Leitsatz (amtlich)

Anders als im Falle der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft kann im Falle der Auflösung und Abwicklung einer Kapitalgesellschaft der durch den Liquidationserlös entstehende Gewinn nicht nach § 6b EStG in Rücklage gestellt werden.

 

Normenkette

EStG § 6b

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in ihrer Steuerbilanz zum 31. Dezember 1968 zu Recht eine Rücklage nach § 6b EStG bilden konnte.

Die Klägerin erhielt im Streitjahr (1968) auf ihre Beteiligung am Grundkapital der A-AG i. L. eine Liquidationsquote, die sie nach Abzug des Buchwerts der ausgebuchten Beteiligung als außerordentlichen Ertrag auswies und gleichzeitig in fast gleicher Höhe gemäß § 6b EStG in Rücklage stellte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) folgte der Klägerin hierin nicht und erhöhte ihren Gewinn für das Streitjahr unter Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung entsprechend. Die gemäß § 45 FGO unmittelbar zum FG erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Die Entscheidung des FG ist in EFG 1970 S. 598 veröffentlicht. Mit ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten, form- und fristgerecht eingelegten Revision beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung das im Steuerbescheid vom 17. Dezember 1969 angesetzte steuerpflichtige Einkommen um die Rücklage zu ermäßigen. Zur Begründung läßt sie vortragen:

Zu Unrecht ordne das FG dem Begriff der Veräußerung als einem Leistungsaustausch allein die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen anderen Rechtsträger zu. Demgegenüber sehe der BFH im Urteil vom 9. Juli 1964 V 287/61 S (BFHE 79, 633, BStBl III 1964, 464) einen Leistungsaustausch auch im Falle der verschmelzenden Umwandlung - trotz Untergangs der umgewandelten Aktiengesellschaft (§ 5 Satz 2 des Gesetzes über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften in der Fassung des Gesetzes vom 15. August 1969, BStBl I 1969, 456) - als gegeben an. Schließlich treffe es auch nicht zu, daß die Gewinnrealisierung als Folge einer in einem anderen Unternehmen eingetretenen Entwicklung auftrete; denn gerade bei den in Mehrheitsbesitz stehenden Gesellschaften werde die maßgebende Entscheidung bei der herrschenden Gesellschaft getroffen.

Vor allem aber lasse die angefochtene Entscheidung den wirtschaftlichen Sinn und Zweck der Vorschrift des § 6b EStG außer acht, die darin bestünden, ökonomisch erwünschte Anpassungsprozesse im Wirtschaftsleben nicht durch steuerrechtliche Vorschriften zu behindern. Die Auflösung einer Beteiligung, die nur aus Geldvermögen bestehe, dessen produktive Anlage ohne Änderung der bestehenden Rechtsverhältnisse auf Schwierigkeiten stoße, sei ein solcher ökonomisch erwünschter Prozeß, da durch sie Mittel freigesetzt würden, deren produktiver Einsatz gesamtwirtschaftlich von Nutzen und daher im Prinzip erwünscht sei. Dabei sei es unerheblich, auf welche Weise das in der Beteiligungsgesellschaft gebundene Vermögen verfügbar gemacht werde. Betriebswirtschaftlich laufe es auf dasselbe hinaus, ob sich die herrschende Gesellschaft flüssige Mittel durch einen rechtsgeschäftlichen Verkauf ihrer Anteilsrechte verschaffe oder ob sie die Beteiligungsgesellschaft liquidiere, um deren Reinvermögen zu vereinnahmen.

Wenn § 6b EStG seinem Wortlaut nach allein auf die Erfassung von Veräußerungsvorgängen zugeschnitten sei, so deshalb, weil stille Reserven bei abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern, beim Grund und Boden, bei Aufwuchs oder Anlagen im Grund und Boden und bei Gebäuden nur im Wege einer Veräußerung oder einer Entnahme realisiert werden könnten; da Entnahmen aber keine Vorgänge der wirtschaftlichen Anpassung seien, hätten sie bei der Abfassung des Gesetzes unberücksichtigt bleiben können. Lese man aber nun die Vorschrift des § 6b Abs. 1 Nr. 5 EStG so, daß die Reinvestitionsvergünstigung nur bei rechtsgeschäftlicher Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften gewährt werde, so enthalte sie eine echte Lücke, weil sie einen Fall, der ebenfalls von den Zielvorstellungen des Gesetzgebers erfaßt werde, nicht regele.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Eine wirtschaftliche Anpassung des Anlagevermögens im Sinne der Vorschrift des § 6b EStG sei durch die Auflösung der AG nicht eingetreten, nachdem der Klägerin praktisch die gesamten Aktiva der nummehr aufgelösten Gesellschaft bis zur Ausschüttung des Liquidationsbetrages darlehnsweise zur Verfügung gestanden hätten; denn das Vermöger der aufgelösten AG habe im wesentlichen aus Forderungen an die Klägerin aus bestehenden Lizenzverträgen bestanden.

Die Klägerin sieht in diesen Ausführungen des FA ein neues tatsächliches Vorbringen, mit dem das FA im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden dürfe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Der erkennende Senat stimmt der Klägerin darin zu, daß der Gesetzgeber mit der Schaffung der Vorschrift des § 6b EStG den Zweck verfolgte, die durch bestimmte Maßnahmen einer ökonomisch sinnvollen Anpassung der Wirtschaft an strukturelle Änderungen produktionstechnischer, verteilungswirtschaftlicher und regionaler Art, d. h. vornehmlich durch die Veräußerung von Grund und Boden, von nicht benötigten Wirtschaftsgütern des beweglichen Anlagevermögens und durch die Änderung von Beteiligungsverhältnissen frei werdenden stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen. Dies geschieht dadurch, daß die stillen Reserven, die durch die Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter aufgedeckt werden, auf die Wertansätze bestimmter anderer Wirtschaftsgüter durch Abzug des Veräußerungsgewinns von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten übertragen werden dürfen, ggf. im Jahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden darf. Zu den hier aufgeführten Wirtschaftsgütern gehören auch Anteile an Kapitalgesellschaften.

2. Wie das FG zutreffend dargelegt hat, spricht das Gesetz eindeutig von der Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter, nicht auch von ihrer Entnahme, die zwar ebenfalls zur Aufdeckung der im Buchwertansatz enthaltenen stillen Reserven führt, indes nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht steuerlich begünstigt ist, da die Entnahme die durch die Veräußerung gewonnenen Mittel dem Betriebe nicht erhält, sondern entzieht. Es kann im Streitfalle jedoch dahingestellt bleiben, ob in der Verteilung des Vermögens einer Kapitalgesellschaft (§ 271 AktG, § 72 GmbHG) eine Entnahme zu sehen ist.

a) Aus dem Hinweis der Klägerin auf den sich bei verschmelzender Umwandlung umsatzsteuerrechtlich vollziehenden Leistungsaustausch kann für die hier zu entscheidende Frage nichts gewonnen werden. Umsatzsteuerrechtlich liegt bei verschmelzender Umwandlung in der Übertragung der Gegenstände des Betriebsvermögens der untergehenden auf die aufnehmende Gesellschaft eine Lieferung (BFH-Urteil V 287/61 S); körperschaftsteuerrechtlich kann das dagegen nicht gelten; denn wie bereits im Urteil vom 21. September 1965 I 331/62 U (BFHE 83, 459, BStBl III 1965, 665) ausgeführt, erhalten die Gesellschafter das zur Verteilung kommende Vermögen der Gesellschaft ohne Gegenleistung. Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur körperschaftsteuerrechtlichen Beurteilung der verschmelzenden Umwandlung (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1971 I R 96/69, BFHE 103, 425, BStBl II 1972, 97) kann auf den Fall des Untergangs der Anteilsrechte am Grund- oder Stammkapital einer aufgelösten und abgewickelten Kapitalgesellschaft nicht bezogen werden, zu welchem der erkennende Senat auch im Urteil vom 8. Dezember 1971 I R 164/69 (BFHE 104, 163, BStBl II 1972, 229) Ausführungen gemacht hat. Danach steht der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft im Falle der Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft (§ 14 KStG) im steuerrechtlichen Ergebnis nicht anders da als im Falle der Veräußerung seines wesentlichen Anteils an der Gesellschaft (§ 17 EStG); spiegelt im letztgenannten Falle der Veräußerungserlös den Wert des auf seine Beteiligung entfallenden Teils des Gesellschaftsvermögens wider, so zeigt sich im Falle der Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft der Wert seines Anteils in dem auf ihn entfallenden Liquidationsbetrag. Liegt die Beteiligung in einem Betriebsvermögen, ist z. B. der Gesellschafter selbst eine Kapitalgesellschaft, so ist der den buchmäßigen Wertansatz der Beteiligung übersteigende Liquidationsbetrag Gewinn aus Gewerbebetrieb.

b) Daraus folgt nun aber nicht notwendig die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 6b EStG auf den Liquidationsbetrag beim Gesellschafter. Denn anders als die Klägerin ausführt, hätte der Gesetzgeber den Fall der Auflösung und Abwicklung einer Kapitalgesellschaft dem der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft gleichgestellt, wenn er ihn der Veräußerung der Anteile hätte gleichbehandelt wissen wollen. Das folgt nach Ansicht des erkennenden Senats nicht zuletzt auch daraus, daß der Gesetzgeber an anderer Stelle (§ 17 Abs. 4 EStG) beide Fälle ebenfalls steuerrechtlich nicht gleichbehandelt, sondern nur angeordnet hat, daß die Vorschriften über die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bei wesentlicher Beteiligung im Falle der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entsprechend zu gelten haben.

c) Von einer Regelungslücke kann nur dann die Rede sein, wenn das Gesetz unvollständig ist, wenn die Regelung eines bestimmten Sachbereichs keine besondere Vorschrift für eine Frage enthält, die nach dem gesetzlichen Grundgedanken und der dem Gesetz immanenten Teleologie hätte mitgeregelt werden müssen (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 19. Juli 1972 I R 164/68, BFHE 106, 441, BStBl II 1972, 858). Das kann nicht gesagt werden, wenn - wie hier - für bestimmte im Gesetz abschließend aufgeführte Sachverhalte eine Vergünstigung geschaffen wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70340

BStBl II 1973, 291

BFHE 1973, 159

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