Leitsatz (amtlich)

1. Der zur Erlangung der erhöhten Investitionszulage von 25 v. H. erforderliche Betrieb des verarbeitenden Gewerbes muß - sofern er noch nicht besteht - innerhalb des Kalender-(Wirtschafts-)Jahres zur Entstehung gelangen, in dem das Wirtschaftsgut, für das die erhöhte Investitionszulage beantragt wird, angeschafft (oder hergestellt) wird. Schafft der Unternehmer Wirtschaftsgüter mit dem nachweisbaren Ziele an, mit ihrer Hilfe das verarbeitende Gewerbe aufzunehmen, so entsteht der Betrieb des verarbeitenden Gewerbes noch im Jahr der Anschaffung, auch wenn die Fertigung erst im Folgejahr aufgenommen wird, sofern der Unternehmer an der alsbaldigen Aufnahme der Fertigung durch Umstände gehindert wird, die er im Anschaffungsjahr nicht mehr beseitigen kann. Hierzu kann auch der Mangel an Aufträgen gehören.

2. Es widerspricht nicht dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG, daß die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG dem verarbeitenden Gewerbe (ausgenommen Baugewerbe), nicht aber den freien Berufen gewährt wird.

 

Normenkette

BerlinFG § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1; GG Art. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) für ein im Jahre 1969 angeschafftes Wirtschaftsgut die erhöhte Investitionszulage des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG vom 29. Oktober 1970 zusteht.

Der Kläger ist Journalist. Er schaffte im Jahre 1969 einen Composer an, um Schreibsätze im Offsetdruck herzustellen, und beantragte eine Investitionszulage von 25 v. H. nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) bemaß die Zulage jedoch nur auf 10 v. H., weil der Kläger als Freiberufler die erhöhte Zulage nicht erhalten könne. Hiergegen wandte der Kläger ein, daß die Schlechterstellung der Freiberufler gegenüber den Gewerbetreibenden in der Bestimmung des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verstoße. Einspruch und Klage blieben jedoch erfolglos. Das FG hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Verfassung garantiere nicht die steuerliche Gleichstellung aller Berufsträger. Es sei daher unbedenklich, den Gewerbetreibenden zur Gewerbesteuer heranzuziehen, den Freiberufler dagegen nicht. Somit sei es auch nicht verfassungswidrig, die Investitionszulage für Gewerbetreibende bei bestimmten Anschaffungen gesetzlich anders festzusetzen als für Freiberufler. Darin habe der Gesetzgeber seinen politischen Willen ausgedrückt. Das Gericht sei nicht zuständig, zu prüfen, ob dieses politische Wollen richtig oder zweckmäßig ist. Die vom Kläger angeschaffte Maschine diene zwar der Be- und Verarbeitung. Sie gehöre aber nicht zu einem gewerblichen Betrieb, so daß für sie keine erhöhte Investitionszulage gewährt werden könne.

Hiergegen richtet sich die Revision. Das FG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Er habe dem FG Muster des von ihm hergestellten Lohnbuchsatzes vorgelegt. Er habe dazu erklärt, daß er den Composer für Lohnaufträge benutze, um die Anschaffung finanzieren zu können. Die Verwendung des Composers für fremde Rechnung habe am 1. Mai 1970 begonnen. Das FG habe trotz dieses Vorbringens nicht geprüft, ob eine gewerbliche Nutzung vorliege. Seine Auffassung über die verfassungsrechtliche Seite des Falles gebe er damit nicht auf.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und führt hierzu aus:

Die Rüge unzureichender Sachaufklärung sei nicht gerechtfertigt, da die nachträgliche Änderung der Nutzung des Angeschafften Wirtschaftsguts ohne Bedeutung sei. Es komme nur auf die Verhältnisse im Anschaffungsjahr an.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet:

Die Rüge des Klägers, das FG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt (Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO), hat keinen Erfolg, weil sie nicht schlüssig begründet ist. Der Vorwurf des Klägers, das FG habe es unterlassen, zu klären, wie der Composer im Jahr nach dem Jahr der Anschaffung verwandt wurde, wäre nur dann berechtigt, wenn es hierauf ankäme. Das aber ist nicht der Fall. Nach § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG wird die erhöhte Investitionszulage von 25 v. H. für abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gewährt, die in einem Betrieb (einer Betriebstätte) des verarbeitenden Gewerbes - ausgenommen Baugewerbe - unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen. Sämtliche Voraussetzungen müssen bereits im Jahr der Anschaffung oder Herstellung vorliegen, da die Investitionszulage gemäß § 19 Abs. 4 BerlinFG grundsätzlich für Wirtschaftsgüter gewährt wird, die jeweils innerhalb eines Kalender- oder Wirtschaftsjahrs angeschafft oder hergestellt worden sind. Daß § 19 Abs. 3 BerlinFG für Anzahlungen und Teilherstellungskosten eine Ausnahme macht, ändert hieran nichts.

Entsteht ein Betrieb des verarbeitenden Gewerbes erst durch Beschaffung der der Fertigung dienenden Wirtschaftsgüter, dann muß der Betriebsinhaber im Jahr der Anschaffung oder Herstellung zum mindesten den Entschluß fassen, die Wirtschaftsgüter zur gewerblichen Be- oder Verarbeitung zu benutzen, und darf an der Verwirklichung dieses Entschlusses nur durch Umstände gehindert sein, die er im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht mehr beseitigen kann, wie etwa durch die langwierige Inbetriebnahme einer Maschine, durch unvorhergesehene Fehler der Maschine, aber auch durch das Fehlen von Aufträgen. Der vom Betriebsinhaber gefaßte Entschluß zum Einsatz des Wirtschaftsguts zu verarbeitenden gewerblichen Zwecken muß durch besondere Anzeichen nach außen erkennbar sein, z. B. durch den Nachweis, daß er sich um Aufträge bemüht hat.

Dem Vortrag des Klägers ist zu entnehmen, daß er den Composer für eigene Zwecke angeschafft hat und erst im Jahre 1970 den Entschluß faßte, den Apparat zur Durchführung von Lohnaufträgen einzusetzen. Aus seinem eigenen Vortrag ergibt sich also, daß er im Jahre 1969, dem Jahr der Anschaffung, noch keinen Betrieb des verarbeitenden Gewerbes unterhielt. Das FG versäumte demzufolge seine Aufklärungspflicht nicht, wenn es die Vorgänge des Jahres 1970 unbeachtet ließ.

Zutreffend hat das FG auch die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BerlinFG durch Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verneint. Im Rahmen des Gleichheitssatzes bleibt dem Gesetzgeber ein weiter Spielraum für die Betätigung seines Ermessens. Es ist nicht Sache eines Gerichts, die vom Gesetzgeber gewählte Lösung auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen oder zu untersuchen, ob sie vom Standpunkt einer beteiligten Interessentengruppe aus die "gerechteste" denkbare Lösung darstelle. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liegt nur dann vor, wenn für eine vom Gesetzgeber angeordnete Differenzierung zwischen verschiedenen Personengruppen sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind, so daß ihre Aufrechterhaltung einen Verstoß gegen das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden darstellen würde (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 17. Dezember 1953 1 BvR 147/52, BVerfGE 3, 58 [135]). Insbesondere ist es dem Gesetzgeber möglich, die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 20. Juli 1954 1 BvR 459/52 u. a. , BVerfGE 4, 7 [15]). Dementsprechend war es dem Gesetzgeber möglich, die ihm zur Förderung der Wirtschaft West-Berlins erforderlich erscheinenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu treffen und dabei diejenigen Wirtschaftszweige herauszuheben, deren Förderung ihm im allgemeinen Interesse der Berliner Wirtschaft vordringlich erschien. Er konnte daher der Industrie und dem Handwerk in West-Berlin Vergünstigungen gewähren, die er anderen Wirtschaftszweigen wie den freien Berufen versagte. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz wäre hierin nur dann zu erblicken, wenn die Unterscheidung sachfremd, d. h. willkürlich getroffen worden wäre. Das aber hat selbst der Kläger nicht behauptet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70463

BStBl II 1973, 578

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