Leitsatz (amtlich)

Eine Steuererklärung im Sinne des § 168 Abs. 2 AO liegt auch dann vor, wenn sie Mängel aufweist. Diese dürfen jedoch nicht so schwerwiegend sein, daß es unmöglich ist, das ordnungsmäßige Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen. Auch die Einreichung einer als vorläufig bezeichneten Steuererklärung ist unter diesen Voraussetzungen ausreichend.

 

Normenkette

AO § 168 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob das FA einen Verspätungszuschlag von 20 DM bzw. 10 DM zur Einkommensteuer und zur Gewerbesteuer 1960 zu Recht festgesetzt hat.

Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) hatte den Prozeßbevollmächtigten mit der Fertigung seiner Steuererklärung 1960 beauftragt. Der Bevollmächtigte ist wegen einer im Krieg erlittenen Hirnverletzung zu 50 v. H. erwerbsbeschränkt. Auf Antrag des Bevollmächtigten war die Frist zur Abgabe der Einkommen- und Gewerbesteuer-Erklärung 1960 zunächst bis zum 30. November 1961 - also zwei Monate über die am 30. September 1961 ablaufende allgemein verlängerte Frist - und später noch einmal bis zum 31. Dezember 1961 verlängert worden. Den weitergehenden Antrag, die Abgabefrist auf den 31. Januar 1962 festzusetzen, lehnte das FA ab. Am 12. Januar 1962 gingen als "vorläufig" bezeichnete Steuererklärungen beim FA ein. In den Erklärungen war ohne nähere Erläuterung ein gewerblicher Gewinn von 22 000 DM angegeben. Den Steuererklärungen waren auch keine Unterlagen über die Gewinnermittlung beigefügt. Durch Schreiben vom 25. Januar 1962 wies das FA den Steuerpflichtigen darauf hin, daß "vorläufige" Steuererklärungen in der AO nicht vorgesehen seien. Gleichzeitig wurde um Ergänzung, Beseitigung von Unklarheiten und Vorlage anderer Unterlagen bis zum 15. Februar 1962 gebeten. Am 30. März 1962 gingen die Einkommensteuer- und die Gewerbesteuer-Erklärung 1960 beim FA ein. Die Bilanz und die Verlust- und Gewinnrechnung waren schon einige Tage vorher abgegeben worden. Im Einkommensteuer-Bescheid 1960 vom 27. April 1962 und im Bescheid über den Gewerbesteuermeßbetrag für 1960 vom 16. April 1962 setzte das FA wegen verspäteter Abgabe der Steuererklärungen Zuschläge von 20 DM und 10 DM fest.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Verspätungszuschläge blieb erfolglos, desgleichen die Berufung des Steuerpflichtigen. Das FG begründete seine Entscheidung damit, daß die als "vorläufig" bezeichneten Steuererklärungen nicht den an eine Steuererklärung zu stellenden Anforderungen genügt hätten. Im übrigen sei die Fristüberschreitung auch nicht mit Rücksicht auf die Hirnverletzung des Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen entschuldbar. Wohl hätte das FA dem Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen mit Rücksicht auf seine Kriegsbeschädigung eine über die - auch anderen Steuerbevollmächtigten gegenüber - gewährte Frist hinaus bis etwa 28. Februar 1962 gewähren müssen. Da die Steuererklärungen bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgegeben worden seien, hätte die Verspätung als nicht entschuldbar angesehen werden müssen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision ist statthaft und auch begründet.

1. Da die OFD im Berufungsverfahren beteiligt und befugt war, Rechtsbeschwerde einzulegen, bleibt ihre Beteiligtenstellung gemäß § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO auch im Verfahren nach der FGO unverändert (vgl. Urteil des BFH IV 178/65 vom 10. Februar 1966, BFH 84, 477, BStBl III 1966, 174).

2. Wenn Steuerpflichtige die Frist zur Abgabe der Steuererklärung nicht wahren, kann ihnen das FA einen Zuschlag bis zu 10 v. H. der endgültig festgesetzten Steuer auferlegen. Das FA hat den Zuschlag zu unterlassen oder zurückzunehmen, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (§ 168 Abs. 2 AO). Voraussetzung dafür, daß ein sog. Verspätungszuschlag festgesetzt werden kann, ist zum einen die Fristversäumnis und zum anderen deren Nichtentschuldbarkeit. Nur wenn das Vorliegen dieser beiden Voraussetzungen zu bejahen ist, darf das FA überhaupt einen Verspätungszuschlag festsetzen. Demgemäß ist zunächst zu prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags gegeben sind, d. h. ob das Ermessen ausgeübt werden konnte. Das FG hat die Voraussetzungen hierfür rechtsirrtümlich als erfüllt angesehen. Die Vorentscheidung geht hierbei davon aus, daß die vom Steuerpflichtigen am 12. Januar 1962 - also kurz nach Ablauf der Steuererklärungsfrist - abgegebenen, als "vorläufig" bezeichneten Steuererklärungen als solche im Sinne des § 168 Abs. 1 AO nicht zu werten seien. Diese Vorschrift sagt nicht, welche Beschaffenheit die Steuererklärung haben muß, um als eine solche angesehen werden zu können. Weist die innerhalb der Steuererklärungsfrist eingebrachte Erklärung Mängel auf - ist sie z. B. lückenhaft oder zum Teil unrichtig -, so bleibt sie ungeachtet dessen eine Steuererklärung im Sinne des § 168 Abs. 2 AO. Wird sie fristgerecht eingebracht, so besteht kein Raum für die Verhängung des Verspätungszuschlags. Sind wichtige Fragen nicht beantwortet oder sind in der Steuererklärung gemachte Angaben falsch, dann greift die Erforschungspflicht des FA nach §§ 204, 205 AO und den weiteren Bestimmungen der AO ein. Zweck des Zuschlags ist nur, das ordnungsmäßige Veranlagungsverfahren in Gang zu bringen. Dazu ist aber auch eine lückenhafte oder falsche Steuererklärung geeignet. Nur die Einreichung einer völlig unzureichenden Steuererklärung könnte der Nichteinreichung der Steuererklärung gleichstehen (vgl. auch Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 5 zu § 168; desgleichen Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, Anm. 5 zu § 168).

Im Streitfall weisen die vom Steuerpflichtigen eingereichten Steuererklärungen schon deshalb keine so schwerwiegenden Mängel auf, weil sie auf das Beanstandungsschreiben des FA vom 25. Januar 1962 hin bei der Abgabe der sog. endgültigen Steuererklärungen - eingegangen am 30. März 1962 - behoben werden konnten. Jedenfalls konnte das FA auf die als "vorläufig " bezeichneten Erklärungen die Durchführung der Veranlagung einleiten. Der Annahme einer Steuererklärung im Sinne des § 168 AO steht auch nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige sie als "vorläufig" bezeichnet hat. Falsche Bezeichnung allein kann nicht schaden. In Wirklichkeit handelt es sich nur im wesentlichen in bezug auf die Einkünfte aus Gewerbebetrieb um eine nicht mängelfreie Steuererklärung. Gerade in diesem Zusammenhang ist zugunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, daß die in den sog. vorläufigen Erklärungen angegebene Höhe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 22 000 DM sogar um 1 080 DM höher liegt als die in den später abgegebenen berichtigten Erklärungen. Alle übrigen Angaben sind vom FA bis auf den Wegfall des Kinderfreibetrags für den Sohn des Steuerpflichtigen aus der sog. vorläufigen Erklärung in die Veranlagung übernommen worden.

Da die Vorentscheidung mit diesen Grundsätzen nicht in Einklang steht, es schon deshalb an einer Grundlage für die Ausübung des Ermessens bei der Festsetzung des Verspätungszuschlags fehlt, waren die Vorentscheidung und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben. Diese wird nunmehr unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Beschwerde des Steuerpflichtigen zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68864

BStBl II 1970, 168

BFHE 1970, 405

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge