Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen eines ausgebildeten und examinierten Volksschullehrers für das Studium am Heilpädagogischen Institut einer Universität, um die Lehrbefähigung an Sonderschulen zu erwerben, sind Fortbildungskosten, weil durch das Studium nur spezielle pädagogische und psychologische Kenntnisse vermittelt werden, die auf dem ausgeübten Lehrerberuf aufbauen und eine neue gesellschaftliche Stellung mit der Tätigkeit als Sonderschullehrer nicht verbunden ist.

 

Normenkette

EStG § 9

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionkläger (Kläger) ist Volksschullehrer. Zur Durchführung eines Studiums am Heilpädagogischen Institut der Pädagogischen Hochschule in A beurlaubte ihn sein Dienstherr unter Fortzahlung der Dienstbezüge. Das Ziel des Studiums, das eine abgeschlossene Ausbildung als Lehrer voraussetzt, ist die Lehrbefähigung als Sonderschullehrer. Nach dem Studienplan mußte der Kläger 1970 auch an 23 Tagen das Landeskrankenhaus für Psychiatrie in B aufsuchen. Zu den Studienveranstaltungen fuhr der Kläger mit seinem Pkw jeweils von seiner Wohnung in C. Der Kläger, der seine Fahrten als Dienstreisen ansieht, hat in der Einkommensteuererklärung für 1970 u. a. folgende Werbungskosten geltend gemacht:

Fahrtkosten nach A

an 95 Tagen x 160 km x 0,25 DM = 3 800 DM

Fahrtkosten nach B

an 23 Tagen x 220 km x 0,25 DM = 1 265 DM

Mehrverpflegungskosten 118 Tage x 22,40 DM

für 10- bis 12stündige Abwesenheit = 2 643 DM

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) bei der Einkommensteuerveranlagung zunächst die Fahrtkosten in voller Höhe und Mehrverpflegungskosten von 2,50 DM an 118 Tagen anerkannt hatte, verböserte er die Steuerfestsetzung im Einspruchsverfahren. Dabei vertrat er die Ansicht, daß der Kläger keine Dienstreisen, sondern Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1969) durchgeführt habe und berücksichtigte keine Aufwendungen für Mehrverpflegung, sondern nur die Fahrtkosten mit 118 X 40 km X 0,36 DM = 1 699 DM.

Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das FG ging davon aus, daß es sich bei dem Studium des Klägers nicht um Ausbildung, sondern um Fortbildung handele. Da der Kläger während dieser Zeit unter Freistellung von seiner Unterrichtstätigkeit sein Gehalt als Lehrer weiterbezogen habe, sei auch während des Studiums das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis bestehengeblieben. Das Studium diene der Erfüllung einer im Rahmen dieses Dienstverhältnisses besonders eingegangenen Verpflichtung. Damit stellten die mit ihm zusammenhängenden Aufwendungen des Klägers Werbungskosten i. S. des § 9 EStG dar. Der Kläger habe aber nur Dienstreisen nach B durchgeführt. Seine Fahrten von C nach A seien solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte; denn die Universität A sei als die regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers anzusehen. Das habe zur Folge, daß die Fahrtkosten des Klägers nach A nur mit 0,36 DM pro Entfernungskilometer, begrenzt auf höchstens 40 km, also mit 1 368 DM anzusetzen seien und insoweit steuerlich kein Mehrverpflegungsaufwand berücksichtigt werden könne. Für die Dienstreisen nach B könnten dagegen 0,25 DM pro km als Fahrtkosten anerkannt und für 23 Tage ein Werbungskostenbetrag für Mehraufwendungen für Verpflegung von 515 DM (23 X 22,40 DM) angesetzt werden.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger, daß das FG vom Urteil des BFH vom 9. November 1971 VI R 109/69 (BFHE 103, 516, BStBl II 1972, 147) abgewichen sei. Nach diesem Urteil seien bei dem Besuch von Fortbildungsveranstaltungen die Grundsätze des Dienstreiserechts anwendbar. Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung des FA die Einkommensteuer 1970 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten von 4 560 DM festzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Mit dem Grundsatzurteil des BFH vom 16. März 1967 IV R 266/66 (BFHE 89, 511, BStBl III 1967, 723) wurde entschieden, daß die Kosten eines Hochschulstudiums stets nichtabzugsfähige Kosten der Berufsausbildung sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein erstmaliges oder ergänzendes Zweitstudium handele. Entscheidend war dabei die Überlegung, daß eine Hochschulausbildung dem Steuerpflichtigen stets eine andere berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung eröffne und deshalb die Grundlage für eine neue oder andere als bisher geartete Lebensgestaltung bilde. Mit dieser Rechtsprechung sollten schwierige Entscheidungen in Grenzfällen und sachlich nicht zu rechtfertigende unterschiedliche steuerliche Auswirkungen bei Studienkosten vermieden werden. Unter Anwendung dieser Grundsätze wurden auch die Kosten eines Hochschulstudiums, das ein Steuerpflichtiger mit dem Ziel durchführte, die entsprechenden Abschlußprüfungen abzulegen, dem Ausbildungsbereich zugeordnet, obwohl es sich um ein dem bereits abgeschlossenen Erststudium verwandtes Zweitstudium handelte (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1971 VI R 160/70, BFHE 104, 231, BStBl II 1972, 255). Unbestreitbare Auswirkungen der durch das Zweitstudium erworbenen Kenntnisse auf den aufgrund des Erststudiums bereits ausgeübten Beruf reichten danach nicht aus, um Fortbildungsaufwand annehmen zu können. Wegen der unterschiedlichen beruflichen Qualifikation eines akademisch Vorgebildeten und eines Nichtakademikers wurden die Kosten eines Studiums der Architektur als Ausbildungskosten selbst in einem Fall beurteilt, in dem der Steuerpflichtige bereits vorher als Hochbauingenieur mit den Tätigkeiten eines Architekten befaßt war und den Titel auch ohne Studium hätte erwerben können (BFH-Urteil vom 24. Juli 1973 IV R 27/72, BFHE 110, 265, BStBl II 1973, 817). Wie der Senat mit dem Urteil vom 12. Juli 1974 VI R 125/72 (BFHE 113, 109) aber andererseits entschieden hat, sind Studienaufwendungen nicht unterschiedslos als Ausbildungsaufwand anzusehen. Es ist vielmehr zu differenzieren, welche Ziele der Steuerpflichtige mit der Aufnahme des Studiums verfolgte und verfolgen konnte. Gerade in der heutigen Zeit mit den sich steigernden Anforderungen an das dem allgemeinen Entwicklungsstand angepaßte berufliche Spezialwissen sind Studien denkbar, die der Fortbildung und nicht der Ausbildung dienen. Als wesentlich für die Unterscheidung zwischen Ausbildungs- und Fortbildungsaufwand bei Studienkosten sind dabei die Studiendauer, die Art des Studienabschlusses und die Feststellung anzusehen, ob bei isolierter Betrachtung des Studiums dieses überhaupt für eine Berufsausübung ausreicht oder ob es nicht nur der Spezialisierung in einem bereits ausgeübten akademischen Beruf dient. Diese Untersuchungen führten im Fall VI R 125/72 dazu, wegen der Kürze der wohl berufsbezogenen, nicht aber einen neuen Beruf eröffnenden Studien der Klägerin, bei denen kein Abschlußexamen vorgesehen war, Fortbildungs- und nicht Ausbildungsaufwand anzunehmen. Da das Zweitstudium der Betriebswirtschaft den Steuerpflichtigen nach erfolgreichem Abschluß unabhängig von seinem ersten Studium der Volkswirtschaft zur Ausübung eines Berufs befähigte und der akademisch ausgebildete Architekt auch ohne seinen Beruf als Hochbauingenieur die Qualifikation für einen Beruf erworben hatte, wurden deshalb die Aufwendungen der Steuerpflichtigen in den vom BFH entschiedenen Fällen VI R 160/70 und IV R 27/72 als Ausbildungsaufwand angesehen.

Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt, an den der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), ist davon auszugehen, daß der Kläger im Streitfall eine abgeschlossene Ausbildung als Volksschullehrer hat, die auch Voraussetzung für die Qualifizierung zum Sonderschullehrer ist. Die Unterrichtung des Klägers am Heilpädagogischen Institut in A und die praktische Unterweisung an der Psychiatrie in B ist isoliert gesehen für den Kläger ohne Bedeutung; denn sie würde ihn nicht zur Ausübung einer gleichwie gearteten Lehrtätigkeit berechtigen. Durch die Schulung erwirbt der Kläger nur die zusätzlichen psychologischen und pädagogischen Kenntnisse, die er braucht, um behinderten Schülern den Unterrichtsstoff nahezubringen, den er bisher gesunden Kindern vermittelt hat. Eine derartige spezielle Unterrichtung innerhalb des ausgeübten Berufs eines Volksschullehrers, mit dem kein gesellschaftlicher Aufstieg verbunden ist, erfüllt den Tatbestand der Fortbildung, selbst wenn diese an einer Hochschule erfolgt. Insoweit war das Urteil des FG zu bestätigen.

Während seines Studiums hatte der Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte in A. Den Ausführungen des FG kann in diesem Punkt nicht beigetreten werden. Wegen der Beurlaubung des Klägers durch seinen Dienstherrn hatte er weder eine regelmäßige noch eine tatsächliche Arbeitsstätte i. S. des Dienstreisebegriffs. Voraussetzung für die Anwendung der Pauschsätze des Abschn. 21 Abs. 4 LStR 1970 ist es auch nicht, daß der Kläger Dienstreisen nach Abschn. 21 Abs. 2 LStR 1970 durchgeführt hat. Wie der Senat in seiner Entscheidung VI R 109/69 ausgeführt hat, können in den Fällen, in denen die Fortbildungsveranstaltungen außerhalb des Wohnortes des Steuerpflichtigen durchgeführt werden, die dadurch verursachten Aufwendungen, zu denen auch Mehraufwendungen für Verpflegung gehören können, unter Anwendung der Pauschsätze der Abschn. 21 und 26 LStR 1970 geschätzt werden. Nur die für Dienstreisen geltenden Grundsätze sind für die Berechnung der Werbungskosten anläßlich von Fortbildungsveranstaltungen anzuwenden. Das hat das FG verkannt. Da im übrigen die Anwendung der Pauschsätze für Verpflegungsmehraufwand hier nicht zu einer unzutreffenden Besteuerung führt, war dem Antrag des Klägers voll zu entsprechen und unter Aufhebung bzw. Abänderung der Vorentscheidungen die Einkommensteuer des Streitjahrs unter Berücksichtigung von weiteren 4 560 DM an Werbungskosten neu festzusetzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71267

BStBl II 1975, 280

BFHE 1975, 361

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