Erlass mit Übergangsregelung zur Anwendung dieser Entscheidung

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe ohne unmittelbaren Krankheitsbezug sind keine steuerbefreiten Heilbehandlungen; Steuerbefreiung medizinischer Behandlungen eines Dipl.-Oecotrophologen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Führt ein Dipl.-Oecotrophologe (Ernährungsberater) im Rahmen einer medizinischen Behandlung (aufgrund ärztlicher Anordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme) Ernährungsberatungen durch, sind diese Leistungen nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreit.

2. Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe i.S. des § 20 SGB V, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben, weil sie lediglich "den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen" sollen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB V), sind grundsätzlich keine nach § 4 Nr. 14 UStG befreiten Heilbehandlungen.

 

Normenkette

UStG 1993 § 4 Nr. 14; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c; SGB V §§ 20, 92, 124 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.03.2004; Aktenzeichen 5 K 7317/01 U; EFG 2004, 1092)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine aus zwei Dipl.-Oecotrophologinnen bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die in den Streitjahren 1995 bis 1998 ausschließlich Ernährungsberatungskurse und Einzelberatungen mit dem Ziel der Krankheitsprävention bzw. im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen durchführte. Die Beratungskurse wurden von den Gesellschafterinnen der Klägerin selbst oder von freien Mitarbeitern ―ebenfalls Dipl.-Oecotrophologen― erbracht. Sowohl die Gesellschafterinnen der Klägerin als auch die von ihr eingesetzten freien Mitarbeiter verfügten über eine entsprechende Zusatzqualifikation für Ernährungsberatung. Zum Teil führte die Klägerin Einzelberatungen und Ernährungsberatungskurse direkt im Auftrag der Krankenkassen durch und rechnete ihre Leistungen auch direkt mit den Kassen ab. Zum Teil rechnete sie ihre Beratungsleistungen direkt mit den Versicherten ab, die ihre Kosten für ihre Teilnahme an diesen Kursen dann wiederum von den Kassen ―ganz oder überwiegend― erstattet bekamen. Leistete die Klägerin Ernährungsberatungen im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen, so erfolgten diese in der Regel aufgrund ärztlichen Attestes. In diesen Fällen wurden den Kassenpatienten ebenfalls von ihren jeweiligen Kassen die Beratungskosten erstattet. Die von ihr erbrachten Beratungsleistungen rechnete die Klägerin in den Streitjahren ab, ohne in ihren Rechnungen die Umsatzsteuer gesondert auszuweisen.

Über eine allgemeine Kassenzulassung i.S. von § 124 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) verfügten in den Streitjahren weder die Klägerin noch die an ihr beteiligten Gesellschafterinnen. Nach Bestätigungsschreiben verschiedener Krankenkassen bestanden allerdings zwischen der Klägerin und den Kassen Vereinbarungen darüber, dass die Kosten für die Ernährungsberatungskurse und die Einzelberatungen ganz oder teilweise von den Kassen übernommen werden.

In weiteren Schreiben der Krankenkassen wird der Klägerin zudem bescheinigt, dass die von ihr angebotenen Ernährungskurse den von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Qualitätsrichtlinien und Zulassungsbedingungen, deren Erfüllung Voraussetzung für eine Kostenbeteiligung bzw. -übernahme der Krankenkassen ist, entsprechen. Nach einem von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Kriterienkatalog wird die Ernährungsberatung als Krankheitsprävention i.S. des § 20 SGB V zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes ―etwa zur Vermeidung von Mangel- und Fehlernährung bzw. zur Vermeidung und Reduktion von Übergewicht― oder als Rehabilitationsmaßnahme i.S. von § 43 SGB V unterstützt. Als Leistungsanbieter für die Beratung werden nach den aufgestellten Qualitätskriterien der Spitzenverbände neben Ernährungsmedizinern, Diätassistenten, Dipl.-Ingenieuren der Ernährungs- und Hygienetechnik auch Dipl.-Oecotrophologen bzw. Dipl.-Ernährungswissenschaftler jeweils mit der Zusatzqualifikation für Ernährungsberatung anerkannt.

Die Klägerin erklärte ihre Umsätze aus Ernährungsberatung in ihren Umsatzsteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 1995 bis 1998 zunächst als umsatzsteuerpflichtig und machte gleichzeitig Vorsteuerbeträge geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) stimmte diesen Erklärungen zu. Mit Schreiben vom 7. September 2000 beantragte die Klägerin die Änderung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheide dahin gehend, dass die Umsätze aus Ernährungsberatung steuerfrei belassen und gleichzeitig auch keine Vorsteuerbeträge mehr berücksichtigt werden, mithin die Umsatzsteuer jeweils auf 0 DM zu reduzieren sei. Diesen Antrag lehnte das FA durch Bescheid vom 21. März 2001 ab.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Das Urteil ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2004, 1092 abgedruckt.

Das FG führte im Wesentlichen aus, um eine heilberufliche Tätigkeit i.S. des § 4 Nr. 14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) handele es sich auch bei Tätigkeiten zur vorbeugenden Gesundheitspflege, die im Ergebnis der Vorbeugung von Krankheiten dienten.

Diese heilberuflichen Tätigkeiten habe die Klägerin durch Personen erbracht, welche die für die Durchführung qualifizierter Ernährungsberatungen erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise besäßen. Ausreichend sei insoweit, dass die für die Klägerin tätigen Personen die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen selbst aufgestellten Kriterien für die Zulassung von Leistungsanbietern im Bereich der Rehabilitation und der Prävention i.S. von §§ 20, 43 SGB V erfüllten.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Nr. 14 UStG.

Das FA ist im Wesentlichen unter Hinweis auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17. April 2000 IV D 2 -S 7170- 7/00 (Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 2000, 258) der Auffassung, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 14 UStG seien nicht erfüllt.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Entgegen der Auffassung des FG sind Leistungen, die nicht aufgrund ärztlicher Anordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsbehandlung durchgeführt werden, nicht nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei.

1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes" steuerfrei.

a) Zwar steht der Steuerbefreiung der Umsätze der Klägerin nicht entgegen, dass sie ihre Leistungen nicht selbst gegenüber den Patienten abgerechnet, sondern sie als Subunternehmer gegenüber Krankenkassen oder einem Rehabilitationszentrum ausgeführt hat. Denn die befreiten Umsätze sind weder nach § 4 Nr. 14 UStG noch nach der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) - durch die Person des Leistungsempfängers definiert; vielmehr beschränkt sich das personenbezogene Befreiungselement auf den Leistenden, der Träger eines ärztlichen bzw. arztähnlichen Berufs sein muss (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. November 2004 V R 44/02, BStBl II 2005, 190; BFH-Beschluss vom 12. Oktober 2004 V R 54/03, BStBl II 2005, 106).

b) Die Steuerbefreiung nach § 4 Abs. 14 UStG setzt aber bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dass er dafür die erforderlichen Befähigungsnachweise besitzt (vgl. Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH― vom 10. September 2002 Rs. C-141/00, Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, Slg. 2002, I-6833, UR 2002, 513 RandNr. 26 ff.; vom 6. November 2003 Rs. C-45/01, Christoph-Dornier-Stiftung, UR 2003, 585 RandNr. 50; BFH-Urteile vom 19. Dezember 2002 V R 28/00, BFHE 201, 330, BStBl II 2003, 532; vom 1. April 2004 V R 54/98, BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681; in BStBl II 2005, 190). Davon ist das FG zutreffend ausgegangen. Zweck der Befreiung ist es, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken.

c) Heilbehandlungen i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung (EuGH-Urteil Kügler in UR 2002, 513 RandNr. 40), Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden. Die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen (EuGH-Urteile in UR 2003, 585 RandNr. 48; vom 20. November 2003 Rs. C-212/01, Margarete Unterpertinger, UR 2004, 70; vom 20. November 2003 Rs. C-307/01, Peter d'Ambrumenil, UR 2004, 75; BFH-Urteil vom 15. Juli 2004 V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862). Nicht unter die Befreiung fallen danach Tätigkeiten, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes sind.

Hiervon ausgehend hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreie Leistungen in Betracht kommen, wenn eine Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung aufgrund eines Versorgungsvertrages gemäß §§ 11 Abs. 2, 23 Abs. 4, 40, 111 SGB V mit Hilfe von Fachkräften Leistungen zur medizinischen Vorsorge- oder Rehabilitation erbringt. In diesem Fall sind regelmäßig sowohl die Leistungen der Einrichtung als auch die Leistungen der hierzu nach Maßgabe des Versorgungs- oder Rehabilitationsvertrages qualifizierten Fachkräfte an diese Einrichtung steuerfrei (BFH-Urteil in BStBl II 2005, 190). Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe i.S. des § 20 SGB V, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben, weil sie lediglich "den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen" sollen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB V), sind dagegen grundsätzlich keine nach § 4 Nr. 14 UStG befreiten Heilbehandlungen.

Mit diesen Grundsätzen ist die Auffassung des FG, auch Tätigkeiten zur vorbeugenden Gesundheitspflege, die im Ergebnis zur Vorbeugung von Krankheiten dienten, nicht vereinbar. Das Urteil des FG war daher aufzuheben.

2. In welchem Umfang die Klägerin Heilbehandlungen erbracht hat, kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht abschließend entschieden werden.

a) Die Ernährungsberatung (Diättherapie) erfüllt die Voraussetzungen einer Heilbehandlung und dient nicht nur der Befriedigung alltäglicher Lebensbedürfnisse insoweit, als der Bereich der Krankenbehandlung betroffen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Juni 2000 B 6 KA 26/99 R, BSGE 86, 223). Die Steuerbefreiung kommt deshalb grundsätzlich nur für Ernährungsberatungen in Betracht, welche die Klägerin aufgrund ärztlicher Anordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt hat.

b) Das FG hat ausgehend von seiner Rechtsauffassung keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin lediglich Ernährungsberatungen aufgrund ärztlicher Anordnung oder im Rahmen einer Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt hat.

3. Entgegen der Auffassung des FA geht das FG zu Recht davon aus, dass die Steuerbefreiung nicht an der fehlenden beruflichen Qualifikation der für die Klägerin tätigen Personen scheitert.

Der erforderliche Nachweis der beruflichen Befähigung (ausführlich hierzu BFH-Urteile in BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681, und vom 22. April 2004 V R 1/98, BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, m.w.N.) hängt nicht ausschließlich von einer ―für Dipl.-Oecotrophologen nicht existierenden― berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab.

a) Vom Vorliegen der beruflichen Befähigung ist auch auszugehen bei der ―nach den Feststellungen des FG allerdings nicht vorliegenden― Zulassung des jeweiligen Unternehmers oder regelmäßigen Zulassung seiner Berufsgruppe gemäß § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Sozialversicherung (ausführlich BFH-Urteile in BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681, und in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, m.w.N.; vgl. BMF-Schreiben vom 28. Februar 2000 IV D 2 -S 7170- 12/00, BStBl I 2000, 433, Umsatzsteuer-Richtlinien 2005, 90).

b) Indiz für das Vorliegen eines entsprechenden beruflichen Befähigungsnachweises ist ferner die ―vom FG nicht festgestellte― Aufnahme der betreffenden Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (§ 92 SGB V; ausführlich BFH-Urteile in BFHE 205, 505, BStBl II 2004, 681, und in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849).

c) Im Streitfall ist der Nachweis der beruflichen Qualifikation erbracht; denn die Personen, die für die Klägerin die streitigen Leistungen ausgeführt haben, erfüllten nach den Feststellungen des FG die von den Krankenkassen für die Durchführung von Ernährungsberatungen im Rahmen von Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen erforderlichen Qualifikationsanforderungen; das genügt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1422025

BFH/NV 2005, 2142

BStBl II 2005, 904

BFHE 2006, 69

BFHE 211, 69

BB 2005, 2286

DB 2005, 2394

DStRE 2005, 1349

DStZ 2005, 728

HFR 2005, 1207

UR 2005, 677

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