Entscheidungsstichwort (Thema)

Zahlungen zur Ablösung eines unentgeltlich eingeräumten Nießbrauchs an einem Grundstück als nachträgliche Anschaffungskosten

 

Leitsatz (amtlich)

Zahlungen zur Ablösung eines unentgeltlich eingeräumten Nießbrauchs an einem Grundstück sind nur dann --als nachträgliche Anschaffungskosten des Grundstückseigentümers-- zu berücksichtigen, wenn die Vereinbarungen über die Einräumung und Ablösung des Nießbrauchs steuerrechtlich anzuerkennen sind, insbesondere, wenn kein Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. von § 42 AO 1977 vorliegt.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; EStG § 12 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster (Entscheidung vom 17.05.1988; Aktenzeichen VI 1526/85 E)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde für die Streitjahre 1981 und 1982 mit ihrem im Jahre 1987 verstorbenen Ehemann, dessen Rechtsnachfolgerin sie ist, zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der verstorbene Ehemann war in den Streitjahren u.a. Eigentümer einer Eigentumswohnung und --als Rechtsnachfolger seiner im Jahre 1975 verstorbenen ersten Ehefrau-- eines Zweifamilienhauses.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 20.Dezember 1974 hatten der Ehemann und seine verstorbene erste Ehefrau jeweils ihren vier in den Jahren 1963, 1964, 1965 und 1968 geborenen Kindern unentgeltlich einen bis zum 31.Dezember 1985 befristeten Bruttonießbrauch an den vorgenannten Grundstücken eingeräumt; die durch eine gerichtlich bestellte Pflegerin vertretenen Kinder hatten sich lediglich verpflichtet, ihre Rechte aus den jeweiligen Bausparverträgen, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses jeweils ein Guthaben von rd. 3 300 DM auswiesen, an den Ehemann abzutreten.

Mit notariell beurkundeten Verträgen vom 24.Februar und 5.November 1981 hoben der Ehemann der Klägerin und seine Kinder die Nießbrauchsrechte auf; der Ehemann zahlte als Gegenleistung für die Aufhebung der Nießbrauchsrechte 21 552 DM und 24 000 DM an seine Kinder.

In ihren gemeinsamen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre behandelten die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann diese Zahlungen als Anschaffungskosten für den Erwerb der Nießbrauchsrechte und verteilten sie auf deren Restlaufzeiten; dementsprechend machten sie für 1981 3 592 DM und für 1982 10 452 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ diese Beträge im Anschluß an eine Betriebsprüfung unter Hinweis auf Tz.25 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 23.November 1983 IV B 1 -S 2253- 90/83 (BStBl I 1983, 508) nicht zum Abzug zu.

Das Finanzgericht (FG) Münster hat mit seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 516 veröffentlichten Entscheidung vom 17.Mai 1988 die Klage abgewiesen: Die strittigen Ablösezahlungen seien als steuerrechtlich nicht abziehbare Zuwendungen i.S. von § 12 Nr.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu behandeln. Unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung für die Beurteilung von Verträgen unter nahen Angehörigen aufgestellten Grundsätze seien die Einkünfte aus den beiden Grundstücken auch ohne die ausdrückliche Aufhebung der Nießbrauchsrechte dem verstorbenen Ehemann der Klägerin zuzurechnen gewesen. Von daher habe die für die Aufhebung der Nießbrauchsrechte gezahlte Abfindung mit der Verwirklichung des Tatbestandes der Einkünfteerzielung durch den verstorbenen Ehemann der Klägerin nicht mehr in dem dazu erforderlichen ursächlichen Zusammenhang gestanden.

Mit ihrer Revision beanstandet die Klägerin die Qualifizierung der Ablösezahlungen als Zuwendungen i.S. von § 12 Nr.2 EStG. Zu Unrecht habe das FG den ursprünglichen Vereinbarungen über die Einräumung der Nießbrauchsrechte die steuerrechtliche Anerkennung versagt. Die entgeltliche Aufhebung der Nießbrauchsrechte gebe keinen Anlaß, die Ernstlichkeit und zivilrechtliche Wirksamkeit der bis dahin unstreitig durchgeführten Verträge in Zweifel zu ziehen. Im übrigen habe das FG außer Betracht gelassen, daß der Nießbrauch an dem Zweifamilienhaus nicht von dem verstorbenen Ehemann der Klägerin, sondern von dessen verstorbener erster Ehefrau, mithin nicht von dem Ablösenden selbst, bestellt worden sei.

Nachdem das FA während des Revisionsverfahrens geänderte, hinsichtlich der Höhe der Grundfreibeträge vorläufige Steuerbescheide erlassen hat, die auf Antrag der Klägerin gemäß §§ 68, 121, 123 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind, beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Vorentscheidung

a) die für die Streitjahre durch die Bescheide vom 19.November 1981

festgesetzte Einkommensteuer in der Weise herabzusetzen, daß für 1981 3

592 DM und für 1982 10 452 DM als weitere Werbungskosten bei den

Einkünften aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden,

b) hilfsweise, die durch Bescheid vom 19.November 1991 festgesetzte

Einkommensteuer 1981 in der Weise herabzusetzen, daß weitere

Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe

von 45 552 DM berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

1. a) Zutreffend ist das FG zunächst davon ausgegangen, daß die Ablösezahlungen nicht allein deshalb steuerrechtlich unbeachtlich sind, weil sie der Abgeltung unentgeltlich bestellter Nießbrauchsrechte gedient haben.

Entgegen der Auffassung des FA und der Regelung in Tz.25 des BMF-Schreibens vom 15.November 1984 IV B 1 -S 2253- 139/84 (BStBl I 1984, 561 - Nießbrauchserlaß) sind Zahlungen zur Ablösung eines vom Grundstückseigentümer selbst unentgeltlich eingeräumten Nutzungsrechts nicht ohne weiteres als steuerrechtlich unbeachtliche Zuwendung i.S. von § 12 Nr.2 EStG zu beurteilen. Auch bei der Ablösung eines zugewendeten Nutzungsrechts ist zu berücksichtigen, daß es sich bei Einräumung und Ablösung um zwei getrennte, auf selbständigen Willensentscheidungen der Beteiligten beruhende Rechtsgeschäfte handelt, für die es anzuerkennende wirtschaftliche Gründe geben kann (vgl. Biergans/Koller, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1993, 857, 863). Daher ist es nicht zwingend, zwischen der unentgeltlichen Einräumung und der entgeltlichen Ablösung des Nutzungsrechts steuerrechtlich in der Weise einen Zusammenhang herzustellen, daß die Ablösung des Nutzungsrechts als letzter Akt einer bewußt auf einen Einkunftsverzicht angelegten Maßnahme gewertet und die Aufwendungen für die Beseitigung des Nutzungsrechts --wie dessen Einräumung-- als eine nicht steuerbare Umschichtung im privaten Vermögensbereich beurteilt werden.

So hat der Senat im Anschluß an das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.November 1991 XI R 2/87 (BFHE 166, 263, BStBl II 1992, 381) mit Urteil vom 21.Juli 1992 IX R 72/90 (BFHE 169, 317, BStBl II 1993, 486) entschieden, daß Aufwendungen zur Ablösung eines im Rahmen einer Erbauseinandersetzung --unentgeltlich-- eingeräumten Nutzungsrechts nachträgliche Anschaffungskosten des ablösenden Miterben für das Grundstück darstellen. Diese Beurteilung hat grundsätzlich auch zu gelten, wenn ein Grundstückseigentümer sich mit der Ablösung des von ihm selbst unentgeltlich bestellten Nießbrauchs (wieder) die vollständige rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht an dem Grundstück verschafft (vgl. Senatsentscheidung vom 15.Dezember 1992 IX R 323/87, BFHE 169, 386, BStBl II 1993, 488).

b) Allerdings sind die Ablösezahlungen nur dann zu berücksichtigen, wenn die betreffenden Vereinbarungen über die Einräumung und Ablösung des Nutzungsrechts steuerrechtlich anzuerkennen sind. So ist im Hinblick auf die besondere Interessenlage bei der Ablösung unentgeltlich eingeräumter Nutzungsrechte insbesondere zu untersuchen, ob eine rechtsmißbräuchliche Gestaltung i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) gegeben ist. Hierbei trifft den Steuerpflichtigen eine erhöhte Pflicht zur Mitwirkung hinsichtlich solcher Umstände, aus denen sich ergibt, daß eine mißbräuchliche Gestaltung ausgeschlossen ist.

c) Vereinbarungen --auch solchen unter nahen Angehörigen-- ist jedoch die steuerrechtliche Anerkennung nicht allein deshalb zu versagen, weil Nutzungsrechte vor Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Laufzeit aufgehoben werden. Vielmehr müssen weitere Gründe hinzutreten, die gegen eine steuerrechtliche Berücksichtigung der getroffenen Vereinbarungen sprechen; dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich aus den tatsächlichen Umständen ergibt, daß sich die vorzeitige Aufhebung des Nutzungsrechts mangels wirtschaftlicher oder sonstiger sachlicher Rechtfertigung als Teil einer insgesamt mißbräuchlichen Gestaltung darstellt. Hiernach kann die Vorentscheidung, die rechtsfehlerhaft allein aus der vorzeitigen Aufhebung der Nießbrauchsrechte die steuerrechtliche Unmaßgeblichkeit der getroffenen Vereinbarungen herleitet, keinen Bestand haben.

2. Der Senat ist wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden.

a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Nießbrauchsbestellung deshalb als Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. von § 42 AO 1977 zu beurteilen sind, weil sie allein der Zuwendung von Geldmitteln für den Unterhalt und die Vermögensbildung der minderjährigen Kinder galten. Für eine derartige, lediglich der Steuerminderung dienende mißbräuchliche Gestaltung könnte sprechen, daß ausweislich des notariell beurkundeten Vertrages vom 5.November 1981 über die Aufhebung der Nießbrauchsrechte an dem Zweifamilienhaus zumindest eine Wohnung dieses Hauses von dem verstorbenen Ehemann der Klägerin wiederum angemietet worden war (vgl. BFH-Urteil vom 18.Oktober 1990 IV R 36/90, BFHE 162, 321, BStBl II 1991, 205).

b) Soweit ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nießbrauchsbestellung ausscheidet, ist weiter zu untersuchen, ob die Nießbrauchsbestellung auch tatsächlich durchgeführt worden ist, so daß den Nießbrauchsberechtigten die Einkünfte aus den vermieteten Grundstücken zuzurechnen sind.

Zwar ist das FG davon ausgegangen, daß der Vertrag über die Nießbrauchsbestellung auch durchgeführt worden ist; tatsächliche Feststellungen, die diese Beurteilung tragen, sind der Vorentscheidung jedoch nicht zu entnehmen. So hat das FG nicht geprüft, ob die minderjährigen Kinder nach außen als Vermieter in Erscheinung getreten sind (vgl. BFH-Urteile vom 13.Mai 1980 VIII R 128/78, BFHE 131, 216, BStBl II 1981, 299, und vom 3.Dezember 1991 IX R 155/89, BFHE 166, 460, BStBl II 1992, 459), insbesondere ihnen auch die Mieterträge zugeflossen sind.

c) Schließlich ist ggf. zu klären, welche Umstände die Vertragsparteien zur vorzeitigen Aufhebung der Nießbrauchsrechte veranlaßt haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64900

BFH/NV 1993, 69

BStBl II 1998, 429

BFHE 171, 530

BFHE 1994, 530

BB 1993, 1867 (Leitsatz)

DB 1993, 1906-1907 (Leitsatz und Gründe)

DStZ 1993, 664 (Kurzwiedergabe)

HFR 1993, 708 (Leitsatz und Gründe)

StE 1993, 498 (Kurzwiedergabe)

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