Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Beruht die Unrichtigkeit eines unter Verwendung einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage erstellten Einkommensteuerbescheids auf einem Irrtum des Veranlagungsbeamten über den tatsächlichen Ablauf des maschinellen Veranlagungsverfahrens, so handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 2 AO.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 2

 

Tatbestand

Streitig ist das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit bei einer maschinell durchgeführten Einkommensteuerveranlagung 1964.

Der Revisionsbeklagte (Stpfl.), der bis Ende Mai 1964 als Steuerbevollmächtigter tätig war, gab in seiner Einkommensteuererklärung 1964 seine Einkünfte aus selbständiger Arbeit wie folgt an:

Verlust aus freiberuflicher Tätigkeit (ohne Veräußerungsgewinn) ---------------- 300 DM Veräußerungsgewinn im Sinne des § 18 Abs. 3 EStG ---------------------------- 45.598 DM Einkünfte aus selbständiger Arbeit insgesamt ------------------------------ 45.298 DM.Die Einkommensteuerveranlagung des Stpfl. wurde unter Verwendung einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage durchgeführt. In dem der Datenverarbeitungsanlage zugeleiteten Eingabewertbogen ist in der Spalte "Gewinne bzw. Gewinnanteile aus freiberuflicher Tätigkeit - § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG -" (Kennziffer 08 des Eingabewertbogens) nur der Verlust von 300 DM eingetragen, nicht auch, wie es nach dem Gesetz und dem Aufbau des Eingabewertbogens erforderlich gewesen wäre, der Veräußerungsgewinn von 45.598 DM. In der Spalte "Begünstigte Einkünfte nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG (Abschn. 197 EStR)" (Kennziffer 56) ist der Veräußerungsgewinn dagegen eingetragen. In dem von der elektronischen Datenverarbeitungsanlage erstellten Steuerbescheid vom 21. Dezember 1965 wurde die Einkommensteuer auf 0 DM festgesetzt. Nach Entdeckung der Unrichtigkeit berichtigte das FA die Einkommensteuerveranlagung nach § 92 Abs. 2 AO.

Mit der Berufung beantragte der Stpfl. Aufhebung des Berichtigungsbescheides.

Das FG hob durch das in EFG 1967, 200 veröffentlichte Urteil den Einkommensteuer-Berichtigungsbescheid auf. Es verneinte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendung des § 92 Abs. 2 AO. Diese Vorschrift setze die allein mögliche Annahme voraus, daß die Unrichtigkeit auf einem mechanischen Versehen beruhe. Hier bestehe einmal die Möglichkeit, daß der Steuerbeamte den Gewinn aus bloßer Unachtsamkeit nicht auch in Ziffer 08 eingetragen habe. Möglich sei aber auch, daß der Beamte irrig von der falschen Annahme ausgegangen sei, die Ziffern 56 und 08 des Eingabewertbogens liefen unabhängig nebeneinander her und ein Veräußerungsgewinn dürfe deshalb nur unter Ziffer 56 und nicht auch unter Ziffer 08 erfaßt werden. Dann beruhe die Unrichtigkeit des Erstbescheides auf einem für die Vorstellung des Beamten sich aus dem Aufbau des Eingabewertbogens ergebenden, nach der Sachlage aber unzutreffenden Denkprozeß. Damit scheide die Anwendung des § 92 Abs. 2 AO aus.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.

Dem FG ist darin zuzustimmen, daß schon die Möglichkeit eines Rechtsirrtums die Anwendung des § 92 Abs. 2 AO ausschließt (Urteile des erkennenden Senats IV 486/53 U vom 18. November 1954, BFH 60, 52, BStBl III 1955, 19 und IV 310/63 vom 16. Juli 1964, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Rechtsspruch 37 zu § 92 AO; Urteile des BFH II 113/53 U vom 10. Juni 1953, BFH 57, 558, BStBl III 1953, 214 und II 137/55 U vom 14. März 1956, BFH 62, 372, BStBl III 1956, 137). Sinn und Zweck der Vorschrift des § 92 Abs. 2 AO bestehen darin, Behörde und Gericht nicht an das zu binden, was sie in Wirklichkeit nicht gewollt haben. Der BFH hat im Urteil VI R 5/66 vom 10. Februar 1967, BFH 88, 155, BStBl III 1967, 348, darauf hingewiesen, daß sowohl eine zu weite als auch eine zu enge Auslegung des § 92 Abs. 2 AO verfehlt sei; denn da der Begriff der "offenbaren Unrichtigkeit" nicht verschieden danach ausgelegt werden könne, ob der Fehler sich zuungunsten des Stpfl. oder des Steuerfiskus auswirke, würde eine zu enge Auslegung den Stpfl. benachteiligen. Dem ist zuzustimmen.

Das Verfahren der Veranlagung durch elektronische Datenverarbeitungsanlagen weist zwar gegenüber dem manuellen Veranlagungsverfahren verschiedene technische Besonderheiten auf. Die Verschiedenheiten beider Verfahren sind jedoch nicht von so grundsätzlicher Art, daß die Rechtsprechung neue Grundsätze zur Anwendung des § 92 Abs. 2 AO bei Veranlagungen mit elektronischer Datenverarbeitung entwickeln müßte. Fehler bei der Feststellung der Eingabewerte und ihrer Eintragung in den Eingabewertbogen sind nach den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen.

Daß im Streitfall der Veranlagungsbeamte den Veräußerungsgewinn erfassen wollte, kann nicht zweifelhaft sein, weil andernfalls nicht erkennbar wäre, aus welchen Gründen er ihn in Kennziffer 56 des Eingabewertbogens eingetragen hätte, um die Anwendung des § 34 EStG zu erreichen. Ein Rechtsirrtum über die Steuerpflicht des Veräußerungsgewinns scheidet also aus. Dann ist es aber unerheblich, ob der Veranlagungsbeamte den Veräußerungsgewinn nur aus Unachtsamkeit nicht in die Kennziffer 08 des Eingabewertbogens übertragen hat oder ob er von der irrigen Annahme ausgegangen ist, der Veräußerungsgewinn dürfe, um nicht doppelt erfaßt zu werden, nur in Kennziffer 56 des Eingabewertbogens eingetragen werden. Im letzteren Fall würde es sich um einen Irrtum über den Gang des maschinellen Veranlagungsverfahrens, und zwar den rein mechanischen Ablauf der Arbeit der elektronischen Datenverarbeitungsmaschine handeln. Ein auf einem solchen Irrtum beruhender Steuerbescheid ist offenbar unrichtig im Sinn des § 92 Abs. 2 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412790

BStBl III 1967, 793

BFHE 1968, 106

BFHE 90, 106

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