Leitsatz (amtlich)

1. Eine (Zins-)Forderung kann wegen Verjährung uneinbringlich und deshalb bei der Bewertung der Gegenleistung außer Ansatz zu lassen sein.

2. Ist zweifelhaft, ob eine möglicherweise verjährte Forderung durchsetzbar ist, so kann sie entsprechend mit einem niedrigeren Schätzwert anzusetzen sein.

 

Normenkette

GrEStG §§ 10-11; BewG § 14 Abs. 1-2, § 12 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin erwarb im Dezember 1962 gegen Übernahme der dinglichen Lasten, der Verpflichtung aus Baukostenzuschüssen und einer Barzahlung ein Grundstück. Die Vertragsparteien waren u. a. "darüber einig, daß mit dem Abschluß dieses Kaufvertrags aus der früheren Darlehnsgewährung der Käuferin" an den verstorbenen Ehemann der Verkäuferin "keine Ansprüche mehr bestehen" (§ 4 des Kaufvertrags). Die Klägerin hatte die Rückzahlung eines Darlehens zuzüglich Zinsen gefordert.

Das FA setzte als Gegenleistung - außer den übrigen (nicht bestrittenen) Beträgen - auch den Forderungsverzicht aus gewährtem Darlehen einschließlich der gesamten Zinsen an.

Mit Einspruch und Berufung machte die Klägerin erfolglos geltend, daß als Forderungsverzicht nur der Verzicht auf den Darlehnsbetrag selbst und die noch nicht verjährten Zinsen in Betracht komme. Der Anspruch auf die früheren Zinsen sei verjährt. Die Verkäuferin habe durch ihren Vertreter schon in den dem Kaufvertrag vorangegangenen Verhandlungen die Einrede der Verjährung geltend gemacht. Bei Abschluß des Kaufvertrags habe der verjährte Zinsbetrag keine Rolle mehr gespielt; mit ihm sei von keiner Seite mehr gerechnet worden. Das zeige sich auch darin, daß der ohne die verjährten Darlehnszinsen anzusetzende Wert der Gegenleistung (einschließlich des Darlehnsbetrags und der nicht verjährten Zinsforderung) bereits den Wert des Grundstücks übersteige.

Das FG teilte die Auffassung des FA (Beklagten), daß der Verzicht auf die Darlehnsforderung einschließlich aller Zinsen unabdingbar mit dem Grundstückserwerb verknüpft und somit Teil der Gegenleistung geworden sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Tragender Grund für die Entscheidung des FG ist dessen Auffassung, daß es für den - vom bürgerlichen Recht abweichenden - grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff der Gegenleistung (§§ 10, 11 GrEStG) unerheblich sei, ob die Verkäuferin mit der Einrede der Verjährung hinsichtlich eines großen Teils des Zinsanspruchs durchgedrungen wäre. Dem kann der Senat nicht folgen.

Es ist zwar richtig, daß der umfassende Begriff der Gegenleistung insbesondere kraft der Sondervorschriften über die Einbeziehung der in § 11 Abs. 2 und 3 GrEStG bezeichneten Leistungen teils über das bürgerliche Recht hinausgreift. Es ist auch richtig, daß nicht maßgebend ist, was die Vertragschließenden als Gegenleistung bezeichnen, sondern zu welchen Leistungen sich der Käufer dem Verkäufer gegenüber verpflichtet. Gerade insoweit aber folgt das Grunderwerbsteuerrecht in § 11 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG dem bürgerlichen Recht, da Kaufpreis im Sinne des § 433 Abs. 2 BGB die Leistungen sind, zu denen der Käufer sich dem Verkäufer gegenüber verpflichtet (Urteil des BFH II 93/63 vom 14. November 1967, BFH 91, 130). Solche Leistungen können auch in einem Forderungsverzicht des Käufers bestehen, z. B. also in dem Verzicht auf eine geschuldete Vergütung (BFH-Urteil II 172/64 vom 10. Juni 1969, BFH 96, 429, BStBl II 1969, 668) oder in der Verpflichtung, den Verkäufer von einer Schuld oder sonstigen Verpflichtung zu befreien. Stets muß es sich dabei aber um eine geldwerte Verpflichtung, um eine bewertungsfähige Last, handeln (BFH-Urteil II 69/63 vom 14. Februar 1967, BFH 87, 547, BStBl III 1967, 203). Es genügt dagegen nicht, daß irgendwelche Umstände, denen der Rang geldwerter Verpflichtungen nicht beigemessen werden kann, allenfalls Motiv für die Vereinbarung eines - wenn auch dem Käufer günstigen - Kaufpreises, nicht aber Inhalt der rechtsgeschäftlichen Preisvereinbarung sind (vgl. außer dem BFH-Urteil II 172/64, a. a. O. auch BFH-Urteil II R 41/67 vom 19. Dezember 1967, BFH 91, 185, BStBl II 1968, 349).

Es kann also unterstellt werden, daß die Auseinandersetzungen der Vertragsparteien über die Abwicklung des Darlehnsgeschäfts, insbesondere hinsichtlich der Frage der Verjährung eines Großteils der Zinsansprüche der Käuferin, motivlich auch die Abwicklung des Kaufvertrags beeinflußt haben. Entscheidend ist aber allein, ob und inwieweit die Käuferin mit dem Verzicht auf die Darlehnszinsen eine Gegenleistung erbracht hat, der ein Geldwert zukommt, und damit die Verkäuferin von einer ebenso geldwerten Verpflichtung befreit hat. Das ist hinsichtlich der nichtverjährten Darlehnszinsen unstreitig. Zinsforderungen dagegen, denen die Einrede der Verjährung (§ 222 Abs. 1 BGB) mit Erfolg entgegengehalten wird, sind als uneinbringlich und damit als wertlos außer Ansatz zu lassen (§ 14 Abs. 2 BewG a. F. = § 12 Abs. 2 BewG 1965; vgl. für einen schuldrechtlichen Forderungsverzicht BFH-Urteil II 250/60 vom 20. Juli 1966, BFH 86, 598, 604, BStBl III 1966, 601; ferner für § 14 Abs. 2 BewG a. F. = § 12 Abs. 2 BewG 1965 die Kommentare zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz von Gürsching/Stenger, 1.-4. Aufl. § 14 BewG a. F., Anm. 3; Rössler/Troll, 8. Aufl., § 12 BewG 1965 Tz. 7). Es gibt jedoch Fälle, in denen es nach den Einzelverhältnissen zweifelhaft ist, ob eine Forderung verjährt ist oder ob der Einwand der Verjährung aus besonderen Gründen als Verstoß gegen Treu und Glauben und somit als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden müßte (vgl. hierzu die Kommentare zum Bürgerlichen Gesetzbuch von Soergel/Augustin, 10. Aufl., § 222 Tz. 7; Staudinger/Coing, 11. Aufl., § 222 Tz. 12), in denen also am maßgebenden Stichtag ein erhebliches Prozeßrisiko bestehen kann. In solchen Fällen allerdings kann die Forderung entsprechend der Wahrscheinlichkeit, sie durchzusetzen, mit einem (unter dem Nennwert liegenden) niedrigeren Schätzwert anzusetzen sein (§ 14 Abs. 1 BewG a. F. = § 12 Abs. 1 BewG 1965; vgl. BFH-Urteil III 235/64 vom 5. April 1968, BFH 93, 316, BStBl II 1968, 768; Steinhardt, Kommentar zum Bewertungsgesetz, § 12 Tz. 14).

Die Anwendung dieser Grundsätze bei Ermittlung der grunderwerbsteuerpflichtigen Gegenleistung erscheint auch gerechtfertigt, weil eine Forderung, der die Verjährungseinrede mit Erfolg entgegengehalten wird, für den Käufer keinen in Geld meßbaren Wert mehr hat und für den Verkäufer keine entsprechende Belastung mehr ist. Der "Verzicht" auf eine wertlose Forderung und die "Entbindung" von einer nicht mehr effektiven Last erfolgen, bezogen auf die Bewertbarkeit von Leistung und Gegenleistung, letztlich nicht für die Grundstücksübertragung, sondern wegen der vom Gesetz eingeräumten Verjährungseinrede.

Unter diesen Gesichtspunkten kann aus der insoweit farblosen Vertragsvereinbarung, daß mit Abschluß des Kaufvertrags aus der früheren Darlehnsgewährung der Käuferin keine Ansprüche mehr bestehen, nichts gewonnen werden, da diese Vereinbarung nichts darüber aussagt, ob der angeblich verjährte Teil der Forderung noch Geldwert hat oder nicht. Auch das Motiv für die relativ geringe Barzuzahlung (10 000 DM) könnte darin gefunden werden, daß die Verkäuferin gerade und trotz geltend gemachter Verjährung eines erheblichen Teils der Darlehnszinsen noch auf dieser Barzahlung bestand.

Das FG hat zu der entscheidenden Frage, ob und mit welchen Folgen die noch streitigen Darlehnszinsen verjährt waren, aus seiner Sicht keine Feststellungen getroffen. Demgemäß waren das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 69484

BStBl II 1971, 533

BFHE 1971, 126

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