Entscheidungsstichwort (Thema)

"Liebhaberei"; Zum Zeitmoment bei der Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht

 

Leitsatz (NV)

1. Als neue Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (und Nr. 2) AO 1977 kommen alle Umstände in Betracht, die für die Abgrenzung Erwerbseinkünfte / Einkünfte aus ,,Liebhaberei" von Bedeutung sind.

2. Gerade in Grenzfällen läßt sich die Frage, ob trotz längere Zeit hindurch erzielter Verluste Gewinnerzielungsabsicht vorlag bzw. vorliegt, i. d. R. erst nach Ablauf mehrerer Jahre beurteilen. Generelle zeitliche Fixierungen sind hierbei nicht möglich: Weder läßt sich allgemein sagen, wie lange ein solcher Beurteilungszeitraum bemessen sein muß, noch kann man einen allgemein gültigen Zeitpunkt festlegen (,,ex ante" oder ,,ex post"), von dem aus die rechtliche Würdigung vorzunehmen ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 173 Abs. 1 S. 1; EStG §§ 2, 15

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Zu ihrem Haushalt gehörten in den Streitjahren 1977 bis 1981 drei 1972, 1975 und 1981 geborene Kinder sowie die Mutter des Klägers.

Der Kläger bezog in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nach seinen Angaben in den Steuererklärungen war er in dieser Zeit im Durchschnitt an 225 Tagen über 12 Stunden von seiner Wohnung abwesend.

Seit 1975 ist der Kläger im Besitz einer Gewerbeerlaubnis für den Handel und die Zucht von Wellensittichen. Er begann 1977 damit, Vögel aufzuziehen und - zusammen mit Futter und Zubehör - zu verkaufen. Bei dieser Tätigkeit half ihm die Klägerin; das Geschäft war vorwiegend am Wochenende geöffnet. Der anfallende Arbeitsaufwand betrug nach den Angaben des Klägers mindestens 25 Stunden je Woche. Das Unternehmen warf in den Jahren 1977 bis 1981 ständig Verluste ab, die mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit verrechnet wurden. Dabei ergab sich in den Streitjahren folgendes Bild:

. . .

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte die Veranlagungen der Kläger zur Einkommensteuer für die Jahre 1977 bis 1980 zunächst antragsgemäß durch. Er erließ für 1977 einen hinsichtlich der gewerblichen Einkünfte gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufigen und für 1978 einen gemäß § 164 Abs. 1 AO 1977 mit dem Vorbehalt der Nachprüfung versehenen Einkommensteuerbescheid. Dieser Vorbehalt wurde in einem auf § 129 AO 1977 gestützten Berichtigungsbescheid nicht wiederholt. Für 1979 wurde die Einkommensteuer endgültig, für 1980 wiederum versehen mit dem Nachprüfungsvorbehalt nach § 164 AO 1977 festgesetzt.

Bevor die Veranlagung für 1981 durchgeführt wurde, fand beim Kläger eine Außenprüfung statt. Hierbei stellte der Prüfer fest, daß der Kläger in der Zeit von 1977 bis 1982 insgesamt Verluste von . . . DM erwirtschaftet habe und bei ,,objektiver, betriebswirtschaftlicher Betrachtungsweise" insoweit keine Tätigkeit ausübe, ,,die zur nachhaltigen Gewinnerzielung geeignet" sei. Prüfer und FA gingen unter Zugrundelegung eines Umlaufvermögens in Höhe von . . . DM zum 31. Dezember 1982 davon aus, daß der Kläger mit dem Handel von Vögeln und Zubehör auf Dauer gesehen keine Gewinne erzielen könne, und versagten die begehrte Verlustverrechnung.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) ermittelte - unter Vernachlässigung der jeweils zum Jahresende noch vorhandenen Vorräte - folgende Differenzen aus Wareneinkauf und Warenverkauf: . . .

In rechtlicher Hinsicht bejahte das FG die von den Klägern bestrittene Befugnis des FA zur Korrektur der Einkommensteuerbescheide 1977 bis 1980 und bestätigte im übrigen die Ansicht des FA, daß die erklärten Verluste in den angefochtenen Bescheiden nicht berücksichtigt werden dürften, weil sie aus einer einkommensteuerrechtlich nicht relevanten Tätigkeit (,,Liebhaberei") stammten. Dem Kläger fehle die Gewinnerzielungsabsicht. Bei ,,rationaler Betrachtung" könnten die Verluste durch die ab 1983 erzielten geringen Gewinne von durchschnittlich . . . DM je Jahr zu Lebzeiten des Klägers nicht ausgeglichen werden. Der Kläger habe schon seit Mitte der 70er Jahre privat Wellensittiche und Kanarienvögel gehalten, eine Züchterprüfung abgelegt und sei Mitglied der . . . . Er sei außerdem Mitglied mehrerer Vogelliebhabervereine. Aus alledem ergebe sich, daß der Kläger mit der Eröffnung des Einzelhandelsunternehmens den alleinigen Zweck verfolgt habe, sein Hobby als Vogelfreund und Züchter zu finanzieren. Seinen Bestand an Tieren habe er seit 1977 erheblich aufgestockt. Die Verkäufe jedoch seien im gleichen Zeitraum stark zurückgegangen. Hieraus sei zu schließen, daß es dem Kläger in erster Linie auf das Halten von Vögeln, und nicht auf einen An- und Verkauf mit Gewinnerzielungsabsicht angekommen sei.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Sie sind weiterhin der Meinung, hinsichtlich der Jahre 1978 und 1979 fehle die Korrekturbefugnis des FA; im übrigen habe das FG zu Unrecht die Gewinnerzielungsabsicht des Klägers verneint.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG ist zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, die Zucht von Vögeln und der Handel mit ihnen sowie mit dem Zubehör für die Vogelhaltung in den Streitjahren sei nicht als gewerbliche Tätigkeit i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 und § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung anzusehen. - Die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen für eine solche rechtliche Beurteilung nicht aus. Die vom FG gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen sind nicht frei von Rechtsirrtum.

1. Zu Recht hat das FG die Befugnis des FA zur Änderung der angefochtenen Bescheide auch für die Jahre 1978 und 1979 bejaht. Sie ergibt sich für 1978 aus § 164 Abs. 2 AO 1977 und für 1979 aus § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977.

a) Daß der für 1978 ergangene, auf § 129 AO 1977 gestützte Berichtigungsbescheid vom 23. November 1979 den im vorangegangenen Bescheid vom 11. Oktober 1979 enthaltenen Nachprüfungsvorbehalt nicht ausdrücklich wiederholte, ist unschädlich (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Oktober 1984 VIII R 162/80, BFHE 143, 299, BStBl II 1985, 448; und vom 20. Januar 1987 IX R 49/82, BFH/NV 1987, 433, 436; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., - Stand November 1990 -, § 164 AO 1977 Tz. 8 m. w. N.).

b) Als neue Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 kommen alle Umstände in Betracht, die für die Abgrenzung gewerbliche Einkünfte / Einkünfte aus ,,Liebhaberei" von Bedeutung sind (BFH-Urteile vom 28. März 1984 IV R 45/81, BFH/NV 1986, 213, 214, und vom 25. Oktober 1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, 131, BStBl II 1990, 278, 280). Auf das ,,Gewicht" einer solchen Tatsache kommt es im Rahmen des § 173 AO 1977 (anders als nach § 222 der Reichsabgabenordnung - AO -) nicht an, sondern nur darauf, daß sie tatsächlich zu einer höheren (oder niedrigeren) Steuer führt (Tipke / Kruse, a. a. O., § 173 AO 1977 Tz. 14).

2. Der Ansicht des FG hingegen, dem Kläger habe in den Streitjahren die Gewinnerzielungsabsicht gefehlt, kann der Senat - aufgrund der bisher festgestellten Tatsachen jedenfalls - nicht folgen.

a) Mit den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit verrechenbar sind die von den Klägern erklärten Verluste nur, wenn sie aus einer gewerblichen Tätigkeit i. S. der §§ 2, 15 EStG stammen. Dies setzt voraus, daß der Kläger in den Streitjahren einen Gewerbebetrieb i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG unterhalten, d. h. sich mit der Absicht betätigt hat, Gewinne zu erzielen (§ 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung - GewStDV -). Inzwischen, seit Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1983, 1583, BStBl I 1984, 14) folgt dies aus der (klarstellenden) Legaldefinition des § 15 Abs. 2 EStG n. F., gilt aber gleichermaßen auch für die hier zu beurteilenden Zeiträume (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 1985 VIII R 4/83, BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289, 290).

b) Gewinnerzielungsabsicht als Tatbestandsmerkmal gewerblicher Tätigkeit ist das Streben nach Betriebsvermögensmehrung in Gestalt eines Totalgewinns oder Totalüberschusses (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, 434, BStBl II 1984, 751, 766 zu Buchst. C IV 3. c; BFH in BFHE 145, 375, BStBl II 1986, 289, und in BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278). - Angestrebt werden muß ein positives Ergebnis zwischen Betriebsgründung und Betriebsbeendigung (BFH-Urteile in BFHE 145, 375, 378, BStBl II 1986, 289, 290, und vom 24. November 1988 IV R 37/85, BFH/NV 1989, 574 sowie vom 11. April 1990 I R 22/88, BFH/NV 1990, 768), und zwar aufgrund einer Betätigung, die, über eine größere Zahl von Jahren gesehen, auf die Erzielung positiver Ergebnisse hin angelegt ist (BFH in BFHE 141, 405, 435, BStBl II 1984, 751, 766 zu Buchst. C IV 3. c, aa, 2.; in BFHE 159, 128, 132, BStBl II 1990, 278, 280). Das für den Tatbestand der Einkünfteerzielung notwendige Gewinnstreben kann als ,,innere" Tatsache nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden (BFH in BFHE 141, 405, 435, BStBl II 1984, 754, 767 zu Buchst. C IV 3. c, bb; in BFHE 159, 128, 132, BStBl II 1990, 278, 280). Zu den äußeren Kriterien, an denen die Gewinnerzielungsabsicht zu messen ist, gehört nicht nur der Erfolg, sondern auch die Art der auf diesen Erfolg hin ausgerichteten Tätigkeit.

c) Gerade in den für die Abgrenzung zur ,,Liebhaberei" bedeutsamen Zweifelsfällen läßt sich die Frage, ob eine Tätigkeit auf Totalgewinn / Totalüberschuß gerichtet ist, regelmäßig nur mit Hilfe einer mehrere Jahre umfassenden Betrachtung beantworten: Dazu bedarf es einerseits einer in die Zukunft gerichteten, langfristigen Prognose, andererseits können die Verhältnisse eines bereits abgelaufenen Zeitraums wichtige Anhaltspunkte bieten (BFH in BFHE 159, 128, 132, BStBl II 1990, 278, 280 m. w. N.). - Entscheidende Schlüsse können auch daraus gezogen werden, wie der Steuerpflichtige darauf reagiert, daß er längere Zeit hindurch Verluste erwirtschaftet hat (BFH-Urteil vom 15. November 1984 IV R 139/81, BFHE 142, 464, 468, BStBl II 1985, 205, 207 m. w. N.). Zwar reichen längere Verlustperioden für sich allein gesehen nicht aus, um eine Betätigung als ,,Liebhaberei" anzusehen und dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen (BFH-Urteil vom 28. August 1987 III R 273/83, BFHE 151, 42, 44, BStBl II 1988, 10, 11). Jedoch sind Dauer und Umfang der Verlusterzielung ein bedeutsames Kriterium für die Gesamtbeurteilung. Vor allem können sie zusammen mit der Reaktion des Steuerpflichtigen auf eine solche Entwicklung die Beweislage entscheidend beeinflussen (BFH in BFHE 159, 128, 132, BStBl II 1990, 278, 280 m. w. N.).

Dies zeigt, daß die Frage, ob bei laufend erzielten Verlusten Gewinnerzielungsabsicht vorliegt, sich in der Regel erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums beantworten läßt. Auch wird sich häufig erst nach mehreren Jahren herausstellen, auf welche äußeren Tatsachen es im Einzelfall ankommt und wie sie zu gewichten sind (BFH in BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278).

Generelle zeitliche Fixierungen jedoch sind nicht möglich: Weder läßt sich allgemein sagen, wie lange ein solcher Beurteilungszeitraum bemessen sein muß, noch läßt sich ein allgemein gültiger Zeitraum festlegen, von dem aus die Betrachtung vorzunehmen ist.

d) Im Streitfall reichen weder die Feststellungen des FG zur Art der Betriebsführung noch die geprüfte Zeitspanne aus, den im angefochtenen Urteil gezogenen Schluß auf einkommensteuerrechtlich irrelevante private Betätigung zu rechtfertigen. Das FG hat sein Urteil, die in den Jahren 1977 bis 1982 angefallenen Verluste ließen sich zu Lebzeiten des Klägers nicht mehr ausgleichen, zu Unrecht allein auf die in den Jahren 1983 bis 1986 erzielten gerinfügigen Gewinne gestützt und ist dabei nicht auf die vom Kläger vorgenommenen bzw. geplanten Änderungen in seiner Betriebsführung (Geschäftsverlegung, Sortimentserweiterung) sowie auf die möglicherweise infolgedessen zu erwartenden Gewinnsteigerungen eingegangen.

Schließlich hätten die Bestände in die Gewinnprognose einbezogen werden müssen. Nicht überzeugend ist in diesem Zusammenhang der Schluß des FG von einer Erhöhung des Tierbestandes auf ,,Liebhaberei", denn ohne einen relativ hohen Tierbestand ist ein Handel nicht möglich. Die Aufgliederung der in den Jahren 1977 bis 1982 erzielten Ergebnisse zeigt überdies, daß in diesem Bereich immerhin Gewinne erzielt wurden. Was die hohen Verluste bei Futter und Zubehör angeht, so hat das FG den Einwänden des Klägers, ihm hätten hier zu Anfang die erforderlichen Fachkenntnisse gefehlt und er habe zunächst einen ,,nicht besonders guten Lieferanten" gehabt, nicht genügend Bedeutung beigemessen.

All dies wird nun im zweiten Rechtsgang vor dem Hintergrund eines erweiterten Erfahrungszeitraums und neu hinzutretender äußerer Merkmale erneut zu prüfen sein. Dabei wird sich das FG auch mit dem Umstand näher befassen müssen, daß der Kläger erst im Jahre 1978 (für den 1. Januar 1978) einen Gewerbebetrieb angemeldet hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417946

BFH/NV 1992, 108

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge