Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewerbesteuerzerlegung; Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

 

Leitsatz (NV)

§ 189 AO regelt ausschließlich den Fall, dass eine gewerbesteuerberechtigte Gemeinde bei der Gewerbesteuerzerlegung überhaupt nicht berücksichtigt wurde, nicht aber den Fall, dass eine Gemeinde zwar berücksichtigt wurde, aber mit einem zu hohen oder zu niedrigen Anteil.

 

Normenkette

FGO § 126 Abs. 2, § 135 Abs. 2; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 184 Abs. 1 S. 3, §§ 185, 175 Abs. 1 Nr. 1; GewStG § 28; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 26.03.2002; Aktenzeichen 15 K 8454/98 Zerl; EFG 2002, 735)

 

Tatbestand

I. Im Streitjahr 1992 war die Geschäftsleitung der Beigeladenen zu 1. im Staatsgebiet der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ansässig. In den Gebieten der zwölf anderen Beigeladenen unterhielt die Beigeladene zu 1. Betriebsstätten. Mit Bescheid vom 27. April 1994 wurde der einheitliche Gewerbesteuermessbetrag auf 10 002 239 DM festgesetzt. Für die Klägerin wurde mit Zerlegungsbescheid vom 2. Mai 1994 gemäß §§ 28 ff. des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) nach den Arbeitslöhnen ein Anteil am einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von 4 932 242,97 DM festgesetzt. Nachdem im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1. festgestellt wurde, dass die Löhne der Außendienstmitarbeiter der Beigeladenen zu 1. nicht ausschließlich ihrer zentralen Betriebsstätte im Gebiet der Klägerin, sondern zum Teil auch ihren anderen Betriebsstätten zuzurechnen waren, erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) entsprechend einer berichtigten Erklärung der Beigeladenen zu 1. über die Zerlegung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags für 1992 gegenüber der Beigeladenen zu 1. am 2. Oktober 1997 einen nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Gewerbesteuerzerlegungsbescheid, mit dem der Anteil der Klägerin auf nur noch 3 909 842,35 DM festgesetzt wurde. Während des Einspruchsverfahrens wurde die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags zu Lasten der Beigeladenen zu 1. mit geändertem Bescheid vom 11. November 1997 erhöht, die Gewerbesteuerzerlegung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 entsprechend geändert, sodass auf die Klägerin nunmehr ein Betrag in Höhe von 3 934 522,22 DM entfiel.

Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen gerichtete Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 735 veröffentlichten Urteil vom 26. März 2002  15 K 8454/98 Zerl abgewiesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. § 173 AO 1977 sei nicht anwendbar, weil § 189 AO 1977 eingreife.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie die geänderten Gewerbesteuerzerlegungsbescheide für 1992 vom 2. Oktober 1997 und 11. November 1997 für den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag der Beigeladenen zu 1. in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 1998 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FA hat den Zerlegungsbescheid vom 2. Mai 1994 zu Recht gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert.

1. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 lagen im Streitfall unstreitig vor. Das FA hat die Norm zutreffend angewandt.

2. § 173 Abs. 1 AO 1977 ist gemäß §§ 184 Abs. 1 Satz 3, 185 AO 1977 auf Zerlegungsbescheide sinngemäß anzuwenden (Senatsurteil vom 24. März 1992 VIII R 33/90, BFHE 168, 350, BStBl II 1992, 869). § 173 AO 1977 wird nicht durch § 189 AO 1977 verdrängt und damit die Korrektur nicht durch die Zerlegungssperre gemäß § 189 Satz 3 AO 1977 ausgeschlossen.

Ist der Anspruch eines Steuerberechtigten auf einen Anteil am Steuermessbetrag nicht berücksichtigt und auch nicht zurückgewiesen worden, so wird gemäß § 189 Satz 1 AO 1977 die Zerlegung von Amts wegen oder auf Antrag geändert oder nachgeholt. Gemäß § 189 Satz 2 AO 1977 dürfen dann, wenn der bisherige Zerlegungsbescheid gegenüber denjenigen Steuerberechtigten, die an dem Zerlegungsverfahren bereits beteiligt waren, unanfechtbar geworden ist, bei der Änderung der Zerlegung nur solche Änderungen vorgenommen werden, die sich aus der nachträglichen Berücksichtigung der bisher übergangenen Steuerberechtigten ergeben. Dabei korrespondiert der Wortlaut von Satz 2 --"der bisher übergangenen Steuerberechtigten"-- dem Wortlaut von Satz 1 --"einen Anteil am Steuermessbetrag"--. Daraus wird deutlich, dass § 189 AO 1977 nach seinem Wortlaut ausschließlich den Fall regelt, dass eine gewerbesteuerberechtigte Gemeinde bei der Gewerbesteuerzerlegung überhaupt nicht berücksichtigt wurde, nicht aber den Fall, dass eine Gemeinde zwar berücksichtigt wurde, aber mit einem zu hohen oder zu niedrigen Anteil. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Zweck der auf § 189 Satz 1 und 2 AO 1977 bezogenen Zerlegungssperre des § 189 Satz 3 AO 1977, der darin besteht, innerhalb eines Jahres nach Bestandskraft des Steuermessbescheids Klarheit darüber zu erlangen, ob noch weitere Steuerberechtigte einen Zerlegungsanteil beanspruchen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juni 2000 I R 84/98, BFHE 192, 222, BStBl II 2001, 3, m.w.N.).

Die Klägerin macht zu Unrecht geltend, der Streitfall sei aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) mit den in § 189 AO 1977 geregelten Fällen des Übergehens von Steuerberechtigten gleichzubehandeln. § 189 AO 1977 beruht auf der Erwägung, dass die nachträgliche Berücksichtigung einer oder mehrerer hebeberechtigter Gemeinden in besonders schwerwiegender Weise auf die bisherige Zerlegung einwirken kann. Zum Schutz der Zerlegungsbeteiligten wird deshalb ein zeitlich gestaffelter, wachsender Bestandsschutz gewährleistet (Senatsurteil in BFHE 168, 350, BStBl II 1992, 869). § 189 AO 1977 erfasst in sachgerechter Typisierung Konstellationen, in denen ein besonders großes Bestandsschutzinteresse besteht. Demgegenüber konnte der Steuergesetzgeber realitätsgerecht davon ausgehen, dass die im Regelfall weniger bedeutsamen betragsmäßigen Änderungen, die auf nachträglich bekannt werdenden Tatsachen oder Beweismitteln beruhen, ein Minus gegenüber der vollständigen Nichtberücksichtigung darstellen und regelmäßig auch nur einen geringeren Bestandsschutz erfordern (vgl. Senatsurteil in BFHE 168, 350, BStBl II 1992, 868, unter II.2.b cc). Dass im Streitfall die zu Lasten der Klägerin geänderte Zuordnung von Arbeitnehmern für die Klägerin zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteilen geführt hat, wie dies in § 189 AO 1977 typisierend für die Nichtberücksichtigung von Steuerberechtigten angenommen wird, führt nicht zur Gleichheitswidrigkeit der Beschränkung der Zerlegungssperre auf die Fälle übergangener Steuerberechtigter. Derartige Härtefälle sind im Rahmen der zwangsläufig typisierenden Normen des Steuerrechts als Massenfallrecht hinzunehmen, sofern die typisierende Regelung sich realitätsgerecht am Regelfall orientiert (vgl. grundsätzlich zur Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1998  2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502, unter C.I., m.w.N.).

3. Die Änderung des Zerlegungsbescheides gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 185, 184 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 entspricht der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 20. April 1999 VIII R 13/97, BFHE 188, 536, BStBl II 1999, 542).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1476366

BFH/NV 2006, 498

HFR 2006, 437

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