaßantrages des Klägers vom 6.Juli 1984 bestanden Rückstände an Einkommensteuer und Umsatzsteuer von 7 525,63 DM, von Verspätungszuschlägen in Höhe von 400 DM sowie von Säumniszuschlägen in Höhe von 2 564 DM (insgesamt 10 489,63 DM).

Mit Antrag vom 6.Juli 1984 begehrte der Kläger zunächst den Erlaß der Säumniszuschläge und der Verspätungszuschläge. Er verfüge nicht über die Mittel zur Entrichtung der rückständigen Steuern, so daß die Säumniszuschläge ihre Funktion als Druckmittel verfehlten. Bei Festsetzung der Verspätungszuschläge sei seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht hinreichend berücksichtigt worden. Im Hinblick auf die gutachterliche Tätigkeit für eine Landesbrandversicherungsanstalt beantragte er bezüglich der Einkommen- und Umsatzsteuerrückstände erneut eine Stundung bei Ratenzahlung von monatlich 300 DM. Das FA lehnte mit Bescheid vom 13.August 1984 den Antrag auf Erlaß der Säumniszuschläge ab. Der beantragte Billigkeitserlaß aus sachlichen Gründen komme nicht in Betracht, da die erforderlichen Voraussetzungen einer Zahlungsfähigkeit und einer Überschuldung nicht gegeben seien.

Daraufhin beantragte der Kläger am 23.August 1984 den Billigkeitserlaß aus persönlichen Gründen sowohl bezüglich der Säumniszuschläge als auch bezüglich der Rückstände an Einkommen- und Umsatzsteuer. Das FA lehnte auch diesen Antrag durch Bescheid vom 18.September 1984 ab. Es führte im wesentlichen aus, die zugegebenermaßen derzeitige schwierige wirtschaftliche Situation des Klägers sei nicht derart gelagert, daß sich unmittelbar aus der Einziehung der Steuer eine nicht mehr zu beseitigende Notlage bzw. ernsthafte Existenzgefährdung ergebe. Im Hinblick auf die Verbindlichkeiten von 385 000 DM gegenüber anderen Gläubigern (insbesondere den beiden Banken in Höhe von 370 000 DM) seien die Steuerschulden gering. Es könne nicht hingenommen werden, daß durch Kreditaufnahme andere Gläubiger befriedigt worden seien. Es bleibe daher die Verwertung der Grundstücke abzuwarten. Entweder könnten die Steuerschulden aus dem Verwertungserlös beglichen werden oder aus freiwerdenden Mitteln aufgrund des Wegfalls des Kapitaldienstes. Dann könne auch der Lage des Klägers durch Stundung mit einer den nunmehrigen wirtschaftlichen Verhältnissen angepaßten Ratenzahlung entsprochen werden.

Gegen die beiden Ablehnungsbescheide erhob der Kläger Beschwerde (vom 20.August und 27.September 1984). Mit diesen Beschwerden wurden sowohl sachliche als auch persönliche Billigkeitsgründe vorgebracht.

Den Erlaß der Säumniszuschläge aus sachlichen Gründen hält der Kläger aus Gründen der gegebenen Zahlungsunfähigkeit für geboten. Das sich auf Säumniszuschläge und Steuerschulden beziehende Erlaßbegehren aus persönlichen Gründen stützte er auf seine wirtschaftliche Notlage, in die er durch die konjunkturellen Einbrüche am Baumarkt geraten sei. Durch den Wegfall öffentlicher Aufträge, die er in der Vergangenheit in der Hauptsache durchgeführt habe, sei er auf die gutachterliche Tätigkeit für die Landesbrandversicherungsanstalt angewiesen mit durchschnittlichen Einnahmen von 2 500 DM im Monat. Bei Zugrundelegung von monatlich ca. 1 200 DM Betriebsausgaben und 1 000 DM Ausgaben für die Lebensführung verursache der Kapitaldienst für die Bankverbindlichkeiten in Höhe von 3 700 DM monatlich eine monatliche Unterdeckung von 3 400 DM. Im Hinblick auf die Gesamtverbindlichkeiten von 395 000 DM (Banken 370 000 DM, sonstige Schulden 10 000 DM, FA ca. 10 000 DM) sei bei dieser Sachlage Erlaßbedürftigkeit gegeben. Die Erlaßwürdigkeit ergebe sich daraus, daß er, der Kläger, durch die konjunkturelle Entwicklung unverschuldet in eine Notlage geraten sei. Der Vorwurf bevorzugter Befriedigung anderer Gläubiger bestehe nicht zu Recht, da lediglich mit den Banken eine Umschuldung vorgenommen worden sei und eine gleichmäßige Befriedigung der dinglich abgesicherten Gläubigerbanken nicht mehr von ihm habe geändert werden können. Infolge der dinglichen Sicherung der Gläubigerbanken läge eine andere als die vorgenommene Schuldentilgung nicht mehr in seiner Macht.

Die OFD hat mit Entscheidung vom 26.November 1984 die Beschwerden zurückgewiesen. Zum Antrag des Klägers, die Säumniszuschläge aus sachlichen Gründen zu erlassen, hat sie unter Berufung auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.April 1975 VII R 54/72 (BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727), und vom 8.März 1984 I R 44/80 (BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415) ausgeführt, daß die Entstehung von Säumniszuschlägen dann sachlich unbillig und im Wege eines Erlasses nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) zu korrigieren sei, wenn Säumniszuschläge erhoben würden, die nach demjenigen Zeitpunkt angefallen seien, von dem an der Schuldner überschuldet und zahlungsunfähig sei. Es müsse schon eine Überschuldung verneint werden. Das Grundstück in B werde für 400 000 DM zum Verkauf angeboten. Außerdem verfüge der Kläger noch über das unbebaute Grundstück in A mit einem über 7 000 DM liegenden Verkaufswert. Bei Gesamtverbindlichkeiten von 395 000 DM sei also nicht der Fall gegeben, daß das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr decke (BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415). Selbst dann, wenn eine Überschuldung gegeben wäre, fehle es an einer Zahlungsunfähigkeit. Diese sei das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im wesentlichen berichtigen zu können (Abschn.1a der Entscheidungsgründe von BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415). Der Kläger habe aufgrund des Konjunktureinbruchs seit 1982 die betrieblichen Verluste der Jahre 1982 und 1983 sowie die Aufwendungen für das Wohnhaus durch Kreditaufnahmen finanziert und diese zunächst kurzfristigen Kredite später in langfristige Kredite (unter dinglicher Besicherung auf dem Wohnhaus) umgeschuldet. Ihm hätten daher durchaus Kreditmittel zur Verfügung gestanden, um seine laufenden Verpflichtungen zu erfüllen. Er sei daher nicht dauernd außerstande gewesen, auch seine wesentlichen Steuerschulden im gleichen Maße zu finanzieren. Bei dieser Sachlage, die durch Nichtentrichtung der Steuern gekennzeichnet sei, lasse sich nicht erkennen, daß es in der Vergangenheit der Jahre 1982 und 1983 sinnlos gewesen wäre, auf den Kläger Druck durch Erhebung von Säumniszuschlägen auszuüben.

Zum Erlaßbegehren aus persönlichen Gründen führt die OFD aus, ein Steuerschuldner sei gehalten, zur Begleichung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel freizusetzen und auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen. Es bedürfe hier keiner Abwägung, ob dem Kläger die Veräußerung des Grundstücks in B zuzumuten wäre, da er aufgrund anderweitiger Verbindlichkeiten (gegenüber den Gläubigerbanken) ohnehin dazu gezwungen sei. Da nicht auszuschließen sei, daß bei diesem Verkauf ein Überschuß über die dinglichen Belastungen erzielt werden könne, der zur Tilgung der Steuerrückstände ausreichen würde, wäre es nicht vertretbar, zum jetzigen Zeitpunkt die Steuerschulden zu erlassen. Die Ehefrau des Klägers habe am 29.August 1984 gegenüber dem FA erklärt, daß das Grundstück in B einen Wert von 520 000 DM verkörpere und für 400 000 DM zum Verkauf stünde. Wenn derzeit noch infolge der Umschuldungsaktion des Klägers eine Bevorzugung der Gläubigerbanken gegenüber dem FA bei der Schuldentilgung bestünde, müsse dieser Nachteil zu Lasten des Fiskus durch eine Beteiligung des FA am Übererlös ausgeglichen werden.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit dem Antrag, das FA zum Erlaß von Steuern und Nebenleistungen in Höhe von insgesamt 10 489,63 DM zu verpflichten, stattgegeben. Zum Begehren des Klägers, die Säumniszuschläge aus sachlichen Gründen zu erlassen, geht das FG davon aus, daß für eine Billigkeitsmaßnahme das Vorliegen entweder von Überschuldung oder von Zahlungsunfähigkeit genüge. Das Verlangen der OFD vom gleichzeitigen Vorliegen beider Voraussetzungen ergebe sich aus der Rechtsprechung des BFH nicht und führe überdies nicht zu zutreffenden Ergebnissen. Die vom FA und von der OFD nicht näher geprüfte Zahlungsunfähigkeit ergebe sich nach Aktenlage und nach Vortrag des Klägers. Gewinn- und Umsatzentwicklung seit dem 8.März 1982 (Zeitpunkt der ersten Fälligkeit) sowie die Darstellung des Klägers bezüglich der monatlich zur Verfügung stehenden Mittel ergäben das dauernde Unvermögen des Klägers zur Begleichung seiner Geldschulden, also auch seiner Steuerschulden und sonstigen Nebenleistungsschulden.

Auch bezüglich der Überschuldung seien die Erwägungen des FA nicht ermessensfehlerfrei. Es habe angesichts der Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt nicht davon ausgehen können, daß der vom Kläger angegebene Verkehrswert von 370 000 DM hätte erzielt werden können. Aus damaliger Sicht hätte das FA, wenn es sich gegen die Angaben des Klägers zur Höhe des Verkehrswertes hätte wenden wollen, zumindest ein Wertgutachten eines Sachverständigen einholen müssen.

Zum Begehren des Klägers, Säumniszuschläge und rückständige Steuern aus persönlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, nimmt das FG wie folgt Stellung: "Die aufgezeigten Gesichtspunkte sind in gleicher Weise zu berücksichtigen bei der Prüfung der damit bereits zu verneinenden Frage, ob die Finanzbehörden den beantragten Erlaß der gesamten Rückstände aus persönlichen Billigkeitsgründen ermessensfehlerfrei abgelehnt haben."

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er schließt sich im wesentlichen den Ausführungen des FG an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Gemäß § 227 Abs.1 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Ansprüche auf Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen gehören, ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlaßantrag aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahingehend geprüft werden kann, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsaktes rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 FGO). Für die gerichtliche Nachprüfung sind die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letztinstanzlichen Verwaltungsentscheidung maßgebend (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 227 AO 1977, Rdnr.78 mit Nachweis der Rechtsprechung).

2. Ein Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung mit Rücksicht auf ihre Funktion als Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern ihren Sinn deshalb verliert, weil dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuern infolge Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war (ständige Rechtsprechung; Urteile des BFH in BFHE 140, 421, BStBl II 1984, 415; vom 2.Juli 1986 I R 5/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Abgabenordnung, § 240, Rechtsspruch 10, und vom 14.Mai 1987 X R 26/81, StRK, Abgabenordnung, § 240, Rechtsspruch 9; BFH-Beschluß vom 4.November 1986 VII B 108/86, StRK, Abgabenordnung, § 258, Rechtsspruch 9; grundsätzlich auch BFH-Urteil vom 23.Mai 1985 V R 124/79, BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489; vgl. dazu nachstehend Unterabschn.c). Ob die beiden Erlaßvoraussetzungen der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit im Einzelfall (kumulativ) vorliegen, erfordert eine eingehende Ermittlung und Würdigung der Situation ab dem Eintritt der Fälligkeit der Steuern. Obwohl das FG ohne nähere Begründung von der Rechtsprechung des BFH abgewichen ist, die einen Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen jedenfalls beim kumulativen Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung für geboten hält, bedarf es im Streitfall einer Auseinandersetzung mit der vom FG vertretenen Auffassung nicht; denn im Streitfall haben die Finanzbehörden in ermessensfehlerfreier Weise bejaht, daß sowohl eine Überschuldung als auch eine Zahlungsunfähigkeit des Klägers zu verneinen war. Die Entscheidung des FG war deshalb insoweit aufzuheben.

a) Im Zeitpunkt der letztinstanzlichen Verwaltungsentscheidung (am 26.November 1984) war die Vermögenssituation des Klägers dadurch gekennzeichnet, daß einer unbestrittenen Verschuldung in Höhe von 395 000 DM (einschließlich Steuern und steuerlichen Nebenleistungen) als Vermögenswerte zwei Grundstücke gegenüberstanden, von denen das mit dem Wohnhaus des Klägers bebaute Grundstück mit Grundpfandrechten zugunsten der beiden Gläubigerbanken in Höhe von 370 000 DM belastet waren. Bekannt war auch zu diesem Zeitpunkt, daß eine der beiden Gläubigerbanken Befriedigung im Wege der Zwangsversteigerung suchte. Das FG begründet seinen Vorwurf ermessensfehlerhaften Verhaltens des FA mit dessen (angeblich) unbegründeter Annahme, daß es bei einem Grundstücksverkauf zu einem Überschuß kommen würde. Dieser Vorwurf ist unbegründet, da es für die Frage, ob eine Überschuldung vorliegt oder nicht, nicht auf das voraussichtliche und ungewisse Ergebnis einer Vermögensverwertungshandlung im Wege der Zwangsversteigerung ankommen kann, sondern auf den feststellbaren Verkehrswert abzustellen ist. Dies belegt § 74a des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG), der zur Vermeidung der Verschleuderung von Schuldnervermögen den sog. 7/10-Grundstückswert als relatives Mindestgebot festlegt. Nach § 74a Abs.5 ZVG ist dieser Grundstückswert der Verkehrswert, der nach den Vorschriften der Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken (jetzt gültig in der Fassung vom 6.Dezember 1988, BGBl I 1988, 2209) zu ermitteln ist. Zieht man die allgemein bekannten Beleihungsgrundsätze im Bankwesen ergänzend in Betracht, konnte das FA bei einer dinglichen Belastung des Grundstücks in Höhe von 370 000 DM durchaus dem Vorbringen des Klägers Glauben schenken, der Verkehrswert des Grundstücks sei jedenfalls bei 400 000 DM anzusiedeln. Dies wird, wenn auch im nachhinein, durch den von der die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigerbank erlegten Zuschlag von 290 000 DM nicht widerlegt, sondern bestätigt. Denn bei Zugrundelegung der 7/10-Grenze des § 74a ZVG wäre von einem Verkehrswert von 414 000 DM auszugehen. Da überdies das unbebaute Grundstück mit einem Verkehrswert von 7 000 DM bewertet worden war, kann die Begründung des FG keinen Bestand haben, ganz abgesehen davon, daß es das FG unterlassen hat, seinen Standpunkt von der Überschuldung des Klägers des näheren darzulegen.

b) Obwohl in der Beschwerdeentscheidung der OFD zunächst ausgeführt ist, daß die Frage der Zahlungsunfähigkeit dahingestellt bleiben könne, hat die OFD dann doch hierzu Stellung genommen, und zwar zu dem für die Ermessenserwägungen maßgeblichen Kernpunkt. Während das FG unzutreffend allein auf den Umstand der laufenden Unterdeckung in den Liquiditätsverhältnissen des Klägers abstellt (Verhältnis von Betriebseinnahmen zur Gesamtheit der Ausgaben), hebt die OFD zutreffend darauf ab, in welcher Weise der Kläger dieser Unterdeckung begegnet ist. Er hat nämlich angesichts sinkender Einnahmen ab 1982 die sich anbahnende Liquiditätslücke durch Aufnahme von zunächst kurzfristigen Bankkrediten geschlossen und damit seine Verbindlichkeiten reguliert --allerdings weitestgehend mit Ausnahme seiner Steuerschulden--. Es ist daher zutreffend, wenn die OFD nicht auf Art und Höhe der Verschuldung im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung abstellt. Für die Frage, ob die Erhebung von Säumniszuschlägen wegen Zahlungsunfähigkeit sachlich unbillig ist, ist vielmehr maßgebend, ob der Steuerschuldner zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten und den nachfolgenden Zeiträumen erfolgloser Beitreibung auf Sicht sich im Zustand dauernden Unvermögens befunden hat, seine Schulden zu regulieren. Solange der Kläger sich die notwendigen Mittel zur Aufrechterhaltung seines Betriebes und seiner Lebensführung sowie zur Befriedigung anderer Gläubiger noch von den Banken beschaffen konnte, sind auch diese Mittel bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit heranzuziehen. Für die Frage der Zahlungsunfähigkeit kann auf die Mittelherkunft bei dieser Sachlage grundsätzlich nicht abgestellt werden, sondern es kommt allein auf den Umstand an, ob es im Verhältnis zu allen Gläubigern zum Zustand weitestgehender Zahlungseinstellung auf Sicht gekommen ist. Ob dieser Zustand möglicherweise zu dem (nicht bekannten) Zeitpunkt eingetreten ist, als die Gläubigerbanken auf einer Umschuldung der kurzfristigen Bankkredite mit deren dinglichen Besicherung bestanden, ist vom Kläger nicht dargelegt.

Es kann daher auch auf sich beruhen, ob sich der Kläger ab diesem Zeitpunkt der Steuerzahlungspflicht in einer Weise entzogen hat, die seine Erlaßwürdigkeit in Frage stellen könnte. Jedenfalls ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die OFD aufgrund der Mittelhereinnahme des Klägers vermittels Bankkrediten die Zahlungsunfähigkeit des Klägers verneint hat und das Druckmittel des Säumniszuschlages mit der einseitigen Benachteiligung des FA rechtfertigt.

c) Im Urteil in BFHE 143, 512, BStBl II 1985, 489 ist ausgeführt, daß sich die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht in dem Falle des kumulativen Vorliegens von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit erschöpfen (vgl. auch BFH-Urteil vom 2.Februar 1989 V R 171/83, BFHE/NV 1990, 11). Ein Erlaß von Säumniszuschlägen sei auch dann geboten, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit bezüglich der Hauptschuld ein Zustand eingetreten sei, der den Erlaß dieser Hauptschuld aus sachlichen oder persönlichen Billigkeitsgründen rechtfertige. Diese Sachlage ist im Streitfall nicht gegeben (vgl. nachstehend Abschn.3 der Entscheidungsgründe).

3. Ein Erlaß der rückständigen Einkommen- und Umsatzsteuern sowie der im Zusammenhang mit diesem Rückstand angefallenen Säumniszuschläge aus persönlichen Billigkeitsgründen wäre geboten, wenn ihre Einziehung die wirtschaftliche Existenz des Klägers vernichten oder ernsthaft gefährden würde, also ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden könnte. Das FG hat in den Gründen seiner Entscheidung die nach seiner Auffassung ermessensfehlerhafte Entscheidung der Finanzbehörden auch in diesem Punkte lediglich mit dem Argument begründet, die zum Billigkeitserlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Gründen aufgezeigten Gesichtspunkte seien in gleicher Weise bei dem Billigkeitserlaß aus persönlichen Gründen von Hauptschuld und Säumniszuschlägen zu berücksichtigen. Da ein Erlaß von Steuern und Nebenleistungen aus sachlichen Gründen (zumal von Säumniszuschlägen mit den hier zu beachtenden besonderen Voraussetzungen) auf anderen Kriterien beruht als der Erlaß von Steuern aus persönlichen Billigkeitsgründen, konnte das FG nicht und schon gar nicht in derart pauschaler Weise auf diese Ausführungen zum Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen verweisen. Seine Entscheidung war daher aufzuheben.

4. Die Sache ist spruchreif.

a) Die auf den Erlaß von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen gerichtete Klage ist aus den in Abschn.2 dargestellten Gründen abzuweisen.

b) Die auf den Erlaß von Einkommen- und Umsatzsteuern sowie von Säumniszuschlägen aus persönlichen Billigkeitsgründen gerichtete Klage ist ebenfalls nicht begründet und daher abzuweisen. Ausgehend von den auch vom Kläger genährten und dem FA zugänglichen Informationen (vgl. oben Abschn.2a der Gründe) konnten die Finanzbehörden im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung davon ausgehen, daß die Verwertung der Grundstücke zu einem Überschuß führen würde. Dies hätte aus damaliger Sicht zu einer Befriedigung der Banken und damit auch zum Wegfall der monatlichen Zinsbelastung von 3 700 DM geführt. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörden, die bislang hinter den Gläubigerbanken zurücktreten mußten, den Ausgang der Vermögensverwertung abwarten wollten, um dann erst über einen möglichen Billigkeitserlaß zu befinden. Solange die Vermögensverwertung noch nicht durchgeführt war, konnte die Frage nach der Existenzgefährdung des Klägers nicht abschließend beantwortet werden; sie befand sich in der Schwebe.

c) In Höhe eines Betrages von 400 DM ist die Klage unzulässig. Es handelt sich insoweit um die Festsetzung von Verspätungszuschlägen, deren Billigkeitserlaß der Kläger mit Schreiben vom 6.Juli 1984 beantragt hatte. Das FA hat diesen Antrag durch Bescheid vom 24.Juli 1984 abgelehnt. Die vom Kläger erhobene Beschwerde vom 20.August 1984 bezieht sich allein auf die Ablehnungsverfügung des FA vom 13.August 1984 betreffend Säumniszuschläge. Der Ablehnungsbescheid des FA vom 24.Juli 1984 betreffend Verspätungszuschläge ist daher bestandskräftig geworden. Damit fehlt es an einer Sachurteilsvoraussetzung zur Klageerhebung, die in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch im Revisionsverfahren, zu prüfen ist (BFH-Urteil vom 24.September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268).

 

Fundstellen

Haufe-Index 63221

BFH/NV 1990, 57

BStBl II 1990, 673

BFHE 160, 296

BFHE 1991, 296

BB 1990, 2475

BB 1990, 2475-2478 (LT)

HFR 1990, 601 (LT)

StE 1990, 271 (K)

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