Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuweisung des Besteuerungsrechts für Arbeitseinkünfte nach dem DBA-Italien

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Berechnung der gem. Art. 11 Nr. 1 Buchst. d i. V. mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Italien steuerfreien Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von zeitweise in Italien tätig gewesenen Arbeitnehmern (Verhältnis zwischen tatsächlichen Aufenthaltstagen in Italien und vereinbarten Arbeitstagen pro Jahr; Aufteilung des Arbeitsentgelts pro Arbeitstag bei stundenweisem Aufenthalt in Italien).

2. Hat sich das vereinbarte Gehalt während des Kalenderjahres verändert, so ist der Veränderung bei der Berechnung der steuerfreien Einkünfte Rechnung zu tragen. Vergütungen (z. B. Überstunden, für Nachtarbeit, für Feiertagsarbeit, für Auslandstätigkeit u. ä. m.), die jeweils nur bestimmte Einzeltätigkeiten betreffen, teilen steuerrechtlich die Steuerpflichtigkeit bzw. die Steuerfreiheit der Einkünfte, die aus den Einzeltätigkeiten erzielt werden.

3. Die steuerfreien Einkünfte berechnen sich auf der Grundlage des vereinbarten Arbeitsentgelts (Lohn, Gehalt, sonstige Vorteile). Zusatzvergütungen (z. B. Weihnachtsgeld, Tantieme u. ä. m.), die die nichtselbständige Arbeit des Arbeitnehmers innerhalb des Berechnungszeitraums betreffen, sind in das vereinbarte Arbeitsentgelt einzubeziehen.

 

Normenkette

DBA ITA Art. 7 Abs. 1 S. 1, Art. 11 Nr. 1 d; EStG §§ 3c, 38c Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) wohnhafte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1983 als Angestellter einer inländischen Handelsgesellschaft nichtselbständig tätig. Sein Bruttoarbeitslohn betrug 308 694 DM. In seiner Einkommensteuererklärung 1983 machte er geltend, an vier Tagen für seine Arbeitgeberin in Italien gewesen zu sein. Deswegen kürzte er seinen Bruttoarbeitslohn um steuerfreie Einkünfte in Höhe von 4 731 DM. Den Be

trag errechnete er auf der Grundlage von 261 Arbeitstagen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) errechnete den steuerfreien Betrag auf der Grundlage von 360 Steuertagen i. S. des § 38c Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1983 und setzte nur 3 430 DM steuerfreie Einkünfte an. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und ließ die Revision zu.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 11 Nr. 1 Buchst. d des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiet der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 - DBA-Italien (RGBl II 1925, 1146).

Es beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des Urteils des Schleswig-Holsteinischen FG vom 18. September 1985 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 1 Abs. 1 EStG 1981 sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 EStG 1981 grundsätzlich auch auf die sog. ausländischen Einkünfte i. S. des § 34d EStG i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20. August 1980 (BGBl I 1980, 1545, BStBl I 1980, 589). Von diesem Grundsatz gilt nach Art. 11 Nr. 1 Buchst. d i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Italien eine Ausnahme für Einkünfte aus Arbeit, die in Italien ausgeübt wird. Diese Einkünfte sind in der Bundesrepublik steuerfrei (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Mai 1971 I R 27/70, BFHE 103, 324, BStBl II 1971, 804; vom 20. Oktober 1982 I R 104/79, BFHE 137, 29, BStBl II 1983, 402, und vom 22. Juni 1983 I R 67/83, BFHE 138, 464, BStBl II 1983, 625).

2. Ein in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtiger Arbeitnehmer übt seine persönliche Tätigkeit in Italien aus, wenn er von seinem in der Bundesrepublik ansässigen Arbeitgeber dorthin geschickt wird, um Arbeiten auszuführen, die nach Lage der Sache allein an Ort und Stelle ausgeführt werden können. Dies gilt auch dann, wenn es sich nur um eine kurzfristige Tätigkeit handelt. Das DBA-Italien macht die Steuerfreiheit weder von einem mindestens 10tägigen (so: Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 11. Januar 1982 IV C 5 - S 1301 Italien - 100/81, BStBl I 1982, 215) noch von einem mindestens 24stündigen Aufenthalt in Italien (so: BMF-Schreiben vom 8. Dezember 1983 IV C 5 - S 1301 Italien - 90/83, BStBl I 1983, 502) abhängig (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 30. November 1984 IX 260/82, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 301). Es teilt die Besteuerung der Arbeitseinkünfte für Tätigkeiten, die in Italien ausgeübt werden, dem italienischen Staat zu. Dies bedeutet, daß mit Beginn der Tätigkeit in Italien und bis zu deren Beendigung das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik aufgehoben ist, und gilt ohne Rücksicht darauf, wie lange der Arbeitnehmer sich in Italien aufhält und wer die Vergütungen für die Tätigkeit zahlt (vgl. BFHE 137, 29, BStBl II 1983, 402). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die mit keinen Revisionsrügen angefochten wurden und deshalb für den Senat bindend sind (§ 118 Abs. 2 FGO), bestand die steuerbare Tätigkeit des Klägers darin, daß er während vier Tagen im Jahr 1983 Textilien für seine Arbeitgeberin in Italien einkaufte. Diese Tätigkeit fiel ab dem Zeitpunkt unter Art. 7 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 11 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien, zu dem der Kläger, mit welchem Verkehrsmittel auch immer, die italienische Grenze überschritt. Die Steuerfreiheit bezieht sich auf die Einkünfte, die er für die bis zum Verlassen Italiens dort ausgeübte Tätigkeit erhielt.

3. Der erkennende Senat hat sich in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht zu der Frage geäußert, wie die nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 11 Nr. 1 Buchst. d DBA-Italien steuerfreien Einkünfte im übrigen der Höhe nach zu ermitteln sind. Das Urteil in BFHE 138, 464, BStBl II 1983, 625 gab zu entsprechenden Ausführungen keine Veranlassung, weil nur das FA Revision eingelegt hatte und der Senat die - was die Berechnung der steuerfreien Einkünfte der Höhe nach anbelangt - für die Finanzverwaltung günstige Vorentscheidung nicht hätte zu deren Ungunsten ändern können (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

a) Art. 11 Nr. 1 Buchst. d i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Italien verlangt, daß die steuerbaren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einen auf den Aufenthalt in Italien und in einen auf den Aufenthalt im Inland und im übrigen Ausland entfallenden Teil aufgeteilt werden. Dazu ist von dem Grundsatz auszugehen, daß der einzelne Arbeitnehmer seine Einnahmen (Lohn, Gehalt, Tantieme, Bezüge u. ä. m.) aus nichtselbständiger Arbeit erhält, weil er seinem Arbeitgeber versprochen hat, seine Arbeitskraft an einer bestimmten Zahl von Tagen (vereinbarte Arbeitstage) innerhalb eines Jahres oder eines anderen Zeitraums zur Verfügung zu stellen. Unter den vereinbarten Arbeitstagen sind die Kalendertage abzüglich der arbeitsfreien Samstage, Sonntage und gesetzlichen Feiertage sowie abzüglich der Urlaubstage zu verstehen. Schon wegen der jahresbezogenen Sonderzahlungen (Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Tantiemen u. ä. m.) sind in der Regel die vereinbarten Arbeitstage pro Kalenderjahr heranzuziehen. Der Kläger erhielt nämlich auch die Sonderzahlungen anteilig dafür, daß er die Interessen seiner Arbeitgeberin in Italien wahrnahm. Aus dem gleichen Grunde wurde ihm das Gehalt während seines Jahresurlaubs weiterbezahlt. Diese zusätzlichen Entgelte sind in die Ermittlung der steuerfreien Einkünfte einzubeziehen. Zu diesem Zweck muß im Regelfall auf die vereinbarten Arbeitstage pro Kalenderjahr abgestellt werden. Mithin kommt es weder auf die Zahl der Kalendertage (365) noch auf die Zahl der Tage an, an denen der Kläger tatsächlich einer nichtselbständigen Arbeit nachging. Entgegen der Auffassung des Hessischen FG (Urteil vom 3. Dezember 1982 VIII 44/81, EFG 1983, 398) kann auch mit Rücksicht auf § 38c Abs. 2 Satz 2 EStG nicht auf die sog. Steuertage im Kalenderjahr (360) abgestellt werden. § 38c Abs. 2 Satz 2 EStG regelt die Aufstellung von Wochen- bzw. Tageslohnsteuertabellen. Wenn der Gesetzgeber diesen Tabellen jeweils 360 Arbeitstage zugrunde legt, so handelt es sich um eine zugunsten der betroffenen Steuerpflichtigen wirkende Entscheidung, die allenfalls den Gleichbehandlungsgrundsatz tangiert. Die Regelung kann jedoch schon deshalb nicht zur Ermittlung der Höhe der nach Art. 11 Nr. 1 Buchst. d i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Italien steuerfreien Einkünfte herangezogen werden, weil die Vorschrift insoweit zu Lasten der betroffenen Steuerpflichtigen wirken würde. Die in einem DBA angeordnete Steuerfreiheit von Einkünften darf nicht durch Vorschriften des nationalen Steuerrechts eines der Vertragsstaaten in ihr Gegenteil verkehrt werden (§ 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Das Heranziehen der vereinbarten Arbeitstage trägt auch dem Umstand ausreichend Rechnung, daß bei Lohn- und Gehaltsempfängern die Bezüge im allgemeinen unabhängig von den tatsächlich gearbeiteten Stunden (Tagen) gezahlt werden.

b) Den vereinbarten Arbeitstagen ist das für die entsprechende Zeit vereinbarte Arbeitsentgelt (Lohn, Gehalt, sonstige Vorteile) gegenüberzustellen. Zusatzvergütungen (z. B. Weihnachtsgeld, Tantieme u. ä. m.), die die nichtselbständige Arbeit des Arbeitnehmers innerhalb des gesamten Berechnungszeitraums betreffen, sind in das vereinbarte Arbeitsentgelt einzubeziehen. Vergütungen (z. B. für Überstunden, für Nachtarbeit, für Feiertagsarbeit, für Auslandstätigkeit u. ä. m.), die jeweils nur bestimmte Einzeltätigkeiten betreffen, sind außerhalb des hier interessierenden Berechnungsschemas der Einzeltätigkeit unmittelbar zuzuordnen. Die evtl. Steuerfreiheit dieser Vergütungen hängt davon ab, ob die Einzeltätigkeit in Italien oder anderswo ausgeübt wurde. Hat sich das vereinbarte Gehalt während des Kalenderjahres verändert, so ist auch der Veränderung Rechnung zu tragen. Das vereinbarte Arbeitsentgelt ist in Beziehung zu den vereinbarten Arbeitstagen zu setzen. Aus der Beziehung ergibt sich ein vereinbartes Arbeitsentgelt pro vereinbartem Arbeitstag.

c) Das vereinbarte Arbeitsentgelt pro Arbeitstag ist in Beziehung zu den vereinbarten Arbeitstagen zu setzen, an denen sich der Arbeitnehmer tatsächlich in Italien aufhält. Sollte sich der Arbeitnehmer auch an Tagen in Italien aufhalten, die nicht zu den vereinbarten Arbeitstagen zählen (z. B. Verlängerung eines Aufenthalts in Italien aus privaten Gründen), so fallen diese Tage aus der Berechnung der steuerfreien Einkünfte heraus. Hält sich der Arbeitnehmer nur stundenweise in Italien auf, so ist das Arbeitsentgelt pro vereinbartem Arbeitstag aufzuteilen. Der Aufteilung ist die für diesen Tag vereinbarte Arbeitszeit zugrunde zu legen. Abgeleistete Überstunden sind besonders zu berücksichtigen, soweit der Arbeitgeber für sie tatsächlich einen Ausgleich leistet.

4. Zwar entspricht die Vorentscheidung diesen Grundsätzen nicht in vollem Umfang. Vielmehr hat das FG als vereinbarte Arbeitstage nur die Kalendertage abzüglich 104 arbeitsfreie Samstage und Sonntage angesetzt. Es hat sowohl gesetzliche Feiertage als auch Urlaubstage unberücksichtigt gelassen. Diese Umstände wirken sich jedoch nicht zu Lasten des die Revision führenden FA aus. Da der Kläger weder Revision noch Anschlußrevision eingelegt hat, kann der Senat die Vorentscheidung nicht zu Lasten des FA ändern (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Vielmehr muß es bei ihr verbleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414445

BFH/NV 1986, 734

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