Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Änderung der Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns

 

Leitsatz (NV)

Ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung liegt vor, wenn die gestundete Kaufpreisforderung für die Veräußerung eines Gewerbebetriebs in einem späteren Veranlagungszeitraum ganz oder teilweise uneinbringlich wird.

 

Normenkette

AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 16 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) veräußerte sein Einzelunternehmen im Streitjahr 1979 zum Preis von netto 750000 DM zuzüglich einer nicht verbuchten Sonderzahlung von 145000 DM. Der Kaufpreis war zum Teil in Raten zu entrichten.

Aufgrund der Schlußbilanz auf den 30. September 1979, aufgestellt im März 1981, ermittelte der Kläger den Veräußerungsgewinn mit 607261 DM. Bis zum Aufstellen der Schlußbilanz lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die zu diesem Zeitpunkt noch aussstehende Restforderung auf den Kaufpreis uneinbringlich werden könnte.

Im Jahr 1982 beantragte der Erwerber des Betriebs die Eröffnung des Konkursverfahrens. Der Kläger fiel mit 115000 DM der verbuchten Restkaufpreisforderung und mit 92000 DM der Sonderzahlung aus.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte den Gewinn des Klägers durch (Änderungs-)Bescheid vom 2. Juni 1982 auf 1081351 DM fest.

Nach einer Selbstanzeige bezüglich des verdeckt vereinnahmten Betrags von 145000 DM beantragte der Kläger im Einspruchsverfahren, den Ausfall der Kaufpreisforderung in Höhe von 207000 DM im Streitjahr zu berücksichtigen und den Veräußerungsgewinn um 62000 DM (207000 DM - 145000 DM) niedriger festzustellen.

Nachdem das FA den Kläger auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen hatte, stellte es den Veräußerungsgewinn in der Einspruchsentscheidung um 128318 DM (145000 DM abzüglich hieraus zu entrichtender Umsatzsteuer von 16682 DM) höher fest.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den in der Einspruchsentscheidung festgestellten Veräußerungsgewinn um den Betrag von 62000 DM herabgesetzt. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 449 veröffentlicht.

Das FA rügt mit seiner Revision eine unrichtige Anwendung des § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

 

Entscheidungsgründe

Der erkennende Senat hat in dieser Sache durch Beschluß vom 26. März 1991 (BFHE 166, 21, BStBl II 1992, 479) den Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) gemäß § 11 Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angerufen und ihm folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Liegt ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung vor, wenn die gestundete Kaufpreisforderung für die Veräußerung eines Gewerbebetriebs in einem späteren Veranlagungszeitraum ganz oder teilweise uneinbringlich wird?

Der Große Senat hat über die Vorlage durch Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 (BStBl II 1993, 897) entschieden und die vorgelegte Rechtsfrage bejaht. Die Entscheidung des Großen Senats ist für den erkennenden Senat bindend (§ 11 Abs. 7 Satz 3 FGO).

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht den Veräußerungsgewinn entsprechend dem Klageantrag niedriger festgesetzt, weil die Kaufpreisforderung teilweise uneinbringlich geworden ist.

1. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), lagen im Zeitpunkt der Veräußerung des Betriebs keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Erwerber den vereinbarten Kaufpreis nicht in vollem Umfang entrichten werde. Der spätere Ausfall der Kaufpreisforderung kann deshalb nicht durch eine Berichtigung der Schlußbilanz des Klägers berücksichtigt werden (vgl. dazu BFH-Urteile vom19. Januar 1978 IV R 61/73, BFHE 124, 327, BStBl II 1978, 295, 296; vom 16. März 1989 IV R 153/86, BFHE 156, 195, BStBl II 1989, 557).

2. Der Ausfall der Kaufpreisforderung im Jahre 1982 ist jedoch ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), das die Höhe des Veräußerungsgewinns beeinflußt.

a) Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Hierzu rechnen auch nach der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums am Betrieb eintretende Umstände, die sich auf die Höhe des Veräußerungsgewinns auswirken, und zwar - entgegen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch dann, wenn die Kaufpreisforderung von Anfang an klar und eindeutig vereinbart ist (BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 unter C.II.1). Welche Gründe rechtlicher oder tatsächlicher Art zur Veränderung des für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalts geführt haben, ist für die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 unerheblich.

b) Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 unter C.II.1. c m.w.N.).

Bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dieser Grundsatz gilt auch für die Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich. Er ist jedoch nur insoweit maßgebend, als die einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften nicht bestimmen, daß eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. Eine solche Rechtslage ist insbesondere bei Steuertatbeständen gegeben, die an ein einmaliges, punktuelles Ereignis anknüpfen, wie z.B. die Veräußerung eines ganzen Gewerbebetriebs nach § 16 EStG (BFH-Beschluß vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 unter C.II.1. d).

c) Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs erzielt werden. Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Betriebsvermögens übersteigt, der für den Zeitpunkt der Veräußerung zu ermitteln ist (§ 16 Abs. 2 EStG). Nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH ist mit dem Begriff Veräußerungspreis in § 16 Abs. 2 EStG der tatsächlich erzielte Erlös aus der Betriebsveräußerung gemeint (vgl. hierzu im einzelnen Abschnitt C.II.2. des Beschlusses vom 19. Juli 1993 GrS 2/92).

Eine rückwirkende Korrektur des Veräußerungsgewinns ist deshalb auch dann geboten, wenn der vereinbarte Kaufpreis nach der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums am Betrieb ganz oder teilweise uneinbringlich wird.

3. Da spätere Veränderungen des Veräußerungspreises steuerrechtlich auf den Zeitpunkt der Betriebsveräußerung zurückwirken, sind sie zweifelsfrei noch dem betrieblichen Bereich des Veräußerers zuzuordnen. Der erkennende Senat braucht sich deshalb nicht mit der streitigen Frage auseinanderzusetzen, ob eine auf der Veräußerung eines Gewerbebetriebs beruhende Kaufpreisforderung auch weiterhin Betriebsvermögen des Veräußerers bleibt, oder ob sie dessen Privatvermögen wird, ggf. unter welchen Voraussetzungen, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt (vgl. zum Meinungsstand die Nachweise im Vorlagebeschluß des Senats in BFHE 166, 21, BStBl II 1992, 479 unter B.III.1.).

4. Der erkennende Senat kann auch nicht prüfen, ob der Veräußerungsgewinn bei richtiger Beurteilung um einen höheren als den vom FG berücksichtigten Betrag von 62000 DM hätte gemindert werden müssen. Der Kläger hat im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich eine Herabsetzung des vom FA festgestellten Veräußerungsgewinns um 62000 DM beantragt. Über diesen Antrag durfte das FG nicht hinausgehen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Auch der BFH als Revisionsgericht ist nicht befugt, dem Kläger mehr zuzusprechen, als er beantragt hat (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 419646

BFH/NV 1994, 542

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