Leitsatz (amtlich)

Unter dem Begriff "Beginn der Rente" in der Tabelle in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG ist auch für die Ermittlung des Ertragsanteils bei Rentennachzahlungen der Zeitpunkt zu verstehen, in dem der Rentenanspruch entstanden ist. Der Zeitpunkt der Zahlung ist nur für den Zufluß i. S. des § 11 Abs. 1 EStG maßgebend.

 

Normenkette

EStG § 11 Abs. 1, § 22 Nr. 1 Buchst. a

 

Tatbestand

Streitig ist, mit welchem Hundertsatz bei der Einkommensteuerveranlagung 1968 der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Ertragsanteile i. S. des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG der Bezüge aus einer Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung anzusetzen sind.

Auf den Antrag der Klägerin vom 27. Februar 1968 wurde von der Landesversicherungsanstalt mit Bescheid vom 6. Mai 1968 ein Anspruch auf Witwenrente aus der Arbeitnehmerrentenversicherung nach §§ 1264, 1268 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung vom 1. Januar 1957 an anerkannt. Aufgrund dieses Bescheids flossen der Klägerin im Jahre 1968 eine Nachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 30. Juni 1968 in Höhe von 13 795,80 DM und laufende Leistungen für die Zeit ab 1. Juli bis 31. Dezember 1968 in Höhe von 867 DM zu. Die Klägerin setzte in ihrer Einkommensteuererklärung für 1968 als Ertragsanteil 24 v. H. dieser Beträge an. Dabei ging sie davon aus, daß der Rentenbeginn, nach dem das vollendete Lebensjahr des Rentenberechtigten und damit der Hundertsatz des Ertragsanteils nach der in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG enthaltenen Tabelle zu ermitteln sind, das Jahr 1968 als das Jahr des Zuflusses dieser Bezüge sei. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte dagegen bei der Einkommensteuerveranlagung 1968 der Klägerin 35 v. H. der im Jahre 1968 zugeflossenen Beträge als Ertragsanteil an, weil die Rente am 1. Januar 1957 begonnen habe. Auf den Einspruch der Klägerin setzte das FA in der Einspruchsentscheidung sogar einen Ertragsanteil von 36 v. H. an, weil es der Auffassung war, daß die Rente versicherungstechnisch bereits 1939 zu laufen begonnen habe, so daß das am 1. Januar 1955 (Inkrafttreten des Einkommensteuergesetzes 1955) vollendete Lebensjahr der Klägerin zugrunde zu legen sei. Während des Klageverfahrens erließ das FA einen auf § 94 AO gestützten Berichtigungsbescheid, in dem die Ertragsanteile wie im ursprünglichen Bescheid mit 35 v. H. angesetzt wurden. Denn das FA erkannte an, daß der Versicherungsanspruch erst durch das Inkrafttreten des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I, 45) am 1. Januar 1957 entstanden war. Dieser Bescheid wurde auf Antrag der Klägerin zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Die Klage wurde abgewiesen. Das FG teilt die Auffassung des FA, daß die Rente am 1. Januar 1957 begonnen habe und deshalb nach dem Lebensalter der Klägerin in diesem Zeitpunkt 35 v. H. der zugeflossenen Beträge als sonstige Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusetzen seien.

Mit der Revision, die das FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache zugelassen hat, beantragt die Klägerin, unter Aufhebung des FG-Urteils die Einkommensteuer um 698 DM herabzusetzen. Sie rügt Verletzung des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: In § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG sei von der Gesamtdauer "des Rentenbezugs" die Rede. Darunter sei nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts der "Rentenzufluß" zu verstehen. Auch unter dem Ausdruck "Kapitalwert" könne nur der Kapitalwert verstanden werden, der zum Zeitpunkt der erstmaligen Rentenzahlung vorhanden gewesen sei. Das gleiche gelte für den in der Tabelle verwendeten Begriff "Rentenbeginn". Das lasse sich nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus dem Grundsatz der Ertragsanteilsbesteuerung ableiten. Danach seien nur die in der Rentenzahlung enthaltenen Zinsen Ertrag, der auch nur der Besteuerung unterliege. Es müsse sich auch auswirken, daß die Rentennachzahlung im Jahre 1968 zinslos geleistet worden sei. Dadurch sei die Klägerin gegenüber den Rentenempfängern, die ihre Bezüge laufend monatlich erhalten hätten, eindeutig im Nachteil, wie rechnerisch nachgewiesen werden könne. Durch den Zufluß der Nachzahlung aus einem Zeitraum von rd. 12 Jahren in einem einzigen Jahr trete auch eine sehr starke Progressivwirkung ein, zumal § 34 EStG nicht anwendbar sei. Auch deshalb sei es angezeigt, den Begriff "Rentenbeginn" so auszulegen, wie der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers lauten würde, wenn er die steuerlichen Auswirkungen erheblicher Rentennachzahlungen erkannt und gesetzlich normiert hätte.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

FG und FA haben zu Recht der Berechnung des Ertragsanteils der Rentenbezüge der Klägerin nach der Tabelle in § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG die Zahl der vollendeten Lebensjahre der Klägerin am 1. Januar 1957, also in dem Zeitpunkt, von dem ab der Klägerin nach dem Rentenbescheid der Anspruch auf Witwenrente zustand, zugrunde gelegt.

Nach § 22 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 EStG sind Leibrenten, zu denen die der Klägerin zustehende Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung gehört, nur insoweit sonstige Einkünfte, als in den einzelnen Bezügen Einkünfte aus Erträgen des Rentenrechts enthalten sind. Als Ertrag des Rentenrechts gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift für die gesamte Dauer des Rentenbezugs der Unterschied zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit ergibt, wobei der Kapitalwert nach dieser Laufzeit zu berechnen ist. Dieser Begriff des Ertrags beruht, wie Lantau (Der Betriebs-Berater 1955 S. 695) dargetan hat, auf einer Fiktion, die darin besteht, daß die Leibrente als eine vorschüssige Zeitrente angesehen wird, deren Laufzeit gleich der mittleren Lebenserwartung dieser Person "zu Beginn des Rentenbezugs" ist. In der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucksache 481 S. 87) ist ausgeführt, daß die Höhe des Ertragsanteils nur einmal, und zwar zu Beginn der Laufzeit der Rente, ermittelt werden solle. Nur auf diese Weise kann der Kapitalwert, wie es das Gesetz vorschreibt, für die gesamte Laufzeit ermittelt und auf diese gleichmäßig verteilt werden. Daraus folgt, daß unter "gesamte Dauer des Rentenbezugs" i. S. des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG nur der Zeitraum vom Zeitpunkt der Entstehung des Rentenanspruchs bis zum Zeitpunkt seines nach der mittleren Lebenserwartung des Berechtigten voraussichtlichen Erlöschens gemeint sein kann. Ebenso kann danach unter dem Begriff "Beginn der Rente" in der Tabelle nur der Zeitpunkt der Entstehung des Rentenanspruchs verstanden werden. Das hat der Senat auch schon für Rentennachzahlungen aus der Angestelltenversicherung entschieden (vgl. Urteil des BFH vom 26. August 1975 VIII R 93/70, BFHE 116, 547, BStBl II 1975, 884, und die dort angegebenen Entscheidungen). Auf den Zeitpunkt der Zahlung der einzelnen Renten kann es entgegen der Ansicht der Klägerin nicht ankommen. Dieser Zeitpunkt ist nur für den Zufluß i. S. des § 11 Abs. 1 EStG maßgebend.

Es besteht entgegen der Auffassung der Klägerin auch keine Möglichkeit, die Nachteile, die sich durch die Zusammenballung mehrerer Rentenzahlungen in einem Jahr und durch die Nichtgewährung eines Zinsausgleiches bei der Nachzahlung ergeben können, in irgendeiner Form - sei es durch die Abzinsung der Nachzahlung oder durch den Ansatz eines anderen Vomhundertsatzes bei der Berechnung des Ertragsanteils - auszugleichen. Wie oben dargelegt wurde, geht aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG klar hervor, daß auch bei Nachzahlungen nicht auf den Zeitpunkt der Zahlung oder des Antrags abgestellt werden kann. Der Gesetzgeber hat also die Nachteile, die sich aus einer verspäteten Antragstellung ergeben können, bewußt in Kauf genommen. Dadurch wird auch der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht verletzt. Denn die Fälle, in denen der Antrag rechtzeitig gestellt und deshalb die Renten ab dem Eintritt des Versicherungsfalles sofort laufend gezahlt werden, und die Fälle, in denen infolge verspäteter Antragstellung mehrere Rentenzahlungen in einem Betrag nachgezahlt werden, sind voneinander verschieden. Sie können deshalb auch zu verschiedenen steuerlichen Folgen führen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71855

BStBl II 1976, 452

BFHE 1976, 467

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