Leitsatz (amtlich)

Über die Frage, ob das Beklagte FA für den Erlaß des angefochtenen Verwaltungsakts örtlich zuständig war, kann nicht durch Zwischenurteil entschieden werden.

 

Normenkette

FGO §§ 99, 155; ZPO §§ 274-275, 304

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde seit dem Jahre 1958 in B. vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA B.) zur Körperschaftsteuer veranlagt. Im Jahre 1960 verlegte der Alleingesellschafter seinen Wohnsitz in das Ausland. Zugleich wurden Teile der Geschäftsleitung nach W. in ein anderes Bundesland verlegt. Auf Grund des Ergebnisses einer Betriebsprüfung kamen die FÄ B. und W. überein, daß das FA B. die streitigen Körperschaftsteuerveranlagungen für die Zeit bis 31. Dezember 1968 durchführe. Nachdem das FA B. die Körperschaftsteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume 1956 bis 1964 und für 1967 erlassen hatte, erklärte die Klägerin, daß sich ihre Geschäftsleitung schon seit 1960 in W. befinde und daß deshalb das FA W. für die Besteuerung zuständig sei.

Die Einsprüche gegen die angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide stützte die Klägerin auf mangelnde Zuständigkeit des FA B. und auf sachlich-rechtliche Gründe. Die Rüge mangelnder Zuständigkeit wies das FA B. zurück. In sachlich-rechtlicher Hinsicht hatte die Klägerin zum Teil Erfolg.

Im Klageverfahren machte die Klägerin erneut u. a. mangelnde Zuständigkeit des FA B. geltend.

Das FG wies durch Zwischenurteil die Klage "dem Grunde nach" ab, da das FA B. örtlich (und sachlich) zuständig gewesen sei (vgl. EFG 1972, 297). Es erscheine zweckmäßig, über die Zuständigkeit des FA vorab durch Zwischenurteil über den Grund im Sinn des § 99 FGO zu entscheiden. Die Frage der Zuständigkeit gehöre zum Grund des Anspruchs im Sinn dieser Vorschrift. Das FA, das einen Steueranspruch geltend mache, behaupte zwar nicht, die Körperschaft, der es angehöre sei Gläubigerin des Anspruchs. Aber es behaupte befugt zu sein, die Forderung geltend zu machen. Allerdings gehöre zivilprozeßrechtlich die Prozeßführungsbefugnis nicht zum Anspruchsgrund. Doch könne im Zivilprozeß hierüber ein Zwischenurteil ergehen. Diese Möglichkeit im finanzgerichtlichen Verfahren auszuschließen, wäre unverständlich. Prozeßökonomische Erwägungen geböten die Zulassung einer Vorabentscheidung über die Zuständigkeit des FA.

In ihrer Revision beantragt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Zwischenurteils und die Zurückverweisung der Sache an das FG, hilfsweise: das Rechtsmittel als Beschwerde zu behandeln (Hinweis auf den Beschluß des BFH vom 14. Juli 1971 I R 9/71, BFHE 103, 121, BStBl II 1971, 808). Sie rügt unrichtige Anwendung des § 99 FGO und wendet sich gegen die Bejahung der Zuständigkeit des FA B. durch das FG.

Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der VE.

1. Die Revision ist zulässig. Zu den Urteilen im Sinn des § 115 Abs. 1 FGO, gegen welche die Revision statthaft ist, gehören auch Zwischenurteile nach § 99 FGO. Sie können selbständig mit der Revision angefochten werden. Davon ging bereits die bisherige Rechtsprechung aus (vgl. BFH-Urteile vom 20. Juni 1968 IV R 222/66, BFHE 93, 365, BStBl II 1968, 804; vom 6. November 1969 IV R 209/67, BFHE 97, 407, BStBl II 1970, 188). Nur in Fällen, in denen ein Zwischenstreit mit einem Dritten durch Zwischenurteil entschieden wird (§ 82 FGO in Verbindung mit §§ 387, 402 ZPO), ist nicht die Revision, sondern die Beschwerde gegeben, über die der BFH durch Beschluß zu entscheiden hat (vgl. BFH-Beschluß I R 9/71).

2. Die Revision der Klägerin muß zur ersatzlosen Aufhebung der Vorentscheidung führen, weil der Erlaß eines Zwischenurteils unzulässig war.

Ein Zwischenurteil ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen statthaft. Erwägungen prozeßwirtschaftlicher Art können das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht ersetzen. Die FGO hat gegenüber dem früheren Rechtszustand, nach dem Zwischenentscheidungen über "selbständige Streitpunkte" zulässig waren (§ 284 Abs. 2 AO a. F.), die Möglichkeiten, Zwischenurteile zu erlassen, erheblich eingeschränkt. Selbständig anfechtbare Zwischenurteile können - von den oben zu 1. erwähnten Fällen abgesehen - nur über die Zulässigkeit der Klage sowie über den Grund des Anspruchs ergehen (§§ 97, 99 FGO). Die Zulässigkeit der Klage ist hier nicht streitig. Da Unzuständigkeit der Behörde die Anfechtbarkeit des erlassenen Verwaltungsakts begründet, muß dieser rechtliche Gesichtspunkt im Klagewege geltend gemacht werden können. Jedoch kann in diesem Klageverfahren die Prozeßführungsbefugnis der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, nicht zweifelhaft sein.

Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Zuständigkeit des FA zum Grund des Anspruchs im Sinn des § 99 FGO gehört. Sie ist eine der Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des Bescheids und gehört somit zum Streitgegenstand (vgl. Beschluß des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Zwar ist ein Verwaltungsakt nicht deshalb unwirksam, weil das FA örtlich unzuständig war (§ 79 AO) - der Senat braucht auf den weiterreichenden Gesichtspunkt der sog. verbandsmäßigen Zuständigkeit hier nicht einzugehen (vgl. dazu zuletzt BFH-Urteil vom 23. November 1972 VIII R 42/67, BFHE 108, 10, BStBl II 1973, 198) -; erweist sich aber die Rüge mangelnder örtlicher Zuständigkeit als berechtigt, so muß der Verwaltungsakt aufgehoben werden.

Gehört somit die Zuständigkeit des FA zum Grund des Anspruchs (Steueranspruchs), so erschöpft sie diesen indes nicht. Die Zuständigkeitsfrage bildet einen unter mehreren Streitpunkten, die sämtlich den Grund des Anspruchs betreffen. Ein Zwischenurteil über einzelne Streitpunkte aber ist, wie ausgeführt, nach den Vorschriften der FGO nicht zulässig. Eine Vorabentscheidung über den Grund des Anspruchs muß zu allen Streitpunkten, die den Anspruchsgrund ausmachen, ergehen, so daß für die endgültige Entscheidung in dem anschließenden sog. Nach- oder Betragsverfahren nur noch über die Höhe des Steueranspruchs zu befinden ist. Im Nach- oder Betragsverfahren darf nicht mehr über Teile des Anspruchsgrundes zu entscheiden sein. Dies entspricht der allgemeinen Auffassung im Zivilprozeßrecht (vgl. Schumann-Leipold bei Stein-Jonas-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., 1972, Anm. I 2b zu § 304; Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 31. Aufl., 1973, Anm. 3 B zu § 304; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., 1969 S. 266, 268) und ebenso für Leistungsklagen im Verwaltungsprozeßrecht (vgl. die Kommentare zur VwGO: Klinger, 2. Aufl., 1964, Anm. B 1 zu § 111, S. 515; Koehler, Anm. IV 3 zu § 111, S. 828; Redeker-von Oertzen, 4. Aufl., 1971, Anm. 6 zu § 111, S. 464). Für die Auslegung der Vorschrift des § 99 FGO, welche den Vorschriften des § 304 ZPO und § 111 VwGO nachgebildet ist, kann, wenngleich für das finanzgerichtliche Verfahren die Anwendbarkeit des Grundurteils auf Anfechtungsklagen ausgedehnt ist, nichts anderes gelten (vgl. v. Wallis-List bei Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Rdnr. 10 zu § 99 FGO; Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1970, Rdnr. 12 zu § 99). Sonst könnte entgegen der vom Gesetzgeber mit der Zulassung einer Vorabentscheidung über den Grund verfolgten Absicht der Fall eintreten, daß eine zum Anspruchsgrund gehörende einzelnen Frage in einer selbständigen Entscheidung bejaht wird und sich in dem weiteren Verfahren erweist, daß der Anspruchsgrund im ganzen aus einem anderen Gesichtspunkt zu verneinen ist, ohne daß noch auf die Höhe des Betrages einzugehen wäre. So liegt in einer bejahenden Entscheidung zur Frage der Zuständigkeit der Steuerbehörde noch nicht die Feststellung, daß der Steueranspruch besteht.

Mit dieser Auffassung setzt sich der erkennende Senat nicht in Widerspruch zu dem Urteil des IV. Senats des BFH IV R 209/67, in dem ausgeführt wurde, daß es sich bei der Entscheidung über einen einzelnen Streitpunkt (dort Wertberichtigungsposten) nicht um den Grund, sondern um die Höhe, d. h. den Betrag des Anspruchs handle. Denn daraus ist nicht zu schließen, daß sachlichrechtliche Streitpunkte stets nur den Betrag beträfen. In ihrer Gesamtheit bilden sie zunächst den Grund des Anspruchs (vgl. Gräber, Deutsches Steuerrecht 1968 S. 238). Über den Grund in diesem Sinn, d. h. über das Bestehen des Steueranspruchs dem Grunde nach, hat aber das FG im Streitfall nicht entschieden.

3. Der Erlaß eines selbständig anfechtbaren Zwischenurteils über die Zuständigkeit der Behörde kann auch nicht mit entsprechender Anwendung zivilprozeßrechtlicher Vorschriften in Verbindung mit § 155 FGO begründet werden. Denn solche Zwischenurteile können nur ergehen, sofern es sich um prozeßhindernde Einreden im Sinn des § 274 ZPO handelt (§ 275 Abs. 2 ZPO). Zu ihnen gehört die Rüge mangelnder Prozeßführungsbefugnis nicht. Über die Frage der Prozeßführungsbefugnis kann nur durch ein nicht selbständig anfechtbares Zwischenurteil nach § 303 ZPO entschieden werden (vgl. Rosenberg-Schwab, a. a. O., S. 203). Selbst wenn somit die Voraussetzung des FG zuträfe, daß die verwaltungsrechtliche Zuständigkeit der Behörde und die Prozeßführungsbefugnis im zivilprozeßrechtlichen Sinn gleichzubehandeln seien, könnte dies nicht den Erlaß eines mit der Revision selbständig anfechtbaren Zwischenurteils rechtfertigen. Abgesehen hiervon gehört, wie dargelegt, die Frage der Zuständigkeit der Behörde im verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren zur Sachlegitimation und nicht zu den Prozeßvoraussetzungen. Der Streit um die Sachlegitimation aber kann auch im Zivilprozeß keinesfalls durch ein Zwischenurteil entschieden werden (vgl. Schumann-Leipold. a. a. O., Anm. I 2b zu § 304 Abs. 1, S. 1241).

4. Das FG hätte im übrigen - worauf die Klägerin mit Recht hinweist - von seinem Standpunkt aus die Klage nicht "dem Grunde nach" abweisen dürfen. Denn wenn die Klage schon dem Grunde nach erfolglos ist, bleibt für eine Entscheidung zur Höhe des Steueranspruchs kein Raum. Tatsächlich wollte das FG - von seinem Standpunkt aus zutreffend - der Klägerin die Möglichkeit offenhalten, in dem weiteren Verfahren ihre sachlich-rechtlichen Einwendungen gegen den Steueranspruch geltend zu machen. Der Senat braucht diese Frage indes nicht zu vertiefen, weil die Vorentscheidung schon aus den obigen Gründen aufzuheben ist.

Mit der Aufhebung des Zwischenurteils befindet sich der Rechtsstreit wieder in der Lage, die vor dem Erlaß der Vorentscheidung bestanden hatte. Einer förmlichen Zurückverweisung bedarf es deshalb nicht (vgl. BFH-Urteil IV R 209/67).

 

Fundstellen

Haufe-Index 70852

BStBl II 1974, 359

BFHE 1974, 460

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