Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifbegünstigte Entschädigung bei Auflösung eines Arbeitsverhältnisses wegen Übernahme eines Regierungsamtes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erhält ein Arbeitnehmer, der als Spitzenkandidat seiner Partei für eine Parlamentswahl kandidiert hat, für die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, so ist diese Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, wenn sein Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses fordert, weil der Steuerpflichtige ein Regierungsamt übernimmt.

2. Eine Abfindung ist insoweit keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, als sie einen künftig entstehenden Pensionsanspruch in kapitalisierter Form abgilt.

3. Erhöht der Arbeitgeber im Zuge der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die im Arbeitsvertrag für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zugesagte monatliche Pension, so steht dies der tarifbegünstigten Besteuerung der Einmalabfindung nicht entgegen (Bestätigung der Tz. 6 ff. des BMF-Schreibens vom 18. Dezember 1998 IV A 5 -S 2290- 18/98, BStBl I 1998, 1512).

 

Normenkette

EStG §§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a, Nr. 2, § 34

 

Tatbestand

I. Der mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) zusammenveranlagte Kläger und Revisionskläger (Kläger) war aufgrund eines jeweils für fünf Jahre abgeschlossenen bzw. verlängerten Dienstvertrages Vorstandsmitglied eines Unternehmens. Ihm war für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses eine Versorgung zugesagt worden, deren Höhe sich nach der Anzahl der jeweils zurückgelegten Dienstjahre richtete. Anderweitige Versorgungsansprüche waren anzurechnen.

Der Kläger war neben seiner Vorstandstätigkeit auch politisch tätig. Auf eine entsprechende Anfrage hatte ihm der damalige Vorsitzende des Aufsichtsrats mitgeteilt, dass im Grundsatz keine Bedenken dagegen bestünden, neben der Vorstandstätigkeit ein politisches Amt zu übernehmen.

Im Frühjahr des Streitjahres wurde der Kläger als Spitzenkandidat seiner Partei aufgestellt. Nach der für seine Partei erfolgreichen Wahl teilte der neu bestellte Aufsichtsratsvorsitzende dem Kläger mit, dass bei der beabsichtigten Übernahme eines politischen Amtes das Dienstverhältnis als Vorstandsmitglied nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Der Kläger und sein Arbeitgeber lösten daraufhin das Dienstverhältnis auf. Der Kläger erhielt "für den Verlust der Dienststellung und als Abfindung für seinen Pensionsanspruch bis zum 31.12.1999" eine Abfindung, die ihm im Streitjahr ausbezahlt wurde. Ab dem 1. Januar 2000 sollte der Kläger ein Ruhegehalt in Höhe von … % seines letzten Gehalts erhalten. Die im Dienstvertrag vorgesehene Anrechnung anderweitiger Ruhegehaltsansprüche entfiel.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) lehnte es ab, auf die Abfindung § 3 Nr. 9 und § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzuwenden mit der Begründung, der Kläger habe mit seiner Bereitschaft, für ein politisches Amt zu kandidieren, die Auflösung des Dienstverhältnisses aus eigenem Antrieb veranlasst. Zudem fehle es an einer Zusammenballung im Streitjahr, weil neben der Abfindung weitere Leistungen zugesagt worden seien, nämlich der Verzicht auf die teilweise Anrechnung anderweitiger Ruhegehaltsansprüche und die Erhöhung des Prozentsatzes für die Berechnung des Ruhegehalts, die dem Kläger erst nach dem Streitjahr zufließen würden.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 EStG und beantragt, das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid dahin gehend zu ändern, dass die Steuer auf den Betrag herabgesetzt wird, der sich ergibt, wenn von der Abfindung ein Betrag in Höhe von 24 000 DM steuerfrei belassen und auf den verbleibenden Betrag der ermäßigte Steuersatz angewandt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Zu Unrecht hat das FG die begehrten Steuervergünstigungen versagt, weil der Kläger die Auflösung des Dienstvertrags aus eigenem Antrieb herbeigeführt habe.

1. Die dem Kläger gezahlte Abfindung ist "Entschädigung" i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, soweit sie den Arbeitslohn, der ohne vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses zu zahlen gewesen wäre, ersetzt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Steuerpflichtige ―sofern er bei dem zum Einnahmeausfall führenden Ereignis selbst mitgewirkt hat (hier: Auflösungsvertrag)― bei Aufgabe seiner Rechte unter einem nicht unerheblichen rechtlichen, wirtschaftlichen oder tatsächlichen Druck gehandelt hat. Der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (BFH-Urteile vom 20. Juli 1978 IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9; vom 24. Oktober 1990 X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337; vom 9. Juli 1992 XI R 5/91, BFHE 168, 338, BStBl II 1993, 27).

a) Schadenstiftendes Ereignis war im Streitfall die Auflösung des Dienstvertrages, denn mit der Vertragsbeendigung entgingen dem Kläger künftig seine Vorstandsbezüge. Hierfür erhielt er die Abfindung. Die Kandidatur des Klägers als Spitzenkandidat seiner Partei bzw. seine Bewerbung um ein politische Amt waren zwar für seinen Arbeitgeber Motiv zur Auflösung des Vertragsverhältnisses, sie sind aber als solche (noch) nicht das schadenstiftende Ereignis.

b) Das schadenstiftende Ereignis "Vertragsauflösung" wurde unmittelbar vom neuen Aufsichtsratsvorsitzenden herbeigeführt, der ―offenbar im Gegensatz zu seinem Vorgänger― eine Fortführung des Dienstvertrages für nicht mehr vertretbar hielt. Die Auflösung des Dienstverhältnisses lag damit ausschließlich im Verantwortungsbereich des Aufsichtsrats seines Arbeitgebers, denn wie der Kläger unwidersprochen ausführt, hat zumindest theoretisch die Möglichkeit bestanden, das Dienstverhältnis ruhen zu lassen.

c) Der Kläger hat das schadenstiftende Ereignis auch nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn er in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hätte, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belassen hätte (vgl. BFH-Urteile vom 28. Juli 1993 XI R 4/93, BFH/NV 1994, 165; vom 7. März 1995 XI R 54/94, BFH/NV 1995, 961). Dies hat er nicht getan.

Nach den Feststellungen des FG war Ursache für die Auflösung des Dienstvertrages nicht bereits die ―freiwillige― Kandidatur zur Parlamentswahl, sondern die Bewerbung für ein politisches Amt, welcher sich der Kläger als Spitzenkandidat seiner Partei aus politischen und damit faktischen Gründen nicht mehr entziehen konnte. Zum Zeitpunkt seiner Kandidatur zur Parlamentswahl konnte der Kläger noch davon ausgehen, dass selbst nach erfolgreicher Wahl und Übernahme eines politischen Amtes sein Dienstverhältnis nicht berührt würde. Zudem spricht im Allgemeinen in solchen Fällen, in denen der Arbeitgeber eine Abfindung für die Auflösung eines Dienstverhältnisses zahlt, die Vermutung dafür, dass dieser, nicht der Arbeitnehmer, die Auflösung verursacht hat (vgl. so zu § 3 Nr. 9 EStG: Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 3 EStG Rdnr. 9; Offerhaus, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1981, 445; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, § 3 "Abfindungen wegen Auflösung eines Dienstverhältnisses").

In diesem Sinne hat der III. Senat des BFH eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG bejaht, auch wenn der Steuerpflichtige sich um ein Amt bemüht hat, gewählt wird und die Wahl ausdrücklich annimmt (Urteil vom 26. Februar 1988 III R 241/84, BFHE 153, 33, BStBl II 1988, 615). Diese Entscheidung ist zwar ―worauf das FA zutreffend hinweist― zu der Frage ergangen, ob eine Aufwandsentschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 EStG steuerbar ist. Die Frage, ob die Tatbestandsmerkmale des § 24 Nr. 1 EStG erfüllt sind, ist aber unabhängig davon zu beantworten, welche Rechtsfolgen hieran anknüpfen (vgl. zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen des § 24 Nr. 1 EStG Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 24 EStG Rdnr. 35).

2. Die dem Kläger gezahlte Abfindung ist aber nur insoweit Entschädigung für entgehende Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, als sie Ersatz für das aufgrund der Vertragsbeendigung entgehende Aktivgehalt enthält.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, sondern eine nicht tarifbegünstigt zu besteuernde Erfüllungsleistung vor, wenn vertragliche Ansprüche bestehen bleiben und sich nur die Zahlungsmodalität für diese Ansprüche ändert (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 25. August 1993 XI R 8/93, BFHE 172, 338, BStBl II 1994, 167; vom 21. September 1993 III R 53/89, BFHE 172, 349; vom 21. September 1993 IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308, BFH-Beschluss vom 12. Januar 2000 XI B 99/98, BFH/NV 2000, 712, jeweils m.w.N.). Im Streitfall diente die streitige Abfindung auch der Erfüllung der Ruhegehaltsansprüche bis zum 31. Dezember 1999.

Der Kläger erhielt die Abfindung für den Verlust der Dienststellung und als Abfindung für seinen Pensionsanspruch bis zum 31. Dezember 1999. Der Teil der Abfindung, der auf die Abfindung des mit Ablauf des Dienstvertrages entstehenden Pensionsanspruches entfällt, ist keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG, da nach § 6 Nr. 1 c des Dienstvertrages davon auszugehen ist, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von Ruhegehalt bei Nichtverlängerung der Amtszeit dem Grunde nach unangetastet blieb. Soweit daher die Abfindung den fortbestehenden Ruhegehaltsanspruch bis zum 31. Dezember 1999 in einem Betrag abgalt, wurde lediglich die Zahlungsmodalität für den Versorgungsanspruch geändert. Eine neue Rechtsgrundlage für den Versorgungsanspruch wurde nicht geschaffen (vgl. auch BFH-Urteil vom 27. Februar 1991 XI R 8/97, BFHE 164, 243, BStBl II 1991, 703).

3. Die Abfindung ist in dem von § 3 Nr. 9 EStG vorgegebenen Umfang steuerfrei.

Nach § 3 Nr. 9 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, seinerzeit höchstens 24 000 DM, steuerfrei. Die Auflösung des Dienstverhältnisses ist vom Arbeitgeber veranlasst, wenn der Arbeitgeber die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 28. November 1991 XI R 7/90, BFH/NV 1992, 305; vom 18. Dezember 1981 III R 133/78, BFHE 135, 66, BStBl II 1982, 305; vom 11. Januar 1980 VI R 165/77, BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205). Die entscheidende Ursache für die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen gesetzt, der die Auflösung "betrieben" hat (vgl. BFH in BFHE 129, 479, BStBl II 1980, 205; BFH-Urteil vom 13. Oktober 1978 VI R 91/77, BFHE 126, 399, BStBl II 1979, 155; Betreiben durch Arbeitnehmer vgl. BFH in BFH/NV 1992, 305).

Im Streitfall ist ―wie bereits unter 1. b ausgeführt― davon auszugehen, dass die Auflösung des Dienstverhältnisses durch den Arbeitgeber betrieben wurde.

4. Die Abfindung ist, soweit sie nach oben Gesagtem Entschädigung ist, dem Kläger auch "zusammengeballt" im Streitjahr zugeflossen (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteile vom 12. April 2000 XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195; vom 4. März 1998 XI R 46/97, BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787; in BFH/NV 1994, 308). Die Tarifvergünstigung ist nicht deswegen zu versagen, weil im Rahmen der Auflösungsvereinbarung das dem Kläger nach seinem Dienstvertrag ab dem 1. Januar 2000 zustehende Ruhegehalt erhöht wurde.

a) Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche und damit tarifbegünstigte Einkünfte nur Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Nicht hiervon erfasst werden die in § 24 Nr. 2 EStG genannten Einkünfte aus einer ehemaligen Tätigkeit oder aus einem früheren Rechtsverhältnis. Diese sind nicht "Entschädigung" i.S. des § 24 Nr. 1 EStG und unterliegen daher dem normalen Einkommensteuertarif. Sie können daher auch nicht Teil einer tarifbegünstigten Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 EStG sein.

b) Ruhegehalt, das ein (früherer) Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund Dienstvertrages zahlt, gehört nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausdrücklich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und damit zu den Einkünften aus früherer Tätigkeit i.S. des § 24 Nr. 2 EStG (vgl. z.B. Schmidt/Drenseck, a.a.O., 20. Aufl., § 19 Rdnr. 50 "früheres Dienstverhältnis"; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 19 EStG Rdnr. 309). Zu den "Ruhegeldern" i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören auch solche, die erst im Zeitpunkt der vertraglich vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart oder ggf. erhöht werden. Auch solche nachträglich vereinbarten Ruhegelder sind nicht Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, da sie nicht für entgehende Lohnansprüche gezahlt werden, denn im Zeitpunkt des vereinbarten Eintritts in den Ruhestand endet ―mangels Dienstleistung des Arbeitnehmers― die Lohnzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers, so dass Ruhegelder nicht für entgangene Lohnzahlungen geleistet werden. Das Ruhegeld findet vielmehr seine Rechtsgrundlage in der früheren Tätigkeit des Arbeitnehmers für seinen Arbeitgeber. Dem entspricht auch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18. Dezember 1998 IV A 5 -S 2290- 18/98 (BStBl I 1998, 1512 Tz. 6 ff.).

5. Da das FG nicht festgestellt hat, inwieweit die Abfindung eine Kapitalisierung des Pensionsanspruches des Klägers enthält, ist die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 749308

BFH/NV 2002, 1080

BStBl II 2002, 516

BFHE 198, 468

BFHE 2003, 468

BB 2002, 1470

DB 2002, 1637

DStRE 2002, 947

HFR 2002, 887

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