Entscheidungsstichwort (Thema)

(Gestaltungsmißbrauch nach § 42 AO 1977: Übertragung der Anteile an einer grundstücksbesitzenden Personengesellschaft zur Abwendung der Ausübung eines Vorkaufsrechts Dritter, Bedeutung des zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts, Begriff des Gestaltungsmißbrauchs - Revisibilität des GrEStG des Landes Bayern)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Ziel, durch die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch einen Dritten zu vermeiden, rechtfertigt es nicht, von der Erhebung von Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG i.V.m. § 42 Satz 1 AO 1977 abzusehen.

2. § 42 Satz 2 AO 1977 stellt weder darauf ab, ob die von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung (zivil-)rechtlich Bestand hat, noch berührt diese Vorschrift die (zivil-)rechtliche Wirksamkeit der Gestaltung. Die (zivil-)rechtliche Gestaltung bleibt mit ihren jeweiligen Folgen bestehen, auch wenn sie der im Steuergesetz vorgesehenen typischen Gestaltung nicht entspricht. § 42 Satz 1 AO 1977 schließt nur aus, daß der Steuerpflichtige sich für steuerrechtliche Zwecke auf die von ihm gewählte Gestaltung beruft.

3. Die Anwendung des Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Bayern unterliegt weiterhin der Nachprüfung durch den BFH als Revisionsinstanz.

 

Orientierungssatz

1. § 42 AO 1977 versagt die Berufung auf die auf der Grundlage der Privatautonomie gewählte zivilrechtliche Form dann, wenn die Prüfung der rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, die formal nicht der in dem Steuergesetz bezeichneten typischen wirtschaftlichen Form entsprechen, ergibt, daß der zum Ausdruck kommende rechtsgeschäftliche Wille der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht. § 42 AO 1977 bewirkt so die Besteuerung entsprechend dem Zweck des Steuergesetzes, wenn dessen tatbestandsmäßig mit einem anderen Rechtstyp beschriebener wirtschaftlicher Zweck erreicht wird (vgl. BFH- Rechtsprechung).

2. Eine mißbräuchliche Gestaltung zur Steuerumgehung liegt vor, wenn die Parteien unter Ausnutzung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit, also der Möglichkeit verschiedener Gestaltung, den vom Steuergesetz erfaßten --"angemessenen"-- Weg vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiten, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt (vgl. BFH-Urteil vom 9.3.1994 II R 82/91). Für die Prüfung, ob ein bestimmter zivilrechtlich verfolgter Weg i.S. des § 42 AO 1977 angemessen und deshalb --entgegen der Wertung des Steuergesetzes-- der Besteuerung zugrunde zu legen ist, ist unerheblich, ob sich der Steuerpflichtige auf die gewählte Gestaltung berufen könnte, weil sie als solche zu billigen oder mißbilligen wäre.

 

Normenkette

GrEStG BY § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42 S. 1; FGO § 118 Abs. 1 S. 2, § 160 Abs. 2; FGOAG BY Art. 5; AO 1977 § 42 S. 2

 

Tatbestand

I. Am 5. Februar 1982 hatten Frau N und Herr N eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) errichtet, wobei Frau N das Mietwohngrundstück X-Straße in F und Herr N u.a. einen Geldbetrag einbrachten. Am Gesellschaftsvermögen sowie am Gewinn und Verlust der Gesellschaft waren Frau N mit 95 v.H. und Herr N mit 5 v.H. beteiligt. Zweck der Gesellschaft war die Verwaltung und Verwertung des oben genannten Mietwohngrundstücks. Mit notariellen Urkunden vom 3. März bzw. vom 12. Mai 1982 übertrug Frau N ihren Gesellschaftsanteil auf Herrn U sowie Herr N seinen Gesellschaftsanteil auf Herrn H. Der Kaufpreis hierfür betrug insgesamt ... DM. Die Beteiligten bewilligten und beantragten die Berichtigung des Grundbuchs.

Durch Steuerbescheid vom 30. November 1983 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gegen die Herren U und H in GbR aufgrund der Verträge vom 3. März/12. Mai 1982 Grunderwerbsteuer nach einer Bemessungsgrundlage von ... DM mit (einschließlich Zuschlag) ... DM fest.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der GbR (Klägerin und Revisionsklägerin --Klägerin--) gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. November 1983 und die Einspruchsentscheidung vom 4. September 1990 als unbegründet ab. Es folgte der Auffassung des FA, daß die Übertragung aller Gesellschaftsanteile durch die Verträge vom 3. März und 12. Mai 1982 nach § 1 Abs.1 Nr.1 des Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Bayern --GrEStG (BY)-- i.V.m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) der Grunderwerbsteuer unterliege. Dem Vorbringen der Klägerin, der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs sei nicht erfüllt, weil sie den Weg des Gesellschafteraustausches nicht gewählt habe, um Grunderwerbsteuer zu sparen, sondern deshalb, um die drohende Ausübung eines Vorkaufsrechts der Stadt nach dem Bundesbaugesetz zu verhindern, auch wenn der damit verbundene Steuervorteil durchaus gesehen worden sei, maß das FG keine Bedeutung zu.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Steuerbescheid vom 30. November 1983 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. September 1990 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet; die Vorentscheidung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Der Senat ist im Streitfall nicht gehindert, die Vorentscheidung dahin zu überprüfen, ob das FG landesrechtliche Vorschriften richtig angewendet hat.

Nach Auffassung des FG unterliegt der aufgrund der notariellen Urkunden vom 3. März bzw. 12. Mai 1982 vollzogene Gesellschafterwechsel bei der Klägerin nach § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG (BY) i.d.F. der Bekanntmachung vom 28. Juni 1977 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 406) i.V.m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer. Obwohl es sich --auch soweit der Steueranspruch nach § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG (BY) im Streitfall nur i.V.m. § 42 AO 1977 gerechtfertigt werden kann-- dabei um die Anwendung von Landesrecht und nicht, wie § 118 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) voraussetzt, um die Anwendung von Bundesrecht handelt (s. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. April 1995 II R 6/94, BFHE 178, 222, BStBl II 1995, 738), unterliegt die Rechtsanwendung durch das FG der Überprüfung durch den BFH. Anders als im Fall des früheren Grunderwerbsteuergesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen, für das der Senat im zitierten Urteil die Revisibilität seit der Aufhebung des § 160 Abs.2 FGO durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) verneint hat, unterliegt die Anwendung des GrEStG (BY) weiterhin der Nachprüfung durch den BFH als Revisionsinstanz (§ 118 Abs.1 Satz 2 FGO). Nach Art.5 Satz 1 Nr.1 des Bayerischen Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung (AGFGO BY) ist in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit diese Abgaben der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und durch Landesfinanzbehörden nach den Vorschriften der AO 1977 verwaltet werden, wozu die Grunderwerbsteuer rechnet, der Finanzrechtsweg gegeben. Nach Art.5 Satz 2 AGFGO (BY) sind insoweit die Vorschriften der FGO über die Revision anzuwenden (§ 118 Abs.1 Satz 2 FGO). Nach der Aufhebung des § 160 Abs.2 FGO, der die Revisibilität des früheren Grunderwerbsteuerrechts der Länder bundesrechtlich angeordnet hatte, hat die Anordnung der Revisibilität durch Art.5 AGFGO (BY) wieder Geltung erlangt (s. hierzu näher Sack, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1995, 1615 unter 5.).

2. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 31. Juli 1991 II R 17/88, BFHE 165, 297, BStBl II 1991, 891 mit Nachweisen), daß die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft gemäß § 42 A0 1977 i.V.m. § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG (BY) (= § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG 1983) der Grunderwerbsteuer unterliegen kann, weil durch den vollständigen Wechsel im Personenstand einer Personengesellschaft, der als solcher nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt, sich die Rechtszuständigkeit in Gestalt des Gesamthandseigentums der Gesellschafter an dem Grundstück ändert und damit mittels der Anteilsübertragung das gleiche Ergebnis erreicht wird wie durch den Abschluß eines auf die Übertragung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages zwischen Alt- und Neugesellschaftern in ihrer jeweiligen gesamthänderischen Verbundenheit, der den Tatbestand des § 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG erfüllen würde.

§ 42 AO 1977 versagt die Berufung auf die auf der Grundlage der Privatautonomie gewählte zivilrechtliche Form dann, wenn die Prüfung der rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, die formal nicht der in dem Steuergesetz bezeichneten typischen wirtschaftlichen Form entsprechen, ergibt, daß der zum Ausdruck kommende rechtsgeschäftliche Wille der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht. § 42 AO 1977 bewirkt so die Besteuerung entsprechend dem Zweck des Steuergesetzes, wenn dessen tatbestandsmäßig mit einem anderen Rechtstyp beschriebener wirtschaftlicher Zweck erreicht wird (BFH-Urteil vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446). Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung liegt danach vor, wenn die Parteien unter Ausnutzung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit, also der Möglichkeit verschiedener Gestaltung, den vom Steuergesetz erfaßten --"angemessenen"-- Weg vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiten, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt (Senatsurteil vom 9. März 1994 II R 82/91, BFH/NV 1994, 903).

Diese Voraussetzungen liegen, wie das FG richtig entschieden hat, im Streitfall vor, denn die Übertragung des (Gesamthands-)Eigentums auf die neuen Gesellschafter hätte durch den Abschluß eines auf die Übereignung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages zwischen Alt- und Neugesellschaftern erreicht werden können; dies bestreitet auch die Klägerin nicht.

3. a) Mit der Revision macht die Klägerin als Fehler der Vorentscheidung vielmehr geltend, daß das FG im Rahmen der Prüfung des § 42 AO 1977 die Umgehungsabsicht nicht festgestellt habe. Sie räumt allerdings unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 5. Februar 1992 I R 127/90 (BFHE 166, 356, BStBl II 1992, 532) ein, daß zur Feststellung der Umgehungsabsicht die Verwendung von Indizienbeweisen zulässig sei, und führt aus, daß das FG das Vorliegen eines vernünftigen wirtschaftlichen Grundes hätte prüfen müssen, weil die Umgehungsabsicht verneint werden müsse, soweit solche Gründe vorliegen. Als entscheidend sieht die Revision mithin an, ob im Streitfall wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen, die es rechtfertigen, die gewählte rechtliche Gestaltung in ihrer steuerrechtlichen Auswirkung zu beachten (vgl. hierzu auch BFH-Urteile vom 28. Januar 1992 VIII R 107/88, BFHE 167, 273, BStBl II 1993, 84 zu 2. b der Entscheidungsgründe, und vom 21. Dezember 1994 I R 65/94, BFHE 176, 571 unter 2. B).

b) Entgegen der Auffassung der Revision hat das FG zu Recht angenommen, daß die mit der gewählten Rechtsgestaltung verfolgte Vermeidung des Vorkaufsrechts der Stadt den Gestaltungsmißbrauch i.S. des § 42 Satz 1 AO 1977 nicht ausschließt. Für dieses Ergebnis bedurfte es allerdings nicht der vom FG vorgenommenen Wertung dieser Gestaltung als eine vom Gesetz mißbilligte Umgehung des gemeindlichen Vorkaufsrechts und des daraus gezogenen Schlusses, daß eine Anerkennung dieser Gestaltung im Rahmen der Besteuerung des Vorgangs nicht in Frage komme, weil sonst, wie das FG sich ausdrückt, mit einer Gesetzesumgehung (gemeindliches Vorkaufsrecht) eine andere Gesetzesumgehung (§ 1 Abs.1 Nr.1 GrEStG) gerechtfertigt und bestätigt würde. Diese Wertung erübrigt sich deshalb, weil es für die im Rahmen des § 42 AO 1977 vorzunehmende Prüfung grundsätzlich ohne Belang ist, wie die Rechtsgestaltung nach außersteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, denn § 42 Satz 1 AO 1977 stellt weder darauf ab, ob die von dem Steuerpflichtigen gewählte Gestaltung (zivil-)rechtlich Bestand hat, noch berührt § 42 Satz 1 AO 1977 die (zivil-)rechtliche Wirksamkeit der Gestaltung. Die Vorschrift schließt nur aus, daß der Steuerpflichtige sich für steuerrechtliche Zwecke auf die von ihm gewählte Gestaltung beruft (BFH-Urteile in BFH/NV 1994, 903; in BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446, und vom 14. Mai 1986 II R 22/84, BFHE 146, 480, BStBl II 1986, 620). Für die Prüfung, ob ein bestimmter zivilrechtlich verfolgter Weg i.S. des § 42 Satz 1 AO 1977 angemessen und deshalb --entgegen der Wertung des Steuergesetzes-- der Besteuerung zugrunde zu legen ist, kommt es deshalb nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige sich auf die gewählte Gestaltung berufen könnte, weil sie als solche zu billigen oder zu mißbilligen wäre. Die verfahrensrechtliche Rüge der Revision, das FG habe gar nicht geprüft, ob ein Vorkaufsrecht bestanden habe, um dessen Bedeutung für die Klägerin beurteilen zu können, geht mithin ins Leere.

Es ist auch nicht zu prüfen, wie die Revision meint und was von ihr verneint wird, ob der Gesetzgeber des § 42 AO 1977 berechtigt war, die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit einzuschränken. Diese wird durch § 42 Satz 1 AO 1977 nicht berührt, denn die zivilrechtlich gewählte Gestaltung bleibt mit ihren jeweiligen Folgen bestehen, auch wenn sie der im Steuergesetz vorgesehenen typischen Form nicht entspricht (BFH-Urteil in BFH/NV 1994, 903). § 42 Satz 1 AO 1977 versagt es dem Steuerpflichtigen nur, sich bei der Anwendung des Steuergesetzes darauf zu berufen, daß die gewählte Gestaltung den gesetzlichen Tatbestand nicht erfülle, wenn die Besteuerungswürdigkeit entsprechend der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung gleichwohl bestehen bleibt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 480, BStBl II 1986, 620).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66029

BFH/NV 1996, 181

BStBl II 1996, 377

BFHE 179, 443

BFHE 1996, 443

BB 1996, 1154

BB 1996, 998 (Leitsatz)

DB 1996, 1119-1120 (Leitsatz und Gründe)

DStR 1996, 744-745 (Kurzwiedergabe)

DStZ 1996, 410 (Leitsatz)

HFR 1996, 422 (Leitsatz)

StE 1996, 314 (Kurzwiedergabe)

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