Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Gestaltungsmißbrauch bei Rückgängigmachung vorweggenommener Erbfolge zu überhöhtem Kaufpreis

 

Leitsatz (NV)

Kaufen Eltern ein auf den Sohn unter Nießbrauchsvorbehalt unentgeltlich übertragenes Mietwohngrundstück zu einem überhöhten Entgelt zurück, weil der Sohn diesen Betrag zur Existenzgründung benötigt, so kommt ein Gestaltungsmißbrauch in Betracht. Es bedarf eingehender Prüfung, ob hinreichende nichtsteuerliche Gründe für die gewählte Gestaltung gegeben sind.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; EStG § 7 Abs. 4, § 9 Abs. 1 Sätze 1-2, 3 Nrn. 1, 7, § 21 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Sie erwarben aufgrund notariell beurkundeten Kaufvertrags vom 26. Mai 1977 von ihrem Sohn das Mietwohngrundstück . . . in . . . Der Kaufpreis von 550 000 DM war zur Hälfte bis 31. Dezember 1977, zur anderen Hälfte bis 31. Dezember 1978 zu zahlen und wurde bis dahin zinslos gestundet. Die Kläger zahlten den Betrag in zwei Raten, davon . . . DM Ende 1977, den Rest Mitte 1978. Dieses Grundstück hatte die Klägerin 1972 unter dem Vorbehalt des lebenslänglichen Nießbrauchs für sich und ihren Ehemann unentgeltlich auf ihren Sohn übertragen; dabei blieb außerdem ein vorgehendes lebenslanges Nießbrauchsrecht zugunsten der Eltern der Klägerin vorbehalten, von denen die Klägerin das Grundstück im Jahre 1968 unentgeltlich erhalten hatte. Ebenfalls im Jahr 1972 hatte die Klägerin ein weiteres Grundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge an ihre Tochter unter ähnlichen Bedingungen übertragen.

Bei der Einkommensteuerveranlagung 1983 minderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die geltend gemachten Absetzungen für Abnutzung (AfA) von . . . DM auf . . . DM. Die geltend gemachten Werbungskosten von . . . DM kürzte das FA um Schuldzinsen in Höhe von . . . DM für ein zum (Rück-)Erwerb des Grundstücks aufgenommenes Darlehen. Es sah in der Grundstücksübertragung zwischen dem Sohn und den Klägern einen unentgeltlichen Vorgang.

Die von den Klägern erhobene Sprungklage hatte teilweise Erfolg.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Der Grundstückskaufvertrag zwischen den Klägern und ihrem Sohn halte wegen des überhöhten Kaufpreises einem Fremdvergleich nicht stand. Ein fremder Dritter hätte wegen der bestehenden Nießbrauchsrechte nicht den Betrag von 550 000 DM für das Grundstück gezahlt. Durch Auslegung des Vertrags ergebe sich, daß von einer Schenkung des Geldbetrags an den Sohn und einer unentgeltlichen Grundstücksübertragung auszugehen sei.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA einen hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags vorläufigen Änderungsbescheid erlassen, den die Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht haben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat mit unzureichender Begründung die Möglichkeit ausgeschlossen, daß der gesamte Vertrag über das Grundstück einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i. S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) darstellt.

1. Ein Mißbrauch im Sinne dieser Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung bei einer Gestaltung gegeben, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (vgl. das Senatsurteil vom 19. Juni 1991 IX R 134/86, BFHE 164, 498, BStBl II 1991, 904, m. w. N.). Eine Vertragsgestaltung ist indes nicht schon deshalb als rechtsmißbräuchlich anzusehen, weil die Vertragsbeteiligten mit ihr den Zweck verfolgen, für sie günstige steuerliche Vorschriften zum Zuge kommen zu lassen. Das Gestaltungsmotiv der Ersparnis von Steuern macht die Gestaltung nicht unangemessen (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272).

2. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 AO 1977 hat das FG zu Unrecht im wesentlichen nur unter Hinweis auf die veränderte Interessenlage verneint, ohne die Gesamtumstände des Falles umfassend zu beurteilen. Darin liegt ein materieller Rechtsfehler, der auch ohne entsprechende Rüge vom Revisionsgericht zu beachten ist und zur Aufhebung der vom FA angefochtenen Vorentscheidung führt. Für die Unangemessenheit der Gestaltung spricht, daß eine im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge vorgenommene Grundstücksschenkung unter nahen Angehörigen durch ein entgeltliches Geschäft (Kaufvertrag) rückgängig gemacht wurde, obwohl eine unentgeltliche Rückübertragung verbunden mit einer Geldschenkung oder einer Darlehensgewährung näher gelegen hätte. Der angestrebte Erfolg, die finanzielle Unterstützung des Sohnes, hätte auch grundsätzlich durch Hingabe eines Darlehens erreicht werden können. Für eine unangemessene Gestaltung spricht ferner, daß das ursprünglich im Wege der Schenkung unter Vorbehalt verschiedener Nießbrauchsrechte übertragene Grundstück zu einem seinen Wert weit übersteigenden ,,Entgelt" zurückübertragen wurde. Dabei ist auch zu beachten, daß der zinslos gestundete ,,Kaufpreis" anders als vereinbart entrichtet wurde; ob die tatsächliche Zahlungsweise dazu geführt hat, daß die finanzielle Auswirkung im Vergleich zu dem ursprünglich vereinbarten Zahlungsmodus im wesentlichen gleichgeblieben ist, ist entgegen der vom Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Ansicht unerheblich. Soweit das FG hierzu allein darauf verweist, daß der Sohn der Kläger den ,,Gegenwert" des Grundstücks zur Existenzbegründung benötigt habe, berücksichtigt es nicht, daß dieser Wert nach seinen eigenen Feststellungen weniger als die Hälfte des vom Sohn anscheinend benötigten Betrags von 550 000 DM betragen hat und daß der Sohn 1978 noch ein weiteres Grundstück in . . . für 200 000 DM zurückverkauft hat. Insbesondere im Hinblick darauf, daß die Kläger den Finanzbedarf des Sohnes decken wollten, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Vereinbarung der entgeltlichen Rückgängigmachung einer Schenkung allein auf schenkungs- und einkommensteuerrechtlichen Gründen beruht. Zur steuerlichen Anerkennung der getroffenen Vereinbarungen bedarf es jedoch nichtsteuerlicher Gründe für die gewährte Gestaltung. Diese sind nach den bisherigen Feststellungen des FG nicht hinreichend ersichtlich. Zwar geht der Senat mit dem FG davon aus, daß bei der Schenkung im Jahre 1972 die spätere Rückübertragung weder beabsichtigt noch absehbar gewesen ist. Dies schließt aber die Anwendbarkeit des § 42 AO 1977 nicht notwendigerweise aus; denn maßgebend sind in erster Linie die Verhältnisse im Streitjahr.

Im übrigen enthält die Vorentscheidung keine nähere Begründung dazu, daß und weshalb der abgeschlossene ,,Kaufvertrag" als gemischte Schenkung beurteilt werden kann.

3. Die hiernach nicht spruchreife Sache geht gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zurück. Bei der Prüfung, ob hinreichende nichtsteuerliche Gründe für die gewählte Vertragsgestaltung gegeben sind, wird das FG zu prüfen haben, welche Gründe die Kläger bewogen haben, statt einer Geldschenkung oder einer Darlehensgewährung den ungewöhnlichen Weg der entgeltlichen Rückübertragung des Grundstücks zu wählen. Dazu wird es ggf. den Sohn der Kläger hören müssen. Bedeutsam kann ferner sein, ob das Grundstück - wie das zweite Grundstück in . . . - später dem Sohn wieder unentgeltlich zugewendet wurde und ob die Kläger mit ihrer Tochter ähnliche Rechtsgeschäfte abgeschlossen haben. Das FG wird dabei zu beachten haben, daß die Kläger, die über den Abzug der AfA und der Schuldzinsen eine Steuerminderung erreichen wollen, eine erhöhte Pflicht zur Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts trifft (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 42 AO 1977 Tz. 21).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418443

BFH/NV 1992, 661

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