Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum absoluten Revisionsgrund des Mangels in der Vertretung

 

Leitsatz (NV)

1. Wird im schriftlichen Verfahren entschieden, obwohl auf mündliche Verhandlung nicht wirksam verzichtet wurde, so liegt darin ein Verfahrensmangel i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr.3, 119 Nr.4 FGO.

2. Wer von einem Prozeßbevollmächtigten nur zur Akteneinsicht ermächtigt wurde, kann keine wirksame Verzichtserklärung i.S. des § 90 Abs. 2 FGO abgeben.

 

Normenkette

FGO §§ 62, 90 Abs. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 4

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

In dem wegen Änderung des Einkommensteuerbescheides 1986 vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahren war in Übereinstimmung mit der Prozeßvollmacht vom 8. Januar 1990 der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsverfahrens für den Kläger und Revisionskläger (Kläger) aufgetreten.

Außerdem hatten sich die Rechtsanwälte (R) mit der Bitte um Akteneinsicht an das FG gewandt und als Ziel dieses Begehrens angegeben, es sollten Schadensersatzansprüche gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten geltend gemacht werden. In der hierzu eingereichten Vollmacht vom 9. Oktober 1990 ist der Gegenstand der Ermächtigung mit ,,Akteneinsicht" bezeichnet. Nach dem Text des Formulars, auf dem die Vollmacht erteilt wurde und auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, soll sich die Vollmacht außerdem auf 14 verschiedene, enumerativ aufgezählte Punkte erstrecken.

In einem weiteren Schriftsatz vom 12. November 1990 erkundigten sich R ,,für den Kläger" nach dem Stand des Verfahrens und teilten mit, dieser sei mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Daraufhin und auf eine entsprechende Verzichtserklärung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erließ das FG am 5. September 1991 ein klageabweisendes Urteil, das R als Prozeßbevollmächtigte ausweist und diesen zugestellt wurde. Auf deren Intervention hin erging schließlich ein auf § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützter Beschluß, demzufolgeim Rubrum des Urteils an die Stelle der R nunmehr der Prozeßbevollmächtigte trat, dem am 4. Dezember 1991 eine berichtigte Urteilsausfertigung nebst Berichtigungsbeschluß zugestellt wurde.

Mit der - vom Prozeßbevollmächtigten eingelegten - Revision rügt der Kläger Verletzung formellen Rechts: Er ist der Meinung, das FG-Urteil enthalte einen Verfahrensfehler i.S. der §§ 116 Abs. 1 Nr.3, 119 Nr.4 FGO, weil das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, obgleich R zur Abgabe einer Verzichtserklärung nach § 90 Abs. 2 FGO nicht befugt gewesen seien.

Das FA geht von einer wirksamen Verzichtserklärung aus.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO).

Einer Revisionszulassung bedurfte es nicht, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel unter die §§ 116 Abs. 1 Nr.3, 119 Nr.4 FGO fällt: Als nicht ordnungsgemäß vertreten i.S. dieser Vorschrift gilt ein Beteiligter auch dann, wenn über sein Begehren

durch Urteil im schriftlichen Verfahren entschieden wurde, obwohl er auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet hat (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Oktober 1970 V R 115/67, BFHE 100, 432, BStBl II 1971, 113; vom 25. August 1982 I R 120/82, BFHE 136, 518, BStBl II 1983, 46, und vom 11.August 1987 IX R 135/83, BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141). Gleiches gilt, wenn ein solcher Verzicht nicht wirksam erklärt wurde. Das war hier der Fall: Befugt, eine solche Prozeßhandlung vorzunehmen, war nach der schriftlichen Vollmacht am 8. Januar 1990 allein der Prozeßbevollmächtigte. An dieser Rechtslage hatte sich durch die Vorlage der Vollmacht vom 9. Oktober 1990 nichts geändert, weil die darin liegende Ermächtigung ausdrücklich auf Akteneinsicht beschränkt war. Das ergibt sich nicht nur aus dem Text der Vollmachtsurkunde, sondern auch aus den Umständen, unter denen sie vorgelegt wurde: Akteneinsicht und diesbezügliche Vollmacht hatten mit dem beim FG anhängigen Klageverfahren erklärtermaßen unmittelbar nichts zu tun, sollten vielmehr der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten dienen. Demgegenüber kommt den im Formulartext der zweiten Vollmacht aufgezählten Möglichkeiten der Erstreckung der Ermächtigung keine Bedeutung für das finanzgerichtliche Verfahren zu: Abgesehen davon, daß diese Verfahrensart in den 14 Punkten - anders als z.B. das sozialgerichtliche Verfahren - nicht erwähnt ist, passen die im Formular genannten Ausdehnungsvarianten nicht zu dem ausschließlichen Ermächtigungszweck, nämlich dem der Akteneinsicht.

Der Verfahrensfehler kann nur im zweiten Rechtsgang geheilt werden. Die Vorschrift des § 126 Abs. 4 FGO ist nicht anwendbar (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 126 Rz.7).

 

Fundstellen

Haufe-Index 418817

BFH/NV 1993, 372

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