Leitsatz (amtlich)

1. Für Mais, der nach dem 31. Juli 1974 zu Stärke verarbeitet worden ist, durfte die zuvor nach den damals geltenden hohen Sätzen gewährte Produktionserstattung nach Maßgabe des ab 1. August 1974 geltenden niedrigeren Satzes teilweise zurückgefordert werden.

2. Vom Erstattungsempfänger durfte auch die Herausgabe der Nutzungen gefordert werden, die er aus den zu Unrecht empfangenen Erstattungen tatsächlich gezogen hatte.

3. Der Grundsatz von Treu und Glauben hat nur insoweit Verfassungsrang, als er Verfassungsrecht ergänzt.

 

Normenkette

EWGV 120/67 Art. 11 Abs. 1 Buchst. a; EWGV 371/67 Art. 1; EWGV 1060/68 Art. 3; EWGV 1132/74; EWGV 2012/74 Art. 2 Abs. 3; BGB § 818 Abs. 1; Treu und Glauben

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt seit 1968 Produktionserstattungen für die Verarbeitung von Mais zu Stärke. Die Produktionserstattung wurde jeweils auf Antrag durch Bescheid festgesetzt, nachdem der Mais der zollamtlichen Überwachung unterstellt worden war, und nach dem Erstattungssatz bemessen, der an dem Tage galt, an dem der Antrag auf Überwachung gestellt worden war.

Am 31. Juli 1974 betrug nach den Ergebnissen einer Betriebsprüfung der Bestand an Mais, der der zollamtlichen Überwachung unterstellt, aber noch nicht verarbeitet worden war, 63 172, 110 Tonnen (t). Für diese Menge war eine Produktionserstattung nach dem Satz von 144,39 DM/t gewährt worden. Der genannte Maisbestand wurde nach dem 31. Juli 1974 innerhalb der zugestandenen Bearbeitungsfrist zu Stärke verarbeitet. 31 190,025 t dieses Bestandes waren zwischen dem 11. und 31. Juli 1974 unter zollamtliche Überwachung gestellt worden.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –) kürzte aufgrund der Bekanntmachung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) vom 9. Juli 1974 (Bundesanzeiger – BAnz – Nr. 124 vom 10. Juli 1974, Bundeszollblatt – BZBl – 1974, 749) für die letztgenannte Menge die gewährte Erstattung um 51,24 DM/t, gewährte also für diese Menge die Erstattung nur mehr nach dem Satz von 93,15 DM/t. Die danach zuviel gezahlte Erstattung forderte das HZA mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. September 1974 zurück. Der Rückforderungsbetrag belief sich auf 1 324 545,03 DM. Zuzüglich forderte das HZA 9 v. H. Zinsen für die Zeit vom 20. August 1974 bis 10. September 1974 nach Abschn. IX Nr. 3 der Bekanntmachung des BML über die Gewährung einer Produktionserstattung für Mais, Weichweizen und Bruchreis zur Herstellung von Stärke oder Quellmehl vom 22. Dezember 1967 (BAnz Nr. 244 vom 30. Dezember 1967, BZBl 1968, 30). Das ergab einen Betrag von 7 616,22 DM.

Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin im wesentlichen mit der Begründung, ihm fehle eine gültige Rechtsgrundlage, da die Bekanntmachung vom 9. Juli 1974 nur eine Verwaltungsanweisung und keine Rechtsnorm sei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hob den Rückforderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Zur Begründung führte es aus:

Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 120/67 (VO Nr. 120/67) des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – 1967, 2269, BZBl 1967, 962) i. V. m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 371/67 (VO Nr. 371/67) des Rates vom 25. Juli 1967 (ABlEG 174/40 vom 31. Juli 1967) seien für den Anspruch auf Produktionserstattung alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale ausreichend festgelegt worden, so daß es keiner, vor allem keiner nationalen Ausführungsvorschriften mehr bedurft habe. Die Regelung bringe klar zum Ausdruck, daß der Gewerbebetrieb, der aus Mais Stärke herstelle, gegen die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) einen Anspruch auf Produktionserstattung habe und wie hoch dieser Anspruch sei (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 13. Januar 1976 VII R 29/72, BFHE 118, 386). Diese Regelung gelte unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Durch die Bekanntmachung vom 9. Juli 1974 habe dieser Anspruch nicht eingeschränkt werden können. Die Bekanntmachung widerspreche, soweit sie eine Verringerung der Erstattung für den nicht bis zum 31. Juli 1974 verarbeiteten Mais vorsehe, dem Gemeinschaftsrecht. Die Mitgliedstaaten seien nicht berechtigt, einseitig Vorschriften, die dem Gemeinschaftsrecht zuwiderliefen, zu erlassen. Sie hätten lediglich noch einen gewissen Entscheidungsspielraum hinsichtlich technischer Abläufe.

Das HZA könne sich für seine Auffassung nicht auf die Verordnung (EWG) Nr. 1060/68 (VO Nr. 1060/68) der Kommission vom 24. Juli 1968 (ABlEG L 179/38 vom 25. Juli 1968), Nr. 2012/74 (VO Nr. 2012/74) der Kommission vom 30. Juli 1974 (ABlEG L 209/74 vom 31. Juli 1974) und Nr. 2026/75 (VO Nr. 2026/75) der Kommission vom 4. August 1975 (ABlEG L 206/5 vom 5. August 1975) berufen. Die VO Nr. 1060/68 führe das System der Vorauszahlung der Erstattung u. a. auch für Mais ein. Dieser Verordnung könne allenfalls entnommen werden, daß das Getreide innerhalb von 90 Tagen zu verarbeiten sei. Demgegenüber betrage die in der Bekanntmachung vom 9. Juli 1974 gesetzte Frist nur 0 bis 21 Tage. Aus den VO Nrn. 2012/74 und 2026/75 ergebe sich nichts anderes.

Mit seiner Revision rügt das HZA Verletzung der VO Nr. 1060/68 und der Verordnung (EWG) Nr. 1132/74 (VO Nr. 1132/74) des Rates vom 29. April 1974 (ABlEG L 128/24 vom 10. Mai 1974).

Auf Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) durch Urteil vom 15. Dezember 1982 Rs. 5/82 (EuGHE 1982, 4601, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1983, 177) für Recht erkannt:

„Die Erstattung bei der Erzeugung für zu Stärke verarbeiteten Mais mußte sowohl nach der bis zum 31. Juli 1974 als auch nach der im Anschluß daran geltenden Gemeinschaftsregelung gleich dem Unterschied zwischen dem Schwellenpreis und dem Beschaffungspreis sein, die am Tage der Verarbeitung des Maises galten.”

Zu diesem Urteil erklärte das HZA, es bestätige seine bisher vertretene Auffassung, weshalb seine Revision begründet sei.

Die Klägerin trägt dagegen folgendes vor: Der EuGH habe ausschließlich zu Fragen des Gemeinschaftsrechts, nicht aber zu solchen des nationalen Rechts Stellung genommen. Diese Unterscheidung spiele eine wichtige Rolle für die Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes. Zwar habe der EuGH in seiner Vorabentscheidung entschieden, eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Praxis eines Mitgliedstaates begründe niemals eine gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtsposition. Damit sei aber eine Beurteilung nach deutschem Recht nicht vorweggenommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zum überwiegenden Teil zur Abweisung der Klage und im übrigen zur Zurückverweisung an das FG.

1. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. September 1974 sind Produktionserstattungen, die für zwischen dem 11. und 31. Juli 1974 unter zollamtliche Überwachung gestellte Mengen von Mais vor dem 1. August 1974 zum Satz von 144,39 DM/t gezahlt worden waren, teilweise mit der Begründung zurückgefordert worden, für diese Mengen dürfte eine Erstattung nur zum Satz von 93,15 DM/t gewährt werden. Dieser Bescheid stellt rechtlich eine Änderung der ursprünglichen Erstattungsbescheide dar.

Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist Art. 2 Abs. 3 VO Nr. 2012/74. Nach dieser Bestimmung (Unterabsatz 1) wird die Erstattung unter Zugrundelegung des Schwellenpreises gezahlt, der am Tag der Annahme des Antrags auf amtliche Überwachung des Grunderzeugnisses galt. Die Erstattung wird jedoch entsprechend dem im Bearbeitungsmonat gültigen Schwellenpreis berichtigt und ist bei einer Senkung des Schwellenpreises in entsprechender Höhe zurückzuzahlen (Unterabsatz 2).

Art. 2 Abs. 3 VO Nr. 2012/74 ist am 1. August 1974 in Kraft getreten (vgl. Art. 7 Abs. 1). Diese Regelung war also im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids vom 12. September 1974 geltendes Recht. Sie war nicht etwa deswegen unanwendbar, weil die durch den Rückforderungsbescheid geänderten Bescheide vor dem 1. August 1974 ergangen waren. Eine (unechte) Rückwirkung entfaltete die Regelung des Art. 2 Abs. 3 VO Nr. 2012/74 schon deswegen nicht, weil sie im wesentlichen der Regelung entsprach, die bereits vor dem 1. August 1974 aufgrund der VO Nr. 1060/68 galt. Art. 1 dieser Verordnung sieht für unter zollamtliche Überwachung gestelltes Getreide eine „Vorauszahlung” der Erstattung vor. Endgültig gezahlt wird diese Erstattung aber unter Berücksichtigung des im Monat der Verarbeitung gültigen Schwellenpreises (Art. 3 VO Nr. 1060/68). Diese Regelung bedeutete zwangsläufig, daß bei inzwischen eingetretenen Änderungen der Erstattung die Vorauszahlungsbescheide entsprechend zu ändern waren. Es bedurfte daher in der VO Nr. 1060/68 auch keiner ausdrücklichen Berichtigungsvorschrift. In Art. 2 Abs. 3 Unterabsatz 2 der VO Nr. 2012/74 ist eine solche nur deswegen neu aufgenommen worden, weil nach dieser Verordnung die Zahlung im Zeitpunkt der Stellung unter zollamtliche Überwachung nicht mehr als „Vorauszahlung” qualifiziert wurde (vgl. auch Absatz 6 der Gründe der Vorabentscheidung des EuGH).

Daß die vorausgezahlte Erstattung nach Gemeinschaftsrecht zu berichtigen ist, wenn im Zeitpunkt der Verarbeitung des Getreides der Erstattungssatz (Unterschied zwischen Schwellen- und Beschaffungspreis) niedriger als im Zeitpunkt der Vorauszahlung war, ergibt sich auch aus der Vorabentscheidung des EuGH, die der erkennende Senat eingeholt hat. Der EuGH hat in Absatz 11 der Gründe seiner Entscheidung ausdrücklich ausgeführt, daß bereits vor 1975 das Gemeinschaftsrecht stillschweigend von dem Erfordernis ausging, daß die vor der Verarbeitung des Maises eingetretenen Veränderungen des Beschaffungspreises zu berücksichtigen seien.

2. Das HZA war somit nach Gemeinschaftsrecht nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die ursprünglichen Bescheide – die Vorauszahlungsbescheide hinsichtlich der streitbefangenen 31 190,025 t Waren (vgl. Abschn. I Nr. 2 der Bekanntmachung vom 9. Juli 1974) – entsprechend dem im Zeitpunkt der Verarbeitung gültigen niedrigeren Erstattungssatz zu berichtigen und die Zurückzahlung des Berichtigungsbetrages von der Klägerin zu fordern. Die Vorauszahlung für den bis zum 31. Juli 1974 unter zollamtliche Überwachung gestellten Mais betrug nach dem Gemeinschaftsrecht 144,39 DM/t (Unterschied zwischen dem Schwellenpreis von 107,45 RE/t und dem Beschaffungspreis von 68 RE/t, multipliziert mit dem Umrechnungskurs für die DM). Dieser Satz ermäßigte sich für den nach dem 31. Juli 1974 verarbeiteten Mais auf 90,04 DM/t (Unterschied zwischen dem Schwellenpreis von Mais für das Wirtschaftsjahr 1974/75 nach Art. 2 der Verordnung [EWG] Nr. 1125/74 – VO Nr. 1125/74 – des Rates vom 29. April 1974 – ABlEG – L 128/12 vom 10. Mai 1974, in Höhe von 106,60 RE/t und dem Beschaffungspreis in Höhe von 82 RE/t nach Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1132/74, multipliziert mit dem Umrechnungskurs für die DM).

Nach den zwischen den Beteiligten nicht streitigen Zahlen, von denen der angefochtene Rückforderungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung ausgeht, betrug der Maisbestand, der vor dem 1. August 1974 unter Überwachung gestellt und für den die Erstattung nach dem Satz 144,39 DM/t gezahlt worden war, am 31. Juli 1974 63 172,110 t. Für diese Menge, die nach den Feststellungen des FG nach dem 31. Juli 1974 innerhalb der zugestandenen Verarbeitungsfrist zu Stärke verarbeitet worden war, durfte also nach Gemeinschaftsrecht anstatt der tatsächlich gewährten Erstattung in Höhe des Satzes von 144,39 DM/t nur eine Erstattung in Höhe von 90,04 DM/t gewährt werden.

Das HZA hat nicht für die genannte Gesamtmenge die zuviel gezahlten Erstattungen durch den angefochtenen Bescheid zurückgefordert, sondern nur für 31 190,025 t. Es hat sich dabei von Abschn. I Nr. 1 a der Bekanntmachung vom 9. Juli 1974 leiten lassen, wonach sich die Erstattung nur für die Maismengen verringert, für die in der Zeit vom 11. bis 31. Juli 1974 der Antrag auf zollamtliche Überwachung gestellt und die am 31. Juli 1974 noch nicht verarbeitet worden waren. In dem genannten Zeitraum hat die Klägerin die letztgenannte Menge unter Überwachung gestellt. Überdies hat das HZA auch für diese Menge nicht die gesamte Differenz zwischen den beiden aufgeführten Erstattungssätzen zurückgefordert. Es ist vielmehr von einem Erstattungssatz für die Zeit ab 1. August 1974 in Höhe von 93,15 DM/t ausgegangen (Unterschied zwischen dem bis 31. Juli 1974 gültigen Schwellenpreis von 107,45 RE/t und dem ab 1. August 1974 gültigen Beschaffungspreis von 82 RE/t, multipliziert mit dem Umrechnungskurs für die DM), hat also die gewährte Erstattung nicht um 54,35 DM/t, wie es dem Gemeinschaftsrecht entsprochen hätte, gekürzt, sondern nur um den Satz von 51,24 DM/t.

Da eine Abänderung des angefochtenen Bescheides zuungunsten der Klägerin durch den erkennenden Senat nicht zulässig ist, können die Gründe dahingestellt bleiben, weswegen das HZA der Rückforderung eine niedrigere Menge als den zum 1. August 1974 festgestellten Bestand und einen niedrigeren als den richtigen Unterschiedsbetrag zugrunde legte. Jedenfalls war das HZA – falls nicht der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegensteht (vgl. die nachfolgenden Ausführungen unter Nr. 3) – befugt, zumindest für die Menge von 31 190,025 t 51,24 DM/t zurückzufordern.

3. Dieser Rückforderung steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes (Treu und Glauben) nicht entgegen. Der EuGH hat in seiner Vorabentscheidung im vorliegenden Fall auf den Einwand der Klägerin ein Verstoß gegen diesen Grundsatz ergebe sich aus der überraschenden Aufgabe einer langjährigen und von der Kommission niemals beanstandeten Praxis durch die Bundesrepublik, entschieden, daß eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßende Praxis eines Mitgliedstaates niemals eine gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtsposition begründen kann, und zwar auch dann nicht, wenn die Kommission es unterlassen hatte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Staat zu einer konkreten Anwendung der Gemeinschaftsregelung zu veranlassen. An diese Entscheidung ist der erkennende Senat gebunden.

Die Klägerin wendet sich zwar nicht gegen diese Entscheidung sie wendet aber ein, daß im vorliegenden Fall (auch) der deutsche Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben anwendbar sei und dieser dem angefochtenen Verwaltungsakt entgegenstehe. Es kann unentschieden bleiben, ob dieser Grundsatz wirklich den Inhalt hat, den ihm die Klägerin beimißt. Denn jedenfalls ist er hier nicht anwendbar.

Positivrechtliche Rechtsgrundlage der Rückforderung ist, wie unter Nr. 1 ausgeführt, Art. 2 Abs. 3 VO Nr. 2012/74, also eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts. Danach hat die Behörde unter den genannten Voraussetzungen die zuviel gezahlten Erstattungen zurückzufordern Art. 2 Abs. 3 VO Nr. 2012/74 begründet daher eine gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtsposition der Verwaltung. Diese dürfte freilich nicht verwirklicht werden, wenn ihr der gemeinschaftsrechtliche (ungeschriebene) Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegenstünde (was nach der Vorabentscheidung des EuGH nicht der Fall ist). Stünde dagegen der entsprechende Grundsatz des deutschen Rechts nicht im Einklang mit der aufgrund der genannten Bestimmung des Gemeinschaftsrechts begründeten Rechtsposition der Behörde, so wäre das unbeachtlich. Denn in diesem Fall ergäbe sich eine Kollision zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht. Diese wäre nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts dadurch zu lösen, daß das entgegenstehende nationale Recht ohne weiteres unanwendbar wird (vgl. z. B. Urteil des erkennenden Senats vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, 92, im BStBl nicht veröffentlicht). Der deutsche Grundsatz von Treu und Glauben muß hier also außer Betracht bleiben.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Frage, welche Rechtsfolgen aus der genannten Kollision zu ziehen sind, in Anwendung der Grundsätze des BVerfG-Beschlusses vom 29. Mai 1974 2 BvL 52/71 (BVerfGE 37, 271) anders zu entscheiden wäre, wenn der nationale Grundsatz von Treu und Glauben Verfassungsrang hätte (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 10. Juli 1968 VII 198/63, BFHE 93, 102, 108 ff., im BStBl nicht veröffentlicht). Denn diesen Rang hat der Grundsatz, soweit er für Fälle der vorliegenden Art in Betracht kommt, nicht.

Der deutsche öffentlich-rechtliche Grundsatz von Treu und Glauben ist ungesetztes Recht (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 1973 II R 180/72, BFHE 111, 188, BStBl II 1974, 182). Weder aus diesem Umstand noch aus der Tatsache, daß er aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbar ist, ergibt sich eine Aussage über seinen Rang. Dagegen ist von Bedeutung, daß der Grundsatz nicht isoliert und unabhängig von dem im zu entscheidenden Fall anwendbaren gesetzten Recht angewendet werden kann. Vielmehr ergänzt der Grundsatz von Treu und Glauben stets das jeweils in Betracht kommende gesetzte Recht (BFHE 111, 188, BStBl II 1974, 182), ist ihm immanent (Urteil vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, 94). Sein Rang bestimmt sich also nach dem Rang des Rechts, zu dessen Ergänzung er herangezogen wird (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 4 AO 1977 Anm. 51). Er hat daher nur insoweit Verfassungsrang, als er Verfassungsrecht ergänzt (Tipke/Kruse, a. a. O.). Der Streitfall betrifft die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Sinn einer Ergänzung einfachen (nationalen) Rechts.

4. Das HZA hat im angefochtenen Bescheid auch Zinsen in Höhe von 9 v. H. für die Zeit vom 20. August bis 11. September 1974 (= 7 616,22 DM) gefordert. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist diese Zinsforderung dem Grunde nach rechtmäßig. Ob sie in der geforderten Höhe gerechtfertigt ist, kann der erkennende Senat nicht entscheiden, weil entsprechende tatsächliche Feststellungen des FG fehlen.

Zu Unrecht hat sich zwar das HZA zur Begründung seiner Zinsforderung auf Abschn. IX Nr. 3 der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 berufen. Dieser Bestimmung fehlt die Rechtsnormqualität. Diese hätte sie auch dann nicht erhalten, wenn, wozu das FG keine Feststellungen getroffen hat, die Klägerin entsprechend Abschn. I Nr. 3 Buchst. c der Bekanntmachung vom 22. Dezember 1967 sich schriftlich verpflichtet hätte, die Bestimmungen der Bekanntmachung als für sie verbindlich anzuerkennen. Über eine solche Verpflichtung – der sich die Betroffenen bei einer Subventionsregelung praktisch nicht entziehen könnten – können allenfalls unmittelbar und unvermeidbar mit der begünstigenden Regelung verbundene Obliegenheiten (z. B. Antragspflicht) verbindlich werden. Sonstigen belastenden Regelungen – und die Regelung der Zinspflicht bei einer etwaigen Rückforderung der Erstattung ist eine solche – kann dagegen auf diesem Umweg die Qualität einer Rechtsnorm nicht verliehen werden. Dazu fehlt der Verwaltung die Kompetenz; sie kann diese nicht durch eine entsprechende Zustimmung der Betroffenen erhalten (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 29. August 1978 VII R 56/75, BFHE 126, 341, 344).

Eine Rechtsgrundlage für die Zinsforderung des HZA ist jedoch dem bei öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüchen anwendbaren, in § 818 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches zum Ausruck gekommenen allgemeinen Rechtsgrundsatz zu entnehmen, daß neben dem zu Unrecht empfangenen Geldbetrag auch die daraus gezogenen Nutzungen herauszugeben sind. Das hat der erkennende Senat mehrfach mit Bezug auf die Rechtsprechung des BVerwG und die verschiedenen Verzinsungsregelungen in den gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Erstattungsverordnungen entschieden (vgl. Urteil vom 2. November 1982 VII R 61/80, BFHE 137, 107, m. w. N.).

In Anwendung des genannten Rechtsgrundsatzes hat die Klägerin also die tatsächlich gezogenen Nutzungen herauszugeben. Es ist davon auszugehen, daß von einem Gewerbetreibenden wie der Klägerin Geldbeträge ertragbringend eingesetzt zu werden pflegen, Nutzungen also tatsächlich angefallen sind (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juli 1974 VII R 115/71, BFHE 113, 320, 323, und Urteil des FG Hamburg vom 24. April 1980 IV 21/79 H, Entscheidungen der Finanzgerichte 1980, 454). Ob aber die Zinsforderung des HZA den von der Klägerin tatsächlich gezogenen Nutzungen entspricht, setzt eine tatsächliche Würdigung voraus, die dem erkennenden Senat als Revisionsgericht versagt ist. Die Sache ist daher insoweit an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 510602

BFHE 1984, 325

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