Entscheidungsstichwort (Thema)

Monatsfrist nach § 68 Satz 2 FGO n.F.; keine zumutbare Eigenbelastung bei Kinderbetreuungskosten alleinerziehender Eltern; Pflicht zur Vorlage beim FA eingereichter Unterlagen

 

Leitsatz (NV)

  1. Erklärt der Kläger einen ändernden Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens, ist die wegen des gegen den ursprünglich angefochtenen Bescheid eingelegten Einspruchs angeordnete Aussetzung des Verfahrens hinfällig.
  2. Ist ein ändernder Bescheid noch vor dem 1. Januar 1993 bekanntgegeben worden, kann er noch nach Ablauf der durch das FGOÄndG eingeführten Erklärungsfrist von einem Monat (§ 68 Satz 2 FGO n.F.) zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden.
  3. Hat der Kläger nach seiner Ansicht die zum Nachweis geltend gemachter Aufwendungen geeigneten Unterlagen unmittelbar beim FA eingereicht, muß das FG diese vom FA anfordern, es sei denn, er wäre mit dem entsprechenden Vorbringen ausgeschlossen.
  4. Das FA ist gemäß § 86 Abs. 1 FGO verpflichtet, die bei ihm nach Klageerhebung eingereichten Unterlagen dem FG vorzulegen.
 

Normenkette

EStG § 33c Abs. 1; FGO §§ 68, 74, 76 Abs. 1, § 77 Abs. 2, § 86 Abs. 1, § 96 Abs. 2; FGOÄndG Art. 7 S. 1; ZPO § 421; GG Art. 103 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist von Beruf … Im Streitjahr (1984) erzielte sie Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit. Sie war geschieden und hatte zwei Kinder. Da sie keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Besteuerungsgrundlagen und erließ einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid. Im Einspruchsverfahren gab die Klägerin die Einkommensteuererklärung ab; das FA erkannte die geltend gemachten Werbungskosten nur zum Teil an.

Mit der im Jahre 1988 erhobenen Klage kündigte die Klägerin die Vorlage von noch zu beschaffenden Unterlagen für weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit an. Das Finanzgericht (FG) beraumte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 27. Februar 1990 an. Am 26. Februar 1990 ging beim FG ein Schriftsatz ein, mit dem der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin die Aufhebung des Termins mit der Begründung beantragte, er habe mit Schreiben vom 22. Februar 1990 dem FA diverse Unterlagen übersandt und der Rechtsstreit werde voraussichtlich außergerichtlich beigelegt. Eine Abschrift des Schreibens vom 22. Februar 1990 war beigefügt.

In der am 27. Februar 1990 durchgeführten mündlichen Verhandlung, zu der für das FA niemand erschienen war, beantragte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, dem FA eine Frist zur Äußerung auf das Schreiben vom 22. Februar 1990 einzuräumen, und hilfsweise, die noch streitigen Werbungskosten, nämlich Aufwendungen für ein Arbeitszimmer, für ein Seminar in Kiel, 1 200 DM als Betriebsausgabenpauschale bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit zu berücksichtigen sowie einen Rechenfehler von 85 DM zu korrigieren.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte u.a. aus, es hätten ihm keine Unterlagen für die in Höhe von 2 496,69 DM geltend gemachten Werbungskosten vorgelegen.

Es bestehe kein Anlaß, die Sache zu vertagen, damit das FA Stellung nehmen oder den Sachverhalt erforschen könne. Da die Klage bereits am 9. August 1988 eingegangen, der Termin aber erst zum 27. Februar 1990 anberaumt worden sei, habe die Klägerin ausreichend Zeit gehabt, dem Gericht die Sache so vorzutragen, daß das FA hätte Stellung nehmen können.

Mit der ―vom erkennenden Senat zugelassenen― Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1984 geändert und die durch das Steueränderungsgesetz 1991 erhöhten Kinderfreibeträge gewährt und den Änderungsbescheid vom 31. Oktober 1991 hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrages für vorläufig erklärt. Dagegen hat die Klägerin Einspruch eingelegt und die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragt. Mit Beschluß vom 14. Oktober 1992 hat der erkennende Senat das Revisionsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des Einspruchsverfahrens ausgesetzt. Das FA hat darauf mitgeteilt, die Klägerin habe nur wegen der Besteuerung des Existenzminimums und des Familienlastenausgleichs Einspruch eingelegt. Dem habe es dadurch Rechnung getragen, daß es am 13. November 1992 den Bescheid hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrages, der Kinderfreibeträge, des Haushaltsfreibetrages und der Kinderbetreuungskosten für vorläufig erklärt und das Ruhen des Verfahrens bis zu einer endgültigen Entscheidung verfügt habe. Einem Fortgang des Revisionsverfahrens stehe daher nichts entgegen.

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 25. Januar 1993 den Bescheid in Gestalt der Vorläufigkeitsverfügung vom 13. November 1992 zum Gegenstand des Verfahrens erklärt. Ihren ursprünglichen Antrag, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, hat sie unter Bezug auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. September 1992 III B 43/92 (BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123) aufrechterhalten. Nach ihrer Ansicht ist der Beschluß des erkennenden Senats vom 14. Oktober 1992 daher nicht aufzuheben. Am 3. Mai 1999 hat sie mitgeteilt, daß trotz ihres Antrages vom 25. Januar 1993, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, der Einspruch vom 29. November 1991 vorrangig zu bearbeiten sei. Hierzu sei das FA aufzufordern. Im übrigen sei eine Aussetzung des Verfahrens aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr erforderlich.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Revisionsverfahren ist nicht mehr i.S. von § 74 FGO ausgesetzt. Da die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. Januar 1993 den zwischenzeitlich vom FA zuletzt am 13. November 1992 geänderten Einkommensteuerbescheid 1984 zum Gegenstand des Verfahrens erklärt hat (§ 68 FGO), ist der Beschluß des erkennenden Senats über die Aussetzung des Verfahrens analog § 74 FGO vom 14. Oktober 1992 hinfällig. Sie hat damit klar zu erkennen gegeben, daß das Revisionsverfahren Vorrang vor dem gegen den Änderungsbescheid vom 31. Oktober 1991 eingelegten Einspruch haben soll. Inzidenter hat sie damit den Einspruch zurückgenommen (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Juli 1996 I B 110/95, BFH/NV 1997, 27, m.w.N.). Etwas anderes folgt auch nicht aus der mit Wirkung vom 1. Januar 1993 eingefügten Regelung (§ 68 Satz 2 FGO i.d.F. des FGO-Änderungsgesetzes ―FGOÄndG― vom 21. Dezember 1992, BGBl I, 2109, BStBl I 1993, 90), wonach der Änderungsbescheid nur innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden kann. Da der Änderungsbescheid vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung bekanntgegeben wurde, konnte er nach der weiterhin maßgebenden früheren Fassung des § 68 FGO unbefristet zum Gegenstand des Verfahrens erklärt werden (arg. Art. 7 Satz 1 FGOÄndG; BFH-Urteil vom 24. Februar 1994 V R 74/92, BFH/NV 1995, 365; Beschluß vom 4. März 1999 III R 235/90, BFH/NV 1999, 1121).

Es besteht auch kein Grund, die Entscheidung des Rechtsstreits erneut analog § 74 FGO auszusetzen. Das FA hat zwar in dem zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Einkommensteuerbescheid vom 31. Oktober 1991 die geltend gemachten Kinderbetreuungskosten (2 013 DM) wegen der nach seiner Ansicht zu berücksichtigenden zumutbaren Belastung nicht zum Abzug zugelassen.

Wie die Klägerin selbst vorträgt, ist eine Aussetzung des Verfahrens aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr erforderlich. Durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, daß die Kinderbetreuungskosten alleinerziehender Eltern (§ 33c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ―EStG― 1985) nicht um die zumutbare Belastung zu kürzen sind (Senatsurteil vom 27. Juni 1996 IV R 4/84, BFHE 181, 31, m.w.N.). § 33c EStG war im Streitjahr (1984) anzuwenden (§ 53 Abs. 23 b i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1985 vom 14. Dezember 1984, BGBl I 1984, 1493, BStBl I 1984, 659). Dieser Auffassung hat sich inzwischen auch die Finanzverwaltung angeschlossen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. Oktober 1996, BStBl I 1996, 1256).

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Dabei kann dahinstehen, ob das FG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2, § 119 Satz 1 Nr. 3 FGO) dadurch verletzt hat, daß es den gestellten Vertagungsantrag übergangen hat. Denn jedenfalls hat das FG seiner Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) nicht genügt (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660).

Das FG hätte dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Klägerin, die Sache zu vertagen, entsprechen müssen. Denn die Klägerin hatte die gesamten, ihrer Ansicht nach zum Nachweis der geltend gemachten Aufwendungen geeigneten Unterlagen dem beklagten FA eingereicht. Mit dem Vertagungsantrag wollte die Klägerin erreichen, daß das FG die eingereichten Belege berücksichtigen sollte. Die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozeßparteien einschließlich der Beweisanträge zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, schließt es aus, diese aus Gründen, die außerhalb des Prozeßrechts liegen, unberücksichtigt zu lassen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1978 1 BvR 158/78, BVerfG 50, 32, 35 ff.). Da weder der Vorsitzende noch der Berichterstatter der Klägerin eine Ausschlußfrist gesetzt hatte, binnen der sie zu den strittigen Fragen weitere Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen hätte, hätte das Gericht diese Urkunden vom FA anfordern müssen (§ 86 Abs. 1 FGO). Damit fehlt es an der Voraussetzung, um das Vorbringen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als verspätet zurückzuweisen (BFH-Urteile vom 28. Mai 1986 I R 75/83, BFHE 146, 573, BStBl II 1986, 753; vom 9. April 1991 IX R 57/90, BFH/NV 1992, 51, und vom 17. Oktober 1996 V B 75/96, BFH/NV 1997, 415). Eine Präklusion kommt nur in Betracht, wenn die betroffene Prozeßpartei ihre prozessualen Mitwirkungspflichten in besonders gravierender Weise verletzt hat; das Gericht hätte daher den Antrag der Klägerin zur Kenntnis nehmen und die dem FA eingereichten Unterlagen anfordern müssen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 30. Januar 1985 1 BvR 99/84, BVerfGE 69, 126; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, Rechtsspruch 36; Senatsurteil vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232).

Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt vom Amts wegen. Es ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO). Das gilt aber nur in dem Sinne, daß das FG von sich aus auch Beweise erheben kann, die von den Parteien nicht angeboten sind (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1988 III R 59/83, BFH/NV 1989, 38). Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muß das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Unter diesen Umständen durfte das FG auf die beantragte Beweiserhebung nicht verzichten. Das ist in der Regel nur dann zulässig, wenn es auf das Beweismittel nicht ankommt, das Gericht die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsachen zugunsten der betreffenden Beteiligten unterstellt, das Beweismittel unerreichbar ist oder der Beweisantrag unsubstantiiert ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1996 II R 39/94, BFH/NV 1996, 757, m.w.N.). Das FG hat weder unterstellt, daß die dem FA eingereichten Unterlagen die Richtigkeit des Sachvortrags der Klägerin ergeben, noch waren diese Unterlagen für das Gericht unerreichbar. Das Begehren der Klägerin war auch nicht unsubstantiiert. Denn sie hatte in ihrem Schriftsatz vom 22. Februar 1990 die dem FA eingereichten Belege im einzelnen (Seminarunterlagen, Teilnehmerkarten nebst Anwesenheitsattest) bezeichnet.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, daß die Klägerin es unterlassen hatte, die Belege in der Zeit zwischen Klageerhebung und Ladung zur mündlichen Verhandlung dem FG im Original oder in Abschrift vorzulegen (§ 77 Abs. 2 FGO). Wie sich aus § 77 Abs. 2 Satz 2 FGO ergibt, genügt die genaue Bezeichnung der dem Gegner bereits bekannten Urkunden mit dem Anerbieten, bei Gericht Einsicht zu gewähren. Auch wenn die FGO nicht ausdrücklich auf § 421 der Zivilprozeßordnung verweist, der die Vorlage von Urkunden durch den Gegner regelt, ist es nicht nur ein nobile officium des FG, dafür zu sorgen, daß sie ihm in der mündlichen Verhandlung vorliegen. Denn auch nachträglich eingereichte Urkunden unterfallen § 86 Abs. 1 FGO und sind dem Gericht vorzulegen.

Wegen dieses Verfahrensfehlers bedarf es im Streitfall der Aufhebung des FG-Urteils, weil nicht auszuschließen ist, daß das FG nach ordnungsgemäßer Durchführung der Beweisaufnahme zu einem anderen Ergebnis gelangt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424956

BFH/NV 2000, 718

DStZ 2000, 528

HFR 2000, 504

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