Leitsatz (amtlich)

Eine verdeckte Gewinnausschüttung einer inländischen Kapitalgesellschaft an die ausländische Muttergesellschaft durch Verzicht auf einen Anspruch gegen eine ausländische Schwestergesellschaft setzt voraus, daß der Anspruch nach dem auf das Rechtsverhältnis anwendbaren deutschen oder ausländischen Zivilrecht besteht.

 

Normenkette

KStG § 6 Abs. 1 S. 2; KStDV § 19 Nr. 9

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH mit Sitz im Inland, erhielt am 8. April 1968 ein Fernschreiben des Finanzdirektors ihrer mit 100 v. H. beteiligten Muttergesellschaft T Ltd. mit Sitz in Großbritannien (Muttergesellschaft), in dem eine Gutschrift der Schwestergesellschaft der Klägerin, der B Ltd. mit Sitz in Großbritannien (Schwestergesellschaft), angekündigt wurde. Die Gutschriftsanzeige vom 29. März 1968 ging der Klägerin am 16. April 1968 zu.

Die Klägerin buchte unter dem 29. März 1968 die Gutschrift als Ertrag in Höhe von 501 698 DM.

Mit Schreiben vom 2. Mai 1968 erkundigte sich der Finanzdirektor der Muttergesellschaft nach den steuerlichen Auswirkungen der Maßnahme. Mit weiterem Schreiben vom 5. Juni 1968 ordnete er an, die vorgenommene Gutschrift zum 31. März 1968 zu eliminieren. Die Klägerin folgte dieser Anweisung.

Darin sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) eine verdeckte Gewinnausschüttung an die Muttergesellschaft und erließ einen Kapitalertragsteuerhaftungsbescheid über 173 989,35 DM.

Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA den Betrag der Haftung für Kapitalertragsteuer auf 129 187,20 DM ermäßigte, weil die Muttergesellschaft die Kapitalertragsteuer trage.

Die Klage blieb ohne Erfolg.

Das FG hat ausgeführt, durch die der Buchung bei der Schwestergesellschaft vom 29. März 1968 vorausgegangene Entscheidung sei ein Anspruch der Klägerin gegen diese Gesellschaft begründet worden. Dieser Anspruch habe durch die einander entsprechenden Buchungen zum 29. März 1968 bei der Schwestergesellschaft und bei der Klägerin seinen Ausdruck gefunden. Die Klägerin habe auf diesen Anspruch auf Weisung der Muttergesellschaft wieder verzichtet und dies durch nachträgliche Storno-Buchung zum 31. März 1968 zum Ausdruck gebracht. Darin liege eine verdeckte Gewinnausschüttung zugunsten der Muttergesellschaft.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der falsche Würdigung des Sachverhalts und Verstoß gegen die §§ 4, 5, 43 EStG, § 1 der KapStDV, § 6 Abs. 1 KStG, § 3 Abs. 5 Nr. 1 c StAnpG gerügt wird.

Die Klägerin hält daran fest, daß es sich bei der Ankündigung der Gutschrift vom 16. April 1968 um eine unverbindliche und vorläufige Überlegung zum Jahresabschluß 1967/1968 zwischen ihr und der Muttergesellschaft gehandelt habe, die keinen Rechtsanspruch begründet habe. Die Gutschrift sei bei der Schwestergesellschaft nicht gebucht worden. Wäre sie als endgültige und rechtsbegründende Maßnahme anzusehen, handelte es sich um eine verdeckte Einlage. Denn zwischen der Klägerin und der Muttergesellschaft und der Schwestergesellschaft hätten keine Vereinbarungen vorgelegen, nach denen diese verpflichtet gewesen seien, anteilige Entwicklungskosten der Klägerin zu übernehmen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Kapitalertragsteuer und Ergänzungsabgabe auf null DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob die Klägerin durch Verzicht auf einen Anspruch gegen ihre Schwestergesellschaft eine verdeckte Gewinnausschüttung vorgenommen hat (§ 20 Abs. 2 Nr. 1, § 43 Abs. 1 Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG; § 118 Abs. 2 FGO).

1. Verdeckte Gewinnausschüttungen können auch durch Leistungen zwischen Schwestergesellschaften vorgenommen werden. Aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Schwestergesellschaften und ihrer gemeinsamen Muttergesellschaft ist davon auszugehen, daß die eine Schwestergesellschaft den Vorteil der Muttergesellschaft gewährt (verdeckte Gewinnausschüttung), und daß die Muttergesellschaft den Vorteil an die andere Schwestergesellschaft weitergibt (verdeckte Einlage) - Urteile des BFH vom 23. Oktober 1968 I 228/65 (BFHE 94, 373, BStBl II 1969, 243) und vom 3. Februar 1971 I R 51/66, (BFHE 101, 501, BStBl II 1971, 408) -. Dies gilt auch, wenn eine der beteiligten Gesellschaften ihren Sitz im Ausland hat (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1972 I R 70/70, BFHE 108, 175, BStBl II 1973, 449).

Voraussetzung einer verdeckten Gewinnausschüttung ist, daß die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer dem Gesellschafter nahestehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewähren würde (BFH-Urteil I R 51/66). Soll der Vorteil, wie im Streitfall, darin bestehen, daß die Kapitalgesellschaft auf einen Anspruch verzichtet (vgl. § 19 Nr. 9 KStDV), setzt die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung voraus, daß dieser Anspruch rechtlich besteht. Nur dann findet eine Verminderung des Vermögens der Kapitalgesellschaft und eine Vermehrung des Vermögens des Gesellschafters statt. Die Ausführungen des FG lassen nicht erkennen, welcher Sachverhalt im einzelnen den rechtlichen Schluß zuläßt, daß ein Anspruch der Klägerin gegen die Schwestergesellschaft auf Zahlung der in der Gutschriftsanzeige vom 29. März 1968 bezeichneten Geldsumme begründet wurde.

Das Urteil des FG läßt ferner nicht erkennen, nach welchem Recht das FG diese Frage geprüft hat. Ob die Klägerin eine verdeckte Gewinnausschüttung an die Muttergesellschaft vorgenommen hat, beurteilt sich allerdings nach deutschem Steuerrecht (BFH-Urteil vom 6. April 1977 I R 184/75, BStBl II 1977, 574). Dies schließt nicht aus, daß zivilrechtliche Vorfragen - hier das Bestehen eines Anspruchs - nach dem auf das Rechtsverhältnis anwendbaren deutschen oder ausländischen Zivilrecht zu entscheiden sind.

Da die Schwestergesellschaft ihren Sitz in Großbritannien hat, kommt deutsches oder englisches Recht in Betracht. Die Frage entscheidet sich nach dem ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Willen der Parteien, oder, wenn ein solcher Wille nicht feststellbar ist, danach, wo der Schwerpunkt des Schuldverhältnisse liegt (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Vorbem. 2 a vor § 12 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Auch die Ermittlung des ausdrücklich oder stillschweigend erklärten Willens der Parteien liegt zum Teil auf dem Gebiet tatsächlicher Feststellungen und ist daher dem Revisionsgericht verwehrt (BFH-Urteil vom 13. Februar 1969 II 125/63, BFHE 95, 289, BStBl II 1969, 379). Ebenso ist es in erster Linie Sache des FG, den Inhalt des englischen Rechts zu ermitteln, falls dieses auf die streitige Frage anwendbar sein sollte (Dölle, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., 1972, S. 102).

Da es somit für die Beurteilung der Frage, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt, an tatsächlichen Feststellungen des FG fehlt, geht die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück. Das FG wird auch prüfen, ob nach dem anwendbaren Recht (vgl. Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters 1977 S. 168) die Gutschriftsanzeige der Schwestergesellschaft vom 29. März 1968 für sich allein einen Anspruch der Klägerin begründet hat.

2. Kommt das FG nach erneuter Verhandlung zu dem Ergebnis, daß ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung der in der Gutschriftsanzeige vom 29. März 1968 bezeichneten Geldsumme begründet wurde, so liegt in dem Verzicht auf diesen Anspruch nach den Ausführungen unter 1. dieses Urteils eine verdeckte Gewinnausschüttung an die Muttergesellschaft, die bei dieser zu den beschränkt steuerpflichtigen Einkünften aus Kapitalvermögen gehört (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Sie unterliegt der Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Der Steuersatz beträgt 25 v. H. (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 EStG; Art. VI des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964, BGBl II 1966, 359, BStBl I 1966, 730). Die Klägerin haftet für die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 5 Satz 2 EStG).

In diesem Verfahren braucht nicht geprüft zu werden, ob die Begründung des Anspruchs der Klägerin ihrerseits eine verdeckte Gewinnausschüttung der Schwestergesellschaft an die Muttergesellschaft und eine verdeckte Einlage der Muttergesellschaft bei der Klägerin war. Denn auch in diesem Fall läge in dem Verzicht auf den Anspruch durch die Klägerin eine verdeckte Gewinnausschüttung. Eine verdeckte Einlage vermehrt das Vermögen der Kapitalgesellschaft und unterliegt damit den Bindungen, die für dieses Vermögen gelten. Die Rückgewähr der verdeckten Einlage darf daher den Gewinn der Kapitalgesellschaft nicht mindern (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1970 I R 113/68, BFHE 98, 476, BStBl II 1970, 469).

 

Fundstellen

Haufe-Index 72350

BStBl II 1977, 571

BFHE 1978, 102

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