Leitsatz (amtlich)

Eine Änderung der Handelsbilanz und des Gewinnverteilungsbeschlusses ist dann nicht willkürlich, wenn die Änderungen dazu dienen, die sich aus dem Übergang zum neuen Körperschaftsteuerrecht ergebenden steuerlichen Nachteile auszugleichen.

 

Orientierungssatz

1. Für die Entscheidung der Frage, ob eine Gewinnausschüttung auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluß beruht, sind die handelsrechtlichen Vorschriften maßgebend (vgl. BFH-Urteil vom 16.7.1969 I R 92/67).

2. § 19 Abs. 3 KStG a.F. kann auch bei erst nach dem 1.1.1977 beschlossenen Gewinnausschüttungen Anwendung finden (vgl. BFH-Urteil vom 31.10.1984 I R 95/80).

3. Ein Gewinnverteilungsbeschluß entspricht dann nicht den handelsrechtlichen Vorschriften, wenn er zu einer Rückzahlung des Vermögens führen würde, das zur Erhaltung des Stammkapitals einer GmbH notwendig ist. Dies wäre z.B. der Fall, wenn und soweit der Gewinn, der ausgeschüttet werden soll, zwischenzeitlich durch Jahresfehlbeträge und durch Gewinnausschüttungen aufgezehrt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 4.7.1973 I R 216/71).

4. Es widerspricht nicht dem handelsrechtlichen Erfordernis nach einem zutreffenden Vermögensausweis, wenn zwischen dem Ende des Wirtschaftsjahres, dessen Reingewinn ausgeschüttet wird, und dem Gewinnverteilungsbeschluß ein längerer Zeitraum liegt (nicht mehr Festhalten an anderslautender BFH-Rechtsprechung).

5. Der Grundsatz von Treu und Glauben bindet nicht nur die Finanzverwaltung, sondern auch die Steuerpflichtigen. Die Bindung des Steuerpflichtigen (hier: Frage der Änderung der Handelsbilanz) setzt voraus, daß dieser aus seinem ursprünglichen Verhalten, zu dem er sich mit seinem späteren Verhalten in Widerspruch setzt, steuerliche Vorteile gezogen hat, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, daß die steuerlichen Vorteile, die durch sein späteres Verhalten begründet werden, nicht eintreten (vgl. RFH-Rechtsprechung und BFH-Rechtsprechung).

6. Parallelentscheidung: BFH, 5.6.1985, I R 175/84, NV.

 

Normenkette

KStG § 19 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) --eine GmbH-- erzielte in den Geschäftsjahren 1975 und 1976 Steuerbilanzgewinne, die sie zum größten Teil an ihre Gesellschafterin ausschüttete (Gesellschafterbeschlüsse vom 6.Juli 1976 betreffend 1975 und vom 5.Juli 1977 betreffend 1976).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Klägerin zur Körperschaftsteuer. Dabei besteuerte er das Einkommen der Streitjahre 1975 und 1976 in Höhe der Ausschüttungen mit dem ermäßigten Körperschaftsteuertarif nach § 19 Abs.1 Nr.1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes a.F. (KStG a.F.) in Höhe von 15 v.H. und den Rest des zu versteuernden Einkommens mit dem Regelsteuersatz von 51 v.H. Die Steuerbescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Am 10.April 1978 faßte die Gesellschafterversammlung unter Aufhebung der ursprünglichen Gewinnverteilungsbeschlüsse den Beschluß, aus den Rücklagen Beträge zu entnehmen und die sich daraus ergebenden Gewinne in voller Höhe auszuschütten. Das FA erklärte später die Steuerbescheide für endgültig; dabei wurden die nachträglich beschlossenen Gewinnausschüttungen nicht als Grundlage für einen ermäßigten Körperschaftsteuersatz anerkannt.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.

Mit der Revision rügt das FA unzutreffende Anwendung des § 19 Abs.3 KStG a.F.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das Einkommen der Klägerin unterliegt in den Streitjahren in Höhe der für die Wirtschaftsjahre 1975 und 1976 beschlossenen Gewinnausschüttungen gemäß § 19 Abs.1 Nr.1 KStG a.F. einem Steuersatz von 15 v.H. Bei den beschlossenen Gewinnausschüttungen handelt es sich um berücksichtigungsfähige Ausschüttungen (§ 19 Abs.3 Satz 1 KStG a.F.). Sie sind für Wirtschaftsjahre vorgenommen, deren Ergebnisse bei der Veranlagung der Streitjahre berücksichtigt sind (§ 5 Abs.2 Satz 1 KStG a.F.). Die Gewinnverteilungsbeschlüsse entsprechen den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften. Für die Entscheidung der Frage, ob Gewinnausschüttungen auf den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlüssen beruhten, sind die handelsrechtlichen Vorschriften, hier das Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), maßgebend (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16.Juli 1969 I R 92/67, BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634).

2. Den Gewinnausschüttungsbeschlüssen liegen wirksam festgestellte Handelsbilanzgewinne zugrunde. Mit den Gesellschafterbeschlüssen vom 10.April 1978 wurden die ursprünglichen Handelsbilanzen in der Weise geändert, daß die ursprünglich festgestellten Handelsbilanzgewinne um die aufzulösenden Rücklagen erhöht wurden (vgl. auch BFH-Urteil vom 22.November 1972 I R 22/71, BFHE 107, 503, BStBl II 1973, 195).

Einer Zustimmung des FA gemäß § 5 Abs.4 i.V.m. § 4 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bedurfte es dabei nicht (BFHE 107, 503, BStBl II 1973, 195).

Handelsrechtliche Bedenken gegen die Änderung des ursprünglichen Feststellungsbeschlusses könnten nur geltend gemacht werden, wenn die Änderung willkürlich wäre (vgl. BFHE 107, 503, BStBl II 1973, 195 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 24.Januar 1957 II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 153). Das ist hier nicht der Fall. Die am 10.April 1978 beschlossene Änderung ist durch die Einführung des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens bedingt. Gemäß § 30 Abs.2 Nr.4 i.V.m. § 30 Abs.1 Satz 3 Nr.3 KStG 1977 sind Vermögensmehrungen, die das Eigenkapital bis zum Ende des letzten vor dem 1.Januar 1977 abgelaufenen Wirtschaftsjahres erhöht haben, in der Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals getrennt auszuweisen (sog. EK 03). Soweit diese Eigenkapitalteile für die Ausschüttung als verwendet gelten (vgl. § 28 Abs.3 KStG 1977 in der heutigen gültigen Fassung), führt dies zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung. Handelt es sich bei den Eigenkapitalteilen um solche, die nach dem vor Einführung des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens gültigen KStG mit 51 v.H. Körperschaftsteuer belastet waren, käme es zu einer sehr hohen Belastung. Die Einführung des Körperschaftsteueranrechnungsverfahrens ist daher ein berechtigter Anlaß, die Körperschaftsteuerbelastung dadurch abzumildern, bereits beschlossene Gewinnverteilungsbeschlüsse zu ändern, um den Ausschüttungssteuersatz von 15 v.H. (§ 19 Abs.1 Nr.1 KStG a.F.) zur Anwendung zu bringen (vgl. auch BFH-Urteil vom 30.März 1983 I R 178/79, BFHE 138, 236, BStBl II 1983, 512; dort wurde die Einführung des Verlustrücktrags als berechtigter Anlaß angesehen, beschlossene Gewinnverteilungsbeschlüsse zu ändern).

Liegen Gründe für eine Änderung der ursprünglichen Gewinnverteilungsbeschlüsse vor, kann die Änderung nicht Treu und Glauben widersprechen. Dies gilt auch für die Auflösung von Rücklagen, die für die Änderung notwendig ist.

3.1. Dadurch, daß die Gewinnausschüttungen erst im April 1978, also einige Zeit nach dem Ende der Wirtschaftsjahre beschlossen wurden, auf die sie sich bezogen, sind handelsrechtliche Vorschriften nicht verletzt. In § 46 GmbHG, wonach die Gesellschafter über die Verteilung des Reingewinns beschließen, ist eine zeitliche Begrenzung für die Beschlußfassung nicht vorgesehen. In der Rechtsprechung des BFH wurde --nicht entscheidungserheblich-- darauf hingewiesen, daß Gewinnausschüttungsbeschlüsse, die eine unbegründet lange Zeit nach Abschluß des Wirtschaftsjahrs erfolgen, den handelsrechtlichen Erfordernissen nach einem zutreffenden Vermögensausweis widersprechen (Urteile vom 1.Juli 1964 I 5/63 U, BFHE 80, 162, BStBl III 1964, 533; vom 16.Juli 1969 I R 92/67, BFHE 96, 310, BStBl II 1969, 634; in dem Urteil vom 31.Oktober 1984 I R 95/80, BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225 wurde jedenfalls ein Zeitraum von 16 Monaten nach dem Ende des Wirtschaftsjahres, dessen Gewinn ausgeschüttet wird, als dem GmbHG entsprechend angesehen).

Daran kann in dieser Allgemeinheit nicht festgehalten werden. Durch den Gewinnverteilungsbeschluß verwandelt sich das allgemeine Bezugsrecht des Gesellschafters in ein selbständiges Gläubigerrecht (BGH-Urteile in BGHZ 23, 150, 154, und vom 3.November 1975 II ZR 67/73, BGHZ 65, 230, 235). Bezieht sich der Gewinnverteilungsbeschluß auf ein Wirtschaftsjahr, das vor dem Wirtschaftsjahr liegt, das der Fassung des Beschlusses vorangeht, wird die Vermögenslage der Gesellschaft nicht unzutreffend dargestellt. Die Gläubiger konnten im Streitfall nicht darauf vertrauen, daß die aufgelösten Rücklagen nicht Gegenstand von Ausschüttungen werden. Die Gesellschafter konnten die Rücklagen grundsätzlich in den nach dem Wirtschaftsjahr 1976 endenden Wirtschaftsjahren zugunsten des Gewinns auflösen und den dadurch entstehenden Gewinn ausschütten, ohne daß sie daran von den Gläubigern hätten gehindert werden können. Wählen die Gesellschafter diese Möglichkeit nicht, sondern lösen sie die Rücklagen in den Bilanzen der Wirtschaftsjahre auf, die in den Streitjahren enden, und schütten sie den dadurch entstehenden Gewinn aus, führt dies zu einer Folgeänderung in den Bilanzen der nachfolgenden Wirtschaftsjahre.

3.2. Für den Streitfall ist es unerheblich, ob ein etwaiger Gewinn des nach dem Wirtschaftsjahr 1976 liegenden Wirtschaftsjahres 1977 vor den strittigen Gewinnverteilungsbeschlüssen ausgeschüttet worden ist (die Frage blieb in dem Urteil in BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225 noch dahingestellt). Zwischenzeitlich beschlossene Gewinnausschüttungen können allerdings zur Anwendung des § 30 Abs.1 GmbHG führen.

Ein Gewinnverteilungsbeschluß entspricht dann nicht den handelsrechtlichen Vorschriften, wenn er zu einer Rückzahlung des Vermögens führen würde, das zur Erhaltung des Stammkapitals der Klägerin notwendig ist (vgl. § 30 Abs.1 GmbHG). Dies wäre z.B. der Fall, wenn und soweit der Gewinn, der ausgeschüttet werden soll, zwischenzeitlich durch Jahresfehlbeträge und durch Gewinnausschüttungen aufgezehrt worden ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 4.Juli 1973 I R 216/71, BFHE 110, 37, BStBl II 1973, 742). Nach den vom FG getroffenen Feststellungen liegen diese Voraussetzungen nicht vor.

3.3. Die Änderungen der Gewinnverteilungsbeschlüsse sind im Streitfall nicht willkürlich. Auf die Ausführungen betreffend die Änderung der Handelsbilanzen wird Bezug genommen (vgl. Ziff.2).

4. Den Änderungen der Handelsbilanzen und der Gewinnverteilungsbeschlüsse steht der Grundsatz von Treu und Glauben nicht entgegen. Zwar bindet der Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur die Finanzverwaltung, sondern auch die Steuerpflichtigen (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs vom 23.Mai 1933 VI A 907/32, Steuer und Wirtschaft, 1933 II, 1360; vom 8.August 1934 VI A 2024/32, RStBl 1935, 920, und vom 5.Oktober 1939 IV 236/38, RStBl 1940, 346, und die Urteile des BFH vom 24.November 1965 VI 128/65 U, BFHE 84, 365, BStBl III 1966, 131, und vom 22.April 1966 VI 37/65, BFHE 86, 142, BStBl III 1966, 368). Einer Bindung steht einmal schon entgegen, daß die Änderungen der Handelsbilanzen und der Gewinnverteilungsbeschlüsse --wie dargestellt-- nicht willkürlich sind, sondern durch die Änderungen des Körperschaftsteuerrechts bedingt sind. Außerdem setzt die Bindung des Steuerpflichtigen voraus, daß dieser aus seinem ursprünglichen Verhalten, zu dem er sich mit seinem späteren Verhalten in Widerspruch setzt, steuerliche Vorteile gezogen hat, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, daß die steuerlichen Vorteile, die durch sein späteres Verhalten begründet werden, nicht eintreten (vgl. die zitierten Entscheidungen). Im Streitfall hat die Klägerin aus ihrem ursprünglichen Verhalten (Nichtauflösung von Rücklagen und Nichtausschüttung des dadurch entstehenden Gewinns) keinen Vorteil gehabt, sondern nur einen Nachteil; denn sie konnte nur in geringerem Umfang in den Genuß des Steuersatzes für berücksichtigungsfähige Ausschüttungen kommen. Daß es durch die Nichtausschüttung bei den Gesellschaftern der Klägerin zu keiner Besteuerung kam, ist dabei unerheblich; denn dieser "Vorteil" wird im Rahmen der später beschlossenen Ausschüttung in vollem Umfange kompensiert.

Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von den Urteilen vom 23.März 1953 I 147/52 U (BFHE 57, 354, BStBl III 1953, 160) und vom 25.August 1953 I 38/53 U (BFHE 58, 320, BStBl III 1954, 36) ab. Auch in diesen Entscheidungen wurde die Frage der Änderungen der Handelsbilanzen bzw. der Steuerbilanzen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben geprüft und die Zulässigkeit in einem Fall verneint und in einem anderen Fall bejaht.

Der Senat hält damit die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach die Körperschaftsteuerreform kein ausreichender Grund sei, um Gewinnverteilungsbeschlüsse zu ändern, wenn damit eine Auflösung von Rücklagen verbunden ist (vgl. Erlaß des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 6.Oktober 1978 S 2808 A - 1/77, Deutsches Steuerrecht 1978, 673), für nicht zutreffend.

5. Auf den Streitfall findet § 19 KStG a.F. Anwendung, obwohl die Gewinnausschüttungen erst nach dem 1.Januar 1977 beschlossen wurden (vgl. hierzu BFHE 142, 446, BStBl II 1985, 225).

 

Fundstellen

Haufe-Index 60986

BStBl II 1986, 84

BFHE 144, 353

BB 1986, 35-35 (S)

DB 1986, 24-25 (ST)

HFR 1986, 198-198 (ST)

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