Leitsatz (amtlich)

Die Freigrenze von 20 DM nach Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR 1960 (Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 3 LStR 1963) gilt nicht, wenn eine Unterkunft mit den nach § 3 Abs. 2 LStDV erlassenen Richtsätzen der Finanzverwaltungsbehörden bewertet wird.

 

Normenkette

EStG §§ 8, 19 Abs. 1 Nr. 1; LStDV § 3 Abs. 2; LStR 1960 (1963) Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 (3)

 

Tatbestand

Die Steuerpflichtige, die ein Sanatorium betreibt, gewährte mehreren in ihrem Sanatorium beschäftigten Arbeitnehmern Unterkunft und Verpflegung. Die Arbeitnehmer bewohnten möblierte Einzel- und Doppelzimmer mit fließendem Wasser. Das Entgelt behielt die Steuerpflichtige vom Arbeitslohn ein. Sie bemaß es nach dem Tarifvertrag, der von 1960 bis September 1964 eine „Entschädigung” für Wohnung (einschließlich Heizung und Stromverbrauch) und Wäschereinigung von monatlich 12 und 18 DM vorsah. Bei den Doppelzimmern ermäßigte sich die „Entschädigung” um 3 DM je Person. Gemäß dem ab Oktober 1964 geltenden Tarifvertrag rechnete die Steuerpflichtige ihren Arbeitnehmern den Wert der Unterkunft einschließlich Heizung und Beleuchtung sowie Wäschereinigung mit 27,09 DM bzw. 32,25 DM für Einzelzimmer und 14,49 DM für Doppelzimmer an.

Nach der Auffassung des FA hatte die Steuerpflichtige das Entgelt für die Unterkunft zu niedrig angesetzt. Das FA wandte die nach § 3 Abs. 2 LStDV amtlich festgesetzten Werte für Wohnung einschließlich Heizung und Beleuchtung an, die für die Jahre 1960 bis 1964 zwischen 19,20 DM und 25,20 DM und im Jahre 1965 37 DM betrugen. Den Unterschied zwischen den von der Steuerpflichtigen zugrunde gelegten tarifvertraglichen Sätzen und den nach § 3 Abs. 2 LStDV festgelegten amtlichen Sätzen sah das FA als zusätzlichen Arbeitslohn an und nahm für die darauf entfallende Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer die Steuerpflichtige als Arbeitgeberin in Anspruch.

Die Steuerpflichtige machte geltend, die auf die Unterschiedsbeträge entfallende Steuer sei im Sinne von Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR 1960 (Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 3 LStR 1963) geringfügig; denn wenn Arbeitnehmern freie oder verbilligte Wohnungen in werkseigenen Gebäuden (Werkswohnungen, Dienstwohnungen) bereitgestellt würden, so sei der Unterschied zwischen dem Anrechnungspreis und dem ortsüblichen Mietpreis kein Arbeitslohn, wenn der Unterschied 20 DM monatlich nicht übersteige.

Der Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1967 S. 118 veröffentlicht. Das FG führte im wesentlichen aus, die Steuerpflichtige habe ihren Arbeitnehmern die Unterkünfte wegen des Arbeitsverhältnisses verbilligt überlassen. Die vom FA angesetzten Sätze benachteiligten die Steuerpflichtige nicht, denn die ortsübliche Miete entspräche mindestens diesen Sätzen. Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 (3) LStR 1960 (1963) sei auf möblierte Zimmer nicht anwendbar. Im übrigen betrüge der Unterschied mehr als 20 DM monatlich je Arbeitnehmer, wenn man die Mietpreise in Baden-Baden als Kurort in Betracht ziehe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision, mit der die Steuerpflichtige vor allem unrichtige Anwendung von Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR 1960 (Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 3 LStR 1963) rügt, ist nicht begründet.

Zutreffend sieht das FG einen geldwerten Vorteil darin, daß die Steuerpflichtige ihren Arbeitnehmern für die Unterkunft einschließlich Heizung und Beleuchtung ein Entgelt berechnet hat, das unter dem ortsüblichen Mietzins vergleichbarer Zimmer lag. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 8 EStG (§§ 2 und 3 LStDV) gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen. Einnahmen sind alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen. Daß nach dem Tarifvertrag die Steuerpflichtige für die Überlassung der Unterkünfte nur eine geringere als die ortsübliche Miete von ihren Arbeitnehmern erheben durfte, ist steuerrechtlich ohne Bedeutung; denn der Tarifvertrag hat als arbeitsrechtliche Regelung gegenüber der steuerrechtlichen Regelung des § 8 Abs. 2 EStG zurückzutreten.

Auch die Höhe der Beträge, welche das FA als zusätzlichen Arbeitslohn angesetzt hat, ist nicht zu beanstanden. Gemäß § 8 Abs. 2 EStG (§ 3 Abs. 1 Satz 2 LStDV) sind für die Bewertung der nicht in Geld bestehenden Einnahmen die üblichen Mittelpreise des Verbrauchsorts maßgebend. Das FA konnte dabei die zur Vereinfachung und gleichmäßigen Besteuerung von der Finanzverwaltung nach § 3 Abs. 2 LStDV festgesetzten Richtsätze für die Bemessung der ortsüblichen Miete zugrunde legen. Die vom FG unter Berufung auf die Ausführungen von Oeftering-Görbing (Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl., § 3 Anm. 4 b) vertretene Auffassung, die amtlichen Sätze seien im Streitfall nicht anwendbar, ist unrichtig. Entgegen der Auffassung des FG war der Wert der verbilligten Zimmer für die Arbeitnehmer ein Sachbezug im Sinne von § 3 Abs. 2 LStDV. Die verbilligte Unterkunft und Verpflegung wurde als Teil des Arbeitslohnes gewährt. Unerheblich ist dabei, wie die Steuerpflichtige die Zimmermiete mit ihren Arbeitnehmern verrechnete, vor allem, ob sie den gezahlten Lohn von vornherein um die vereinbarte Miete kürzte oder ob sie den Lohn voll auszahlte und sich dann von den Arbeitnehmern die Miete gesondert bezahlen ließ. Diese formale Behandlung ist unerheblich gegenüber der Tatsache, daß die verbilligte Miete im Rahmen des Arbeitsverhältnisses und als Teil des Arbeitslohnes gewährt wurde.

Dem Ansatz der amtlichen Sätze nach § 3 Abs. 2 LStDV steht Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR 1960 (Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 3 LStR 1963) nicht entgegen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob wirklich, wie der Senat bisher angenommen hat, Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR 1960 noch als eine für die Steuergerichte verbindliche, rechtsnormähnliche Vorschrift aus der autoritären Zeit anerkannt werden kann (Urteile des Senats VI 31/61 U vom 8. September 1961, BFH 73, 606, BStBl III 1961, 487, und VI 219/61 U vom 9. Februar 1962, BFH 74, 441, BStBl III 1962, 165). Es kann ferner dahingestellt bleiben, ob die Vergünstigung des Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR für möblierte Zimmer gilt oder ob solche Zimmer überhaupt nicht als „Wohnung” im Sinne der Vorschrift angesehen werden können, wie das FG angenommen hat. Denn Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR 1960 (Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 3 LStR 1963) kann schon aus einem anderen Grund nicht angewendet werden. Die Vorschrift will kleinliche Streitereien ausschließen, die bei der nicht immer einfachen Ermittlung der ortsüblichen Miete für eine bestimmte Wohnung entstehen können. Übersteigt eine mögliche Mietersparnis nicht die Grenze von 20 DM, so soll im Interesse aller Beteiligten auf eine Einzelermittlung verzichtet werden können (Urteil des BFH VI 219/61 U, a. a. O.). Bei sinngemäßer Auslegung kann aber die Vereinfachungsvorschrift nicht angewendet werden, wenn für die Bemessung der Miete die amtlichen Sätze des § 3 Abs. 2 LStDV zugrunde gelegt werden. Diese Sätze dienen, wie gesagt, gleichzeitig der Arbeitsvereinfachung für die FÄ und die Arbeitgeber sowie einer gleichmäßigen Besteuerung. Sie sind Schätzungen der Finanzverwaltungsbehörden für einen geldwerten Vorteil. Sie haben in § 8 Abs. 2 EStG und § 217 AO ihre rechtliche Grundlage. Erfahrungsgemäß liegen diese Sätze aber an der unteren überhaupt möglichen Schätzungsgrenze. Es wäre unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt, durch die Anwendung von Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR den Vorteil, den die Arbeitnehmer durch die niedrige Schätzung der Richtsätze haben, gewissermaßen zu verdoppeln. Damit würde der nach § 217 AO überhaupt mögliche Schätzungsrahmen offensichtlich unterschritten. Der Senat ist also der Auffassung, daß Abschn. 2 Abs. 2 Nr. 4 LStR nicht anwendbar ist, wenn der Wert der Wohnung nach den amtlichen Richtsätzen des § 3 Abs. 2 LStDV angesetzt wird.

Das FA ist demgemäß verfahren. Das FG ist zwar von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, ist aber zum gleichen Ergebnis gekommen. Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557387

BStBl II 1968, 459

BFHE 1968, 96

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