Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Rüge der unterlassenen Beweiserhebung

 

Leitsatz (NV)

Ausnahmsweise kann das Finanzamt, das vor dem Finanzgericht durch einen Volljuristen vertreten war, die Unterlassung einer Beweiserhebung auch dann erfolgreich mit der Revision rügen, wenn es keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hatte.

 

Normenkette

FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nr. 3

 

Tatbestand

Der Kläger ist Elektromonteur und seit Jahren auf auswärtigen Baustellen tätig. In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte er u. a. neben den Fahrtkosten von seiner Schlafstelle zu den jeweiligen Baustellen an 220 Tagen folgende Werbungskosten geltend:

1. 45 Familienheimfahrten 2 160 DM

2. Zimmermiete 1 680 DM

3. Mehraufwendungen für Verpflegung an 220 Tagen 8 360 DM.

Er gab an, vom Arbeitgeber dafür 9 620 DM steuerfrei ersetzt erhalten zu haben.

Das Finanzamt (FA) kam zu dem Ergebnis, daß der Arbeitgeber nach den vom Kläger vorgelegten monatlichen Lohnabrechnungen 12 629 DM steuerfreie Auslösung und 242,80 DM steuerfreie Fahrtkosten erstattet habe. Werbungskosten erkannte das FA nur in Höhe von 10 686 DM an. Durch Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich vom 17. August 1978 wurde deshalb der Erstattungsbetrag auf 0 DM festgesetzt und durch Nachforderungsbescheid vom 3. Oktober 1978 Lohnsteuer nachgefordert. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.

Aufgrund einer Anfrage der Veranlagungsstelle bei der Prämienstelle des FA vom 15. Juni 1978 wurde festgestellt, daß der Kläger für die im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich als Sonderausgaben geltend gemachten Beiträge an Bausparkassen bereits vorher die Gewährung einer Wohnungsbauprämie beantragt hatte. Die entsprechende Mitteilung der Prämienstelle datiert vom 4. September 1978. Daraufhin forderte das FA am 17. November 1978 mit gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geändertem Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid einen weiteren Betrag an.

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg; das Finanzgericht (FG) hob den Nachforderungsbescheid vom 17. November 1978 auf. Es führte u. a. aus: Die Klage sei begründet, weil nicht festgestellt werden könne, daß tatsächlich Lohnsteuer nachzuerheben gewesen sei. Das FA gehe bei seiner Steuerberechnung in der Einspruchsentscheidung zu Recht davon aus, daß Werbungskosten in Höhe von 10 686 DM anzuerkennen seien; darauf seien die steuerfrei gezahlten Auslösungen anzurechnen. Diese betrügen nach den Erklärungen des Klägers 9 620 DM, so daß Werbungskosten von 1 066 DM abgesetzt werden könnten. Der sich danach ergebende Steuerbetrag sei niedriger als die Jahreslohnsteuerschuld im Nachforderungsbescheid vom 3. Oktober 1978, so daß eine Änderung dieses Bescheides zum Nachteil des Klägers nicht gerechtfertigt gewesen sei. Die Änderung wäre nur dann zulässig gewesen, wenn der Kläger nicht wie behauptet 9 620 DM, sondern den vom FA angesetzten höheren Betrag von seinem Arbeitgeber steuerfrei erstattet erhalten hätte. Die dahingehende Annahme des FA sei jedoch nicht gerechtfertigt. Denn der Kläger habe in seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich den Betrag der steuerfrei gezahlten Auslösung mit 9 620 DM angegeben und die entsprechenden Belege (Verdienstbescheinigungen) beigefügt. Das FA habe dagegen angenommen, die gesamten Auslösungen seien steuerfrei gezahlt worden, was der Kläger weder dem Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich noch den Nachforderungsbescheiden eindeutig habe entnehmen können. Der Betrag sei erstmals in der Einspruchsentscheidung vom 7. März 1979 genannt worden. Daraufhin habe der Kläger in seiner Klagebegründung sofort die Unrichtigkeit dieser Annahme geltend gemacht. Aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen für 1979 ergebe sich, daß bei im wesentlichen gleichgebliebenen tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitgeber auch Auslösungen gezahlt habe, die der Lohnsteuer unterworfen worden seien. Es erscheine deshalb durchaus wahrscheinlich, daß auch im Streitjahr nicht alle Auslösungen steuerfrei ausgezahlt worden seien und daß der vom Kläger angegebene Betrag von 9 620 DM zutreffe . . .

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung formellen Rechts gerügt wird. Das FA meint, das FG sei verpflichtet gewesen, über die Höhe der steuerfrei gezahlten Auslösung Beweis zu erheben (§ 76 FGO). Denn es, das FA, habe die Höhe der steuerfrei gezahlten Auslösung anhand der vom Kläger vorgelegten Verdienstübersichten ordnungsgemäß ermittelt. Dies sei aus den Lohnsteuerakten eindeutig hervorgegangen. Wenn nun der Kläger im Klageverfahren behauptet habe, seine Angaben wegen der geringeren Höhe seien richtig, er könne aber keine Verdienstübersichten mehr vorlegen, so hätte das FG von Amts wegen den tatsächlichen Sachverhalt ermitteln und die entsprechenden Beweismittel beschaffen müssen. Dies hätte durch Nachfrage beim damaligen Arbeitgeber des Klägers, der nach § 93 AO 1977 zur Auskunft verpflichtet sei, ohne weiteres erfolgen können. Das tatsächliche Vorgehen des FG (Rückschluß aus den Verdienstübersichten 1979) sei demgegenüber keine ordnungsgemäße Beweiserhebung. Wie sich aufgrund einer nachträglichen Anfrage des FA beim Arbeitgeber des Klägers ergeben habe, habe die steuerfrei gezahlte Auslösung tatsächlich 12 852 DM betragen. Hierzu werde auf die im Verfahren über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision vorgelegten Fotokopien der Verdienstbescheinigungen 1 bis 13 für 1977 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Da die Revision nur auf einen Verfahrensmangel gestützt ist, hat der Senat die materielle Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils nicht zu prüfen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 118 FGO Anm. 66, m.w.N.). Ob die Möglichkeit der Nachforderung überhaupt bestand und ob der angefochtene zweite Nachforderungsbescheid - sei es gemäß § 173 AO 1977, wie das FA meint, sei es nach § 174 Abs. 2 AO 1977, wie das FG meint - ergehen durfte, bleibt deshalb unerörtert.

2. Die Aufklärungsrüge ist begründet.

Das FG hat den Sachverhalt nicht ausreichend festgestellt (§ 76 FGO). Es hätte sich wegen der entscheidungserheblichen Frage, ob die Auslösungen im Streitjahr in vollem Umfang steuerfrei gezahlt worden sind, nicht auf Rückschlüsse aus den Zahlungen des Arbeitgebers im Jahre 1979 beschränken dürfen. Denn es bestand die Möglichkeit, über die Höhe der steuerfreien Auslösungen im Streitjahr unmittelbar eine Auskunft beim Arbeitgeber des Klägers einzuholen. Daß es nahelag, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, räumt das FG, das die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zugelassen hat, mittelbar selbst ein.

Dem steht nicht entgegen, daß das FA im finanzgerichtlichen Verfahren keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hatte. Grundsätzlich ist dies zwar zu verlangen, wenn ein durch einen Volljuristen vertretener Beteiligter im Revisionsverfahren eine entsprechende Aufklärungsrüge erheben will. Im Streitfall mußte das FA jedoch nicht damit rechnen, daß das Gericht lediglich von den Verhältnissen des Jahres 1979 ausgehen würde, zumal der Fall die Besonderheit aufweist, daß der Kläger in den bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 17. August und 3. Oktober 1978 die entgegengesetzte Auffassung des FA bereits hingenommen hatte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 422897

BFH/NV 1985, 45

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