Leitsatz (amtlich)

Werden von einem Unternehmer Fäkaliengruben entleert und die Fäkalien anschließend weggeschafft, so ist die Entleerung der Grube die Hauptleistung und § 4 Nr. 9 UStG 1951 nicht anwendbar.

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 9

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein Kanalbau- und Reinigungsunternehmen, betreibt u. a. Teichentschlammung und Grubenentleerung. Dies geschieht durch Verwendung von Saugwaren, die den Schlamm bzw. die Fäkalien durch einen in die Grube eingeführten Schlauch in den Kessel des Wagens saugen und sodann zu den Entleerungsstellen, meist öffentlichen Klärgruben oder -anlagen, bringen. Soweit die Klägerin die Fäkalien an Entleerungsstellen außerhalb der Nahzone befördert hat, ist sie von der Beförderungsteuerstelle des FA zur Beförderungsteuer herangezogen worden.

Aufgrund des Ergebnisses einer im Frühjahr 1965 durchgeführten Betriebsprüfung zog der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) mit Bescheid vom ... die Klägerin mit den durch die Grubenentleerung und den Abtransport der Fäkalien in den Jahren 1962 und 1963 bewirkten Umsätzen zur Umsatzsteuer heran. Es vertrat die Auffassung, daß die Entleerung der Gruben und die Abfuhr der Fäkalien wirtschaftlich eine einheitliche Leistung sei, die eine Anwendung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 ausschließe.

Der Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, daß bei den von ihr bewirkten Umsätzen der Abtransport der Fäkalien zu den Entleerungsstellen die Hauptleistung sei und daher die Steuerbefreiung (§ 4 Nr. 9 UStG 1951) nicht versagt werden könne, wurde zurückgewiesen. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.

Das FG hat ausgeführt, Beförderungsleistungen seien nur dann gemäß § 4 Nr. 9 UStG 1951 umsatzsteuerfrei, wenn sie als solche den Gegenstand der Umsatzbesteuerung darstellten. Bei den Leistungen der Klägerin stehe jedoch nach dem Willen aller Beteiligter die Entleerung der Klärgruben und nicht der Abtransport der Fäkalien im Vordergrund. Denn die Klägerin habe gegenüber ihren Auftraggebern in erster Linie die Entleerung der Gruben übernommen. Der mit der Durchführung dieses Auftrags zusammenhängende Abtransport der Fäkalien stelle demgegenüber die Nebenleistung dar. Dies ergebe sich auch aus den von der Klägerin vorgelegten Auftragsschreiben und Rechnungen, in denen die Leistung der Klägerin mit "Grubenentschlammung" oder "Klärgrubenreinigung" oder "Entleerung von Fäkaliengruben" bezeichnet und der Abtransport allenfalls als zusätzlicher Leistungsbestandteil angegeben sei.

Daß die Klägerin eine einheitliche Leistung erbringe, werde schließlich auch dadurch bestätigt, daß sie nur ein einheitliches Gesamtentgelt in Rechnung stelle. Bei dieser Sachlage könne von einer selbständigen Beförderungsleistung keine Rede sein; § 4 Nr. 9 UStG 1951 scheide daher aus.

Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Zwar sei, so wird ausgeführt, dem FG darin zuzustimmen, daß es sich bei der bewirkten Leistung um einen einheitlichen Vorgang handele, der aus Entleerung und Abfuhr der Fäkalien bestehe. Entgegen der Auffassung des FG stehe dabei jedoch die Abfuhr der Fäkalien im Vordergrund. Von den entstehenden Kosten entfielen auf die Entleerung 1/10 bis 3/10, auf die Abfuhr hingegen 7/10 bis 9/10. Es widerspreche den Denkgesetzen, den kostenmäßig weit überwiegenden Leistungsfaktor - eben den Transport der Fäkalien zu den Entleerungsstellen - als untergeordnete Nebenleistung zu beurteilen. Dies um so mehr, als die Fäkalien nur an den amtlich hierfür zugelassenen Ablagerungsstellen, die oftmals von den entleerten Gruben weit entfernt seien, abgeladen werden dürften. Komme aber sowohl kostenmäßig wie funktionell der Fäkalienabfuhr die überwiegende Bedeutung zu, so stelle die Beförderung wirtschaftlich die Hauptleistung dar.

Auf den Wortlaut von Auftragsschreiben oder Rechnungen könne es, entgegen der Auffassung der Vorinstanz, nicht ankommen, da bei der Umsatzsteuer der wirtschaftliche Gehalt der Leistung, nicht aber deren Bezeichnung im Schriftverkehr der Parteien maßgebend sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und den Steuerbescheid aufzuheben und die Umsatzsteuer für ... auf ... DM festzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 sind von den unter § 1 UStG 1951 fallenden Umsätzen steuerfrei diejenigen Umsätze, die unter das Beförderungsteuergesetz fallen. Die Steuerbefreiung kommt daher in solchen Fällen in Betracht, in denen die Beförderungsleistung als solche Gegenstand der Umsatzbesteuerung ist. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß bei Warenlieferungen, die mit einer Beförderungsleistung - nämlich der Beförderung der gelieferten Ware an den Abnehmer - verbunden sind, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 9 UStG 1951 nicht gegeben sind (vgl. Urteile vom 11. April 1957 V 237/55, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 9, Rechtsspruch 13, und vom 20. Mai 1965 V 32/63 U, BFHE 82, 695, BStBl III 1965, 497). Wird keine Lieferung, sondern eine sonstige Leistung erbracht, so kann bei deren Zusammentreffen mit einer Beförderung die Rechtslage nicht anders sein. Denn der für die Rechtsprechung des BFH maßgebende Gesichtspunkt, daß ein einheitlicher Vorgang bei Anwendung des § 4 Nr. 9 UStG 1951 - wie auch sonst im Umsatzsteuerrecht - nicht in Teilvorgänge zerlegt werden kann, kommt bei sonstigen Leistungen in gleicher Weise zum Tragen wie bei Lieferungen. Entscheidend für den Umsatz ist daher die Hauptleistung. Ist diese eine Lieferung oder sonstige Leistung, so teilt die nebenher oder zusätzlich erbrachte Beförderung umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung (vgl. Urteil des BFH vom 13. August 1970 V R 69/66, BFHE 99, 507). So liegt hier der Fall.

Wie die Vorinstanz ohne Rechtsirrtum und ohne Verstoß gegen die Denkgesetze ausgeführt hat, steht bei der von der Klägerin ausgeübten Tätigkeit, soweit sie die streitigen Umsätze betrifft, die Entleerung der Gruben eindeutig im Vordergrund. Die Klägerin erhält von ihren Kunden den Auftrag, die Gruben zu entleeren und anschließend das Entleerungsgut abzufahren. Sie schuldet und erbringt ihren Kunden einen Erfolg, indem sie die Gruben entleert. Für den Kunden steht die Entleerung der Grube auch insofern im Vordergrund, als sie hygienisch einwandfrei erfolgen muß, also mit einem normalen Aufladevorgang nicht verglichen werden kann. Daß das Entleerungsgut weggeschafft und bei einer behördlicherseits zugelassenen Entleerungsstelle abgeladen wird, ist eine zwangsläufige Maßnahme im Gefolge der Entleerung. Bei diesem zeitlichen wie funktionellen Ablauf des von der Klägerin übernommenen Auftrages würde es zu einer Umkehrung der tatsächlichen Gegebenheiten führen, wenn man den Abtransport des Entleerungsgutes, also die Beförderungsleistung, als Inhalt der von der Klägerin erbrachten Leistung ansehen wollte. Stellt aber die Entleerung der Gruben die Hauptleistung dar, so ist diese für den Inhalt des Umsatzes auch dann bestimmend, wenn - wie die Klägerin unwiderlegt vorgetragen hat - die Kosten für den Abtransport, also die Beförderung, höher sind als diejenigen für die Entleerung. Denn für den Inhalt des Leistungsaustausches ist das Verhältnis der Kostenfaktoren einzelner Leistungselemente zueinander nicht maßgebend (vgl. Urteil des BFH vom 15. Oktober 1953 V 121/53, DB 1953, 1007).

Die Vorinstanz ist nach alledem zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß der Abtransport des Entleerungsgutes nicht als selbständiger Umsatz zu beurteilen ist und die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 somit nicht zur Anwendung kommt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70841

BStBl II 1974, 344

BFHE 1974, 562

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