Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Sonstiges Körperschaftsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Religionsgesellschaft des Privatrechts verfolgt mit ihren eigenen religiösen Zwecken keine kirchlichen Zwecke.

Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 der Weimarer Reichsverfassung ist kein durch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit unmittelbar mit steuerlicher Wirkung anwendbarer Rechtssatz. Es bedarf vielmehr zu der den privatrechtlichen Religionsgesellschaften nach Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV auf Antrag zu gewährenden Gleichstellung mit Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts je nach Landesrecht eines besonderen Gesetzgebungs- oder Verwaltungsaktes (Artikel 137 Absatz 8 WRV).

Die Förderung der Religion ist regelmäßig als Förderung der Allgemeinheit anzusehen. Die vom Reichsfinanzhof in seinem Urteil vom 25. Oktober 1938 VI a 19/38 (Slg. Bd. 45 S. 144) ausgesprochene Auffassung, daß unter "Förderung der Religion" nur die Förderung einer religiösen Anschauung zu verstehen ist, die von einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgesellschaft vertreten wird, kann nicht aufrechterhalten werden.

 

Normenkette

StAnpG §§ 17-18, 19 Abs. 1; WRV Art. 137 Abs. 5 S. 2, Abs. 8; GG Art. 140; GemV § 1

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist der westdeutsche Zweig, genannt Westdeutsche Mission, der Kirche X.; in dem vorliegendenfalls in Betracht kommenden Hauptveranlagungszeitraum der Vermögensteuer hat die Bfin. in Form eines nichtrechtsfähigen Vereins bestanden. Seit Anfang des Jahres 1950 ist sie durch Eintragung in das Vereinsregister rechtsfähiger Verein geworden. Die Kirche selbst hat ihren Hauptsitz in den Vereinigten Staaten, ihre Anhänger sind der Allgemeinheit unter der Bezeichnung M. bekannt. Die Bfin. erstrebt unter Berufung auf § 3 Absatz 1 Ziffer 6 des Vermögensteuergesetzes (VermStG) in Verbindung mit §§ 17 bis 19 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) und der Verordnung zur Durchführung der §§ 17 bis 19 StAnpG (Gemeinnützigkeitsverordnung) ihre Freistellung von der Vermögensteuer. Einspruch und Berufung sind erfolglos geblieben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Die Rb. geht allerdings insofern fehl, als sie meint, die Bfin. diene kirchlichen Zwecken im Sinne der vorgenannten Bestimmungen. Kirchlich sind nach § 19 Absatz 1 StAnpG nur solche Zwecke, durch deren Erfüllung eine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts (- die Beschränkung auf christliche Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts ist durch die in der Anlage A zur Verordnung zur änderung der Ersten Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes vom 16. Oktober 1948 - Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948 S. 181 - erfolgte Neufassung des § 19 StAnpG weggefallen -) ausschließlich und unmittelbar gefördert wird. Die Bfin. ist unstreitig keine Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts. Sie kann sich auch entgegen ihrer Annahme nicht auf den durch Artikel 140 des Grundgesetzes (GG) zum Bestandteil des GG erklärten Artikel 137, hier dessen Absatz 5 Satz 2, der Weimarer Reichsverfassung (WRV) berufen. Zwar bestimmt Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV, daß den Religionsgesellschaften, die nicht solche des öffentlichen Rechts sind, auf Antrag die gleichen Rechte wie den Religionsgesellschaften öffentlichen Rechts zu gewähren sind, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Die Rb. übersieht aber, daß sich nach Artikel 137 Absatz 8 WRV Zuständigkeit und Verfahren bei der durch Absatz 5 Satz 2 a. a. O. vorgesehenen Gewährung gleicher Rechte nach Landesrecht regeln und die Verleihung der betreffenden Rechte entweder durch besonderes Gesetz - wie dies z. B. in dem früheren Lande Preußen der Fall war - oder durch Verfügung der Landesregierung, also entweder durch Gesetzgebungs- oder durch Verwaltungsakt erfolgt (vgl. Anschütz, Anm. 10 Abs. 2 zu Art. 137 WRV; Giese, Anm. 8 zu Art. 137 WRV; Koeniger-Giese, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Zweiter Teil, Abschn. V, § 9 Ziffer 1 b auf S. 261 oben). Eine unmittelbare Anwendung des Artikels 137 Absatz 5 Satz 2 WRV auf steuerlichem Gebiet durch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit ist hiernach entsprechend dem auch in dem Grundgesetz verfassungsmäßig festgelegten Grundsatz der Gewaltenteilung (vgl. Artikel 20 Absätze 2, 3 GG sowie Abschn. VII, VIII und IX GG) ausgeschlossen. Eine Steuerbefreiung der Bfin. wegen Erfüllung kirchlicher Zwecke kommt daher nach dem Rechtsstand der Bfin. während des in Betracht kommenden Hauptveranlagungszeitraumes als einer privaten Religionsgesellschaft nicht in Betracht.

Dagegen stellt die Betätigung der Bfin. auf religiösem Gebiet (ß 1 III Buchstaben a, b und c (teilweise) der Satzung der Bfin.) möglicherweise eine Förderung der Allgemeinheit dar. Die Förderung der Religion ist, wie sich aus § 17 Absatz 3 Ziffer 2 StAnpG ergibt, als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen. Die in dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 25. Oktober 1938 VI a 19/38 (Slg. Bd. 45 S. 144, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1938 S. 1066) enthaltene Einschränkung, daß nur die Förderung einer solchen religiösen Anschauung gemeinnützig sei, die von einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten (christlichen) Religionsgesellschaft vertreten werde, kann nicht aufrechterhalten werden, zumal die für diese Auffassung gegebene Begründung "Zersplitterung auf religiösem Gebiet sei dem Wohl der deutschen Volksgemeinschaft nicht dienlich", ausschließlich auf nationalsozialistischer Ideologie beruht. Deshalb hat auch schon der Oberste Finanzgerichtshof in seinem Urteil vom 12. Februar 1946 I 1/46 S (Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen 1946 S. 60) in Ziffer 2 Absatz 2 Satz 3 (S. 62 a. a. O.) ausgesprochen, daß Förderung der Religion als Förderung der Allgemeinheit anzusehen sei. Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei und knüpft damit auch wieder an die Rechtsansicht des Reichsfinanzhofs an, die dieser in seinem - allerdings vor Erlaß des Steueranpassungsgesetzes ergangenen - Urteil vom 16. März 1933 III A 58/33 (RStBl. S. 702) ausgesprochen hat. Die vom Finanzgericht vertretene Auffassung, daß § 17 Absatz 4 StAnpG der Anerkennung der Gemeinnützigkeit der Bfin. entgegenstehe, ist zu eng. Es kann dahingestellt bleiben, ob es zutreffend ist, in diesem Zusammenhang nur die Zahl der Angehörigen der Bfin. im Gebiet der Bundesrepublik zu berücksichtigen. Jedenfalls ist nicht zu übersehen, daß die religiöse Zielsetzung der Bfin. sich nicht in der Einwirkung auf ihre Mitglieder erschöpft, sondern darüber hinaus auch die Allgemeinheit ansprechen will. Mit der Pflege einer bestimmten religiösen Weltanschauung durch eine Religionsgesellschaft ist regelmäßig das Bestreben verbunden, über den Kreis der Mitglieder hinaus in die Weite zu wirken. Auch der Reichsfinanzhof hat in seinem Urteil vom 19. April 1929 V A 890/28 (Steuer und Wirtschaft - StuW - Nr. 906) unter einem ähnlichen Gesichtspunkt Gemeinnützigkeit anerkannt, weil in dem dort entschiedenen Fall sich die religiöse Betätigung auch auf die der betreffenden religiösen Anschauung fernstehenden Volkskreise erstreckte und damit über den begrenzten Kreis der religiösen Vereinigung hinausging. Der Hinweis des angefochtenen Urteils auf die Entscheidungen des Reichsfinanzhofs vom 5. November 1929 I A 547/29 und vom 11. November 1929 I A 175/29 (RStBl. 1929 S. 670 und RStBl 1930 S. 62 = Mrozeks Kartei, Rechtspr. 24 und 27 zu § 9 Absatz 1 Ziffer 7 des Körperschaftsteuergesetzes 1925) ist nicht durchgreifend, da sich diese Urteile auf den Fall der Förderung von Bestrebungen zur Bekämpfung des Trinksittenunwesens und den der Förderung der biochemischen Heilweise beziehen. Auf diesen Gebieten werden allerdings in der öffentlichkeit immer Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen können, ob die verfolgten Zwecke als dem Gemeinwohl dienend anzusehen sind. Die in den beiden genannten Urteilen unter dem gleichen Gesichtspunkt beiläufig vertretene Auffassung, daß Bestrebungen zur Verbreitung einer bestimmten religiösen Anschauung (Bekenntnisform) nicht als gemeinnützig anerkannt werden könnten, war aber schon durch das oben angeführte Urteil des Reichsfinanzhofs vom 16. März 1933 III A 58/33 überholt. Bei der Anerkennung religiöser Zwecke als gemeinnützig ist jedoch die Einschränkung vorzunehmen, daß die religiösen Ziele der betreffenden Religionsgesellschaft und die Art ihrer Verwirklichung nicht den abendländischen Kulturauffassungen zuwiderlaufen dürfen. Dies folgt daraus, daß § 17 Absatz 3 Ziffer 2 StAnpG die Förderung der Religion nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 a. a. O., d. h. nur dann als Förderung der Allgemeinheit anerkennt, wenn jene Förderung der Religion der Allgemeinheit auf geistigem und sittlichem Gebiet nutzt. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, beantwortet sich aber nach den allgemeinen Kulturauffassungen, die in Deutschland als einem Glied des abendländischen Kulturkreises herrschen.

Zu den übrigen Zwecken, denen die Bfin. dienen will, ist folgendes zu sagen. Die Pflege des "Gehorsams zu der Obrigkeit des Landes" (ß 1 III c der Satzung) und die Förderung der Keuschheit und Sittlichkeit unter dem Volke (ß 1 III e der Satzung) sind, was einer näheren Begründung nicht bedarf, gemeinnützig. Die Unterstützung von armen und notleidenden Menschen (ß 1 III f der Satzung) ist mildtätig im Sinne des § 18 StAnpG. Hiernach bleibt nur noch der Punkt d des § 1 III der Satzung, der die "Förderung der Enthaltsamkeit von Genuß von Rauschgiften" zum Gegenstand hat. Welche Rauschgifte hier gemeint sind, läßt die Satzung selbst nicht erkennen. Aus Ziffer 1 Absatz 5 der Berufungsschrift vom 13. Oktober 1950 (Seite 3 daselbst) geht indessen hervor, daß bei der von der Bfin. betriebenen Jugendarbeit für "tabak- und alkoholfreie Freizeitgestaltung" gesorgt wird. Würden nach den obigen Ausführungen Bestrebungen zur Bekämpfung des Alkohol- und Nikotingenusses überhaupt allerdings nicht als gemeinnützig anerkannt werden können, weil über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der unbedingten Abstinenz in der Allgemeinheit Meinungsverschiedenheiten bestehen, so greift dieser Gesichtspunkt jedoch im vorliegenden Falle nicht ein. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Bewahrung der heranwachsenden Jugend vor verfrühtem Alkohol- und Nikotingenuß sowohl ein Gebot der öffentlichen Gesundheitspflege als auch der Jugendpflege und Jugendfürsorge darstellt. Es ist deshalb auch der in § 1 III d der Satzung festgelegte Zweck trotz der ungenauen Fassung als gemeinnützig anzuerkennen. Die Bfin. wird allerdings den Wortlaut der Satzung den vorstehenden Ausführungen anzupassen haben.

Die Sache ist indessen aus verschiedenen Gründen nicht spruchreif. Zunächst steht nicht fest, ob die Bfin., deren Satzung erst mit Eintragung der Bfin. in das Vereinsregister in Kraft getreten ist (vgl. § 10 der Satzung), auch schon während ihres Bestehens als nichtrechtsfähiger Verein die in der jetzigen Satzung des eingetragenen Vereins aufgestellten Zwecke verfolgt hat und ob die Bfin. zu den jeweils in Betracht kommenden Zeitpunkten des Entstehens der Vermögensteuerschuld (ß 18 Satz 3 Ziffer 2 der Gemeinnützigkeitsverordnung) auf die ausschließliche und unmittelbare Erfüllung steuerbegünstigter Zwecke eingestellt war. Weiterhin wird zu prüfen sein, ob die von der Bfin. verfolgten religiösen Zwecke unter den oben dargelegten Gesichtspunkten als gemeinnützig anerkannt werden können. Die jetzige Satzung allein bietet - abgesehen davon, daß nach Vorstehendem nicht feststeht, ob sie auch in dem hier in Frage kommenden Hauptveranlagungszeitraum für die Bfin. schon maßgebend gewesen ist - bei ihrer in ganz allgemeinen Worten gehaltenen Fassung keine ausreichende Grundlage für eine zutreffende Beurteilung. Es wird vielmehr noch einer Darlegung der wesentlichen religiösen Grundlehren der Kirche X. bedürfen. Sollten hiernach Zweifel daran bestehen, ob die Lehren der Kirche den oben angeführten Auffassungen entsprechen, so wird eine gutachtliche äußerung des Kultusministeriums als der zur Beurteilung dieser Frage in erster Linie berufenen Staatsbehörde einzuholen sein.

Hiernach war die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, die nach entsprechender weiterer Sachaufklärung und unter Beachtung der vorstehend dargelegten Rechtsauffassung erneut zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407244

BStBl III 1951, 148

BFHE 1952, 376

BFHE 55, 376

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